7. Kapitel
7. Kapitel
«Es gibt natürlich verschiedene Zauber und so, die etwas Unsichtbares sichtbar machen können», überlegte George.
Im Flüsterton klärte ich die Zwillinge und Lee während des Zaubertrankunterrichts am nächsten Morgen über meine erfolglose Suche auf und auch Jessies Theorien darüber, weshalb wir nichts gefunden hatten – immer auf die Gefahr hin, das Snape unsere Unterhaltung mitbekam und uns Punkte abzog. Allerdings war er gerade damit beschäftigt, Melanie Cole herunterzuputzen.
«Wieso ziehen Sie eigentlich Seanorth und den Weasleys keine Punkte ab? Die schwatzen schon die ganze Stunde lang», beschwerte sich Cole.
Snape wirbelte zu uns herum und funkelte uns wütend an, wandte sich dann aber wieder zu Cole. «Fünf Punkte Abzug von Ravenclaw, Miss Cole. Niemand sagt mir, was ich zu tun habe. Und Sie vier», sagte er jetzt zu den Zwillingen, Lee und mir, «bleiben nach der Stunde hier.»
«Vielleicht sollten wir ihn nach einem Trank fragen, der uns Unsichtbares sehen lässt», schlug Fred grinsend vor, als Snape wieder abgelenkt war.
«Oh ja klar, und am Ende vergiftet er uns. Tolle Idee», moserte Lee.
«Das war ein Witz, Mann.»
Das Ende der Stunde kam viel zu schnell und wir trabten mit gesenkten Köpfen nach vorn zum Lehrerpult, während die anderen das Klassenzimmer verliessen.
Snape starrte uns an, als wären wir Schwerverbrecher. «Fünf Punkte Abzug von Gryffindor für jeden von Ihnen und bis nächste Woche will ich von jedem einen Aufsatz über die Anwendung von Alraunen in der Zaubertrankbrauerei auf meinem Schreibtisch sehen. Zwei Rollen Pergament. Verstanden?», schnarrte er. «Und wenn es wieder so eine Schlamperei ist, wie das, was Sie mir sonst fabrizieren, dann werden Sie diese Aufgabe so oft wiederholen, bis ich damit zufrieden bin.» Das würde wohl frühstens in einem Jahrhundert eintreten, wenn überhaupt.
«Und jetzt verschwinden Sie. Seanorth, Sie bleiben.»
Fred, George und Lee warfen mir mitleidige Blicke zu, machten sich dann aber aus dem Staub. Snape begann erst wieder zu sprechen, als die Tür hinter den dreien ins Schloss gefallen war.
«Planen Sie etwas für Samhain, Miss Seanorth?», fragte er und für einen Moment war ich völlig verwirrt. Wie kam Snape jetzt auf Samhain? Dann fiel mir ein, dass das ja schon in zwei Tagen war.
«Ähm ... bis jetzt habe ich noch nicht gross drüber nachgedacht, aber ich hatte schon vor, wieder ein Ritual abzuhalten ...» Samhain war für meine Ma immer das wichtigste der acht Sonnenfeste gewesen, weshalb sie besonders viel Wert auf dieses Ritual gelegt hatte. Und auch wenn ich nicht viel von meiner Ma hielt – jetzt noch weniger als früher – gehörte das Samhain-Ritual für mich einfach dazu.
«Gut. Dann werde ich Sie wieder begleiten. Ich treffe Sie nach dem Festmahl in der Eingangshalle.» Damit war ich entlassen und ich verliess das Klassenzimmer.
Auf dem Weg nach oben traf ich auf die anderen drei, die auf mich gewartet hatten und die sofort begannen mich darüber auszufragen, was Snape denn von mir gewollt hätte. Ich sagte nichts, denn wenn ich es getan hätte, hätte ich ihnen auch von letztem Jahr erzählen müssen und von den beiden Geistern, die aufgetaucht waren. Und auch wenn ich mir nicht sicher war, ob ich Snape mochte oder nicht, davon zu erzählen fühlte sich falsch an. Das ging niemanden etwas an.
Gemeinsam mit Halloween rückte auch das erste Quidditchspiel der Saison näher; es würde nur eine Woche nach Halloween stattfinden. Fred, George, Angelina und Alicia trainierten verbissen. Charlie nahm sein Team hart ran und drillte sie jetzt jeden zweiten Abend auf das Spiel gegen die Slytherins. Lee hatte mich dazu überredet, mir mit ihm zusammen die Trainings anzuschauen, die er fleissig kommentierte, um für seinen Einsatz als Stadionsprecher zu üben. Langsam ging er mir wirklich auf die Nerven damit, doch immerhin kannte ich dank ihm jetzt auch die Namen der letzten beiden Spieler von Gryffindor. Oliver Wood, ein Viertklässler, war der Hüter und einer von Charlies Freunden, ein Siebtklässler namens Paul Higgins, war der Sucher der Mannschaft.
