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[9] • Ehrliche Worte

Ich nahm zwei Stufen auf einmal und erklomm in Windeseile die schmale Treppe im abgelegenen Teil der Schule. Dort, wo die Tapete hin und her fledderte, wenn ein kalter Luftzug durch die Gänge pfiff und die Spinnen größer waren als die Löcher in den Fenstern. Mit Sicherheit waren die achtbeinigen Viecher neben meiner Wut ein weiterer Ansporn, so schnell wie möglich ins obere Stockwerk zu gelangen. Dafür war ich aber auch reichlich aus der Puste, als ich die letzte Stufe hinter mich gebracht hatte. Ich drückte mich gegen die Glastür, warf einer besonders ausgewachsenen Spinne an der Decke einen letzten angewiderten Blick zu und schritt dann den Flur entlang, der zwar auch schon seine beste Zeit hinter sich hatte, aber längst nicht so abgeranzt aussah, wie das Treppenhaus, an dem er angrenzte. Vor allem wurde hier regelmäßig geputzt. Zumindest grob, vielleicht auch mit dem dreckigsten Lappen, den sie finden konnten.

Je näher ich dem Raum der Schülerzeitung kam, desto sauberer wurde das Gemäuer um mich herum, aber desto hibbeliger wurde ich. Zwischendurch fragte ich mich, was ich hier in Begriff war zu tun, doch dann überkam mich wieder der Ärger und ich lief noch ein klein wenig schneller. Ich wollte das Dagobert erreichen, bevor meine Wut verraucht war und ich es für sinnlos erachtete, mich zu beschweren. Denn ich hatte allen Grund dazu und diesmal wollte ich das tatsächlich zum Ausdruck bringen. Ich wollte Cleo die Meinung geigen. Dabei brachte ich sie in meiner Aufruhr mit mehr Problemen in Verbindung, als sie eigentlich verursacht hatte. Ich gab ihr die Schuld, dass ich in dieses Schlamassel hineingerutscht war. Sie war es, die die ganzen neuen Kontakte in mein Leben gebracht hatte, die ich nie hatte haben wollen. Es würde eine Heidenarbeit bedeuten, mich aus diesen Bindungen wieder herauszuwinden. Das hätte von Anfang an verhindert werden können, wäre sie nicht in mein Leben getreten und hätte sich an mich geheftet wie ein Post-it, das einen an jegliche Unannehmlichkeiten in der Zukunft erinnerte. 

Dennoch besann ich mich darauf zurück, dass ich Cleo keinesfalls durchweg ankeifen wollte. Stattdessen war der Plan, mich klar und deutlich auszudrücken, ohne wie eine losgelöste Furie zu wirken, weshalb ich in meinem Kopf schon einmal die Wörter zusammensuchte und sie in der Reihenfolge ordnete, wie ich sie Cleo gleich um die Ohren hauen wollte. Um die Ohren hauen, das war wahrscheinlich auch nicht der richtige Ansatz, um die Sache ruhig anzugehen. Mein Körper stand im Zwiespalt, als ich schließlich vor der Tür des Dagoberts stand, und ich wusste nicht, ob ich mich gleich nicht doch noch in Rage reden würde. Gemurmel drang zu mir hindurch. Es war jemand da, was mich gleichermaßen in meiner Aufregung befeuerte und verunsicherte. Solchen Gesprächen ging ich ansonsten aus dem Weg, wie so vieles, wenn es etwas mit menschlicher Interaktion zu tun hatte. Doch es war Zeit. Ich musste mich dieses eine Mal überwinden, um solche Situationen in Zukunft vermeiden zu können.

Ich legte meine Hand auf die Klinke und drückte sie herunter. Irgendwie hatte ich damit gerechnet, dass die Tür quietschte, weil ich sie so quälend langsam öffnete und es in diesem Gebäude eigentlich nichts gab, was keine unangenehmen Geräusche machte. Die Menschen hier miteingeschlossen. Doch die Türangeln bewegten sich gespenstig leise, weshalb mich weder Cleo noch Mel bemerkte, die beide mit dem Rücken zu mir am Tisch saßen. Vor ihnen eine aufgeschlagene Zeitung. 

»Mel, ich hatte es dir doch extra gesagt. Mehrmals. Das war echt wichtig.« Cleos Stimme hallte mit Nachdruck durch den Raum. Mel wedelte ablenkend mit den Armen.

