
19.
Wie gut kannte mich Jeff?
Was wusste er alles über mich?
Und woher?
Diese Fragen schwirrten den ganzen restlichen Tag über in meinem Kopf.
Wenn Jeff wirklich so viel über mich wusste, über meine Schwächen und Stärken, dann war er noch gefährlicher, als ich es bereits vermutet hatte.
Dann war nicht ich diejenige, die sterben sollte, sondern er.
,,Hey, Eve, ich versuche dir gerade zu zeigen, wie du Delights Form veränderst. Da solltest du besser nicht träumen."
Ich blinzelte überrascht, als ich die Stimme meines Mentors wahrnahm.
Die Sonne stand hoch am Himmel, während wir beide uns Draußen befanden und trainierten.
Ich hatte das Training kaum wahrgenommen, durch die Fragen in meinem Kopf, was Eyeless Jack natürlich bemerkt hatte.
Ich blickte den braunhaarigen Killer an, der vor mir stand und mir versuchte zu erklären, wie man Delight in verschiedene Formen bringen konnte.
Doch ich konnte kaum hören, was er sagte.
Ich hatte nur noch eine der vielen Fragen im Kopf.
Eine Frage, die ich mir von Anfang an hätte stellen sollen, die jedoch erst durch mein Gespräch mit Jeff richtig ihre Wirkung entfacht hatte.
,,Kann ich dir trauen?" platzte es aus mir heraus.
Eyeless Jack sah von Delight in seinen Händen auf und wirkte ein wenig überrascht.
,,Du bist seit heute Morgen so seltsam. Hat Jeff irgendwas zu dir gesagt?" fragte er.
Ich zögerte kurz.
Sollte ich ihm das wirklich sagen?
Ich schüttelte leicht den Kopf.
,,Nur wirres Zeug. Er meinte, er würde mich kennen und so." sagte ich schließlich.
Der Killer runzelte die Stirn.
,,Wie?"
Ich zuckte die Schultern.
,,Er hat behauptet zu wissen, warum ich meine Amnesie habe. Verrückt oder? Ich meine, ich bin ihm zuvor noch nie begegnet und er behauptet direkt alles über mich zu wissen. Außerdem meinte er, ich sollte hier niemanden vertrauen." antwortete ich.
Eyeless Jack schwieg einen Moment und ich fragte mich, was er in jenem Moment dachte, da sich sein Ausdruck verfinsterte.
,,Du hältst dich fern von ihm, verstanden?" sagte er schließlich und kurz war ich überrascht von dem Groll in seiner Stimme.
Was zum Henker.
Der braunhaarige seufzte kurz und schüttelte leicht den Kopf.
,,Sorry, ich sollte so nicht mit dir reden. Trotzdem solltest du dich von ihm fern halten."
Ich sah meinen Mentor an.
In mir keimte das seltsame Gefühl auf, dass er etwas vor mir verheimlichte.
Hatte Jeff vielleicht doch recht?
Waren alle Worte, die Eyeless Jack sprach nichts weiter als Lügen?
,,Weil er recht haben könnte?" fragte ich schließlich direkt.
Mein Mentor schwieg, schien nicht zu wissen, was er sagen sollte.
,,Ich sollte hier niemanden vertrauen, damit hat Jeff recht. Ich bin als Außenseiterin hierher gekommen, die nur dazu da ist um Doll als Gefäß zu dienen. Sobald sie ihren Körper zurück hat, werdet ihr mich umbringen." ergänzte ich und blickte ihn scharf an.
,,Warum sollte ich dir also trauen?"
Eyeless Jack hob eine Hand, als würde er mich von etwas abhalten wollen.
,,Eve, ich versuche dich hier so zu trainieren, damit du am Ende nicht getötet werden musst." meinte er.
Ich schnaubte leicht.
,,Wieso? Was hast du davon, wenn ich am Ende noch lebe?" fragte ich und fixierte ihn mit meinen Augen, wobei ich deutlich seine Nervosität bemerkte.
Ich berührte mit meiner Hand Delight, die immer noch in den Händen meines Mentors ruhte.
Augenblicklich nahm sie wieder die scharfe Gestalt einer Klinge an.
Ich führte die Hand des braunhaarigen Killers mit Delights Schneide zu meiner Brust, an die Stelle wo mein Herz saß und Blut durch meinen Körper pumpte.
Mein Blick ging direkt in seine leeren Höhlen.
,,Wenn du keinen guten Grund hast mich am Leben zu lassen, dann töte mich doch einfach hier und jetzt." sprach ich mit einem kalten und gleichgültigen Unterton, auch wenn in mir die Angst stieg.
,,Eve, spinnst du?" hörte ich Dolls Stimme, doch ich ignorierte sie.
Eyeless Jack schien wie gelähmt, doch so leicht würde ich nicht locker lassen.
Seine Hand fing an zu zittern, als die Klinge meine Haut berührte.
Ich würde es tun, wenn es sein musste.
Ich würde so lange weiter machen, bis die Klinge ganz in mir steckte.
Druck und Schmerz breitete sich aus, als die Spitze von Delight die Haut durchbohrte.
Heißes, flüssiges Blut floss aus der Stelle.
