26. Kapitel
Nach Professor Hufflepuffs emotionalem Ausbruch, hatten wir beschlossen, für diesen Abend keine weiteren Verhöre durchzuführen. Stattdessen sassen meine Klassenkameraden und ich zusammen mit drei der fünf Gründer von Hogwarts in Professor Slytherins Wohnzimmer auf Sofas und in gemütlichen Sesseln. Eigentlich hatten wir nur an einem etwas gemütlicheren Ort zusammensitzen und unsere Erkenntnisse austauschen wollen, aber dann hatte ein Hauself Tee und Kekse gebracht und irgendwann hatten Gryffindor, Slytherin und Hufflepuff angefangen von Finëa zu erzählen, kleine Anekdoten aus ihrer gemeinsamen Zeit. Elaine, Xameria, William, Kaspar und ich lauschten gespannt und lachten mit den drei anderen. Besonders amüsant fand ich Gryffindors Erzählung, wie er sich nach seiner Rettung durch Finëa darüber echauffiert hatte, ausgerechnet von einer Frau gerettet worden zu sein. Daraufhin hatte Finëa ihm den Kopf zurechtgerückt und in einem Schwertkampf bewiesen, dass Frauen um einiges mehr konnten, als Gryffindor es dem anderen Geschlecht zugestand. Dass Finëa eine Fey war und es vor allem ihre übermenschliche Stärke und Schnelligkeit war, die ihr im Kampf gegen Gryffindor einen entscheidenden Vorteil gegeben hatte, hatte diese selbstverständlich erst viel später verraten.
Erst spät am Abend kamen wir – begleitet von Gryffindor, da es inzwischen schon nach der Sperrstunde war – in unseren Gemeinschaftsraum über der grossen Halle zurück und schlichen uns leise in unsere Betten.
In dieser Nacht träumte ich wirr. Erst sass ich wieder mit den Gründern und meinen Klassenkameraden in Slytherins Wohnzimmer, dann veränderte sich der Raum plötzlich. Erst war ich verwirrt, dann erkannte ich den Raum plötzlich als das Wohnzimmer zuhause in London in meiner eigenen Zeit wieder. Die Gründer und die vier Finjarelles sahen sich verwirrt um und gaben verstörende Kommentare zum Radio, dem Fernseher und der Soundanlage ab, die sich in unserem Wohnzimmer befanden, dann verwandelten sich plötzlich alle in Schafe, die wie wild auf der Polstergruppe herumsprangen – für einen Moment hatte ich lebhaft meine Ma vor Augen, wie sie mich immer ausgeschimpft hatte, wenn ich als Kind auf den Sofas rumgesprungen war – dann waren die Schafe plötzlich weg und ich stand allein mit meiner Mutter im Raum. Diese nahm mich allerdings gar nicht wahr, sondern starrte mir tränennassen Augen auf einen Bilderrahmen in ihren Händen. Es war ein Bild, das mich als Kleinkind zeigte: Ich sass im Hochstuhl am Esstisch, vor mir ein Stück Kuchen mit einer Kerze drauf. Auf beiden Seiten neben mir kauerte je eine Frau, so dass unser aller Gesichter auf einer Höhe waren. Links von mir war meine Ma, ich erkannte sie deutlich an den braunen Locken und den schrägstehenden, grünen Raubkatzenaugen. Etwas verwirrend waren die spitzen Ohren, die zwischen ihren Haaren hervorlugten, und die ebenfalls spitzen Zähnen, die beim Lächeln gut zur Geltung kamen. Auf einmal war sie deutlich als Fey zu erkennen. Die Frau auf meiner anderen Seite erkannte ich im ersten Moment nicht. Sie hatte ebenfalls einen Lockenkopf, nur dass ihre Haare rot waren wir meine. Ihre Augen waren genauso grün wie die meiner Ma, standen allerdings nicht schräg. Als ich dann plötzlich begriff, wen ich da sah, war ich noch verwirrter. Was hatte Lily – die Lily von Professor Snape, die uns an Samhain jeweils aufsuchte – auf einem Kinderbild von mir zu suchen? Meine Ma seufzte und liess das Bild sinken, während sie nachdenklich in die Ferne schaute. Die Frau, die vor mir stand, hatte anders als die auf dem Foto weder spitze Ohren noch spitze Zähne, sie war einfach nur meine Ma, auch wenn sie Kettenhemd und Lederwams trug und ein Schwert an ihrer Seite wie Finëa und Gryffindor es jeweils taten, wenn sie uns im Schwertkampf unterrichteten. Dann stand ich plötzlich im Gemeinschaftsraum der Finjarelles. Er war leer, wie ausgestorben und ich sah mich suchend nach meinen Hausgenossen um. Neben einigen Sofas sah ich Elaine und William – in ihrer menschlichen Form nicht in ihrer Schafgestalt – die neugierig auf ein paar andere Leute hinabsahen, die dort zusammensassen. Elaine drehte sich zu mir um und winkte mir zu. Langsam trat ich näher.
