1.
Unzählige Bäume flitzten an der Fensterscheibe vorbei.
Die warme und dennoch trostlose Sonne schien durch das saftige Grün der Blätter und malte Lichtflecken auf den Boden des kleinen Wäldchens.
Es roch nach Sommer, Sonne und Gras.
Der Wind, der durch die die Blätter der Bäume zischte, verlor sich in der elenden Enge des Autos und spielte leicht mit meinen langen honigblonden Haaren.
Ich sah mit meinen tiefblauen Augen hinaus aus dem Fenster und auf die Bäume, die sich am Wegesrand erstreckten.
Mein Name war Eve Wisley und eigentlich hatte ich nie vor gehabt diesen Weg zu gehen.
Doch in den 20 Jahren, die ich schon auf dieser Welt war, hatte ich gelernt zu spüren, wenn mich jemand loswerden wollte.
Und genau das wollte meine Tante.
Sie war ein Biest, besessen von sich selbst und plastischer Chirurgie.
Nicht mal ihre drei Söhne liebte sie so sehr, wie die Spritzen und Nadeln, die die Ärzte ihr ins Gesicht steckten.
Und ihr Ehemann?
Dieser war nur dafür verantwortlich, das nötige Geld für die Operationen zu besorgen.
Nase richten, Lippen aufspritzen, Jawline verstärken, so sah ihr Schönheitsprogramm aus, angehängt an einer sehr teuren Diät aus Asien, wo sie am Tag nicht saß, sondern sich mit Säften fast zu Tode hungerte.
Angeblich war es effektiv, doch das bezweifelte ich stark.
Wenn sie so weiter machte, würde sie irgendwann in sich zusammenfallen, das stand fest.
Ich selbst hatte kein guten Start ins Leben.
Als ich zwei Jahre alt war, trennten sich meine Eltern, worauf ich mit meiner Mutter zu meiner Tante zog.
Meine Mutter starb zwei Jahre später wegen einem zu hohen Alkoholkonsum.
Ab diesem Moment war ich das schwarze Schaf in der Familie meiner Tante.
Für sie war ich nur noch Abschaum, ein Schatten, den sie widerwillig versorgen musste.
Mit 12 Jahren litt ich an einer extremen Magersucht, woran sich mit 13 Jahren eine Pillensucht angliederte.
Ich kam für fünf Jahre in eine Klinik, da ich immer wieder Rückfälle erlitt.
Es war eigentlich gut, schließlich musste ich meine Tante nicht ertragen, plus ich freundete mich mit meiner Zimmergenossin an.
Als ich dann mit 17 Jahren aus der Klinik konnte, lag der verhasste Blick meiner Tante nur noch schwerer auf meinen Schultern.
Wir hatten uns fünf Jahre lang nicht gesehen, ich kam in die Pubertät, wurde älter und erwachsener.
Ihr Hass galt also mehr meinem Aussehen, als meiner Persönlichkeit.
Das letzte Ereignis ereignete sich in meinem 19. Lebensjahr.
Durch einen dummen Fehler, fiel ich von der Treppe im Haus meiner Tante und schlug hart mit dem Kopf auf den weißen Fliesen auf.
Folge dieses Sturzes war Amnesie.
Ich vergaß das Jahr, indem ich 18 Jahre alt war.
Die Erinnerungen an dieses bestimmte Jahr verblassten einfach.
Ich konnte mich nur daran erinnern, dass ich frisch verliebt war und einen festen Freund hatte, doch sein Name und sein Aussehen waren wie weggeblasen.
Seltsamer Weise, war es nur dieses eine Jahr, welches ich vergessen hatte.
Es schien wie ein Fluch zu sein, der auf mir saß, so seltsam es auch klang.
Manchmal glaubte ich, ich würde mir das mit dem Sturz nur einreden.
Vielleicht war auch mein ganzes Leben nur ausgedacht, wegen der Amnesie.
Und vielleicht dachte ich mir auch die Morde aus, die in meiner Stadt geschahen.
Die Stadt war für die Morde schon fast berühmt.
Jeden Tag wurden neue Opfer im Fernsehen, Radio und in Zeitungen gemeldet.
