Kapitel 16
An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern.
- Erich Kästner, deutscher Schriftsteller
Police Departement; Salem, Massachusetts
Als wir die Dienststelle betraten, waren Derek und Emily bereits zurück.
»Detective Sanchez«, begrüßte die Frau, die uns begleitet hatte, sie.
»Ich bin SSA Derek Morgan, das ist SSA Emily Prentiss«, erklärte Derek.
»Schön, dass Sie hier sind. Ihren Boss habe ich ja schon kennengelernt.«
»Gab es denn schon einmal irgendwelche Auffälligkeiten in Ihrer Stadt, Detective?«, fragte Hotch.
Die Frau stemmte die Hände in die Hüfte und schüttelte den Kopf. »Salem ist eine friedliche Stadt. Seit fast dreihundert Jahren ist hier nichts mehr passiert, was für Aufruhr hätte sorgen können.«
Die Tür öffnete sich und ein aufgeregter Reid, gefolgt von Rossi, betraten die Dienststelle.
»Habt ihr was?«, fragte ich.
»Ich bin mir noch nicht sicher«, sagte Reid und blieb vor Hotch stehen. »Ich brauch eine Tafel und alle Beweise. Ich kenn vielleicht das Motiv des Täters.«
Nachdem ihm dies besorgt worden war und wir die Beweise sortiert hatten, versammelten wir uns in dem Raum, der für uns bereitgestellt worden war, und lauschten gebannt Reids Worten.
»Rossi und ich haben mit dem Gerichtsmediziner gesprochen. Er hat uns nicht mehr erzählen können, als wir bereits wussten, aber als ich mir die Wunden der Opfer genauer angesehen habe, ist mir etwas aufgefallen.« Der Mann wandte sich den Bildern der zu, worauf die Verletzungen der Opfer zu sehen waren. »Die durchschlagenden Daumen? Der zerstörte Genitalbereich mithilfe eines Gegenstands aus Holz? Das Eisen, das die Haut der Opfer verbrannte?« Er sah wieder zu uns. »Das sind alles Foltermethoden bei Hexen.«
Ungläubig hob Derek eine Augenbraue. »Bei Hexen?«
Reid nickte. »Der spanische Bock ist bekannt als Folterinstrument für Hexen. Die Opfer wurden nackt auf einen dreiecksförmigen Bock, der oben spitz zuläuft, gesetzt und mussten so stundenlang ausharren, so dass der Genitalbereich brutal zerstört wurde.«
Angewidert versuchte ich die Bilder aus meinem Kopf zu verdrängen.
»Die Daumen«, sprach Reid weiter, »es wurden Nägel durch ihre Daumen geschlagen - die sogenannten Daumenschrauben. Auch eine Foltermethode bei Hexen. Die Quetschungen und Knochenbrüche des Beins bei den ersten zwei Opfern und die Verbrennungen beim dritten Opfer wurden durch ein- und denselben Gegenstand zugefügt - den spanischen Stiefel, auch Beinschraube genannt. Wenn man sie fest genug ums Bein schnürt, zerquetscht man jemanden das Bein oder bricht ihm sogar die Knochen. Eine Methode ist, den Stiefel locker umzuschnallen und dann flüssiges Eisen hineinzukippen, so dass man sich schlimme Verletzungen zuzieht.«
Verzweifelt ließ Hotch den Kopf sinken, den Arm aufgestützt und das Gesicht in der Hand vergrabend.
»Sieht wohl aus, als hätten wir's mit einem Hexenjäger zu tun«, meinte ich.
Reid nickte.
»Was für eine Ironie«, sagte Emily. »Wir befinden uns in einer der bekanntesten Hexenstädte der Welt und treffen ausgerechnet einen Täter, der denkt, Hexen zu töten.«
»So ironisch ist das gar nicht«, meinte Reid. »Wahrscheinlich ist genau das sein Motiv. Im Jahr 1692 fanden hier zahlreiche Hexenprozesse statt, wodurch die Stadt bekannt wurde.«
Rossi nickte zustimmend. »Unser Täter denkt vielleicht, dass er ein guter Samariter ist, der die Stadt von dem großen Übel befreit.«
Hotch schüttelte den Kopf und ließ seine Hand sinken. »Er ist kein guter Samariter, sondern ein Psychopath. Er tötet unschuldige Frauen, und ich bin mir sicher, dass er bald sein nächstes Opfer hat.«
»Woher wissen Sie das?«, fragte Detective Sanchez.
»Er wird mutiger, ändert seine Methoden und Ablegeorte. Er wird auch den Abstand zwischen den Morden ändern, weswegen wir ihn finden müssen, bevor er die nächste Frau tötet.«
All around pov.
Und während das BAU-Team nach Hinweisen zu dem Täter suchte, verfolgte dieser bereits sein nächstes Opfer - Veronica Day, eine junge, blonde Frau, die von ihrer Arbeit im Büro gerade auf dem Nachhauseweg war.
Der Mann verfolgte sie, während er sich immer wieder umsah. Im rechten Moment packte er sie und zerrte sie in die Seitengasse, wo er ihr den Mund zuhielt und ihr ein Betäubungsmittel verabreichte, so dass sie kurz darauf bewusstlos in seinen Armen lag.
Kate pov.
»Garcia, hast du etwas für mich?«, fragte Hotch, der mit Garcia telefonierte und den Lautsprecher so gestellt hatte, dass wir sie hören konnten.
