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[5] • Eindeutig überfordert

»Du bist wie eine Luftblase. Du bist der Sauerstoff, der durch meine Lungen strömt und mich am Leben hält«, zitierte Cleo einen Teil meiner Hausaufgabe, während ich mich immer tiefer in die Polster des alten Sofas drückte. Mir wurde mit einem Mal bewusst, dass es mir nicht gefiel, wenn jemand etwas vorlas, das ich selbst geschrieben hatte. Damit konnte ich irgendwie nicht umgehen, auch wenn ich eigentlich ganz zufrieden mit dem Endergebnis gewesen war. »Doch es gelingt mir nicht dich festzuhalten, denn dafür schwebst du schon viel zu hoch oben.«

Sie hob ihren Blick an und strahlte mir entgegen. »Gott, Leonie! Das ist super! So etwas brauchen wir hier. Es ist einfach perfekt für unsere freie Rubrik.«

Ich wich ihrem Starren aus und fokussierte stattdessen einen der vielen Kartons, die hier im Dagobert in jeder Ecke standen. Sie wurden notdürftig mit Klebeband zusammengehalten. Es mussten noch einige Zeitschriften darin herumliegen, die von niemanden gelesen werden wollten. Auch wenn ich Cleo eine Zusage geben würde, dann würde meine Hausaufgabe wohl das gleiche Schicksal ereilen und ungelesen zwischen maroder Pappe enden. Ich hatte also eigentlich nichts zu befürchten. Nur eine einzige Vermutung hielt mich davon ab, mein Werk dem Papageien-Club zu überlassen. Denn wenn ich erst einmal damit anfing, ihnen zu geben, was sie wollten, dann würden sie mich mit Sicherheit nicht so schnell gehen lassen und die nervigen Fragen, ob ich etwas Neues für die Zeitung schreiben würde, wollte ich tunlichst umgehen. Diese unausgesprochene Verpflichtung wollte ich mir nicht anlasten.

»Und was sagst du, Leonie? Gibst du uns dein Ja?« Cleos Stimme triefte nur so vor Lieblichkeit. Sie steckte wohl große Hoffnung in meine Antwort.

Ich griff nach der Ausgabe, die ich mir eben aus einer der Kisten gezogen hatte, um mir endlich mal selbst ein Bild von der Schülerzeitung zu machen. Es war eine vom letzten Monat, doch das Titelblatt sah aus, als wäre es vor zehn Jahren von einem Grundschüler designet worden. Wirr zusammengebastelte Bildmotive wurden von unzähligen Themenüberschriften überlagert. Nirgendwo lag der Fokus, noch nicht einmal auf der Headline, die mit der schlecht gewählten Schrift neben all dem einfach unterging. Es wirkte komplett überladen. Dabei stand das Äußere der Zeitung im vollkommenen Gegensatz zu den Artikeln zwischen den Umschlagseiten. Das, was ich bis jetzt gelesen hatte, während mich Cleo ununterbrochen über meine Hausaufgabe und die Vorzüge einer Veröffentlichung im Dagobert zugetextet hatte, war wirklich gut gewesen. Es war aktuell, teils sarkastisch angehaucht, teils ernst behandelte Themen. Zudem war es durch und durch abgestimmt auf das, was die Schüler an dieser Schule interessieren könnte, aber über das Cover konnte es einfach nicht vermittelt werden. Am Ende zählte jedoch der erste Eindruck und wenn ich ehrlich war, also zumindest zu mir selbst, war der gelinde gesagt grauenhaft. Mit dieser Art von Titelblatt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis von der Schülerzeitung die letzte Auflage produziert wurde. 

»Also, ich weiß nicht«, druckste ich herum, um Cleo hinzuhalten. »Kann ich mir das noch überlegen?«

Sie bedachte mich stumm, als würde sie erst genau abwägen, was sie jetzt als Nächstes sagen wollte. Anscheinend versuchte sie, ihre Worte mit Bedacht zu wählen, damit sie aus mir doch noch eine Zusage herauskitzeln konnte.

»Alle vier Wochen veröffentlichen wir unsere Zeitung. Wir müssen nächste Woche unser Inhaltsverzeichnis zusammenstellen, da wäre es schön, wenn du uns deine Antwort geben könntest«, erklärte sie diplomatisch. Ich war etwas verdutzt von ihrer Zurückhaltung. Dachte sie, so könnte sie mich besser erreichen? Ha! Als ob ich so eher darauf anspringen würde.