»Ja, ist ja gut. Aber kurz vor der Deadline ist mir echt noch eine wichtige Ergänzung zu dem Artikel hier eingefallen.« Sie blätterte hektisch hin und her und drückte dann ihren Zeigefinger aufs Papier. »Siehst du, dort, ließ mal. Das wirft nochmal ein total anderes Licht auf die Angelegenheit. Das konnte ich keinem vor-« Mel würgte sich selbst ab, als sie bemerkte, dass Cleos Blick immer noch auf ihrem Gesicht ruhte. »Na jedenfalls habe ich es darüber komplett vergessen. Aber was kann den daran so schlimm sein? Ist doch toll, wenn jeder weiß, von wem der Text stammt.«

Unschlüssig stand ich im Türrahmen und bekam langsam das Gefühl, dass nicht unbedingt Cleo für den Fehler mit meinem Namen verantwortlich gewesen war. Doch bevor ich mich noch einmal zurückziehen konnte, um das Gespräch, was ich mir gedanklich zurechtgelegt hatte, zu überdenken, hatte Mel mich schon entdeckt.

»Ah. Hi, Leonie.« Natürlich drehte sich auch Cleo sofort in meine Richtung. Kurzzeitig vergaß ich, warum ich hier stand. Dann sammelte ich mich wieder und versuchte, meine vorbereiteten Sätze zu finden, die anscheinend irgendwo im schwarzen Loch meines Sprachzentrums verloren gegangen waren. Wie wollte ich noch einmal anfangen? Einfach drauf los?

Ich öffnete den Mund, doch Cleo war schneller. Ich hätte sowieso nicht gewusst, was mein Gehirn spontan zustande gebracht hätte. Vermutlich nur ein einfältiges »Hallo«.

»Oh, Leonie, das tut mir so leid. Ich habe es erst eben gesehen.« Ergriffen sprang sie von ihrem Stuhl auf, bewegte sich aber zu meinem Glück nicht auf mich zu oder legte, dem Himmel sei Dank, keinen ihrer Arme um mich.

Ich war viel zu sehr damit beschäftigt, mich zu ordnen. Irgendwie hatte ich komplett den Faden verloren. Wieso verlief denn hier nichts wie geplant? Das Gespräch sollte ganz anders anfangen, nämlich mit meiner klaren Stimme und nicht mit einer verzweifelten Entschuldigung seitens Cleo. Gleichzeitig fragte ich mich, ob die Tatsache, dass Cleo das Schlamassel nicht verursacht hatte, ihr es aber dennoch sichtlich leidtat, irgendetwas an meinem Vorhaben ändern sollte. War es nicht dennoch nötig, mal Klartext zu reden? Nur musste ich dafür einen Anfang machen.

»Ich finde das echt nicht okay«, gab ich plump von mir. Das war sogar für meine Verhältnisse reichlich schwach. Ziemlich unausgereift und absolut ausdruckslos.

»Ja, das glaube ich dir. Und wenn du jetzt sauer bist, kann ich das auch total verstehen. Ich wünschte, ich könnte es ändern.« Den Wunsch hatte ich auch. Allerdings bezog er sich auf so viel mehr. Cleos deprimierter Ton traf mich. Man könnte fast meinen, sie hätte eine Ahnung, wie sehr es mich beschäftigte.

Ich rieb mir die Schläfe und seufzte. Sie hatte den gleichen Gesichtsausdruck drauf, wie meine Mutter, wenn sie mir und meinem Vater ihre komischen Essenskreationen vorsetzte. Wir hatten es nie wirklich geschafft, ihr die Wahrheit zu sagen und zuzugeben, dass ihre Versuche ungenießbar waren. Sie selbst war immer diejenige gewesen, die das Essen diskret in einer Servierte entsorgte und dann den Lieferservice bestellte. Hier war es genau das Gleiche: Cleo war diejenige, die das Problem selbst erkannt hatte, wohingegen ich meine Gedanken zurückhielt. Sie hatte doch schon ein schlechtes Gewissen. Warum sollte ich da noch weiter drin herumstochern? 

Meine Wut hatte sich schon längst verzogen, schmollte wahrscheinlich irgendwo in der Ecke, weil sie wieder nicht zum Zug gekommen war, und hatte der nur zugut bekannten Unsicherheit Platz gemacht. Letztere wusste genau, welche Knöpfe sie betätigen musste und stellte mich wieder auf Werkseinstellung zurück, hieß, ich dümpelte wieder auf einem niedrigen Aktionslevel herum. Ich ließ mechanisch meine Tasche zu Boden gleiten und zog mir einen Stuhl heran. 

