
25.
Dolls rosa glühende Augen starrten vor sich hin, während ich mit Delights Klingenform ausholte, zielte und den spitzen Gegenstand auf einen einige Meter weit entfernten Heuballen warf.
Die Klinge blieb stecken und funkelte mystisch im Licht der untergehenden Sonne.
Kurz streckte ich meine Arme, dann berührte ich die Stelle an der das Pflaster an meiner Brust saß.
Beim Wurf hatte es darunter ein wenig gezogen, doch solange kein Blut zu sehen war, brauchte ich mir keine Sorgen machen.
Es war bereits der nächste Abend angebrochen.
Ich hatte Eyeless Jack den ganzen Tag über nicht gesehen, nicht einmal zu den Essenszeiten.
Dadurch, dass meine unfreiwillige Prüfung immer näher rückte, sowie Jeff Lust darauf mich zu töten immer größer wurde, hatte ich beschlossen mit einem leichten Training zu beginnen, um schnell wieder reinzukommen.
Doll unterstützte mich dabei, auch wenn es fraglich war, ob sie das freiwillig tat.
Sie wirkte gelangweilt.
Ich versuchte sie zu ignorieren, indem ich mich auf Delight konzentrierte und dabei auch aufmerksam der Musik lauschte, die durch kabellose Kopfhörer meinen gesamten Gehörsinn erfüllte.
Ich hörte nichts, außer die Musik, was ziemlich gefährlich war, wenn man meine aktuelle Situation beachtete.
Allerdings war die Musik gut und es wäre zu schade sie nicht zu hören.
So konnte ich auch mal von meinen Gedanken an meinen Mentor eine Pause machen, was wirklich gut tat.
Meine Gedanken an ihn verfolgten mich Tag und Nacht, pausenlos.
Außer jetzt.
Ich zog Delight aus dem Heuballen und betrachtete einen Moment die saubere glänzende Spitze der Klinge.
Sie war wunderschön.
Die Muster, die Verzierungen, der Glanz.
So neu und unberührt.
Ich nahm die Spitze zwischen meinen Daumen und Zeigefinger, drehte mich zu dem nächstbesten Baum, holte erneut aus und ließ die Klinge auf den Baum zu sausen.
Wieder blieb sie stecken und hinterließ einen kleinen Spalt in der Rinde der Eiche.
Ein etwas wärmeres Gefühl stieg in mir auf.
Nachdem ich fast den ganzen Tag das Zielen gelernt hatte und immer wieder an den Bäumen gescheitert war, war das hier ein wirklicher Erfolg.
Ich war mir sicher ein wenig stolz auf meine Leistung sein zu dürfen.
Mit einer Hand griff ich nach der Klinge und wollte sie aus dem Baum ziehen, scheiterte jedoch daran.
Noch einmal zog ich daran.
Sie bewegte sich kein Stück.
Na super, wirklich toll gemacht, Eve.
Ich murrte frustriert, legte beide Hände an den Griff, stemmte mein eines Bein gegen den Baum und zog wieder kräftig an der Klinge.
Ein bisschen schien sie sich zu lockern, doch sie saß noch zu fest im Baumstamm, als das sie rausgleiten würde.
Würde sie jetzt für immer hier stecken müssen?
Das würde Doll gar nicht gefallen.
Ich startete einen erneuten Versuch, mein Bein wieder gegen den Baum, beide Hände an den Griff.
Ich musste sie ausbekommen.
Kurz zuckte ich zusammen, als sich plötzlich eine weitere Hand zu meiner an den Griff gesellte und eine andere über meinem Kopf halt am Baum suchte.
Ich entspannte mich sofort, als ich die grau-blaue Haut unter den fingerlosen schwarzen Handschuhen erkannte.
Gemeinsam zogen wir an der Klinge, bis Delight schließlich freikam und einen nun etwas tieferen Spalt im Baumstamm zurückließ.
Ich drehte mich zu meinem Mentor und nahm meine Kopfhörer runter.
,,Danke." sagte ich kurz, da mir meine Verlegenheit mehr Worte nicht erlaubte.
Eyeless Jack nahm seine Maske ab.
,,Das sah wirklich gut aus. Hast du den ganzen Tag hier geübt?" fragte er und ich spürte, wie mein Herz bei diesem Kompliment höher schlug.
Schnell nickte ich.
,,Ich dachte ich könnte es gebrauchen." erwiderte ich.
Mein Herz schlug so heftig gegen meine Rippen, dass ich kaum Atmen konnte.
Es war das erste mal, dass ich ihn heute zu Gesicht bekam.
Ich hatte ihn irgendwie vermisst.
,,Bist du endlich fertig damit meine arme Delight zu misshandeln?" fragte Doll bissig, als sie zu uns schwebte.
Ich sah sie an und zuckte die Schultern.
,,Mal schauen, vielleicht werfe ich sie als nächstes in den Fluss hinter der Lichtung oder auf einen der Steinbrocken dort." erwiderte ich konternd.