»Was musst du denn da noch überlegen, Leonie?«, mischte sich Mel plötzlich lautstark von der Seite ein. Ich hatte schon fast vergessen, dass sie überhaupt anwesend war. Bis eben hatte sie ruhig und fokussiert am Computer gearbeitet, schrieb wahrscheinlich wieder einen fünfseitigen Aufsatz zusammen, doch nun saß sie gedreht auf dem Stuhl und schaute mich an, als wäre ich ein neu entdecktes Lebewesen, bei dem sie sich fragte, warum es überhaupt existierte. Mir war klar, dass sie meine Überlegungen nicht verstand. Sie hätte das Angebot mit Sicherheit kreischend angenommen, dabei war es ihr wahrscheinlich egal in welchem Käseblatt ihre Texte erschienen. Sie war eine Schreibmaschine und lebte dafür, ihre Erzeugnisse gedruckt in den Händen zu halten, wo und in welcher Form hin oder her.

»Ich sage euch Bescheid«, erklärte ich, überging somit Mel gekonnt und richtete mich damit an Cleo. Letztere nickte und wir beide drehten uns gleichzeitig zu Mel, die daraufhin nur abwehrend die Hände hob. »Soll mir recht sein«, meinte diese und wandte sich wieder dem Bildschirm zu. 

Ein bisschen Bedenkzeit gab ich mir noch. Wenn ich meinen Text tatsächlich aufgrund einer geistigen Verwirrung oder Ähnliches dem Dagobert zur Verfügung stellte, dann würde meine Leserzahl voraussichtlich noch nicht einmal merklich ansteigen. Darüber hinaus war es auch mir überlassen, ob ich überhaupt meinen Namen daruntersetzte. Vielleicht konnte ich Cleo diesen einen Gefallen tun. Für mich bedeutete das Ganze nichts, aber sie würde es glücklich machen.

Ich legte die Zeitung mit dem hässlichen Cover beiseite und kämpfte mich vom Sofa hoch, in das ich viel zu tief abgesunken war. »Wir sollten mal wieder los«, meinte ich zu Cleo mit einem kurzen Blick auf die Uhr. »Schon so spät?« Überrascht stieß sie sich von der Wand ab. Während sie »Verwelkt«, den Titel meiner Hausaufgabe, mit einem angefügten Fragezeichen auf der letzten freien Stelle des Whiteboards zwischen der Idee eines Aufsatzes über verschiedene Zukunftsperspektiven nach dem Abitur und dem Kommentar schmeckt unser Mensaessen dem Schwein von Bauer Heinrich ergänzte, schulterte ich meine Tasche. Nachdem sie den Stift wieder in ihre Hosentasche gesteckt hatte, folgte Cleo mir zur Tür.

»Du machst hier noch weiter, Mel?« Cleo stoppte kurz, als sie nicht reagierte. Ich hatte die Türklinke schon in der Hand. »Mel?« Erst bei der wiederholten Erwähnung ihres Namens schreckte sie hoch und fuhr herum. Sie strich sich die braunen Strähnen aus dem Gesicht, die ihr sofort wieder vor die Augen fielen, und schob ihre Brille die Nase hoch. »Hm?«

»Ob du noch hierbleibst, habe ich gefragt.«

»Oh. Ja, ich bleibe hier. Ich habe jetzt eine Freistunde und wollte das hier noch unbedingt fertig machen. Gibt noch einiges zu tun«, erklärte sie, während ihre Finger schon wieder über die Tastatur flogen. 

»Alles klar. Aber vergiss nicht, zu speichern«, meinte Cleo, bevor wir den Raum verließen, doch ich glaubte nicht, dass das überhaupt noch Mels Gehörgang erreicht hatte. Es war, als hätte sie verschiedene Modi, die sie ein- und ausstellen konnte, und gerade lief sie ausschließlich im Arbeitsmodus und hatte vermutlich alle Sinne, die sie nicht benötigte, auf Sparflamme gestellt.

