
17.
,,Du bist eine Schande für die Familie! Nichts als Abschaum! Du hast es nicht fertig gebracht dich umzubringen und jetzt muss ich mich mit dir quälen!"
Diese Worte waren alltägliche Gewohnheit im Haus der Person, die ich meine Tante nannte.
Sie war keine gute Frau.
Bösartig.
Ein Quälgeist, der nur sich selbst liebte.
Und das Geld, sowie die plastische Chirurgie.
Sie warf mit Beleidigungen um sich, wie mit Säure.
Diese trafen einen und verätzten einen Teil im eigenen Herzen.
Ich war seit meiner Kindheit in diesem Haus gefangen.
Doch nie war es so schlimm gewesen, wie nachdem ich aus der Klinik konnte und meine Amnesie bekam.
Nie.
Ich hätte wegziehen können, doch es gab keine freien Wohnungen in der Stadt und weiter weg wollte ich nicht.
Erst, als sie mich zu meinem Vater schickte, war ich frei.
Frei von ihr.
Frei von ihren Beleidigungen.
Und frei von den Schlägen, die immer wieder auf meiner Wange brannten.
Mein Onkel stand oft nur daneben.
Er schüttelte zwar den Kopf, doch er mischte sich nicht ein.
Nicht einmal, wenn mein Gesicht blau wurde.
,,Du weißt, dass ich ihr unterlegen bin und wenn ich mich wehre, es noch schlimmer wird. Ich weiß, dass du auf meiner Seite stehst. Also warum hilfst du mir nicht?" hatte ich ihn eines Abends gefragt, während ich ihn durch den Spiegel im Badezimmer ansah.
Mein Auge war umgeben von einem blauen Bluterguss.
Es war einer der Tage, an dem sie besonders frustriert war und ihren Zorn an mir ausließ, indem sie zuschlug.
Ich konnte mich nicht wehren.
Ich hatte es einmal versucht, doch dabei hatte sie mir gedroht, jemanden zu holen, der noch viel schlimmeres mit mir anstellen würde.
Viel schlimmeres.
Härtere Schläge, Vergewaltigung, möglicher Tod.
Also ließ ich es und steckte ihre Schläge ein.
,,Du musst es einfach aushalten. Irgendwann bist du weg, dann wird das auch in Vergessenheit geraten." hatte mein Onkel nur behauptet und mir einen Kühlakku gereicht.
Ich hatte daraufhin nichts erwidert.
Ich wusste nur:
Es war nicht in Vergessenheit geraten.
Die Stimme von Eyeless Jack brachte mich zurück aus meinen Erinnerungen und in die Realität.
,,Sie ist keine gute Person." meinte ich und lehnte mich gegen die Rückenlehne der Couch.
,,Sie verdient es nicht zu leben." hörte ich den Killer sagen.
Meine Augen weiteten sich kurz.
Sie verdiente es nicht zu leben?
War das wirklich wahr?
Sie hatte niemanden umgebracht.
Aber jemanden misshandelt.
Sie war meine Tante.
Sie war ein selbstsüchtiges Weib, verliebt in ihre eigene Schönheit und eifersüchtig auf die anderer.
Sie war doch Familie.
Konnte man so ein Biest wirklich als Familie bezeichnen?
Sie verdiente es zu leben.
Sie verdiente es nicht zu leben.
Ich schüttelte leicht den Kopf bei diesem Sturm meiner Gedanken.
Sie war meine Tante.
Ich konnte ihr unmöglich etwas anhaben.
Und ob es mir gefiel oder nicht, sie war die einzige, die ich noch von meiner Familie übrig hatte.
Das war...frustrierend.
Meine Mutter hatte mir nie etwas angetan und sie starb.
Warum hatte meine Tante das Recht noch am Leben zu sein?
Sie hatte mich geschlagen, mir gedroht, ihren Hass an mir ausgelassen.
Warum durfte sie noch leben?
Das war nicht fair!
,,Eve, entspanne dich. Du wirst sie eh nicht umbringen können, bevor dein Mentor nicht sagt, dass du bereit dazu bist." unterbrach Doll das Chaos in meinem Kopf.
,,Auch wenn ich es schon kaum erwarten kann, dich morden zu sehen"
Ein eiskalter Schauer lief über meinen Rücken.
Morden.
Das konnte ich unmöglich.
,,Ist alles okay?" hörte ich wieder die Stimme von Eyeless Jack.
Ich nickte zaghaft, auch wenn ich mir nicht so ganz sicher war, ob das stimmte.
,,Ich habe nur...nachgedacht." erwiderte ich.
Ein warmes Gefühl breitete sich in mir aus, als ich die Hand des braunhaarigen auf meiner Schulter spürte.
Ich drehte den Kopf und blickte direkt in sein Gesicht.
Sein warmer Atem streifte meine Wange.
Mein Herz fing an schneller zu schlagen, stieß fast schmerzhaft gegen meine Rippen.
Seine leeren Augenhöhlen schienen genau an meine Augen gewandt zu sein.
