7.
Mit einem mulmigen Gefühl sah ich mich in dem leeren Zimmer um.
Ich wusste nicht genau, was ich erwartet hatte, doch es traf zum Teil meine Vorstellungen.
Es war ein schlichtes Zimmer aus vier weißen Wänden, einem hellen Holzboden, einer weißen Decke mit einer Lampe, sowie einem Bett und einem Schrank.
Nicht viel, aber ausreichend, um hier zu leben.
Zusätzlich zum Zimmer gab es einen weiteren kleinen Raum.
Das Badezimmer.
Gegenüber von der Tür zum Flur, öffnete sich ein großes Fenster mit einer Tür zum Balkon.
Man konnte den dichten Wald sehen, der dunkel und düster, wie nie zuvor schien.
Hier sollte ich nun also Leben.
Etwas erleichtert über die Ausstattung war ich schon.
Ich hätte durchaus weniger haben können, als mir angeboten wurde.
Ich sollte zufrieden sein.
Kurz hielt ich inne, doch dann beschloss ich meine Strickjacke auszuziehen und sie vorerst auf das nicht bezogene Bett zu legen.
,,Mensch, ein wenig mehr Einrichtung hätte es schon sein können." meinte Doll.
Warum hatte ich das von ihr erwartet?
Die blasse rosa Gestalt der Frau erschien im Raum und blickte sich mit ihren glühenden Augen um.
,,Wir sollten dankbar sein. Sie hätten uns auch in den Keller sperren können." erwiderte ich und setzte mich auf die Matratze des Bettes.
Sie war erstaunlich weich, so wie ich es mochte.
Doll schnaubte, ihre Augen funkelten.
,,Das hätten sie sich nicht getraut, das sage ich dir."
Ich strich über die Matratze.
,,Komm schon, etwas Zeit und wir fühlen uns hier Zuhause, da bin ich mir sicher." meinte ich, um sie zu ermutigen.
Die Frau lächelte leicht.
,,Ich merke, du bist sehr simpel, Eve. Eine durchaus gute Eigenschaft."
,,Ich mache eben das beste, aus meiner Situation. Schließlich werde ich hier nicht weg kommen." erwiderte ich und drehte meinen Kopf zum großen Fenster.
Draußen rauschte der Wald.
Der Gedanke niemals hier wegzukommen, war beängstigend.
Doch gleichzeitig spürte ich einen Anflug von Ruhe.
Ja, ich war unter Mördern.
Und ja, ich könnte selbst ermordet werden.
Doch ich hatte dort draußen eh niemanden, der auf mich wartete.
Meine Tante mit Sicherheit nicht und mein Onkel sah mich mehr als eine Last, anstelle eines Familienmitgliedes.
Würde ich also sterben, würde ich zufrieden sterben, da ich niemanden zurücklassen würde, der mich vermissen könnte.
,,Vielleicht sollten wir einige Vorhänge aufhängen und die Wand dort drüben streichen. Ich wäre ja für ein himmlisches Rosa. Und wie wäre es mit einigen Blumen aus dem Garten in einer Vase?" plante Doll bereits die Dekorierung des Zimmers.
Ich musste ein wenig schmunzeln.
Sie würde schon dafür sorgen, dass wir uns hier ein wenig wohl fühlten.
,,Wie denkst du, wird dieses Abendessen werden? Sie werden sicher alle verwirrt sein, oder?" fragte ich Doll, die durch den Raum schwebte und jeden Winkel genau betrachtete.
Sie drehte ihren Kopf zu mir.
,,Ich denke mal, dass sie alle neugierig sein werden. Es kommt schließlich nicht jeden Tag jemand neues hinzu. Einige werden dir wahrscheinlich seltsame Fragen stellen, die du nicht unbedingt beantworten musst und andere wiederum gedenken dich umzubringen. Aber keine Sorge, das werden weder ich, noch Slenderman zulassen." erklärte sie.
Ich merkte, dass das kein Spaziergang werden würde.
Wie auch?
Dies hier war ein Haus voller Mörder!
Ich seufzte innerlich.
Wie sollte ich meinen Aufenthalt hier überleben?
Schließlich wäre ich gerade fast umgebracht worden.
Das würde sicher nicht das erste Mal gewesen sein.
,,Ich glaube, ich werde heute Nacht nicht mehr schlafen können." meinte ich und sah zu der Uhr, die an der Wand hing und leise tickte.
Es war beinahe wieder früher Morgen, weshalb es mich sehr verwirrte, dass die Creepypasta erst jetzt zu Abend aßen.
,,Wirst du aber müssen. Wenn Slenderman für dich einen Mentor ernennt, wird dieser direkt am Morgen mit dem Training starten wollen. Und dafür musst du etwas ausgeruht sein." erwiderte sie.
Ich biss leicht die Zähne zusammen.
Ich hatte also die Wahl, zu schlafen und mein Leben zu riskieren, oder wach zu bleiben und völlig übermüdet zu sein.
,,Vielleicht würde ein Teppich gut passen." murmelte Doll vor sich hin und blickte auf den Boden.
Ich schüttelte leicht den Kopf.