»Also ich will ja nichts sagen, aber ich wäre nicht traurig, wenn sie es vergisst«, meinte Cleo, als wir uns ein gutes Stück von der Tür entfernt hatten. »Also nein, sorry, das klang jetzt irgendwie etwas hart«, ruderte sie direkt darauf zurück. »Ihre Aufsätze sind im Grunde gut, aber sie bringt es einfach nicht auf den Punkt. Wenn man radikal vorgehen würde, könnte man ihre ellenlangen Texte auf eine Seite kürzen.«

»Du schaffst es echt nicht, auch nur einmal fies zu sein.« Ich schüttelte schmunzelnd den Kopf. In der knappen Woche, in der ich Cleo jetzt kannte, hatte sie sich schon öfters über eine Sache oder jemanden aufgeregt. Aber immer, wenn sie etwas sagte, das nach ihrer Auffassung zu böse klang, versuchte sie es im nächsten Satz anders zu verpacken und entschuldigte sich, als wäre die Person anwesend über die sie redete. Kurz gesagt, Cleo konnte überhaupt nicht lästern.

»Ach, halt die Klappe«, lachte sie und schlug mir gegen den Arm. Gut, nur zu mir konnte sie fies sein. »Aua.« Ich rieb mir die getroffene Stelle.

Mir ergab sich nicht die Möglichkeit, mich zu rächen, denn als wir um die nächste Ecke bogen, stießen wir fast mit jemanden zusammen. Zu erwähnen, dass er uns um Längen überragte, machte schon deutlich, um wen es sich handelte. Direkt erschien vor meinem geistigen Auge ein Bild von Freitagnacht. Er im Licht der schwach leuchtenden Straßenlaternen. Sofort glitt mein Blick über seine kurzen Locken zu seiner Nase, die mit dem kleinen Knick. Ob sie mal gebrochen gewesen war?

»Hi«, begrüßte er uns. Er schenkte Cleo ein kurzes Lächeln, die ein »Hallo, Jasper.« erwiderte. Dann richtete er seinen Blick auf mich, wobei seine Mundwinkel ein klein wenig nach unten wanderten. Ich konnte es ihm nicht verübeln. Cleo kannte er schließlich und gegenüber mir wusste er wahrscheinlich nicht, wie er sich verhalten sollte, zumal unser erstes Aufeinandertreffen alles andere als normal gewesen war. Ich konnte ihn letztlich genauso wenig einschätzen.

»Bist du am Freitag gut nach Hause gekommen?« Oh, er sprach unsere Begegnung an. Damit traf er mich vollkommen unvorbereitet. Nach der Nacht hatte ich eher das Gefühl gehabt, dass er unser Treffen stillschweigend vergessen würde. Anscheinend hatte er das nicht und ich musste mir zu meinem Ärger eingestehen, dass es mir genauso erging.

»Ja«, antwortete ich knapp, bevor mein Schweigen zu einer unangenehmen Pause anschwoll. Cleo schaute mich trotzdem komisch von der Seite an. Ich hatte ihr nichts davon erzählt, dass ich Jasper fast überrollt hatte und da sie sicherlich wusste, dass er nicht auf der Party gewesen war, war sie wahrscheinlich nun umso neugieriger. Hättest du bloß einfach den Mund gehalten, Jasper. Er musste doch wissen, was er damit anrichtete. Er musste doch wissen, wie Cleo drauf war.

»Sehr gut. Und danke nochmal.« Man, hör doch einfach auf zu reden! »Kein Problem.« Das war mir wohl das unangenehmste Gespräch, was ich jemals geführt hatte. Während wir uns irgendwelche Floskeln an den Kopf warfen, beäugte Cleo uns abwechselnd. Ich hörte klar und deutlich, wie es in ihrem Kopf ratterte.

»Also, wir müssen dann auch mal weiter«, murmelte ich, bevor dieses Hin und Her noch ewig weiterging. Ich setzte ein Lächeln auf und hob die Hand, was irgendwie ein wenig fehl am Platz wirkte und die Sache um ein Vielfaches schlimmer machte, da wir uns direkt gegenüberstanden. Dann streckte ich meinen Arm aus, bekam schließlich Cleos Shirt zu fassen und zog daran, damit sie sich in Bewegung setzte.

»Klar. Bis dann«, kam es von ihm, als wir uns auch schon an ihm vorbeidrückten.