Am Morgen von Halloween – einem Samstag – Durchschnitt beim Frühstück ein lautes Kreischen die Luft, dass ganz und gar untypisch für eine Eule war. Theo, mein Mäusebussard, den mir Ma anstatt einer Eule geschenkt hatte, kam unter den bewundernden Blicken einiger Erstklässlern zu mir geflogen, liess den Brief, den er bei sich trug, wie gewohnt in meine Müslischale fallen und schlang drei Würstchen herunter, bevor ich ihn überhaupt begrüssen konnte.
«Bist wohl ziemlich hungrig, was?», sagte ich zu Theo und strich über sein weiches Gefieder. «Ich sollte dir öfters was vorbeibringen. Immerhin hat Ma gesagt, dass du deshalb eingewilligt hast, bei uns zu bleiben, nicht?» Eigentlich war es ziemlich albern mit einem Vogel zu sprechen; auch wenn ich manchmal den Eindruck hatte, dass Theo mich verstand. Jetzt jedenfalls schmiegte er seinen Kopf an meine Hand und liess einen leisen, zufriedenen Laut von sich hören, der verdächtig einem Miauen glich.
Ich fischte den Brief aus meinem Müsli und öffnete den Umschlag. Wie so oft fand ich darin gleich zwei Schreiben. Der erste Brief kam von meiner Freundin Joanne, die wieder einmal allerlei von ihrer Schule zu erzählen hatte. Ich war wirklich froh, dass ich ihr im Sommer die Wahrheit über Hogwarts erzählt hatte, denn jetzt musste ich ihr in meinen Briefen nichts mehr verheimlichen und zudem war unser Briefwechsel seither viel regelmässiger und interessanter geworden. Der zweite Brief kam – wie konnte es anders sein – von meiner Mutter. Da es doch recht seltsam gewirkt hätte, wenn plötzlich ein Mäusebussard in Joannes Schule aufgetaucht wäre, schickte ich die Briefe immer an Ma, die sie dann mit der Post weiterleitete. Mit Joannes Briefen handhabten wir es genauso: Joanne schickte ihre Briefe per Post an Ma und diese schickte Theo mit den Briefen zu mir.
Der Brief meiner Ma war nur kurz; wie all ihre Briefe in letzter Zeit. Es störte mich nicht. Ehrlich gesagt wäre es mir lieber gewesen, wenn sie mir überhaupt nicht geschrieben hätte.
Liebe Adrienne
Ich hoffe dir geht es gut. Ich würde wirklich gerne von dir hören. Bitte schreib mir.
Ich hab' dich lieb
Ma
PS: Ich wünsche dir eine besinnliche Samhain-Nacht.
Sie hatte mich lieb, ja klar. Wieder blitzte das Bild von meiner Mutter vor meinen Augen auf, wie sie da blutbespritzt in unserem Flur gestanden hatte, das Schwert an ihrer Seite. Dieses Bild verfolgte mich immer noch in meinen Albträumen. Genau wie ihre Worte, die sie später an diesem schrecklichen Abend zu mir gesagt hatte: Die Drohung, ja niemandem von all dem zu erzählen. Nein, dieser Frau würde ich nicht schreiben, egal wie sehr sie mich darum bat.
«Und, was macht ihr heute so den ganzen Tag?», fragte ich meine Klassenkameraden.
«Trainieren», kam es unisono von Fred, George, Angelina und Alicia.
«Charlie treibt uns an, als würde unser Leben von einem Sieg gegen die Slytherins abhängen», sagte Angelina.
«Natürlich», kam es von Oliver Wood, der gerade bei uns vorbeikam und Angelinas letzte Worte mitbekommen hatte. «Alle neuen Spieler, die in ihrem ersten Spiel eine Niederlage einfahren, werden gelyncht. Habt ihr das nicht gewusst?»
Nach dem Frühstück machten sie sich auf den Weg zum Quidditchfeld und Lee ging mit ihnen, um sich wieder als Stadionsprecher zu üben. Mittlerweile hatte er eine weit willigere Zuhörerin gefunden als mich: Katie Bell, die in letzter Zeit weniger mittrainierte, weil Charlie seine Mannschaft für das bevorstehende Spiel perfekt aufeinander abstimmen wollte.
Von meinen Freunden verlassen ging ich in die Küche, wo ich etwas Essen und einen Krug Holunderwein für mein Samhain-Ritual erbat und die Hauselfen boten an, es direkt zu dem flachen Stein unter dem Holunderbaum zu bringen, wo ich bereits letztes Jahr das Ritual abgehalten hatte. Also verliess ich die Küche mit leeren Händen – die Taschen allerdings mit Keksen gefüllt – und machte mich auf den Weg zu besagtem Holunderbaum, der in einem kleinen Hain auf dem Schlossgelände stand. Der Hain gehörte nicht zum Verbotenen Wald und so war es nicht verboten, ihn zu betreten. Ich duckte mich unter den tiefhängenden Ästen der Bäume durch und kam schliesslich beim Holunder an. Mit dem flachen Stein, der vor ihm ruhte, war dieser Platz wie für solche Rituale geschaffen, fast so, als ob dass der Grund war, weshalb Stein und Baum hier waren. Ich legte meine Hand auf die raue Rinde des Baums und atmete den vertrauten Holunderduft ein. Ma hatte immer gesagt, dass Holunder negative Energien anziehe, sie aufnähme und dann durch seine Wurzeln hinab in die Erde ziehe, wodurch das Übel aus der Welt verschwand. Ausserdem hatte Holunder eine Menge heilender Eigenschaften. Aus diesen beiden Gründen war es früher üblich gewesen, bei Häusern einen Holunderbaum zu pflanzen. In unserem Garten hatte Ma auch einen Holunder gepflanzt. Bei diesem hatten wir unsere Samhain-Rituale abgehalten.