Die Mörder waren eine große Gruppe an jungen Erwachsenen mit Erlebnissen, die sie dazu brachten andere Leute umzubringen, um ihren Rausch zu befriedigen.
Manchmal fragte ich mich, warum Menschen mordeten.
Hauptsächlich war es die Sehnsucht nach Rache, doch auch psychische Krankheiten trieben einen in einen gewaltigen Blutrausch und dem Verlangen etwas zu zerstören.
Manchmal reichte eine Vase dabei nicht.
Das leckende und tropfende Blut der Opfer schien oftmals der einzige Weg nach Ruhe zu sein.
Diese erwähnten Mörder nannten sich Creepypasta und wurden von einem grausigen Wesen, namens Slenderman dazu angetrieben Leute zu töten.
Die Geschichte von Slenderman und seinen Höllenengeln wurde bereits in den Grundschulen behandelt, da es immer noch Jugendliche gab, die als Mutprobe im Territorium von Slenderman Zelte aufschlugen und dafür mit ihrem Leben bezahlten.
Ich würde niemals auf solch eine verrückte Idee kommen.
Das Territorium von Slenderman wurde von einem großen dunklen Wald geschützt.
Irgendwo in diesem Wald stand eine alte Villa, in der die Creepypasta lebten.
Bei Tageslicht schien der Wald unberührt und ruhig, doch sobald es dunkel wurde, zog dichter Nebel auf und verfinsterte den Wald.
Zurück zu mir.
Ich zog nach jahrelanger Trennung und Verachtung endlich wieder zu meinem Vater, den ich leider kaum kannte.
Laut meiner Tante war er ein Vollidiot, der mit irgendwelchen Dingen experimentierte und dafür auch gerne mal lebende Versuchskaninchen verwendete.
Doch meine Tante mochte niemanden, weshalb ich auf ihre Meinung verzichtenkonnte und meine eigene bilden musste.
Er würde schon ein netter Typ sein, schließlich war er mein Vater und meine Freundlichkeit hatte ich sicher nicht aus der Familie meiner Tante.
Das einzige was ziemlich seltsam war, war dass mein Vater sein Haus so nahe am Wald von Slenderman hatte.
Vielleicht hatten sich meine Eltern deshalb getrennt.
Wahrscheinlich fühlte sich meine Mutter hier nicht sicher.
Das Auto fuhr nun an diesen besagten Wald vorbei.
Eine plötzliche Kälte füllte das Innere des Wagens und ein Schauer lief über meine Haut.
Man konnte ganz genau die Blicke der Mörder starren fühlen.
Sie lauerten hinter ihre Beute, bereit zu töten.
Es war ein unheimlich vertrautes Gefühl den Wald in seiner Fülle und Kälte zu sehen.
Es war fast wie ein Stich ins Herz, wenn einem klar wurde, dass man bei jeder kleinen Bewegung sterben konnte.
Diese Leute warteten nur auf einen Fehler, der ihnen erlaubte zu töten.
Seien es zwei Millimeter der Fußspitze über der Waldgrenze oder zu dichtes fahren vor dem Wald.
Sie achteten auf jedes winziges Detail und beobachteten einen, wie Wölfe ihre Schafsbeute.
Angst machte sich in mir breit.
Angst davor getötet zu werden.
Diese Angst lief mir schon Jahre lang hinterher.
Immer wenn ich allein war, sah ich mehrfach hinter mich, um Gefahren schneller zu entdecken.
Schon immer hatte ich Angst, dass plötzlich einer der Creepypasta hinter mir stehen und mich töten würde.
Mit dieser Angst wuchs jeder auf, der in der Stadt und in deren Umfeld lebte.
Die Angst vor dem absolutem Tod.
Auch jetzt spürte ich die hungrigen Blicke ins Auto starren.
Fremde Gesichter vor meinen Augen.
Es war angsteinflößend und die Stille war so Laut, wie ein Güterzug.
Meine Gedanken drifteten ihn eine völlig leere und schwarze Welt.
Der plötzliche Druck in mir verschnürte meinen Hals, ließ keine Luft in meine Lunge und sorgte für einen völlig schwarzen Blick.
Ein Ruck ging durch meinen Körper und brachte mich zurück in die Realität.