«Die sind schon ewig lange hier», erklärte William, der neben mich getreten war. «Ich verstehe nicht, was die hier machen. Das ist doch unser Gemeinschaftsraum und sie dürften gar nicht hier reinkommen.»
«Sie vermissen jemanden», erklärte Elaine und sah nachdenklich auf die anderen hinab.
Ich betrachtete die kleine Gruppe genauer und erschrak, als ich Jessie, Cedric, Fred, George und Charlie erkannte. Allesamt hatten düstere und bedrückte Gesichter aufgesetzt.
«Wir müssen Adrienne endlich finden», erklärte Charlie. «Bitte Finëa, nur ein einziger kleiner Hinweis», sagte er flehend zum Gemälde, das über dem Kamin im Gemeinschaftsraum hing.
«Ich frage mich schon die ganze Zeit, wo dieses Gemälde so plötzlich herkommt», meinte William zu mir. «Das hab' ich noch nie gesehen.»
Währenddessen schüttelte die Finëa im Gemälde den Kopf. «Adrienne wird zurückkommen», beschied sie meinen Freunden wenig hilfreich.
Dann war ich plötzlich in Dumbledores Büro, wo sich vor dem Schreibtisch des Schulleiters meine Ma und Finëa gegenüberstanden. Die beiden Fey hatten beide einen wütenden Blick aufgesetzt und die Arme vor der Brust verschränkt und wirkten wie ein Spiegelbild der anderen. Nur Haar- und Augenfarbe, die Form der Ohren und Zähne und die Narbe auf Finëas Wange unterschieden sie voneinander.
«Adrienne wird zurückkommen», sagte Finëa wieder, was meine Mutter mit einem verärgerten Schrei quittierte.
Dumbledore sass währenddessen hinter seinem Schreibtisch und beobachtete die beiden Frauen mit einem verhaltenen Schmunzeln. Ob er vielleicht wusste, wo ich war?
«Jetzt sitz nicht einfach sinnlos da rum, sondern hilf mir, etwas aus diesem wenig hilfreichen Geist herauszubekommen, Al!» schnauzte meine Mutter den Schulleiter an.
Als ich am nächsten viel zu früh Morgen aufwachte, fühlte ich mich wie gerädert und ich hatte höllische Kopfschmerzen. Die Schulheilerin verschrieb mir einen Heiltrank und schickte mich danach zum Frühstück in die grosse Halle, wo ich immer noch viel zu früh dran war. Es waren erst eine Handvoll Schüler anwesend und einige der Lehrer, die den Sonntag wohl nutzen wollten, um den Unterricht für die kommende Woche vorzubereiten. Ich setzte mich an den Finjarelletisch neben einen muffeligen Sechstklässler, den ich aus den nächtlichen Zusammenkünften mit Finëas kleinem Zirkel kannte. Er grummelte ein verschlafenes «Guten Morgen» und bat mich dann, ihm die Milch rüber zu reichen; das war es dann mit der Kommunikation.
