
23.
Innerhalb der nächsten Tage lag eine tiefe Unruhe in mir, stauend wie Regenwolken kurz vor einem gewaltigem Sturm.
Eine Unruhe, die nur darauf wartete auszubrechen.
Es war, als würde mein tiefstes Inneres spüren, dass schon sehr bald etwas geschehen würde.
Etwas schlechtes.
Etwas, auf das ich nicht vorbereitet sein würde.
Und als würde das Wetter meine trübe Stimmung spüren, regnete es.
Tagelang.
Mit nur kurzen Pausen.
Jeden Morgen traf man auf feuchtes Gras und Reif durch die Kälte der Nacht.
Auch der Wind wurde langsam kälter und es war, als könnte man den ersten Schnee fast riechen.
Kalt und rau.
Dunkel und trüb.
In meinem blauen Blick spiegelte sich leichte Sehnsucht nach der Wärme des Sommers, als ich aus dem Fenster sah.
Draußen war es düster durch die Wolken, die sich angestaut hatten und langsam sich ihrer Schwere entlasteten wollten.
Ich vermisste die warme Sonne, die sich jeden Tag mehr zu entfernen schien.
Es war, als würde eine seltsame Leere einen erfüllen.
Ich richtete mein Blick wieder auf mein Handy.
Auf dem sonst dunklen Bildschirm leuchteten die neuesten Nachrichten.
Wetterberichte.
Neues aus dem Sport.
Und neues zu uns.
Seit über zwei Monaten wird Eve Wisley (21) vermisst.
Ihre Tante schweigt weiterhin über ihren Fall.
Es war nicht sonderlich überraschend, dass meine Tante nichts zu mir preisgab.
Schließlich könnte man schnell herausfinden, was sie mir angetan hatte.
Sie könnte verhaftet werden und das wollte sie natürlich nicht.
Langsam aber sicher hatte ich das Gefühl paranoid zu werden.
Nicht nur einmal sah ich die fremde Person in Grau wieder.
Mehrmals.
Immer im Garten und immer in meiner Nähe.
Der glühende Blick, der mich zu verfolgen schien.
Er schien mir etwas sagen zu wollen, doch ich konnte nicht erahnen was.
War er ein Vorbote des Todes?
Würde all das hier bald ein Ende nehmen?
Ich konnte es nicht sagen und dem auch nicht auf den Grund gehen.
Ich konnte nur abwarten und zusehen.
,,Deprimiert dich das Wetter auch so sehr?" hörte ich Meis Stimme fragen.
Sie saß auf dem Sofa im Wohnzimmer und blickte mich gelangweilt mit ihren hellen Augen an.
Ich wandte ihr mein Gesicht zu und zuckte die Schultern.
,,Ein wenig vielleicht." meinte ich.
Die rothaarige ließ sich auf den Rücken fallen.
,,Wann kannst du wieder mit dem Training starten?" fragte sie weiter, um sich zu beschäftigen.
Ich schaltete mein Handy auf stand-by.
,,Wir starten bald wieder richtig. Der Fokus lag die letzten Tage auf Delight und wie ich sie benutzen kann." erwiderte ich und blickte einen Moment auf das helle Pflaster, welches die Wunde auf meiner Brust verdeckte.
Sie war gut am heilen und schmerzte auch nicht mehr, ebenso die Streifschusswunde an meinem Bein.
Bald würde ich mich wieder richtig bewegen können.
,,Kommst du denn mit ihr klar?" fragte Mei und setzte sich wieder auf.
Ich nickte leicht.
,,Es hat zwar ein wenig gedauert, doch langsam habe ich den Dreh raus."
Es war wirklich leichter diese verhexte Waffe zu kontrollieren, als zu beginn.
Sie wandelte sich genau dann, wenn ich es wollte und das war schon mal ein Fortschritt.
Doch das Töten.
Das konnte ich noch nicht.
Es war wie eine Blockade, die mich davon abhielt den Abzug zu drücken oder die Klinge in etwas zu stoßen.
Es gelang mir einfach nicht.
,,Den Fortschritt wirst du brauchen müssen." mischte sich eine neue Stimme ein.
Jane, die schöne schwarzhaarige, betrat den Raum.
Ihre verbrannte Haut glänzte ein wenig, als hätte sie sie soeben mit Creme behandelt.
,,Wie meinst du das?" fragte ich sie, als sie sich ebenfalls auf die Couch setzte und ihr Bein über das andere schlug.
Ihre tiefgrünen Augen blickten mich ernst an.
,,Ich habe eben Jack und Slenderman gesehen. Sie haben über dich gesprochen und so wie es aussieht, denkt Slenderman du wärst soweit für dein erstes Opfer." erklärte sie.
Meine Augen wurden groß.
Wie?
Wie konnte ich schon bereit für ein Opfer sein, wenn ich noch nicht einmal den Abzug von Delight drücken konnte?