Ich gönnte mir noch einen Moment der Ruhe oder eher gewährten Mel und Cleo mir eine kurze Zeit Stille und warteten geduldig, bis ich wieder anfing zu reden. Ein Verhalten, das eindeutig nicht zu ihnen passte. Wie auf heißen Kohlen saßen sie vor mir. Ich vermied es, ihrem Starren zu begegnen, da es aufgrund ihres Schweigens fast ein wenig gruselig wirkte.

»Wie viel wurden denn verkauft?«, fragte ich dann und erlöste sie somit von ihrem Leiden.

»Um die fünfzig«, antwortete Cleo umgehend.

»Fünfzig?«

Sie nickte.

Fünfzig! Ich wusste nicht, ob das für den Umsatz der Zeitung nun eine gute oder schlechte Zahl war, mir klingelte sie allerdings in den Ohren. Als hätte Cleo meinen Schock bemerkt, schob sie gleich darauf hinterher: »Also zumindest haben es noch nicht so viele gesehen, wenn überhaupt jemand darauf geachtet hat. Außerdem denke ich, dass wir vermutlich nicht sehr viel mehr verkaufen werden, wenn ich mir die Zahlen von den letzten Ausgaben so anschaue.« Na, zum Glück!

Auch wenn ich mich für diesen Gedanken beinahe schlecht fühlte, da Cleo über die Entwicklung der Zeitung so betrübt schien, beruhigte mich der Fakt, dass das Dagobert unter den Schülern nicht mehr im Trend lag und somit eine weite Verbreitung jeglicher Inhalte ein Ding der Unmöglichkeit war.

»Aber was ist denn jetzt so schlimm daran, dass unter deinem Text dein Name steht?«, mischte sich Mel ein. Natürlich hatte sie auch etwas dazu zu sagen. 

Ich machte eine Handbewegung, die einem stillen Fuchs gleichkam. Irgendwas, nur damit sie den Mund geschlossen hielt und begriff, dass ich nicht darauf antworten wollte. Eigentlich wollte ich gerade gar nichts mehr. Nur gehen und mit mir alleine sein. Wo war mein anfänglicher Tatendrang geblieben? Aber was überraschte es mich; es war nicht so, dass so etwas zum ersten Mal passierte. Hatte sich mein Körper schon daran gewöhnt, dass jede Anstrengung im Nichts versiegte und kam deshalb nicht mehr richtig in Schwung?

»Ist ja auch egal.« War es das denn wirklich? »Es lässt sich jetzt nicht mehr ändern und damit hat es sich auch erledigt.« Wie schnell ich doch meine Meinung ändern konnte. Blind fischte ich nach meiner Tasche, bekam den Griff zu fassen und erhob mich langsam.

»Leonie.« Ich hörte an ihrer Stimme, dass Cleo mich zum Bleiben überreden oder mir hinterherrennen wollte, wenn ich jetzt einfach so den Raum verließ, weshalb ich noch etwas sagen musste, um sie von beiden Überlegungen abzubringen.

»Alles gut. Ich hab's auch eilig, muss noch von irgendwem Mathehausaufgaben abschreiben, deswegen mache ich mich mal lieber wieder auf die Socken.« Es war nicht gelogen, dass ich die Aufgaben nicht gemacht hatte, nur hatte ich nicht vor, sie mir von einem meiner Mitschüler zu besorgen. Herr Vogt hatte nämlich genauso wenig Lust sich von seinem Stuhl zu erheben und die Hausaufgaben zu kontrollieren, wie ich mich mit Stochastik zu beschäftigen.

»Also, bis dann«, brabbelte ich und entfernte mich langsam. Das aufgesetzte Lächeln war dabei schon zur Standardmaßnahme geworden. Es war wie ein gesprochenes »schon okay«, doch die Lüge hielt immer nur solange an, bis keiner mehr in Sichtweite war.

»Also wirklich, was hat sie denn?« Diesmal war mir das Manöver anscheinend nicht so recht gelungen. Ob es in Mels Absicht stand, dass ich ihr Murmeln gehört hatte, blieb ungewiss, aber ich hätte ihr nur zu gerne eine Antwort darauf gegeben. Denn ich wüsste sie selbst nur zu gern.

