Kapitel 15
Ding-Dong.
Ding-Dong.
Ding-Dong.
Schwerfällig öffnete ich meine Augen und rollte mich aus dem Bett. Wer zur Hölle klingelte um diese Uhrzeit schon an der Haustür?
Laut meinem Wecker war es viertel nach sechs.
Mit halb geschlossenen Augen schleppte ich mich die Treppe herunter und öffnete die Tür.
"Guten Morgen, Jenna!"
rief mir eine putzmuntere Marylin ins Ohr, woraufhin ich zusammenzuckte und das Gesicht verzog.
Sie quetschte sich an mir vorbei, lief in die Küche und stellte eine Tüte auf den Tisch.
"Das hier ist euer Frühstück und Mittagessen für heute ", erklärte sie.
"So, und heute beginnt offiziell Tag eins des Schutzprogramms. Der gestrige Tag war nur ein halber Tag, weswegen er nicht gezählt hat. Heute werde ich euch in euer neues Leben einarbeiten. Wo ist eigentlich Niall?"
Ich schaltete die Kaffemaschine ein und gähnte.
"Guck mal auf dem Sofa, da hab ich ihn zuletzt gesehen."
Marylin verschwand und kurz darauf hörte ich einen überraschten Aufschrei.
"Niall! Was zum Teufel hast du getan? Böser Junge! Ganz böser Junge!"
Obwohl sie echt sauer war, musste ich grinsen, weil sich ihre Stimme mit dem niedlichen Akzent überschlug.
Ein Grunzen von Seiten Nialls war zu hören.
"In fünf Minuten sehe ich dich hier unten, und zwar vollständig angezogen und gewaschen! Sofort!"
keifte Marylin weiter.
Kurz darauf kam sie zurück in die Küche und sah mich mit großen Augen an.
"Jenna, ich hoffe für dich, dass das ein Ausrutscher von ihm war. Andernfalls kann ich dir verraten, dass es nicht gerade angenehm ist, mit einem Alkoholiker zusammen zu leben."
Ein Schatten huschte über ihr Gesicht. Ich hätte gerne nachgefragt, ließ das Thema aber fallen, da ich sie noch nicht genug kannte, um solche vertraulichen Themen zu bereden.
Wenigstens hatte ich das Gefühl, dass Marylin eher auf meiner Seite stand als auf Nialls. Falls es hier so etwas wie Seiten gab.
Zu meinem großen Erstaunen waren einige Minuten später tatsächlich schwerfällige Schritte auf der Treppe zu hören und Niall trat in die Küche, ohne mich eines Blickes zu würdigen.
Seine Augen waren gerötet und er roch unangenehm nach Schweiß.
Sowohl Marylin als auch ich rümpften die Nase und warfen uns vielsagende Blicke zu.
"Also, was ist los?"
fragte Niall mit einem genervten Unterton.
"Pass auf, mein Lieber, an deiner Stelle würde ich nicht ganz so vorlaut sein. Ihr seid hier zwar die Schutzbefohlenen, aber ich kann dafür sorgen, dass dir das Leben hier zur Hölle gemacht wird."
Marylins Augen hatten sich zu drohenden Schlitzen verzogen, und Niall zog unbewusst die Schultern hoch und sagte: "Schon gut, ich hab's verstanden."
Doch auch mein Respekt vor ihr war soeben beachtlich gestiegen.
Sie setzte wieder ein Lächeln auf und räusperte sich.
"Wo waren wir gerade stehengeblieben? Ach ja, richtig. Also, Niall, ich werde euch heute in euer neues Leben einweisen. Wie ich bereits gestern schon erwähnte, ist es äußerst wichtig, dass ihr niemandem davon verratet und zu keinem einzigen Moment aus der Rolle fallt, verstanden? Wir sind ein friedliches Dorf, aber wenn doch Informationen an die falschen Ohren gelangen, seid ihr schneller geliefert als ihr denkt."
Ich schluckte.
"Zur Hintergrundstory. Natürlich brauchen wir einen Grund, weshalb es euch gerade nach Develon Hill verschlagen hat. Das ist einfach. Ihr spielt ein frisch verheiratetes Pärchen, das für die Flitterwochen ein ruhiges Ziel gesucht hat."
"WAS?!" Schrie Niall auf, und auch mir stand der Mund offen.
"Ich soll mit der hier," er deutete auf mich, "ein glücklich verheiratetes Pärchen spielen? Bist du wahnsinnig? Das mach ich unter keinen Umständen!"
Ich meldete mich auch zu Wort: "Sind wir nicht auch ein bisschen jung dafür? Das fällt doch auf, Niall ist 18 und ich bin 17!"
Marylin zuckte die Achseln.
"Die Leute werden nicht auf euer Alter achten, für sie zählt nur, dass Develon Hill Gäste hat. Außerdem heiratet man heutzutage doch eh immer früher, oder nicht? Wir machen euch einfach ein bisschen älter. Und was dich angeht, Niall, so hast du wohl keine andere Wahl. Akzeptier das."
Niall schnaubte abfallig.
Ich war ebenfalls unüberzeugt. Wenn das mit Niall und mir so weiterging, hatte ich keine Ahnung, wie wir ein glückliches und frisch verliebtes Pärchen mimen sollten.
Marylin sprach weiter: "Nun zu eurer Person. Jenna, du bist 20 Jahre alt, heißt Mia Benett und studierst Lehramt im dritten Semester. Deine Familie lebt in Cambridge, deine Hobbys sind schwimmen und tanzen.
Du hast einen älteren Bruder, der im Ausland lebt. Geburtsdaten bleiben gleich, denk aber daran, das Jahr zu ändern. Soweit alles klar?"
Ich nickte. Mia Benett war kein übler Name. Lehramt war zwar nicht so mein Ding, aber das musste ich ja auch nicht unter Beweis stellen. Schwimmen war okay, aber tanzen hatte ich noch nie ausprobiert. Hoffentlich musste ich das auch nicht.
Marylin lächelte mich an. "Super. Nun zu dir, Niall. Du bist 23 Jahre alt, hast eine jüngere Schwester und kommst aus Dublin, um deinen Akzent zu erklären. In deiner Freizeit spielst du Basketball und gehst Angeln. Du hast vor einigen Monaten dein Studium in Wirtschaftswissenschaften abgeschlossen und arbeitest nun bei einer Bank. Einverstanden?"
Niall starrte sie entrüstet an.
"Das ist von vorne bis hinten völliger Bullshit! Basketball ist furchtbar, hilflose Fische umbringen würde ich nie im Leben und ich habe, verdammt noch mal, keine Ahnung was Wirtschaftswissenschaften überhaupt sind!" brüllte er.
Marylin hob eine Augenbraue hoch. "Ich kann daran nichts ändern, tut mir leid. Ich muss jetzt auch wieder rüber, Dean hat Frühstück für mich gemacht. Wir sehen uns spätestens morgen, tschüss!"
Sie wandte sich um und lief auf die Haustür zu.
Einen Moment verharrte Nialls in seiner Position, dann rannte er hinter ihr her und rief:
"Warte! Du hast mir nicht gesagt, wie ich heiße!"
"Oh, richtig, tut mir leid. Du heißt Harold Benett."
Und mit diesen Worten fiel die Haustür ins Schloss.
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