Wie stellte er sich das vor?
Mein Herz fing augenblicklich schneller an zu schlagen.
,,Jack wirkte nicht sehr begeistert und meinte, du bräuchtest noch etwas Zeit. Aber Slenderman ist der Meinung, er würde in dir die nötige Kraft spüren, um zu töten. Er will das du beweist, dass er mit dir keinen Fehler gemacht hat. Sonst wirst du..."
Sie brachte den Satz nicht zu Ende, doch ich wusste genau, was sie sagen wollte.
Würde ich mich nicht beweisen können, würde er mich töten lassen.
Das wäre mein Ende.
Das Ende meines kleinen, unbedeutenden Lebens.
Ich nickte leicht mit dem Kopf.
Zum Glück war Doll nicht in meinem Kopf, sonst würde sie mich für den folgenden Gedanken zusammenstauchen.
Vielleicht würden diese Qualen hier endlich ein Ende nehmen, wenn ich mich nicht beweisen könnte.
Vielleicht würde ich dann endlich meinen Frieden haben.
Das Handy in meiner Hand vibrierte und brachte mich aus meinen Gedanken.
Ich hob die Hand und sah auf den Bildschirm, der aufleuchtete und eine Nachricht erschien.
Als hätte ich es erahnen können.
Eyeless Jack
Ich muss mit dir reden. (16:23)
Ich wusste, um was es gehen würde.
Um meine Prüfung.
Die Prüfung, die ich nicht erleben wollte.
Die, die mich in den Tod schicken würde.
Es war mehr als beschlossen.
Es war Schicksal.
Meine Zukunft.
Das Ende meines Lebens.
,,Er will mit mir reden." sagte ich zu Mei und Jane und erhob mich von der Couch.
Die Augen der rothaarigen blitzten auf.
,,Du musst mir unbedingt erzählen, wen du töten wirst und wann. Ich will dich anfeuern." meinte sie.
In Janes grünen Blick hingegen wusste ich, dass sie erraten hatte, was ich dachte.
Sie kannte meinen Plan, doch sie schwieg.
Und so verließ ich ohne ein weiteres Wort die Wohnstube, die plötzlich so kalt und leer schien.
Ich fand meinen Mentor schnell.
Er wartete im halb beleuchteten Flur hinter dem Wohnzimmer auf mich.
Der braunhaarige sah auf, als er mich bemerkte und ich konnte seinen unruhigen Ausdruck feststellen.
Es war, als würde eine dunkle und trübe Aura ihn einhüllen.
Passend zum Wetter, welches draußen herrschte.
,,Ich denke du kannst vermuten, weshalb ich mit dir reden will." begann er, als ich fast neben ihm stand.
,,Ich soll mein erstes Opfer umbringen." erwiderte ich.
Der braunhaarige nickte und ich merke, dass Jane recht gehabt hatte.
Er fand diese Idee alles andere als gut.
,,Ich bin der Meinung, dass du noch etwas Zeit brauchst, doch gegen Slendermans Willen kann ich mich nicht durchsetzen. Sieh es als eine Art Zwischenprüfung, um deine Fähigkeiten zu beweisen." sagte er.
Das ich sterben würde, wenn ich diese Prüfung nicht bestand, ließ er aus.
Er wollte es vor mir verheimlichen.
Doch ich kannte die Wahrheit bereits.
,,Wozu soll das nützlich sein?" fragte ich ihn direkt.
Kurz wirkte er überrascht, als ich das sagte.
Als hätte er nicht damit gerechnet.
,,Ich bin doch kaum bereit auch nur ein Tier zu töten, wie soll ich dann einen Menschen umbringen?" fragte ich weiter.
Eyeless Jack hob die Hand, als würde er mich besänftigen wollen.
,,Du wirst das schon irgendwie hinbekommen. Du weißt, wie du Delight benutzen musst und das ist schon mal ein Vorteil." meinte er.
Ich konnte ihm nicht glauben.
Und ich wollte ihm nicht glauben.
Er versuchte diese Prüfung schönzureden, wollte mir vermitteln, dass ich das konnte und nicht der Tod auf mich warten würde.
Alles was er dir erzählt, sind süße Lügen, damit du ihm dein Vertrauen schenkst, wie ein blindes Schaf einem Wolf.
Jeffs Stimme in meinem Kopf schnürte meine Zweifel erneut an.
Er wusste genau, dass ich das nicht hinbekommen würde.
Dass Slenderman mich beseitigen würde.
Dass ich sterben würde.
,,Du bemitleidest mich, nicht wahr? Du weißt genau, was mich erwartet, wenn ich diese Prüfung nicht bestehe." sprach ich.
Der braunhaarige schüttelte ruhig den Kopf.
