
16.
Keuchend kam ich am Haus der Creepypasta an und stützte mich mit der Hand gegen den Türrahmen.
Ich hatte es geschafft!
Ich war wieder hier!
Ich atmete tief durch, um mein rasendes Herz zu beruhigen.
Das war zu viel gewesen.
Diese Panik, die Angst, das Adrenalin.
Zu viel.
Ich drehte den Kopf und starrte in die Dunkelheit.
Was war mit Eyeless Jack?
,,Verdammt." fluchte ich leise und zog scharf die Luft ein, als die Wunde an meinem Oberschenkel wieder zu brennen anfing.
Ich legte eine Hand auf die Stelle, an der vertrocknetes Blut klebte und gleichzeitig bei jeder Bewegung neues nachlief.
Es brannte und zog höllisch.
,,Was soll ich jetzt machen?" fragte ich leise in meiner Verzweiflung.
Ich konnte unmöglich ins Haus gehen ohne zu wissen, ob Eyeless Jack den Polizisten entkommen konnte.
Vielleicht konnte er sie einen Moment ablenken und sich dann in Sicherheit bringen?
Oder vielleicht lag er auch irgendwo verletzt in der Kälte und würde erfrieren, wenn ihm niemand half?
,,Entspann dich, Eve. Er ist stärker und geschickter, als er aussieht." versuchte Doll mich zu besänftigen.
Doch ich konnte mich nicht entspannen.
,,Aber was, wenn die Polizei ihn ernsthaft verwundet hat? Was wenn-"
Ein Rascheln in den Büschen unterbrach mich.
Panik stieg in mir auf.
Hatte die Polizei es hierher geschafft?
Sollte ich die anderen warnen?
Würden wir jetzt alle erledigt sein?
Das silberne Mondlicht fiel auf Eyeless Jacks blaue Maske, als er aus den Büschen trat und
Erleichterung breitete sich in meinem Körper aus, sodass meine Knie weich wurden.
Er hatte es geschafft.
Der Killer erblickte mich sofort und wirkte auch ein kleines bisschen erleichtert.
,,Nun, ich habe mir das alles ganz anders vorgestellt." meinte er und berührte mit seiner Hand seinen verletzten Arm.
Sie hatte schon aufgehört zu bluten, sah dennoch ziemlich böse aus.
,,Ich glaube keiner von uns hätte sich das vorstellen können." erwiderte ich.
Eyeless Jack nahm seine Maske ab und zog seine Kapuze runter.
Er wirkte erschöpft und vielleicht sogar ein bisschen verängstigt.
Doch gleichzeitig auch erleichtert.
,,Wir sollten rein gehen und Slenderman Bericht erstatten. Danach versorge ich deine Wunde." sagte er.
Ich blickte ihn etwas überrascht an, da ich damit überhaupt nicht gerechnet hatte.
Und seine musste doch auch versorgt werden, oder nicht?
Ich raffte mich auf und folgte ihm rein ins Gebäude und war direkt noch ein Stück mehr erleichtert mich nun an einem halbwegs sicheren Ort zu befinden.
Eyeless Jack wandte sich an mich.
,,Gehe du schon mal ins Wohnzimmer. Ich sage Slenderman Bescheid."
Ich nickte und so trennten sich vorerst unsere Wege.
Ich nahm die Treppe nach Oben und er klopfte an die Tür zu Slendermans Zimmer.
Innerlich fasste ich den Entschluss zuerst nochmal in mein eigenes Zimmer zu gehen, um meine kaputte Hose auszutauschen.
Ich würde sie so oder so ausziehen müssen und mir wäre es unangenehm würde mein Mentor mich untenrum halbnackt sehen.
Mein Zimmer war angenehm warm, im Vergleich zu draußen.
Es fühlte sich gut an wieder in einer vertrauten Umgebung zu sein.
Dolls feiner Umriss erschien neben mir, während ich zu meinem Schrank ging und nach einer etwas kürzeren Hose suchte.
,,Das nächste Mal wenn ich euch sage, dass es gefährlich ist, kehrt ihr sofort um, verstanden?" tadelte sie mich.
Beinahe wie eine Mutter.
Ich nickte ihr zu.
,,Machen wir. Hoffe ich." erwiderte ich und wurde schließlich fündig.
Eine schwarze kurze Stoffhose, mehr als Schlafzeughose gedacht, anstelle einer Alltagshose.
Doch es würde gehen.
Ich zog die lange Hose vorsichtig aus, um meine Verletzung nicht zu berühren oder sogar noch zu verschlimmern.
Ich betrachtete meine Wunde genauer.
Sie sah wirklich fies aus.