»Was war denn das bitte?«, zischte Cleo, nachdem wir einige Schritte zwischen uns und ihn gebracht hatten. Das fragte ich mich allerdings auch. »Was meinst du?«, entgegnete ich dennoch total unschuldig.

»Ähm, warst du bei dem Gespräch eben auch anwesend oder habe ich mir nur eingebildet, dass ihr beide euch gerade ultraseltsam verhalten habt? Und woher kennt ihr euch überhaupt?« 

»Wir sind uns am Freitag über den Weg gelaufen.« Ich beantwortete lediglich Cleos letzte Frage, da ich selbst nicht wusste, warum sich das Gespräch zwischen Jasper und mir eben zu einer reinsten Unannehmlichkeit hochgeschaukelt hatte.

»Und warum hat er sich bei dir bedankt?« Wieso musste sie denn so bohren? Das Ganze war schon peinlich genug. 

»Ich habe ihn nach Hause gefahren.« Wo liefen wir überhaupt hin? Hätten wir nicht schon längst unseren Kursraum erreichen müssen? Ich wollte nur, dass Cleo es endlich auf sich beruhen ließ, aber sie war einfach nicht zufrieden zu stellen.

»Und warum wart ihr beide so komisch gewesen? Ist irgendwas zwischen euch vorgefallen?«

Ich unterdrückte das Stöhnen, das sich in mir aufbaute und hart gegen meine Kehldeckel hämmerte. Damit hätte ich mich nur selbst verraten und Cleo zugestimmt, dass das eben an Seltsamkeit nicht zu übertreffen gewesen war. Auch wenn das wahrscheinlich jeder Gehörlose mitbekommen hätte, leugnete ich es trotzdem weiterhin.

»Was soll denn gewesen sein? Ich habe ihn einfach nur nach Hause gefahren. Das war alles!«

Ah, Raum 254. Endlich! 

»Nein, Cleo«, kam ich ihr zuvor, als sie schon wieder den Mund öffnete. Drohend hielt ich ihr den Zeigefinger vors Gesicht, was sie wiederum zum Grinsen brachte. »Halt einfach die Klappe.« Ich betonte jedes einzelne Wort mit Nachdruck. Danach versuchte ich mich an einem dramatischen Abgang, um meinen Worten mehr Tiefe zu geben, doch ich scheiterte, denn Cleo lachte mich einfach nur aus, als ich ihr voran in den Raum stolzierte. So sahen Erfolge nach meinem Maßstab aus.

■■■

Das durfte doch wohl nicht wahr sein! Ich steckte meine Hand noch tiefer in den Rucksack, schmiss mir Mäppchen, Block und Flasche vor die Füße und drehte die Tasche dann ganz auf den Kopf. Kaugummi- und Taschentuchpackungen fielen zu Boden, doch nirgendwo war ein Schlüssel zu sehen. Ich ließ mich nach hinten plumpsen und mein Kopf fiel mir automatisch in den Nacken. Die Sonne brannte mir auf der Kopfhaut, während ich die Haustür böse anstarrte mit der Hoffnung, sie würde sich von selbst öffnen. Wieso musste ich auch ausgerechnet heute, an einem Tag, an dem bestimmt bis spät in den Abend keiner nach Hause kommen würde, meinen Schlüssel vergessen? Mit einem Ächzen fiel ich noch ein Stück weiter zurück und lag am Ende flach auf dem Gehweg unseres Vorgartens. Da mich diese Situation allerdings wieder an Jasper erinnerte und ich aus den Augenwinkeln einige Passanten entdeckte, die mich argwöhnisch beobachteten, richtete ich mich sofort wieder auf, packte meinen Kram zusammen und verzog mich auf unsere kleine Terrasse hinter dem Haus, wo mich wenigstens keiner mehr misstrauisch mustern konnte. 

»Kacke«, stöhnte ich, während ich meinen Rucksack neben die Hauswand schmiss und auf der schmalen Bank zusammensank. Zumindest saß ich jetzt im Schatten. Sehnsüchtig starrte ich durch das große Wohnzimmerfenster. Wie gerne würde ich jetzt dort auf dem Sofa liegen, ein kleines Nickerchen machen und danach entspannt mit einer wahllos gewählten Serie in den Abend starten, während im Ofen eine Tiefkühlpizza vor sich hin backt. Ich bildete mir schon ein, den geschmolzenen Käse auf meiner Zunge zu schmecken. Diese Traumvorstellung konnte mich natürlich in keiner Weise befriedigen und brachte lediglich meinen Bauch zum Knurren, da ich heute wieder nur ungesundes Zeug in mich hineingestopft hatte, um dem Mensaessen zu entgehen, gleichzeitig aber den Schultag zu überstehen.