Etwas später sah ich, wie Helena Ravenclaw zusammen mit einigen ihrer Hausgenossinnen die grosse Halle betrat und ich sprang auf, um sie abzufangen. Helena wirkte genauso verschlafen wie der Sechstklässler aus Finjarelle und erklärte mir genervt, dass sie überhaupt keine Lust hatte, auch am Sonntag in aller Herrgottsfrühe aufzustehen um zu lernen – auch nicht, wenn die Abschlussprüfungen bald anstanden und es für sie in diesem Jahr schliesslich um den Schulabschluss ging und ihre Noten deshalb die besten sein mussten, damit sie auch würde Studieren dürfen.
«Ich habe einfach genug von dieser ganzen Lernerei. Meine Mutter verlangt immer von mir, die Beste in allem zu sein, nur weil sie das auch ist. Dabei hat sie es einfach: Sie kann einfach ihr Diadem aufsetzen und schon ist sie unheimlich klug. Das ist doch einfach nicht gerecht», motzte sie, während sie wütend nach einer Teekanne griff und die heisse Flüssigkeit über den halben Tisch verschüttete.
Etwas zögerlich setzte ich mich neben sie an den Ravenclawtisch. Als niemand etwas dagegen sagte, liess meine Anspannung etwas nach und ich wandte mich wieder Helena zu. «Was ich dich eigentlich schon die ganze Zeit fragen wollte ... dieser Brief, den ich dir von Fin-, also Professor Finjarelle gebracht habe, was stand da genau drin? Also über mich?»
Helena seufzte, schenkte dann eine zweite Tasse Tee ein und schob diese mir zu. Sie hatte sich wohl damit abgefunden, dass sie mich nicht mehr so schnell loswerden würde. «So einiges, wenn ich ehrlich sein soll, tatsächlich ging es im grössten Teil um dich. Finëa hat mir geschrieben, wer du bist; dass du», verstohlen sah Helena sich um und senkte dann ihre Stimme, «dass du aus der Zukunft kommst, um den Mord an ihr aufzuklären.»
«Und ... findest du nicht, dass das ziemlich verrückt klingt?», fragte ich verunsichert.
«Ja und wie, aber ich vertraue Finëa; und wenn sie dir vertraut hat, dann vertraue ich dir ebenfalls», sagte sie jetzt leichthin und machte sich über ihren Toast her.
«Und dass, dass ich keine Fey bin? Hat sie das in dem Brief noch etwas weiter ausgeführt?», hakte ich nach und sprach den Punkt an, der mich seit Tagen beschäftigte.
«Nein, das hat sie nicht. Sie hat wirklich nur geschrieben, dass ich dir sagen soll, dass du keine Fey bist. Sonst nichts. Was genau sie damit meint und wie sie zu dieser Aussage gekommen ist, kann ich dir leider nicht sagen.»
«Hm», machte ich und für eine Weile herrschte Stille zwischen uns, während ich an meinem Tee nippte und über meine nächste Frage nachdachte. «Was stand eigentlich sonst noch in dem Brief?»
Helena verdrehte die Augen. «Das habe ich dir doch schon gesagt: Finëa hat mir erzählt, wer du bist, woher du kommst und weswegen du hier in Hogwarts bist.»
«Und sonst stand da nichts?»
Nun verengten sich ihre Augen zu Schlitzen. «Was sonst noch da stand geht dich nichts an!», fauchte sie, stand auf und verliess die grosse Halle. Ihre Freundinnen blickten verblüfft zwischen ihr und mir hin und her.