»Ich arbeite dran, Boss.«
»Such nach Männern, die vielleicht in Verbindung mit den Opfern standen. Was haben alle drei gemeinsam?«
Einige Augenblicke vergingen, in denen man das unaufhörliche Tippen der Tastatur vernahm, ehe Garcia antwortete: »Nichts, Boss, rein gar nichts.«
Derek fiel in sich zusammen. »Dann stehen wir wieder bei Null.«
Stunden vergingen, in denen wir versuchten, Antworten auf unsere Fragen zu finden, doch schien es keine zu geben. Verzweifelt und ratlos saßen wir in dem Raum, den man uns zur Verfügung gestellt hatte. Das Essen, welches wir vor einiger Zeit bestellt hatten, hatten wir nicht einmal aufgegessen, so vertieft waren wir gewesen, und dennoch - all die Arbeit war umsonst, denn wir waren keinen Schritt weitergekommen.
Endlich, kurz vor sechs Uhr, kam ein Mann in die Zentrale gerannt, der ziemlich aufgewühlt aussah. Hotch und Rossi liefen auf ihn zu, wir beobachteten sie durch die offene Tür.
»Meine Frau«, begann der Mann völlig außer Atem, »sie ... sie ist verschwunden ... Ich glaube, es hat etwas mit den Morden zu tun. Bitte! Sie müssen sie finden!«
»Beruhigen Sie sich«, sagte Rossi, »und erzählen Sie uns, was passiert ist. Wann ist Ihre Frau denn verschwunden?«
»Ich weiß es nicht. So gegen eins? Sie hatte früher Schluss gemacht und wollte nach Hause kommen. Als ich mit unserem Sohn vom Fußballtraining nach Hause kam, war sie noch nicht da. Ich hab gewartet, doch sie kam nicht.«
»Ist Ihnen in den letzten Wochen etwas aufgefallen?«, fragte Hotch. »Irgendjemand, der vielleicht Kontakt zu Ihrer Frau aufgebaut hat?«
Der Mann nickte. »Ja, der Sozialarbeiter der Schule. Veronica meinte, er würde sie verfolgen.«
»Haben Sie keine Anzeige erstattet?«
»Nein. Er hat uns ja nie wirklich belästigt.«
Rossi nickte. »Okay, Mr.?«
»Day.«
»Mr. Day, Sie sagen uns alles, was Sie über diesen Mann wissen. Wir werden Ihre Frau finden.«
Haus von Harvey Miller
Der Mann, den wir suchten, hieß Harvey Miller, war knapp dreißig und eher unauffällig. Er arbeitete ehrenamtlich; mal in der Schule als Sozialarbeiter, dann im Altersheim oder sonst dort, wo man soziale Hilfe benötigte. Detective Sanchez kannte ihn und empfand ihn immer als freundlich und hilfsbereit, weswegen sie Hotch bat, sie nur mit zwei von uns begleiten zu lassen und nicht gleich eine ganze Polizeikolonne inklusive FBI. Und so kam es, dass mein Boss Derek und mich schickte.
Zusammen mit Sanchez liefen wir auf das Haus zu. Es war nicht sonderlich groß. Ein kleines Einfamilienhaus mit weißer Fassade und einem roten Dach. Im Vorgarten standen im Sommer wahrscheinlich wunderschöne Blumen, nun war alles vertrocknet und kahl - immerhin war es Winter.
Sanchez klingelte. Einige Minuten verstrichen.
»Die vom Rathaus sagten mir, er hätte heute frei«, erklärte die Frau uns, während wir uns allmählich unruhig umsahen.
»Perfektes Timing, um jemanden zu entführen«, meinte Derek.
Gerade als der Detective darauf antworten wollte, hörten wir auch schon das Schloss und kurz darauf öffnete sich die Tür. Ein dunkelhaariger Mann stand vor uns und etwas verwirrt sah er uns an.
»Ellen? Was ist los?«, wollte er von dem Detective wissen.
»Wir wollen uns nur etwas umsehen, Harvey. Eine weitere Frau ist verschwunden.«
Ungläubig sah Miller sie an. »Und du glaubst, ich habe sie entführt?«
»Der Mann der Vermissten meinte, Sie haben seine Frau verfolgt«, erklärte Derek und schob sich an Detective Sanchez vorbei. »Wenn Sie nichts damit zu tun haben, haben Sie sicherlich kein Problem, wenn wir uns umsehen.«
Miller schüttelte den Kopf und trat zur Seite. »Nein. Sehen Sie sich ruhig um.«
Sanchez und ich folgten Derek. Kurz musterte ich den Mann, als ich an ihm vorbeiging - er machte einen ehrlichen Eindruck.
»Ich muss schnell in die Küche. Hab was auf dem Herd zu stehen«, sagte er.
»Ich komme mit«, sagte Sanchez sofort und bedeutete Derek und mir, uns umzusehen.
Ich lief am Kaminsims vorbei und sah mir die Fotos an. Ein Junge, ein Mann mittleren Alters und ein älterer Mann waren darauf zu erkennen.
»Sind Sie das?«, fragte ich und kurz darauf kam Mr. Miller aus der Küche herüber ins Wohnzimmer.
»Ja, da war ich zehn. Das sind mein Vater und mein Großvater.«
»Und Ihre Mutter?«, fragte ich. »Was ist mir Ihr?«
Sein Lächeln verschwand, seine Miene wurde düster. »Sie hat uns vor vielen Jahren verlassen.«
Ich nickte verstehend und sah mich weiter um.
»Hat das Haus einen Keller?«, wollte Derek wissen, »oder einen Schuppen?«
Miller schüttelte den Kopf. »Nein. Ich bewahre alles in einer kleinen Kammer auf. Wollen Sie sie sehen?«
Wir begutachteten das Haus bis ins kleinste Detail, doch gingen wir mit leeren Händen davon.
1414 Wörter
Zum Fall:
Wie die meisten von euch richtig geraten haben, hat es wirklich etwas mit Hexen zu tun.
Was haltet ihr von Harvey Miller?
Danke für eure Geduld und für eure Kommentare ❤
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