Mehr wie ein Schnitt, als ein Schuss.
Trockenes Blut klebte um sie herum und man sah, wo meine Hose die Haut noch bedeckt hatte.
Frisches Blut lief weiterhin in kleinen Mengen aus der Verletzung und über mein Bein.
Ich nahm ein Tuch aus einer Taschentuchverpackung und wischte die kleinen Rinnsale weg.
,,So ein Mist." murmelte ich vor mich hin, zog schnell die Stoffhose über und richtete mich schließlich auf, um ins Wohnzimmer zu gehen.
Eyeless Jack würde mir helfen können mit dieser Wunde.
Dieser wartete tatsächlich schon auf mich im Wohnzimmer und hatte die benötigten Sachen auf dem Tisch ausgebreitet.
Eine Schale mit Wasser und einem Tuch, weitere weiße Stofftücher und Verbänden.
Sogar Nadel und Faden, was mich etwas erschaudern ließ.
Hoffentlich war die Wunde nicht so ernst, dass sie genäht werden musste.
,,Was hat der Slenderman gesagt?" fragte ich den braunhaarigen Killer.
Dieser seufzte, als wäre er erschöpft.
,,Ich habe zwei von diesen Leuten ausschalten können. Die Nachtgänger kümmern sich jetzt um den Rest. Slenderman gibt uns ein paar Tage, um uns zu erholen." erwiderte er und deutete auf den Platz auf der Couch neben sich.
Ich setzte mich neben ihn.
,,Das ist gut, oder?" fragte ich, da er ziemlich deprimiert wirkte.
Eyeless Jack nickte leicht.
,,Definitiv." meinte er nur.
,,Du wirkst nicht so." erwiderte ich.
Ich wollte wissen, was er wirklich dachte und warum er so unglücklich war.
Schließlich lebten wir noch.
,,Ich hab dich in Gefahr gebracht. Ein guter Mentor hätte gemerkt, dass diese Situation gefährlich war." sagte er.
Das war es also.
Ich schüttelte leicht den Kopf.
,,Du konntest nichts dafür. Schließlich hätte aus den Autos jeder aussteigen können. Dass es Polizisten waren, war Zufall." meinte ich, um ihn zu ermutigen.
,,Du verzeihst ihm ganz schön schnell. Er hätte fast für euren Tod gesorgt." murrte Doll.
Ich ignorierte sie.
,,Mir ist auch nicht aufgefallen, dass die Situation gefährlich war." ergänzte ich.
,,Doch ist es."
Am liebsten würde ich den Quälgeist in mir auf Stumm schalten.
Eyeless Jack schmunzelte.
,,Ich weiß, dass du lügst, Eve. Trotzdem, danke." sagte er und mein Herz fing an lauter zu pochen, als der braunhaarige mein verwundetes Bein auf seinem Schoß platzierte.
,,Entweder diese Polizisten waren grottenschlecht im Schießen oder sie wollten uns gar nicht treffen." meinte er, um ein anderes Thema anzuschneiden und betrachtete meine Wunde genauer.
Ich nickte leicht und versuchte meinen schnelleren Herzschlag zu ignorieren.
,,Sie waren fast so schlecht, wie ich." murmelte ich und zuckte zusammen, als der Killer die Wunde etwas auseinander zog.
Hatte er jetzt komplett die Fassung verloren?
Warum tat er das?!
,,Du lernst noch. Außerdem ist es schwerer Delight zu führen, als eine normale Pistole." erwiderte er.
Also war ich gar nicht schlecht?
Ich sah zu, wie der braunhaarige ein weißes Tuch mit etwas durchsichtigem beträufelte und es dann auf die Wunde presste.
Ich musste mich zusammenreißen nicht aufzuschreien vor Schmerz.
Desinfektionsmittel!
Brennender Schmerz durchfuhr mein Bein.
Heilige Mutter Teresa!
,,Tut es weh?" fragte Eyeless Jack so neutral, dass ich nicht so ganz wusste, ob er das ernst meinte.
Natürlich tat es weh, wenn er 99% Alkohol auf eine offene Wunde gab!
Ich verkniff mir diese Bemerkung und versuchte ruhiger zu werden.
,,Ja." gab ich nur als Antwort und biss leicht die Zähne zusammen.
Der Killer schmunzelte ein wenig.
,,Wenn du willst kannst du gleich meine Wunde versorgen und Desinfektionsmittel rauf machen. Wäre nur fair, nachdem ich dich hier so leiden lasse." erwiderte er.
Ich schnaubte nur leicht, musste jedoch ein wenig lächeln.
Eyeless Jack konzentrierte sich wieder auf meine Wunde.
Er wirkte dabei so ruhig und ernst.