■■■

Es stellte sich heraus, dass heute wirklich nicht mein Tag war. Nicht nur war ich mal wieder von mir selbst enttäuscht worden, sondern Herr Vogt hatte wohl in irgendeinem schlauen Artikel gelesen, dass stundenlanges Sitzen nicht gut für die Gesundheit war. Die gesamte Mathestunde war er im Kursraum auf und ab marschiert, als hätte er Hummeln im Hintern, in seinem Fall vielleicht auch eher eine Horde kleiner Faultiere, die schließlich hin und wieder auch mal das Bedürfnis verspürten, sich zu bewegen. Jedenfalls hatte er für seine Verhältnisse eindeutig zu viel Energie, weshalb er sogar die Hausaufgaben überprüfte. Er ging dabei von Tisch zu Tisch, was natürlich in einer Abmahnung für mich endete. Wahrscheinlich hatte er sich für seinen körperlichen Einsatz mit einer zusätzlichen Zigarette nach Schulschluss belohnt.

Ich war froh, als ich endlich das Gebäude meiner Probleme verlassen konnte. Nur kam ich nicht allzu weit, weil sich mir erneut Jasper in den Weg stellte. Gut, er ging nicht so energisch vor, aber es reichte schon aus, dass er lediglich angelehnt an der Schulmauer stand und meinem Blick auffing, um mich zum Anhalten zu bewegen. 

Er ließ mich nicht aus den Augen, während er auf mich zukam. Vielleicht hatte er die Befürchtung, dass ich mich doch noch für einen klammheimlichen Abgang entschied. Dabei war er letztens derjenige gewesen, der von jetzt auf gleich verschwunden war.

»Hi«, sagte er. Ich musste mich in seinen Schatten stellen, um ihn anschauen zu können, da mich ansonsten die Sonne blendete. Seine Silhouette nahm somit leuchtende Züge an wie eine angeknipste Glühbirne. »Konntest du das Problem klären?« Problem? Ach so, richtig, ich hatte ihn ohne Erklärung auf dem Hof zurückgelassen und war an ihm vorbeigestürmt mit anfänglicher Überzeugung, dass ich mich diesmal zu einer Klarstellung hätte überwinden können.

»Wie man's nimmt«, antwortete ich ausweichend. Hatte er eigentlich nur auf mich gewartet, um mich das zu fragen?

»Ich äußere mal meine Vermutung, dass unter dem Text nicht dein Name hätte stehen sollen, richtig?« Er traf auch immer den Nagel auf den Kopf.

»Ja, richtig«, gab ich zu und verzog missmutig das Gesicht. 

»Ich bin jedenfalls froh drum. Das gab mir die Möglichkeit der Verfasserin zu sagen, dass mir ihr Text sehr gefallen hat.« Es war zwar nett, dass er versuchte, mich aufzuheitern, irgendwie, aber es funktionierte nicht. Denn nette Worte hin oder her, das war nicht der Punkt. Wir hätten einfach jetzt nicht darüber sprechen müssen.

»Die Verfasserin wäre aber auch nicht traurig drum gewesen, wenn sie dazu kein Kompliment bekommen hätte.« Einfach nichts, das wär's gewesen.

»Wirklich? Ist doch schön, wenn man Anerkennung für etwas bekommt, was man gerne tut.«

»Wer sagt denn, dass ich den Text nicht einfach so runtergeschrieben habe, weil er nur eine Hausaufgabe war?« Ich weiß nicht, warum ich so auf Konfrontation aus war, doch irgendwie fühlte es sich gut an. Der Klumpen Frust in meinem Bauch hatte direkt an Gewicht verloren.

»War es denn so? Ich hatte beim Lesen irgendwie ein ganz anderes Gefühl.«

»Gefühle können täuschen«, entgegnete ich sogleich. Sofort biss ich mir auf die Lippe. Das war zu viel des Guten gewesen.

Etwas beschämt richtete ich den Blick zu Boden. So viel Gedankengut hatte ich gar nicht preisgeben wollen. Angespannt wartete ich darauf, dass Jasper etwas darauf antwortete. Ich hätte nie geglaubt, dass ausgerechnet Cleo sich einmal als meine Rettung erweisen würde.

»Hi, ihr beiden!« Sie tauchte plötzlich zwischen uns auf und schenkte jedem von uns ein warmes Lächeln mit leichten wissenden Zügen, als hätte sie irgendwelche Hintergedanken. »Man sieht euch zwei in letzter Zeit öfters zusammen.« Ich verdrehte die Augen. Doch diese versteckte Unterstellung war immer noch besser, als Jasper genauer zu erklären, was ich eben gemeint hatte.