Doll schnaubte und mein Mentor schmunzelte.
Die geisterhafte Frau hatte schon den ganzen Tag schlechte Laune gehabt.
Warum?
Keine Ahnung.
,,Was hast du heute gemacht?" fragte ich nun Eyeless Jack neugierig, während Dolls Gestalt sich auflöste und sie ihren gewohnten Platz in meinem Kopf einnahm.
Das war vielleicht für uns alle besser.
Der braunhaarige deutete hinter sich.
,,Ich war in der Stadt und habe das da reparieren lassen." erklärte er und mein Blick fiel auf ein etwas älteres Motorrad.
Es war schwarz und silbern, der Sattel in braunen Leder ausgekleidet.
Trotz seines Alters, wirkte es wie neu.
Ich war ein wenig erstaunt.
,,Hast du einen Motorradschein?" fragte ich ihn, als wir gemeinsam zu dem Gefährt gingen.
Eyeless Jack nickte leicht und strich über das glänzende Metall am Lenker.
,,Ich habe ihn mit 17 gemacht, konnte ihn aber nie nutzen. Ich habe nicht weit von der Schule gewohnt und bin deshalb immer mit Skateboard hin, statt zu fahren." erwiderte er.
Mit Skateboard?
Ich blickte einen Moment lang an.
Er war mit Skateboard zu seiner Schule gefahren.
Mit einem Skateboard.
Skateboard.
Ich fühlte ein stechendes Gefühl in mir und in meinem Kopf schien alles nebelig zu werden.
Dieses Wort Skateboard löste in mir etwas aus.
Etwas vertrautes.
,,Wie sah dein Skateboard aus?" fragte ich ihn, ohne es wirklich zu bemerken.
Als wäre mein Körper da aber mein Geist ganz woanders.
Eyeless Jack wirkte einen Moment verwirrt.
,,Es war schwarz mit neongrünen und blauen Mustern auf der Unterseite. Das eine Rad war rot statt schwarz, weil es ausgetauscht werden musste. Warum?" fragte er.
Während er das Skateboard beschrieb, erschien vor meinem geistigen Auge ein Bild davon.
Ein Skateboard mit Graffitimustern und einem roten Rad.
Und Kratzern auf der Unterseite.
Kratzer, die durch Steine entstanden.
Dieser Kratzer sieht aus wie ein L.
Und einige Kratzer, die mit einem Messer hinzugefügt wurden.
Oder wie ein E.
Meine Augen wurden groß und mein Blick starr, als ich diese vertrauten Worte in meinem Kopf leise wie eine leichte Brise hörte.
Dann trat ein schmerzhaftes Stechen durch meinen Schädel und ich kniff die Augen zusammen, legte eine Hand an meine Stirn und für einen Moment hörte ich alles, als wäre es weit weg.
Wie ein Rauschen oder Dröhnen.
Ein lautes unangenehmes Piepen.
,,..ve. Eve, ist alles okay?"
Die Stimme meines Mentors trat wieder in mein Bewusstsein und ich sah zu ihm.
Einen kurzen Moment hatte ich das Gefühl, er wäre ein Fremder, doch dann trat die Erkenntnis wieder in meinen Kopf und ich richtete mich wieder richtig auf.
,,Ist alles in Ordnung?" fragte er mich nochmal.
Ich nickte leicht, ein wenig verwirrt.
Was war das eben gewesen?
Ich spürte, wie meine Beine und Arme leicht zitterten vor Anspannung und Unruhe.
Als wären plötzlich alle meine Kräfte weg.
,,Ich glaube ich muss mich hinsetzen." meinte ich und ließ mich auf dem Baumstupf hinter mir nieder.
Eyeless Jack kam neben mich.
Er wirkte ein wenig besorgt.
,,Was ist passiert?" fragte er.
Ich schüttelte leicht den Kopf.
,,Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung. Ich hab plötzlich etwas gehört und dann hatte ich Kopfschmerzen und jetzt wirkt es so, als ob alle meine Kräfte weg wären." erklärte ich.
Ich fühlte mich wabbelig, wie Wackelpudding, das stand fest.
,,Vielleicht hast du dich beim Training etwas verausgabt. So plötzlich mit so langem Training zu beginnen ist oft nicht so gut. Hast du genug getrunken?"
Ich nickte leicht.
Und ich war mir sicher, dass das eben nicht mit dem Training zusammengehangen hatte.
Warum sollte es auch?
Nachdem wir Delight aus dem Baumstamm geholt hatten, ging es mir noch gut.
Es war ganz plötzlich gekommen und wieder verschwunden.
Lag es an meinem schnellen Herzklopfen, wenn ich ihn ansah?
Oder an meiner Amnesie?
Oder an meiner Wunde?
Ich wusste es nicht.
Doch es war etwas seltsames und mystisches.
Ich musste dem auf den Grund gehen.
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