Zwar wusste ich genau, dass meine Mutter heute einen langen Tag vor sich hatte und wahrscheinlich noch nicht einmal die Zeit haben würde, mir zu antworten, dennoch schrieb ich ihr eine kurze Nachricht mit der Frage, wann sie vermutete nach Hause zu kommen. Bei meinem Vater probierte ich es erst gar nicht. Seit gestern war er auf intensiver Lesereise und vor Ende nächster Woche war mit ihm nicht mehr zu rechnen. Da ich sonst nichts mehr mit mir anzufangen wusste, zumal ich auch mein Handyakku für eingehende Nachrichten aufsparen wollte, packte ich jegliches Unterrichtsmaterial aus, bei dem ich noch eine Hausaufgabe zu erledigen hatte. Ich spürte schon fast eine Art Motivation in mir, als mein Handy wieder auf sich aufmerksam und allen Tatendrang zunichtemachte. Automatisch griff ich nach dem mit Technik gefüllten Aluminiumgehäuse. Doch die Nachricht, die mich erwartete, gab mir meine Hoffnung nicht zurück, denn der Absender war, wie sollte es anders sein, Cleo.

Ihr Eifer musste umgehend gestoppt werden, bevor meine Entscheidung am Ende nur noch einer Formalität entsprach und das Ganze im Grunde schon eine beschlossene Sache war.

Oh, nein! Sie hatte sich schon in die Eventualität hineingesteigert.

Dieser Zwinkersmiley gefiel mir ganz und gar nicht! 

Tatsächlich entwich meiner Kehle ein kurzes Lachen. Ihre Hartnäckigkeit war wirklich kaum zu toppen.

Als Antwort bekam ich keine Nachricht, sondern einen Anruf. 

»Wieso? Schlüssel vergessen?«, fragte sie sofort, als ich das Handy ans Ohr legte. Ich musste schon sagen, manchmal war es gruselig, wie gut Cleo Bescheid wusste, auch wenn sie nur Vermutungen anstellte.

»Hast du überall in der Stadt Kameras aufgestellt oder wieso liegst du bei deinen Spekulationen immer richtig?«

»Von Gott gegebene Gabe nennt sich so etwas.« Oder Geschenk des Teufels, fügte ich in Gedanken hinzu. »Wie lange musst du denn noch warten, bis jemand kommt und dich rein lässt?«

Auch wenn mein Bauchgefühl schon unerfreuliche Folgen ahnte, fuhr ich unbeirrt fort und erzählte wahrheitsgemäß, dass das wahrscheinlich noch mehrere Stunden dauern konnte.

»Aber du kannst doch nicht so lange vor eurem Haus herumlungern!«, rief sie aufgebracht und stellte es dar, als würde ich mich gerade mitten in der Nacht in gefährlichen Ecken aufhalten. »Ich komme zu dir und hole dich ab! Warte einfach, okay?« Überrascht hielt ich inne und das einen Moment zu lange.

»Nein! Cleo, das-« Doch ich hörte nur noch ein Tuten. Sie hatte aufgelegt, wahrscheinlich weil sie sich denken konnte, dass ich sie nur hätte abwimmeln wollen. 

Natürlich ignorierte Cleo daraufhin jegliche Nachrichten von mir, in denen ich sie anflehte, es bleiben zu lassen. Mir machte es nichts aus, auf der Gartenbank zu versauern, vor allem wenn ich daran dachte, dass mich die Klette jeden Moment verschleppen wollte. Nach einer Viertelstunde setzte ich auf die winzige Chance, dass Cleo es sich vielleicht doch anders überlegt oder eine falsche Adresse in ihrem Diddl-Freundebuch eingetragen hatte. Doch meine Hoffnung versiegte als sie plötzlich im Garten stand, mich hinter sich her schleifte und in ihr Auto steckte. Für mich glich es einer Entführung, doch anscheinend wirkte es auf unsere Nachbarn vollkommen anders, da meine Gegenwehr nur mit einem amüsierten Lächeln von der älteren Dame gegenüber verfolgt wurde.