Das Zimmer war nun wirklich meine geringste Sorge.
,,Hey, wir sind nach Nachbarn." ertönte plötzlich eine Stimme.
Ich schrak leicht zusammen und drehte hastig den Kopf zur Zimmertür.
Dort stand die braunhaarige Frau, mit dem Ziffernblatt als Auge.
Clockwork, wenn ich mich nicht täuschte.
Kurz blieb ich skeptisch.
Wollte sie jetzt auch versuchen mich umzubringen, wie Mei?
,,Würdest du Eve bitte sagen, dass es schon wichtig ist, wie das Zimmer eingerichtet ist? Sie meinte, sie wäre zufrieden mit dieser Leere." sagte Doll zu ihr.
Die braunhaarige schmunzelte.
,,Ich mische mich da nicht ein. Ich bin nur hier, um nach euch zu sehen. Wie war eure Begegnung mit Slenderman?" fragte sie an mich gerichtet.
Ein wenig hatte ich das Gefühl, dass ich ihr doch irgendwie vertrauen konnte.
Vielleicht war sie wirklich so nett, wie sie schien.
Ich strich leicht mit beiden Händen über meine Jeans.
,,Er lässt mich am leben, was schon mal gut ist. Und ich soll einen Mentor bekommen." erwiderte ich.
Kurz fragte ich mich, ob das normal war.
Hatte sie, als sie hierher kam, auch einen Mentor bekommen, der ihr die ganzen Mörder-Dinge beibrachte?
Clockwork nickte leicht.
,,Das ist clever. Durch die Ausbildung, wirst du nützlich für uns und musst nicht am Ende getötet werden, wenn Doll ihren eigenen Körper zurück hat." meinte sie.
Das wäre der eigentliche Plan gewesen?
Mich umzubringen, nachdem Doll ihren Körper zurück hätte?
,,Wir müssen sehen, ob sie überhaupt standhaft für die ganzen Prüfungen ist, die auf sie zukommen werden." meinte Doll.
,,Stimmt, nicht jeder hat den Mut und den Geist fürs Töten." erwiderte Clockwork.
Ich spürte, wie sich mein ganzer Körper anspannte.
Ich würde Menschen umbringen?
Was war das für ein Zirkus?
Ich wollte keine Menschen umbringen, schon gar nicht unschuldige, wie die, die im Wald an den Bäumen hingen.
Ich konnte gerade so Spinnen beseitigen, wie sollte ich da einen Menschen umlegen?
Diese Leute hier sahen Morden, als eine gewöhnliches und alltägliches Hobby.
Das war krank.
So krank!
All diese Menschen hier, waren krank!
,,Wir sollten langsam zu den anderen in den Speisesaal gehen. Jane dürfte jetzt auch von ihrem Auftrag zurück sein. Ich bin gespannt, was sie erzählt." meinte Clockwork.
Ich atmete kurz durch, dann nickte ich.
Wenn ich überleben wollte, musste ich mitspielen und mich ihnen anpassen.
Die Hunde jaulten mit den Wölfen.
Kurzer,schneidender Schmerz fuhr durch meinen Kopf, als Doll ihren Platz in meinem Gedächtnis wieder einnahm.
Ohne Vorwarnung und ohne Mitleid.
Ich stand auf, entschlossen nun allen Mördern auf einmal zu begegnen.
Bei einem Abendessen.
Kurz malte ich mir mögliche Speisen aus, die die Creepypasta essen würden.
Schnecken.
Würmer.
Menschenfleisch.
Kurz zog sich mein Magen zusammen, als ich daran dachte, wie sie ihre Opfer wie Tiere ausschlachteten und zubereiteten, um sie dann ohne Scheu zu essen.
Ich würde es ihnen sogar zutrauen.
Ich folgte Clockwork aus meinem Zimmer und durch den Flur, während sie fröhlich weiter redete.
Doch ich hatte nur das Menschenfleisch im Kopf und mir wurde ein wenig schlecht.
,,Hör auf, meinen Appetit anzuregen, sonst haben wir ein großes Problem." meinte Doll.
Entgeistert starrte ich umher.
Doll aß Menschen?!
Sie war ein Meta-Wesen, eine Puppe, also würde es nicht zu Kannibalismus zählen.
Doch ich war ein Mensch.
Sie würde mich doch nicht etwa zwingen Menschenfleisch zu essen?!
,,Beruhige dich, dein Körper gehört immer noch dir und verdrängt meinen eigenen Hunger, also keine Sorge." beantwortete sie meine Frage.
Erleichterung.
Ich müsste kein Menschenfleisch essen.
Etwas nervös blickte ich umher.
Wir näherten uns immer mehr dem Speisesaal, als dem man bereits die ersten Geräusche hören könnte.
Gerede.
Einfaches Gerede.
Manches lauter, manches leiser.
Clockwork sah zu mir.
,,Komm, das wird lustig. Wenn du sie alle erst einmal kennengelernt hast, wirst du merken, dass sie alle ganz in Ordnung sind." ermutigte sie mich.