Ich biss die Zähne zusammen vor Schmerz, schob die Klinge dennoch weiter.
Zwei Zentimeter der 10 Zentimeter langen Klinge steckten bereits in meiner Brust.
Blut besprenkelte seine und meine Hand.
,,Hör auf!"
Dolls Stimme klang mehr wie ein ängstliches Wimmern, als ein Befehl.
,,Tu es." zischte ich zu Eyeless Jack und starrte ihn weiter ernst an.
Seine Hand zitterte wieder und von einen Moment auf den anderen schien er zu bemerken, was er da gerade tat.
Mit einem Ruck ließ er Delight los und mit einem dumpfen Aufprall auf den Boden fallen.
Blut lief aus der Wunde und befleckte das helle Oberteil, welches ich trug.
Die Flüssigkeit lief über meinen Bauch und kurz hatte ich das Gefühl, dass mir schwindelig wurde.
Es war so warm und nass.
Widerlich.
Eyeless Jack packte meinen Oberarm.
,,Hast du komplett den Verstand verloren?! Mich darum zu bitten dich umzubringen!" rief er zornig.
Zu meiner eigenen Überraschung zuckte ich unter seiner Wut nicht zusammen.
Viel mehr erkannte ich durch seine Wut etwas ganz entscheidendes.
Er konnte es nicht.
,,Du kannst mich nicht umbringen, nicht wahr? Du kannst es nicht!"
Er konnte es nicht, egal wie sehr er es wollen würde.
Von einem kannibalistischen Serienmörder hätte ich das niemals erwartet.
Er konnte es nicht!
Eyeless Jack atmete kurz durch, um seine Wut abklingen zu lassen.
,,Du solltest diese Wunde versorgen lassen." sagte er und ließ von meinem Arm ab.
Doch ich ließ nicht locker und hielt sein Handgelenk fest.
Ich war so weit gekommen und würde ihn jetzt ganz bestimmt nicht gehen lassen.
Nicht, bis er mir den Grund gesagt hatte, warum er mich nicht ermorden konnte.
,,Warum kannst du es nicht? Du tötest täglich Menschen, um an ihre Organe zu kommen, um dich zusättigen." hob ich an.
Ich kam ihm ein paar Schritte näher, bis wir uns wieder direkt gegenüber stand.
Nur wenige Zentimeter waren noch zwischen uns.
,,Ich hatte zwar eine schwere Essstörung, doch meine Organe würden dir sicher vorzüglich schmecken." ergänzte ich und sah, wie er kurz panisch wurde.
Jedoch fasste er sich schnell und befreite seine Hand aus meiner.
,,Es reicht, Eve. Meine Absichten gehen dich nichts an, auch wenn du meine Schülerin bist. Geh jetzt rein und kümmere dich um diese Wunde." sagte er in einer ziemlich ruhigen Stimme.
Ich erwiderte nichts, blickte ihn nur an.
Schweigend sah ich zu, wie sich mein Mentor umdrehte, Maske und Kapuze aufsetzte und schließlich in den Tiefen des Waldes verschwand.
Wohin auch immer.
Ich seufzte kurz und schüttelte den Kopf.
Dann hob ich Delight vom schmutzigen Boden auf und betrachtete die mit meinem Blut befleckte silberne Klinge.
Schmerz erfüllte meinen Brustkorb und ich realisierte nach und nach, dass ich mich beinahe selbst erstochen hätte, hätte Eyeless Jack sich nicht weiter gerührt.
,,Ich bin doch komplett bescheuert." murmelte ich vor mich hin.
Ich hatte es zu weit getrieben.
Das war doch krank.
,,Das kannst du laut sagen! Was fällt dir eigentlich ein?! Schätzt du dein eigenes Leben nicht wert?" grollte Doll wütend und erschien in ihrer glühenden Gestalt vor mir.
Ich ließ ihre Bemerkung unbeachtet, als etwas in mein Sichtfeld geriet.
Ich drehte den Kopf und kurz dachte ich, Eyeless Jack wäre wieder da, doch es war nicht mein Mentor.
Es war eine mir völlig unbekannte Person, die da am Gartenzaun stand und uns zu beobachten schien.
Ein Mann, etwas größer als Eyeless Jack, völlig gekleidet in Schwarz und Grau.
Glühende gelbe Augen hatten mich fest im Visier und augenblicklich stieg die Angst in mir.
,,Wer ist das?" fragte ich Doll, die ihre rosa Augen auf den fremden Mann richtete.
Sie antwortete nicht.
Sah ihn nur an.
Ich sah ebenfalls wieder zu dem Mann.
Der Wind der durch den Wald wanderte nahm zu und mit einem Wimpernschlag war die Person verschwunden.
Aufgelöst.
Einfach weg.
Als hätte sie dort niemals gestanden.
,,Geh jetzt deine Wunde versorgen." hörte ich Dolls klare Stimme.
Unsicher warf ich ihr einen Blick zu, doch ich gehorchte als ich feststellte, wie ernst ihr Blick war.
Ich wusste nicht warum, doch ich hatte das Gefühl, dass diese Begegnung mit der fremden Person nicht die letzte sein würde.
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