■■■

»Magst du noch etwas von dem Auflauf, Leonie?« Die Situation, in der ich steckte, war von einem ganz anderen Kaliber als die, die ich mir während der Autofahrt ausgemalt hatte. Ich saß eingequetscht zwischen Cleo und ihrer großen Schwester Zoe am Esstisch. Vor mir ihre Mutter Helena, die mir eine überladene Kelle Nudeln mit Schinken und Käse unter die Nase hielt. Um den restlichen Tisch hatten sich noch drei weitere Personen versammelt: Cleos Papa Theo und zwei weitere jüngere Geschwister, ebenfalls Mädchen, von denen ich die Namen direkt wieder vergessen hatte.

»Nein, Danke«, fiepste ich und schüttelte völlig überfordert mit dem Kopf. 

Cleo hatte es nicht für nötig gehalten, mich vorzuwarnen, sodass ich vollkommen unvorbereitet in dieses Chaos hineingestolpert war. Man hatte mich direkt ins Esszimmer dirigiert und ich wurde von den jüngeren Schwestern belagert, bis die überdimensionale Auflaufform endlich auf dem Tisch gestanden hatte. Helenas Mutterinstinkt, der sich bei vier Kindern wohl niemals im Ruhemodus befand, bekam ich sofort zu spüren, als sie mir einen bis zum Rand gefüllten Teller vorsetzte und ihr Blick ausdrückte, dass meine Hüften das in jedem Fall vertragen könnten. Auch wenn sie alle furchtbar nett auf mich wirkten, traute ich mich nicht, irgendetwas einzuwenden, und fing an, still vor mich hin zu essen. Um mich herum ging alles drunter und drüber. Noch nie hatte ich solch eine Lautstärke während des Abendessens erlebt. Die Kleinen kreischten unentwegt, derweil sie versuchten, sich gegenseitig mit ihren Gabeln aufzuspießen, und Cleo und ihre große Schwester argumentierten über mich hinweg über die Unordnung in ihrem Zimmer, das sie gemeinsam bewohnten. Der Einzige, der mein ruhiges Gemüt teilte, war Cleos Vater. 

»Mama, ich will noch was!«, kam es direkt von einer der kleinen Schönheiten, die eben noch mit ihrer Schwester einen Besteckkampf geführt hatte. Mein abgelehnter Nachschlag landete somit glücklicherweise auf ihrem Teller. 

Zoe empfand diesen ganzen Tumult, auch wenn sie selbst ein Teil davon war, wohl ähnlich wie ich, denn bevor sie ihren letzten Bissen hinuntergeschluckt hatte, stand sie vom Tisch auf. »Ich bin weg«, nuschelte sie, schluckte und sagte dann in einer wesentlich deutlicheren Tonlage: »Und Cleo, wenn ich wiederkomme, will ich diese ganzen Zettel auf dem Boden nicht mehr sehen!«

Cleo murrte nur.

»Ihr könnt ruhig auch schon einmal verschwinden, wenn ihr fertig seid«, sagte Helena mit einem liebevollen Lächeln an uns gerichtet. »Lasst das Geschirr stehen, ich mach das gleich.«

Fragend schaute Cleo mich an, woraufhin ich ihr zunickte. Wir standen auf und gingen gemeinsam in ihr Zimmer, das sich im Erdgeschoss zwei Räume weiter befand. Ich verstand auf Anhieb, warum sich Zoe über die Unordnung beschwert hatte, denn die Unmengen an Zeitschriften, Büchern, Zetteln und auch Klamotten, die vermutlich ebenfalls Cleo gehörten, verteilten sich über den gesamten Zimmerboden. Nur anhand der aufgeräumten Möbel auf einer Seite des Raumes, konnte man vermuten, dass die linke Hälfte wohl grundsätzlich Cleos Schwester zuzuordnen war.

Skeptisch schaute ich über den unaufgeräumten Fußboden und traute mich kaum, einen Fuß vor den anderen zu setzen, während Cleo durch das Chaos hüpfte, als wäre das eine Choreografie, die sie schon im Blut hatte. Sie berührte dabei nichts und ich warf nach zehn Sekunden schon den ersten Bücherstapel um.