,,Wir sind da, Miss Wisley."
Zitternd drehte ich den Kopf zum Fenster und sah nach draußen.
Vor mir erstreckte sich ein langer Vorgarten mit abgenutztem Zaun und Kieselweg.
Am Ende des Weges stand ein altes, dunkles Haus mit zwei Stockwerken.
Dem dunkelgrauen Dach fehlten einige Dachziegel und ein Fenster war eingeworfen worden.
Irgendwie wirkte dieses Haus, wie aus einem schlechten klischeehaften Horrorfilm.
Fehlten nur noch die Leichen im Keller oder der Mörder, wie eine Spinne an der Wand krabbelnd.
Das würde mit Sicherheit auch noch kommen.
Ich atmete tief durch, um mein rasendes Herz zu beruhigen.
Es pumpte schneller als sonst das dunkelrote Blut durch meine Adern.
Der Fahrer des Autos drehte den Kopf zu mir.
Seine Stirn war runzelig, die Augenbrauen wuchsen fast zusammen und sein dunkler Bart sah ungepflegt aus.
Er roch nach Zigaretten und Schweiß.
,,Wollen Sie nicht aussteigen?" fragte er energisch.
Er wollte wahrscheinlich so schnell wie möglich weg von diesem Ort.
Ich nickte leicht mit dem Kopf.
,,Ich steig aus." erwiderte ich leise und griff mit der Hand nach dem Türgriff, um die Autotür zu öffnen.
Schon nach einem winzigen Spalt spürte ich wieder diesen Kälteschauer.
Es fühlte sich illegal an diesen trockenen ungepflegten Rasen zu betreten.
Dennoch tat ich es, schließlich hatte ich keine Wahl.
Der Rasen war so tot, dass man nicht mal einen Widerstand spürte, als man ihn betrat.
Es roch trocken und alt. Alles sah so leblos und einsam aus.
Ich stellte meinen roséfarbenen Trendmax Koffer neben mich und schloss die Autotür wieder, meinen Blick zum Gebäude gerichtet.
Ich bemerkte kaum, wie der Fahrer das Auto in der Einfahrt drehte und sich so schnell wie möglich wieder aus dem Staub machte.
Ich sah immer noch nur das Gebäude an.
Ich konnte mir kaum vorstellen hier mal gelebt zu haben.
Meine Mutter hätte niemals zugelassen, das der ehemalige Rosengarten so verstarb oder die Metallzäune verrosteten.
Die Apfelbäume hätten noch immer schöne reife Früchte getragen und eine Katze wäre um meine Beine geschlichen.
Doch das war nun nicht mehr möglich.
Die Bäume und der Garten, das ganze Grundstück, waren alle verloren.
Ich seufzte leise, als ich bemerkte, dass ich die ganze Zeit nur auf einer Stelle stand und das Haus anstarrte.
Ich sollte mich besser meinem Vater vorstellen, als durch die Gegend zu schauen, als wäre sie Gift.
Ich nahm meinen Koffer und ging auf den rostigen Zaun zu.
Die Zauntür quietschte so laut, dass man es sicher durch den ganzen Wald hören konnte.
Kein Wunder, der Wald war seltsam still.
Kein einziger Vogel zwitscherte in den Zweigen.
Die Kieselsteine knirschten leise unter meinen weißen Schuhen und unter den Rädern meines Koffers.
Ich sah mich im überwucherten Vorgarten um.
Auf einer ehemaligen gepflegten Wiese konnte ich eine verwachsene Schaukel erkennen.
Auf der anderen Seite erblickte ich ein völlig verschmutztes Gewächshaus.
Hätte mich nicht gewundert, wenn jemand dort drinnen Leichen versteckt hätte.
Mein einer Schuh trat gegen Holztreppe, die hoch zur Tür führte.
Ich betrachtete die Treppe.
Es sah so aus, als könnte sie auch nur bei der kleinsten Berührung zusammenbrechen.
Käfer und Würmer hatten sich ins Holz gefressen und sie völlig auseinander genommen.
Ziemlich gefährlich, wenn ihr mich fragt.
Vorsichtig setzte ich einen Fuß auf die erste Stufe, die sofort leise quietschte.