Tiefe.
Endlose schwarze Tiefe, die in meine Augen sah und jedes Detail zu beobachten schienen.
Den Glanz.
Die Müdigkeit.
Die Angst.
Der Sturm in ihnen.
Anders, als seine es waren.
Ein schwebendes Gefühl erfüllte meinen gesamten Körper, als er mit seiner Hand eine meiner blonden Strähnen aus meinem Gesicht und hinter mein Ohr strich, die Hand an meiner Wange ließ und näher kam.
Warme Impulse glitten durch die Stelle, an der seine Hand lag.
Mein Verstand war stumm, meine Gefühle unerklärlich.
Ich wusste nichts mehr.
,,Du solltest dich ausruhen gehen." hörte ich seine Stimme.
Ich blinzelte überrascht von seinen Worten und spürte einen glatten Gegenstand an meiner Hand.
Als Eyeless Jack seine Hand von meiner Wange nahm und ich den Kopf senkte, erblickte ich Delight.
Jetzt verstand ich gar nichts mehr.
All das, nur um mir zu sagen, dass ich mich ausruhen gehen sollte?
Der braunhaarige erhob sich und packte die Sachen aus dem Erste-Hilfe-Koffer zusammen.
Ich starrte auf eine Stelle vor mir und versuchte seine Gedankengänge zu verstehen.
Doch ich tat es nicht.
Ich verstand ihn nicht.
Ich verstand sein handeln nicht.
Und ich verstand sein Verhalten mir gegenüber nicht.
Er verwirrte mich.
,,Schlaf gut, Eve." sagte er noch und ich sah ihm nach, als er das Wohnzimmer verließ, um zu seine meigenen Zimmer zu sehen.
Ich erwiderte nichts, starrte ihm nur hinterher, ehe ich mich selbst erhob.
Langsam bewegte ich den Kopf, um diese merkwürdige Situation abzuschütteln.
Das war irgendwie seltsam gewesen.
Missmutig nahm ich Delight in meine Hand und beschloss ebenfalls in Zimmer zu gehen.
Ich berührte mit meinen Fingern leicht die Stelle, an der der Killer meine Wange berührt hatte.
Sie fühlte sich immer noch warm an.
Wohlig warm.
,,Warum hat er das getan?" fragte ich leise vor mich hin.
Dolls blasser Umriss löste sich aus meinem Kopf und erschien in ihrer Gestalt vor mir.
Die Wärme auf meiner Wange erstarb sofort, als die Frau ihre eiskalte Geisterhand darüber gleiten ließ.
,,Mach dir keinen Kopf. Jacks Taten sind oft unerklärlich. Er ist dein Mentor und du seine Schülerin, nicht mehr und nicht weniger." sprach sie mit einem Unterton kalt wie Eis.
Ich beschloss ihr zu glauben und diesen Moment aus meinem Gedächtnis zu verbannen.
Seine Taten waren unerklärlich.
Mit Delight in meiner Hand lief ich vom Wohnzimmer den Flur entlang zu meinem Zimmer und betrat den kleinen, dunklen Raum.
Alles war still.
Nur Draußen fegte ein kalter Wind am Fenster vorbei.
Ich ging auf das Fensterbrett zu und verschloss das Fenster, sodass niemand hinein oder hinaus klettern konnte.
Der silberne Mond war verdeckt von dunklen, schweren Wolken und nur einen Moment später fielen die ersten Tropfen gegen die Scheibe.
Ich wandte den Kopf zur Seite und blickte zu dem großen Spiegel.
Ich sah mich selbst.
Mich, eine junge Frau.
Ich ging ein paar Schritte auf den Spiegel zu.
Meine Augen waren trüb und wirr vor Müdigkeit.
Die Tiefe meiner blauen Augen wirkte wie die Tiefe eines Sees und riss einen in eine unendliche Dunkelheit mit.
In dieser Dunkelheit spiegelte ich mich wieder.
Im tiefen Schwarz meiner Pupillen.
Diese endlose Leere.
In ihnen schimmerte ein See aus Gefühlen.
Trauer.
Verwirrung.
Angst.
Und ganz tief im inneren, in der tiefsten Tiefe:
Hass.
Lodernd, wie eine Flamme.
Glühend rot, beißend und ätzend wie Säure.
Der Blick eines Mörders.
Schnell blinzelte ich.
Adrenalin schoss durch meinen Körper, durch meine Glieder und in Delight, deren scharfe, spitze Klinge ihrer Messer-Form ich in den Spiegel schlug.
Bedrohlich glänzend blieb die Schneide stecken und brach Risse in die glatte Oberfläche.
Ein kleiner roter Tropfen fiel auf den Holzboden und schnell wischte ich mit dem Daumen über den kleinen Riss an meinem Zeigefinger.
Meine Augen lagen auf Delight und den zertrümmerten Spiegel.
Ich war nicht die Person, die sich da in der Tiefe gespiegelt hatte.
Das konnte unmöglich ich sein.
Das durfte nicht ich sein.
Und trotzdem war ich es.
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