Helenas Reaktion irritierte mich. Wieso hatte sie mich wegen dieser Frage gleich so angefahren? Sie hätte ja auch in anständigem Ton sagen können, dass mich das nichts anging. Ah, zu gerne hätte ich einmal einen Blick in diesen Brief geworfen ... Wenn Fred und George jetzt hier wären ... die beiden hätten bestimmt eine Idee, wie sich das bewerkstelligen liesse. Hmm. Ich erinnerte mich an den Einbruch in Dumbledores Büro anfangs Schuljahr ... wo der Gemeinschaftsraum der Ravenclaws war wusste ich ja auch und so könnte ich den Adlertürklopfer umgehen, der mich so auch nicht verraten konnte ...
Als meine Freunde später in die grosse Halle kamen und sich zu mir setzten – ich hatte inzwischen wieder an den Finjarelletisch zurückgewechselt – erzählte ich ihnen von meinem Plan. Elaine war alles andere als begeistert und auch Kaspar war dagegen, in ein anderes Hogwartshaus einzubrechen, doch Xameria war sofort Feuer und Flamme und Williams Augen nahmen ihr dryadisches Giftgrün an, wie immer, wenn er aufgeregt war. Oder verärgert, aber seinem Gesichtsausdruck nach war es heute ersteres. Sogleich streckte ich mit den beiden die Köpfe zusammen und wir begannen, einen Plan auszutüfteln, wann und wie wir am besten in den Gemeinschaftsraum der Ravenclaws gehen sollten.
«Nun, ehrlich gesagt, das mit den Besen ist zwar eine tolle Idee», sagte Xameria, «aber wenn wir tagsüber da rauf fliegen, ist das ziemlich auffällig, und nachts ... naja, das ist nicht so wie mit dem Schulleiterbüro, wo euer Plan definitiv sehr gut war, Adrienne, aber du hast vergessen, dass das Büro leer war, während in Helenas Schlafsaal Leute schlafen.»
«Was schlägst du dann vor? Sollen wir einfach mitten am Tag dort rauf gehen, an die Tür klopfen und, falls wir an dem magischen Türklopfer vorbeikommen, einfach in den Gemeinschaftsraum hineinspazieren? Den Ravenclaws wird doch sofort auffallen, dass wir aus einem anderen Haus sind», hielt ich dagegen.
«Wir müssten uns natürlich Ravenclaw-Umhänge besorgen – was allerdings kein Problem ist, wir können einfach die Hauselfen fragen, die helfen uns sicher. Schwieriger wird es dann, wenn wir unser Aussehen verändern», zählte Xameria auf und verzog nachdenklich das Gesicht.
«Unser Aussehen verändern? Du meinst etwa so?», fragte William und seine Züge verzerrten sich bis sie ihr dryadisches Aussehen annahmen.
«Perfekt», sagte Xameria und deutete auf William, der ganz schnell wieder er selbst wurde.
«Wieso perfekt? Wir beide können schliesslich nicht einfach eine andere Gestalt annehmen», fragte ich verständnislos.
«Nun, wir beide halten uns einfach im Hintergrund und lassen William sprechen. Die Ravenclaws werden weder sein Gesicht noch seine Stimme wiedererkennen», führte Xameria aus.
«So weit, so gut, aber was soll ich ihnen sagen?», fragte William.
«Sag, dass du ... Helena hat dich geschickt, um etwas für sie aus ihrem Schlafsaal zu holen. Oder eine ihrer Freundinnen. Oder jemand hat dich gebeten ... Ja! Ich hab's! Ein heimlicher Verehrer hat dich gebeten, Helena ein Geschenk auf ihr Bett zu legen», sagte ich und sah siegessicher in die Runde.
«Aber warum sollten die mich mit euch in ihr Zimmer gehen lassen? Ich bin schliesslich ein Junge.»
«Naja», sagte ich und schob mich unruhig auf der Bank hin und her, «wenn du eine Dryade bist, dann ist das nicht so eindeutig zu erkennen ...»