Ich biss die Zähne zusammen und verlagerte mein gesamtes Gewicht auf diese Stufe, ehe ich meinen anderen Fuß ebenfalls auf die Stufe stellte.
Ich brach nicht ein, ein Glück.
Mit einem etwas besseren Gefühl stieg ich die Holztreppe hoch zur Tür.
Diese bestand ebenfalls aus Holz und wurde nur von einem Gestell aus Metall gestützt.
Ein Türknauf aus rostigem Eisen zierte die Tür.
Eine alte kaputte Lampe befand sich über der Klingel, darunter ein staubiges verwischtes Namensschild.
Ich hob die Hand und drückte mit dem Zeigefinger gegen die Klingel.
Ein krisseliges unangenehmes Rauschgeräusch ertönte, wie bei einer alten staubigen Wohnung.
Zuerst dachte ich, dass mein Vater hier gar nicht mehr wohnte.
Wer wollte das auch?
Das Haus war dabei in sich zu zerfallen und auch der Garten war nicht mehr zu retten.
Doch ich schien mich zu irren, als ich ein lautes Rumpeln und Klacken im Inneren des Gebäudes hörte.
Eine Kette rasselte und schon wurde die Tür einen kleinen Spalt geöffnet, sodass man nur ein dunkelbraunes Auge heraus starren sehen konnte.
Das Auge musterte mich von oben bis unten.
,,Wer bist du und was willst du?" fragte eine murrende Männerstimme.
Mit diesem Satz waren alle meine Erwartungen gestorben.
Dieser Typ hinter der Tür war unfassbar seltsam.
Wer sah einen bitte so seltsam an?
Hatte meine Tante vielleicht doch recht?
,,Ich bin Eve, deine Tochter. Meine Tante müsste dir geschrieben haben." erwiderte ich etwas zögerlich.
War das überhaupt mein Vater?
Der Mann öffnete nun die Tür ein Stück weiter und betrachtete mich nochmals.
Sein skeptischer Blick rief in mir ein unsicheres Gefühl vor.
Nach einer Weile des peinlichen Schweigens, machte der Mann vor mir große Augen.
,,Stimmt, du bist Eve, Eve Wisley." sagte er wissend.
Dieser Satz klang ziemlich seltsam, da er das Wisley so komisch betonte.
Trotzdem nickte ich.
,,Ganz genau, meine Tante schickt mich, da sie anscheinend nicht mit mir klar kommt." erwiderte ich etwas nervös.
Der Mann, mein Vater, nickte.
,,Das kriegen wir sicher hin. Komm ruhig rein, sieh dich um, leb dich ein. Du kannst mich auch Papa nennen." meinte er und öffnete die Tür nun komplett.
Ja, nein, ich würde ihn definitiv nicht Papa nennen.
Ich wusste nicht so ganz, ob ich meinen Vater mochte oder nicht.
Er war so seltsam, trug einen Kittel mit dunkler und roter Farbe, hatte ranzige braune Haare und unheimlich leuchtende Augen.
Außerdem sprach er so komisch.
Trotzdem lächelte ich ihn an und betrat das alte Gebäude.
Der Holzboden knarrte leicht und überall lagen Gegenstände im Weg.
Wie konnte man nur so leben?
,,Es ist etwas unordentlich hier. Ich habe nicht mit deiner Ankunft gerechnet." stellte mein Vater fest und schloss die Tür hinter uns.
Verwirrt sah ich zu, wie er mit dem Schlüssel die Tür zuschloss, Riegel verschob und die Tür mit einer Kette versiegelte.
Das war so seltsam.
Mir gefiel das irgendwie gar nicht.
,,Ich zeige dir dein Zimmer." murrte mein Vater und ging an mir vorbei.
Sein Gang war schlapp und laut.
Er hatte die Hände in den Taschen seines Kittels und den Rücken etwas nach vorn gestreckt.
Mir kam sein Gang wirklich ziemlich unelegant vor.
Ich seufzte innerlich.
Irgendwie würden wir miteinander auskommen, ganz sicher.
Schlimmer als bei meiner Tante konnte es hier nicht werden.
Jedenfalls dachte ich das.
𖥸
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