Das Licht der Lampen leuchtete auf seine maronbraunen Haare und seine graue Haut.
Er war schon irgendwie attraktiv für einen Mörder.
Und genau das, ließ alles so irreal wirken.
Sein Aussehen.
Sein Verhalten mir gegenüber.
Das war so merkwürdig.
Eyeless Jack legte ein sauberes Tuch auf die Wunde und wickelte einen weißen Verband herum, den er mit weißen Klebeband fixierte.
,,In ein paar Tagen sollte es besser sein." meinte er.
Ich nickte leicht.
Er konnte das wirklich gut.
Kein Wunder, er wollte früher Medizin studieren.
Eyeless Jack zog seinen kaputten Hoodie aus.
Darunter trug er ein schwarzes Shirt mit weißer Aufschrift.
I will haunt your fucking dreams.
Das war irgendwie cool.
Was nicht so cool war, war die Wunde an seinem Oberarm.
Ein Streifschuss, wie an meinem Oberschenkel.
Ich desinfizierte meine Hände, bevor ich mir die Wunde genauer ansah.
Trockenes Blut hatte sie bereits etwas verschlossen und den Blutfluss gestoppt.
War Desinfektion überhaupt noch nötig?
,,Sie ist schon im Heilungsprozess." meinte ich.
Eyeless Jack blickte auf seine Wunde.
,,Dann wird Wasser genügen." meinte er.
Ich nickte, nahm eines der nassen Wattetücher und wischte das Blut drum herum weg, ohne die Wunde zu berühren.
,,Du bist so sanft." stellte er fest.
Ich blickte ihn verwirrt an.
,,Naja, so etwas tut in der Regel ja auch weh. Und dir unnötig Schmerzen zu verabreichen ist jetzt nicht wirklich meine Absicht." erwiderte ich und nahm ein anderes Tuch, um das Wasser zu entfernen.
Eyeless Jack schmunzelte.
,,Du müsstest mal sehen, wie Toby meine Wunden behandelt. Kein bisschen vorsichtig und meistens schmerzen sie danach mehr als zuvor." erklärte er, während ich ein trockenes Tuch nahm und es auf die Wunde legte, um es mit einem weißen Band zu umbinden.
So wie er es bei mir getan hatte.
,,Dann wirst du dir deine Wunden wohl zukünftig von mir versorgen lassen müssen." erwiderte ich und schmunzelte leicht, während ich wickelte und zum Schluss zwei weiße Klebestreifen auf den Verband klebte, damit er sich nicht wieder löste.
,,Sehr gern."
Ich spürte ein warmes Gefühl in mir aufsteigen und mein Herzschlag beschleunigte sich wieder.
Ich hatte so etwas noch nie gespürt.
Oder ich erinnerte mich nicht mehr daran.
,,Du scheinst viel über den Körper zu wissen. Weißt du zufällig auch etwas über psychologische Dinge?" fragte ich den braunhaarigen.
Vielleicht konnte er mir erklären, warum ich eine Amnesie hatte.
,,Ein bisschen, warum?" erwiderte er.
Ich setzte mich in eine bequemere Position und sah ihn an.
,,Ich habe eine Amnesie und kann mir nicht so ganz erklären, warum ich sie habe. Mir wird die ganze Zeit erzählt, ich wäre die Treppe runter gestürzt und hätte mir den Kopf angeschlagen aber wenn es wirklich so war, hätte ich den Sturz kaum ohne weitere Schäden überleben können. Jedoch war ich unversehrt, als ich aufgewacht bin." erklärte ich ihm mein Dilemma.
,,Eine Amnesie also." sagte er.
Ich hatte das seltsame Gefühl, als hätte er das bereits gewusst.
,,Es ist noch viel verrückter. Ich habe nur ein bestimmtes Jahr vergessen. Mein 18. Lebensjahr. Ansonsten kann ich mich an alles erinnern, was davor und danach war." ergänzte ich noch und hoffte so sehr, dass er mir dazu etwas sagen konnte.
Mein Mentor sah mich fragend an.
,,Ich hab leider nicht so viel Ahnung von Psychologie. Hast du mal mit einem Psychologen darüber geredet?" fragte er.
Ich schüttelte den Kopf.
,,Meine Tante hat das nicht zugelassen. Sie meinte, es wäre Geldverschwendung mich zu einem Psychologen zu schicken."
Meine Gedanken wurden trüb, als ich an meine Tante zurück dachte.
Die Zeit bei ihr war der Horror gewesen.
Aber nichts war so schlimm gewesen, wie die Zeit zwischen dem Beginn meiner Amnesie und dem Umzug meinerseits zu meinem Vater.
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