Hierbei wäre wichtig zu erwähnen, dass Clockwork nicht wusste, dass mich Mei fast umgebracht hätte und ich deswegen kein wirklich gutes Bild von diesen Leuten hatte.
Trotzdem nickte ich leicht und betrat an ihrer Seite den Speisesaal.
Er schien der größte Raum im ganzen Gebäude zu sein und war gut beleuchtet, mit altmodischen Lampen.
In der Mitte des mit Holzlatten ausgelegten Raumes stand eine große dunkle Tafel, mit vielen Stühlen, die mit roten Kissen gepolstert waren.
Jeder Creepypasta hatte einen Platz mit einem Teller, Besteck und einem Glas.
Auf der Tafel verteilt, standen verschiedene Gerichte, die alle auf den ersten Blick normal schienen.
Irgendwie wirkte dieses gemeinsame Abendessen recht vornehmen gestaltet und beinahe, wie die Zusammenkunft einer Familie.
In dem Haus wohnten recht viele Leute.
Mein Blick fiel zuerst auf einen Jungen, etwas jünger als ich, mit blonden Haaren und schwarzen Augen, die rote Pupillen zeigten.
Ich kannte ihn aus den Zeitungs- und Fernsehberichten
Ben Drowned.
Er war ein Cyberkiller und hatte schon viele Teenager in den Tod gezogen.
Unheimlich, wie er da saß und mit seinen leuchtenden Augen die Gegend durchforstete.
Ich betrachtete die nächste Person, wieder ein junger Mann mit kreidebleicher Haut und unordentlichen, matten schwarzen Haaren.
Seine eisblauen Augen waren von schwarzen Kohleresten ummalt und sein ehemals weißer Kapuzenpullover mit Blut verschmiert.
Jeff, der Mörder.
Auch ihn kannte ich bereits aus einigen Berichten und wusste, dass er einer der gefährlichsten unter den Creepypasta war.
Der schwarzhaarige ließ sich auf seinen Stuhl fallen und legte ein blutbeflecktes Messer neben sich.
Unappetitlich, doch den Rest schien es nicht zu stören.
Fast stieß ich gegen eine andere Person, ein kleines Mädchen mit braunen Haaren und grünen Augen.
Sie sah viel jünger aus, als der Rest hier, trug ein rosa Nachthemd und war übersät mit Kratzern, blauen Flecken und Schnitten.
Aus einer Wunde an ihrem Kopf lief frisches Blut und man konnte einen winzigen Teil ihres Gehirnes sehen.
Ihre Augen leuchteten gespenstisch.
War dieses Mädchen überhaupt noch am Leben?
Unmöglich, mit dieser Wunde am Kopf.
,,Eine neue Freundin. Willst du mit mir spielen?" fragte das Mädchen.
Ich wusste nicht was ich darauf antworten sollte, so überrascht und schockiert war ich.
,,Ich-"
,,Du willst nicht mit mir spielen?! Warum nicht?" unterbrach sie mich plötzlich.
Ich war nun komplett verwirrt.
Clockwork schob das Mädchen etwas weg.
,,Geh an deinen Platz, Sally."
Das Mädchen, Sally, starrte mich einen Augenblick noch an, dann aber ging sie zu ihrem Platz, in der Nähe vom Ende des Tisches.
Ein leichter Schauer lief über meinen Körper.
Das war alles so verrückt.
,,Komm, neben mir ist noch ein Platz frei." meinte Clockwork zu mir und deutete auf den Platz neben sich.
Ich sammelte meinen Mut wieder zusammen.
Das würde schon gutgehen.
Also setzte ich mich neben sie.
Sobald ich saß, wandten sich so gut wie alle Augenpaare an mich und starrten mich an.
Ich wurde von Oben bis Unten abgescannt und genau beobachtet.
Wie unheimlich und unangenehm zugleich.
Unbehagen durchströmte meinen Körper.
Diese Blicke.
Sie glichen denen von Raubtieren, die ihre Beute ansahen.
Ja, sie sahen mich alle nur als ihr nächstes Opfer.
Umso beeindruckender fand ich es, wie Clockwork jeden einzelnen Blick der anderen stand hielt.
,,Hört auf, so dumm zu schauen. Slenderman wird euch gleich alles erklären, also bitte." sagte sie laut.
Tatsächlich wandten sich die Blicke ab.
Außer einer.
Der von Mei
Die rothaarige mit den unheimlichen Augen saß direkt vor mir und betrachtete mich.
Ihren Kopf hatte sie in beide Hände gestützt, auf ihren Lippen saß ein Lächeln.
,,Hast du dich schön in deinem Zimmer eingelebt?" fragte sie.
Meine Sinne schrien mir zu, ihr nicht zu vertrauen und möglichst vorsichtig mit meinen Antworten zu sein.
,,Ja." antwortete ich nur.
Die Augen der rothaarigen Frau funkelten.
,,Sehr schön. Pass auf, dass du nachts deine Tür verriegelst, sonst bekommst du irgendwann unerwarteten Besuch." meinte sie.
Meinte sie das ernst?
Ich wollte etwas erwidern, doch die plötzliche Stille verhinderte dies.
Slenderman hatte den Raum betreten.
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