»Du bist aber auch immer nicht weit entfernt.«

Cleo grinste über Jaspers harmlosen Sticheleiversuch. 

»Einer meiner absoluten Stärken, nicht wahr?«

Er lachte. »Absolut.« Die beiden unterhielten sich noch ein wenig über belanglose Dinge, Schulanfang, nervige Lehrer und die nächsten Ferien, zu denen es noch über einen Monat hin war. Es kam mir beinahe so vor, als würden sie penibel das Thema Schülerzeitung umgehen, weil sie beide wussten, dass ich darauf nicht gut zu sprechen war. So oder so, ich beteiligte mich nicht an ihrer Konversation. Doch Jasper verweilte sowieso nicht lange bei uns. Schon nach wenigen Minuten verabschiedete er sich.

»Also dann, man sieht sich.« Seine Augen verweilten auf mir. »Bis dann, Leonie.« Dann ging er. So schnell, wie er gekommen war, war er auch wieder von dannen gezogen. Schade, jetzt war mein Schatten weg.

»Ihr scheint euch ja gut zu verstehen«, sagte Cleo, diejenige, die sich am meisten mit ihm unterhalten hatte. 

»Ach was, wir kennen uns gar nicht.« Was absolut der Wahrheit entsprach, aber dennoch löste es etwas in mir aus, wenn er immer wieder plötzlich auftauchte, und das war überraschenderweise kein unangenehmes Gefühl. Aber irgendwie kamen wir nie richtig ins Gespräch. Wie war er tatsächlich drauf? Warum lag er nachts auf der Straße herum? Ich schüttelte über mich selbst den Kopf. Wo kam dieser Gedanke denn auf einmal wieder her? Schon mehrere Tage hatte ich nicht daran denken müssen.

»Du, Leonie?« Cleo machte wieder auf sich aufmerksam. Wir standen nun alleine da. Auch die meisten Schüler hatten schon den Hof verlassen, aber es war auch schon später Nachmittag, da hatten sowieso nicht mehr viele Unterricht. »Hast du nicht Lust etwas essen zu gehen? Hier gibt's einen tollen Italiener ganz in der Nähe.« 

Schickte mir das Universum vielleicht eine zweite Chance, um die Sache zu klären? Viel wichtiger war jedoch, sollte ich das Angebot annehmen? Meine Unlust stimmte für ein eindeutiges Nein, aber ich gab mir einen Ruck. Zudem meldete sich mein Hunger, was die Entscheidung noch ein bisschen leichter machte.

»Okay.«

»Super!« Ihr unsicherer Gesichtsausdruck wich der Erleichterung. Bestimmt hatte sie mit einer Zurückweisung gerechnet. Das war bezüglich meiner Person auch nicht zu weit hergeholt. Vor allem nach meinem komischen Auftreten von vorhin.

■■■

Der Italiener lag tatsächlich nur zwei Kreuzungen weiter in einer kleinen Seitenstraße. Etwas unscheinbar für mein Empfinden. Man musste schon wissen, dass sich hier ein Restaurant befand, ansonsten hätte man es wohl nie gefunden. Drinnen war alles etwas klein, wenige Sitzplätze, schmale Gänge und gerade mal ein Kellner. Letzterer reichte wohl für diese Größendimension allemal aus.

»Cleo, mia cara, lange nicht mehr gesehen!« Das Italienisch klang abgehackt, der Akzent aufgesetzt. Ich bezweifelte, dass der Kellner mehr als diese zwei Vokabeln kannte. Vor allem sah der Mann mit seinen roten Haaren und dem buschigen Bart eher aus wie ein waschechter Ire.

Cleo begrüßte ihn mit seinem Vornamen. Owen hieß der stämmige Kerl, der sich eine weiße Schürze umgebunden hatte, die gerade so an den Zipfeln zusammenhielt. Er geleitete uns zu einem kleinen Tisch in der Ecke des Raumes, während er uns Floskeln auf gebrochenem Italienisch entgegenwarf. Es klang so falsch, dass ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte. Auch Cleo grinste, doch Owen schien unsere Belustigung nicht zu irritieren und fuhr mit seinen Italienischversuchen fort. Als wir Platz genommen hatten, reichte er uns die Karte und zündete die fast gänzlich abgebrannte Kerze zwischen uns an.