»Mein Gott, Cleo! Wo soll man denn hier hintreten?«, beschwerte ich mich, derweil ich versuchte, mich zum Bett vorzuarbeiten, worauf Cleo gerade einen Platz für mich freiräumte. 

»Das nennt sich kreatives Chaos«, behauptete sie. Ich schüttelte ungläubig mit dem Kopf. Ihre Selbstdarstellung sollte sie dringend überdenken. »Das wird dir nie jemand abkaufen!« 

Nur mit gewaltiger Konzentration und millimetergenauem Abschätzen bewältigte ich diesen Hindernisparcours, ohne allzu großen Schaden anzurichten. Mit einem Seufzen ließ ich mich aufs Bett fallen und spürte, dass mir noch irgendetwas gegen den Oberschenkel drückte. Ich zog eine angefangene Haribobox unter mir hervor und hielt sie Cleo demonstrativ vors Gesicht. »Ja, ist gut. Du musst jetzt nicht auch noch so anfangen wie Zoe!« Dabei war ihre Forderung absolut verständlich, wenn man sich im Zimmer so umsah. Doch Cleo schien da anderer Meinung. Augenverdrehend nahm sie mir die Dose aus der Hand und fischte sich einen Froschgummi heraus. Dann bot sie wiederum mir die Packung an und ich griff nach einer Himbeere. Für die fand ich sicherlich noch eine freie Ecke in meinem Magen.

Während Cleo damit beschäftigt war, wenigstens um uns herum ein wenig aufzuräumen, entdeckte ich die ganzen Bilderrahmen, die sich auf einem Brett über dem Bett und an der Wand sammelten. Das Redaktionsteam der Schülerzeitung »Dagobert« wird mit dem ersten Platz ausgezeichnet. Solche und ähnliche Formulierungen las ich zuhauf und ich wunderte mich, dass die Zeitung meiner neuen Schule tatsächlich so gut abräumte, zumindest wenn ich an das grässliche Cover dachte. Dann bemerkte ich, dass die letzte Auszeichnung, die ich finden konnte, schon über zwei Jahre zurücklag. Das wiederum musste jedoch bedeuten, dass Cleo wohl schon seit Ewigkeiten bei der Schülerzeitung dabei war. Neben den ganzen Urkunden entdeckte ich zahlreiche Bilder, auf denen Cleo zusammen mit teilweise der gleichen Gruppe und einer Ausgabe vom Dagobert vor der Brust lächelnd in die Kamera schaute. Ein anderes zeigte sie vor der New York Times Company posieren. Mir wurde erst jetzt bewusst, dass ihr dieses Zeitungsding tatsächlich richtig ernst war. 

»Schau«, sagte Cleo plötzlich und hielt mir einen Zettel hin. »So hatte ich mir das ungefähr vorgestellt mit der Blume. Also, na ja, zumindest wenn ich zeichnen könnte.«

Ich grunzte. Es sah aus wie dahingeschmiert, auch wenn ich vermuten musste, dass das wohl das Beste war, was Cleo hervorbringen konnte. Aber ehrlich gesagt, würde es bei mir genauso aussehen. Doch die Mühe, die dahintersteckte, berührte mich und bevor ich es mir anders überlegen konnte, hörte ich mich sagen: »Ich mache es.«

Cleos Augen weiteten sich. Sie wusste genau, wovon ich redete. »Wirklich?«

Mein Blick glitt ein weiteres Mal über die Bilder hinweg und ich nickte. Cleo gab einen kurzen, spitzen Schrei von sich und fiel mir um den Hals. Wir kippten fast hinten über, doch ich schaffte es noch, rechtzeitig unser Gleichgewicht auszubalancieren. Mit reichlich weniger Enthusiasmus erwiderte ich ihre Umarmung. Dieses kleine Opfer konnte ich doch wohl bringen, vor allem da Cleo die Zeitung anscheinend wirklich wichtig war. So große Wellen würde es schon nicht schlagen.

»Jetzt brauchen wir nur noch jemanden, der zeichnen kann. Doch ich weiß von niemanden in der Schule, der wirklich gut darin ist«, meinte sie, nachdem sie sich wieder von mir gelöst hatte.

Allerdings kannte ich einen. Einen, mit dem ich eigentlich nichts mehr zu tun haben wollte.

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