Xameria kicherte bei meinen Worten und William sah uns beide finster an. «Ja, reibt mir ruhig unter die Nase, dass ich als Halb-Dryade nicht männlich genug bin. Danke, das weiss ich schon.
«So war das doch gar nicht gemeint!», versuchte ich zurückzurudern.
«Genau, du bist uns wirklich genug männlich, zumindest wenn du noch etwas selbstsicherer wirst», ergänzte Xameria und wartete neugierig auf Williams Reaktion.
«Ihr seid beide so doof», meinte er darauf hin. «Aber gut, ich mach's. Wobei ... eigentlich müssen wir ja gar nichts sagen, wir können einfach in den Gemeinschaftsraum gehen, ihr beide haltet euch in meinem Schatten, so dass die Leute nur mich in meiner Dryadengestalt sehen, wenn sie zu uns schauen, und wir gehen einfach in Helenas Schlafsaal und schnappen uns den Brief. Die Geschichte brauchen wir nur zu erzählen, wenn uns jemand fragt, was wir dort zu suchen haben. Allerdings wäre ich sehr dafür, wenn wir dafür sorgen können, dass es nicht dazu kommt. Zumindest Helena und die anderen aus ihrem Schlafsaal sollten uns besser nicht zu Gesicht bekommen.»
«Kein Problem, wir werden uns etwas ausdenken, damit sie beschäftigt sind», versicherte ich.
Danach wurde es für Elaine und mich Zeit, zu Professor Slytherin zu gehen, um mit ihm die letzten Verhöre durchzuführen. Es blieben jetzt nur noch Professor Ravenclaw und Professor Tenther. Auf dem ganzen Weg hinunter in die Kerker versuchte Elaine mich von meinem Vorhaben abzubringen. Sie war immer noch dabei, als Professor Slytherin ganz plötzlich neben uns stand und sagte: «Grundsätzlich bin ich da ganz Elaines Meinung.»
Wir beide zuckten zusammen, als wir den Gründer plötzlich neben uns stehen sahen. Wir waren so sehr in unseren Streit vertieft gewesen, dass wir ihn gar nicht bemerkt hatten.
«Da hast du es, Adrienne!», sagte Elaine siegesgewiss und verschränkte die Arme.
«Ich sagte: grundsätzlich», wiederholte Slytherin. «Aber kommt jetzt, ihr beiden.» Er führte uns zu seinem Büro und hielt uns die Tür auf. Unaufgefordert nahmen Elaine und ich Platz, während Slytherin sich hinter seinem Schreibtisch niederliess.
«Wie gesagt: Grundsätzlich ist es falsch in einen fremden Gemeinschaftsraum einzusteigen und ein fremdes Zimmer zu durchwühlen, vor allem wenn man die Absicht hat, etwas zu entwenden. Allerdings ... ich bin mir nicht ganz sicher, ob es in diesem Fall nicht doch angebracht wäre.»
«Aber Professor! Wir reden hier von Diebstahl!», empörte Elaine sich.
«Ich weiss, Miss Black, ich weiss.»
«Aber dem können Sie doch nicht einfach so zustimmen! Wäre es nicht sinnvoller, wenn Sie Professor Ravenclaw danach fragen?», schlug Elaine vor.
«Hm. Mal sehen», meinte Slytherin und scheuchte uns dann auf unseren Beobachtungsposten. Schnell legte er noch den Desillusionierungszauber über uns, bevor er Professor Tenther hereinbat.