,,Ich bemitleide dich nicht. Und ja, ich weiß was dich erwartet und ich finde, dass du noch Zeit brauchst. Doch Slenderman hat ein weitaus besseres Urteilsvermögen, als ich." entgegnete er.
Ich sah ihn ernst an.
,,Wirst du derjenige sein, der mich tötet, wenn ich versage?" fragte ich ihn.
Würde ich durch seine Hand sterben, würde es ein wesentlich erträglicherer Tod sein, als durch die Klauen des kahlen Mannes zu sterben.
,,Warum denkst du, dass du versagen wirst?" fragte er zurück.
Er wich meiner Frage aus.
Ich trat ein Stück näher, so nahe, dass ich beinahe die Wärme seinerseits spüren konnte und blickte ihn fest an.
,,Weil du an mir zweifelst. Du weißt genau wie ich, dass ich nicht töten kann. Es ist erträglicher meinen Tod zu akzeptieren und ihn zu planen, als unvorbereitet auf Schmerzen zu treffen und nicht zufrieden sterben zu können. Also, wirst du es sein?" erklärte ich und wiederholte meine Frage an ihn.
Die Miene meines Mentors verfinsterte sich.
Er stemmte eine Hand an die Wand hinter mich und drängte mich an sie, unmöglich für mich zu gehen.
Ich nahm seinen Geruch nach Regen und Wald wahr, konnte seinen warmen Atem an meiner Wange spüren und ein Schauer lief über meinen ganzen Körper.
Mein Herz schlug beinahe schmerzhaft in meiner Brust.
Er war mir so nahe, wie noch nie zuvor.
,,Ich weiß nicht, inwiefern ein Tod durch meine Hand für dich angenehm sein soll." sagte er, ließ jedoch nicht zu, dass ich ihm antwortete.
,,Ich würde mit meinen Zähnen deinen Hals aufreißen, wie ein wildes Tier. Dein Blut würde sich in sekundenschnelle über den Boden ausbreiten und eine Blutlache um uns herum bilden. Du würdest alles spüren. Spüren, wie ich deinen Bauch einfach aufschlitze, dir deine einzelnen Organe entnehme. Dein Fleisch schmecke. Denkst du, das wäre ein schönes Ende?"
Ich sah ihn nur schweigend an.
Mein Blick ruhte in seinen tiefen Leeren.
Ich hatte kaum wahrgenommen, was er gesagt hatte.
Ein völlig neues Gefühl erfüllte meinen Körper.
Ein warmes Gefühl, welches ich noch nie gespürt hatte.
Es war fremd, doch auch irgendwie vertraut.
,,Dein Tod würde weder einen Vorteil, noch einen Nachteil für mich erbringen. Nur den Schmerz des Verlustes einer Person, die ich mag."
Mit diesen Worten entfernte er sich ein Stück von mir.
Seine Hand glitt von der Wand und bot mir wieder Freiraum.
Noch immer schlug mein Herz heftig gegen meine Rippen.
Der braunhaarige Killer drehte den Kopf zu mir.
,,Ich erwarte, dass du dich bemühst." sagte er, wandte sich ab und ging.
Ich sah ihm eine Weile nach.
Meine Hand wanderte zu der Stelle, an der mein Herz kräftig schlug und in einer unglaublichen Geschwindigkeit Blut durch meinen gesamten Körper pumpte.
Eine seltsame Leichtigkeit hatte sich in mir ausgebreitet.
Und genau das verwirrte mich.
Er hatte mir soeben erklärt, wie er mich umbringen würde.
Und ich hatte diese Worte ausgeblendet, mich nur auf seine Stimme, seinen Geruch und seine Wärme fokussiert.
Seine Drohung komplett ignoriert.
Das war verrückt.
Mehr als nur verrückt.
Das war gefährlich.
Er war ein Mörder.
Ein kannibalistischer dämonischer Mörder.
Er sollte mein Herz nicht so zum schlagen bringen.
Nicht so!
Es sollte vor Angst und Panik erstarrten.
Es sollte mir sagen, in welcher Gefahr ich mich befand.
Es sollte mich nicht so fühlen lassen.
Nicht so leicht und erhellt.
Ich nahm meine Hand von der Stelle und lief los.
Den Flur entlang, auf dem Weg in mein Zimmer.
Ich atmete durch, versuchte meinen Herzschlag zu beruhigen und diese Leichtigkeit in mir loszuwerden.
Sie zu ignorieren und auszublenden, wie ich es mit seinen Worten getan hatte.
Aber es gelang mir nicht.
Das Gefühl war da.
Und ich bekam es nicht weg.
Es wollte nicht weg.
Es wollte bleiben und an mir nagen wie ein Eichhörnchen an einer Nuss.
Es wollte mich einhüllen und völlig auffressen.
Mich in ein tiefes Loch stürzen, aus dem ich nie wieder herauskommen würde.
Dieses Gefühl war Zuneigung.
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