»Was darf es denn sein?« Ein Glück, dass er die Frage auf Deutsch stellte. Dabei bemerkte man auch seinen eigentlichen Akzent, der eindeutig nordischer Abstammung war.

Wir bestellten beide eine Pizza, für Cleo mit Salami, für mich mit Pilzen und Brokkoli. Auf das Essen mussten wir nicht allzu lange warten, was wohl dem Umstand geschuldet war, dass wir die einzigen Gäste waren. Ich machte den abgelegenen Standort dafür verantwortlich, denn an Owen konnte es in keinem Fall liegen. Ich glaubte, dass jeder ihm gerne dabei zugeschaut hätte, wie er versuchte, sich als gebürtigen Italiener auszugeben.

»Bon appätito«, wünschte uns Owen und verschwand dann wieder in seinem kleinen Kabuff, das wohl die Küche sein musste. Anscheinend fungierte er als Kellner und Koch zugleich.

»Das schmeckt echt gut«, sagte ich nach meinem ersten Bissen zu Cleo.

»Ein wahrlicher Unterschied zu dem Fraß aus der Schule, oder?« Brummend stimmte ich ihr mit vollem Mund zu. Das machte jegliche Qual, die meine Geschmacksnerven hatten ertragen müssen, wieder wett.

Nach einiger Zeit, als wir beide ungefähr dreiviertel unserer Pizza verschlungen hatten, legte Cleo ihr Besteck beiseite. Sie beobachtete mich nachdenklich, bis ich zu ihr aufsah. Ich wusste, was mich erwartete.

»Ich möchte dich nicht bedrängen, Leonie, aber das heute Vormittag, also, dahinter steckt doch bestimmt noch mehr, oder?«

Natürlich war Cleo die Erste, die es ansprach. Mein Verhalten war zu kurios gewesen, als dass sie es einfach so hingenommen hätte. Aber das war doch gut, ich wollte schließlich sowieso mit ihr darüber reden, oder nicht?

Ich rang mit mir.

»Ich weiß nicht.« Kurz stockte ich, zwang mich dann aber weiter zu reden. »Irgendwie war ich einfach nur sauer und vielleicht auch enttäuscht. Genau weiß ich es selber nicht. Aber letztendlich trägst du an der Sache auch keine Schuld.« Puh, war es schon immer so schwer gewesen, seine Gefühle in Worte zu fassen? 

»Nein, ich hätte den finalen Check machen müssen. Ich meine, du hast mich persönlich drum gebeten, das hätte ich ernster nehmen sollen. Mir war nicht bewusst, wie wichtig dir das war.«

Sie hätte sich nicht entschuldigen müssen und in keinem Fall ein zweites Mal. Die Schuld lag ganz bei mir. Ich hatte selbst die Linie übertreten, die ich mir vor einiger Zeit eigens gezogen hatte. 

»Ich hätte es dir ja auch sagen können.« Es war ein ganz neuer Gedanke, der sich plötzlich in meinem Kopf formte. Was wäre passiert, hätte ich ihr ehrlich mitgeteilt, was mich störte? »Ich stehe einfach nicht gerne im Mittelpunkt, egal wie klein der auch ist, also, na du weißt schon.« Ich seufzte. Die richtigen Worte zu finden war echt nicht einfach. »Man, ich bin wirklich nicht gut in sowas. Reden meine ich.«

»Ach?« Cleo musste schmunzeln. Auch ich lächelte schwach, während ich selbst ein wenig überrascht war, wie viel ich letztendlich doch preisgegeben hatte. Zumindest fühlte es sich für mich nach einer Menge an. War es falsch gewesen, ihr so viel anzuvertrauen? Oder war diese Art von ehrlichem Gespräch vielleicht um einiges nötiger gewesen?

»Noch ein kleiner Nachtisch?« Owens Bauch ragte plötzlich wieder in unser Blickfeld und lenkte mich von meinen Bedenken ab, die sich zum jetzigen Zeitpunkt eh nicht genauer analysieren ließen.

»Owen macht den besten heißen Kakao hier in der Stadt«, warf Cleo ein. Mehr als das Wort Kakao war bei mir nicht von Nöten.

»Wenn das so ist, nehme ich einen.«

»Mit einem Schuss Whiskey?« Seine irische Ader konnte er wohl nicht restlos verstecken. 

Ich überlegte kurz, dann nickte ich. »Warum nicht.«

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