Hier konnte ich nichts weiter vorbereiten, der Platz war perfekt so wie er war, und so tauchte ich wieder unter den Ästen hindurch aus dem Wäldchen auf. Am anderen Ende des Hains traf ich auf Professor Kesselbrand. Er hockte in der Nähe der Hütte, in der sich sein Büro befand, auf einem Baumstamm und verarztete einen Bowtruckle. Ich winkte dem Lehrer für Pflege magischer Geschöpfe kurz zu, bevor ich meinen Weg über das Gelände fortsetzte. Recht ziellos folgte ich dem Ufer des Sees und genoss es, einfach wieder einmal draussen zu sein und den frischen kühlen Herbstwind um meine Nase zu haben. Schliesslich wühlte ich in den Taschen meines Umhangs nach dem Walkman und setzte die Kopfhörer auf. Ich liess mich von der Musik einlullen, während ich immer weiterlief.
Irgendwann hatte ich den See umrundet und pilgerte ziellos über das Schlossgelände. Als ich an Hagrids Hütte vorbeikam, sah ich den Wildhüter, wie er sich in seinem Garten mit Riesenkürbissen abmühte. Ich nahm meine Kopfhörer ab.
«Sind die für's Fest, Hagrid?»
Der Wildhüter sah auf. «Hallo Adrienne, schön dich mal wieder zu seh'n. Ja, die sin' für's Fest heute Abend.»
«Kann ich dir irgendwie helfen?»
Hagrid sah mich an und lächelte. «Ja, wenn de so fragst .... Könntest mir vielleicht helfen, die Kürbisse hoch ins Schloss zu bring'n, mit Wingardium Leviosa oder so. Ich darf ja leider nicht zaubern. Also, wenn's dir nichts ausmacht.»
Zum Abendessen war die Halle wie immer festlich geschmückt und ich war stolz auf mich, dass ich dieses Jahr hatte mithelfen können. Professor Flitwick war zwar ziemlich überrascht gewesen, als er mich zusammen mit Hagrid und den Kürbissen angetroffen hatte, hatte mich aber sofort eingespannt und jetzt beherrschte ich einen Zauber, mit dem man Kürbisse zu perfekten Kürbislaternen schnitzen konnte. Ich hatte mich auch am Heraufbeschwören von Fledermäusen versucht, war dabei aber gescheitert, wenn man mal von Snape absah, der meine erfolglosen Versuche mit einem hämischen Lächeln beobachtet hatte. Besonders stolz war ich darauf, dass Professor Flitwick auf meinen Vorschlag, die Halle auch mit Holunderzweigen zu dekorieren, eingegangen war und so waren jetzt auf den Tischen Holunderzweige verteilt und an den Wänden hingen Zweige und Beeren. Zudem hatte ich die Hauselfen überreden können, zum Essen anstatt Kürbissaft Holundersirup zu servieren. Das war nicht besonders schwierig gewesen, da mir die Elfen nichts abschlagen konnten. – «Natürlich, Mylady, das machen wir doch gern.» – Allerdings war ich mir nicht sicher, ob die Hauselfen die Lehrer über diese Änderung im Speiseplan informiert hatten.
Als das Portal der grossen Halle geöffnet wurde und die Schüler hereinströmten, gab es einige, die die Holunderzweige bemerkten und sich fragten, was es damit auf sich hatte, doch sie nahmen die Erweiterung der Deko gerne an. Einzig der Fette Mönch, der Hausgeist von Hufflepuff, war nicht sehr begeistert und murmelte etwas von heidnischen Bräuchen und Ketzerei.
Dumbledore eröffnete das Festmahl und das Essen erschien. Als die Schüler dann nach den Krügen griffen, um sich einzuschenken und ihre durstigen Kehlen zu befeuchten, waren sie doch einigermassen irritiert, als sie anstatt des erwarteten Kürbissafts, ein dunkelviolettes Getränk vorfanden. Nachdem sich dann die mutigsten getraut hatten, das Getränk zu probieren und es für gut befunden hatten, schlossen sich ihnen auch die anderen Schüler an. Nur wenige hatten etwas an meiner kleinen Änderung im Speiseplan auszusetzen.
Ich spürte jemandes Aufmerksamkeit auf mir ruhen und drehte mich nach meinem Beobachter um. Dumbledore hatte seinen irritierenden blauen Blick auf mich gerichtet. Er zog eine Augenbraue hoch und sah dann auf seinen Trinkpokal, dann lächelte er amüsiert. Er hob seinen mit Holundersirup gefüllten Trinkpokal und prostete mir zu.
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