Professor Tenther war eher unscheinbar: Ihre Statur und ihr Aussehen waren vollkommen durchschnittlich und ihr Gesicht war eines dieser Allerweltsgesichter, die man gleich wieder vergass, wenn man nicht mehr hinsah. Sie war die Lehrerin für Kräuterkunde und unterrichtete erst seit diesem Schuljahr, weil sich ihre Vorgängerin mittlerweile zu alt für diesen Job fühlte – scheinbar hatte es sich bei der um eine steinalte Hexe gehandelt, die kaum noch etwas sah und so gut wie taub war. Von Rente hatte im elften Jahrhundert wohl noch niemand je etwas gehört. Ansonsten war Professor Tenther sehr beliebt bei den Schülern und auch bei den Lehrern – wenn sich auch Professor Gryffindor in den letzten Tagen auf sie eingeschossen hatte und der festen Überzeugung war, dass sie Finëas Mörderin war und wie das eben seine Art war, gelang es ihm nicht sehr gut, das zu verbergen. Genau darüber regte sich Professor Tenther jetzt auch auf und beklagte sich bei Slytherin, es sei ungerecht, sie zu verdächtigen, nur weil sie neu an der Schule sei. Damit hatte sie natürlich völlig recht, worin auch Professor Slytherin ihr vollkommen zustimmte.
«Aber was wollten Sie denn nun von Finëa, Tanja?», fragte er erneut, als sich Professor Tenther etwas beruhigt hatte. «Sie verstehen sicher, dass ich das alle fragen muss, die an diesem Nachmittag bei ihr waren», fügte er noch an, um einer weiteren Klage zuvor zu kommen.
«Es ging um ... Es ging um ein privates Projekt. Ich versuche Pflanzen mit Hilfe von Magie zu verändern, so dass sie bestimmte Wirkungen bekommen oder ihre bereits vorhandene Wirkungen verstärkt werden, zum Beispiel bei Heilpflanzen», erklärte sie.
«Auch bei Giftpflanzen?», hakte Slytherin nach. «Versuchen Sie, ihr Gift zu verstärken?»
«Ja, das tue ich. Respektive versuche ich, von durchschlagenden Erfolgen kann ich bisher in beiden Bereichen nicht berichten, es ist mir bisher lediglich gelungen, die Optik von Pflanzen nachhaltig zu beeinflussen, so dass auch ihre Abkömmlinge und deren Abkömmlinge diese beibehalten.»
«Und was genau wollten Sie denn mit Finëa besprechen?»
«Nun, ich habe ihre Abhandlung über theoretische Magie gelesen», erklärte Professor Tenther, «darüber, dass Magie allem zugrunde liegt – genau das hat mich erst auf die Idee gebracht, Pflanzen magisch zu verändern – und ich wollte mir von ihr ein paar Ideen holen, wie ich vielleicht vorgehen könnte, also auf magietheoretischer Ebene.»
«Waren Finëas Auskünfte denn hilfreich?», fragte Slytherin eher der Höflichkeit halber denn aus wirklichem Interesse, was Professor Tenther allerdings nicht zu bemerken schien.
«Oh ja, sehr hilfreich. Sie hat mir einige spannende Anregungen gegeben, wie ich versuchen könnte, die Zauber in die Pflanzen einzuweben. Sie meinte, ich solle auf die grundlegende magische Struktur der Pflanzen eingehen, diese entschlüsseln und dann gezielt verändern ...»
Meine Ohren schalteten auf Durchzug während Professor Tenther ihre Forschungen weiter ausführte. Ich verstand nicht, weshalb Professor Slytherin sie reden liess, schliesslich hatte dieser ganze Kräuterkunde-Quatsch rein gar nichts mit Finëas Tod zu tun.
Nach gefühlten Stunden entliess Slytherin die Kräuterkunde-Professorin endlich aus seinem Büro und löste den Desillusionierungszauber von Elaine und mir.
«Und? Was sagt ihr dazu?»
«Sie hat die Wahrheit gesagt», sagte ich, nachdem ich Corvus befragt hatte.
«Und was meinst du, Elaine?», fragte Slytherin nun meine Freundin.
«Das ist schwierig», meinte Elaine. «Professor Tenther fühlte sich die ganze Zeit über in höchstem Masse unwohl, mehr als es die anderen während den Verhören jeweils taten – ausser als sie von ihren Experimenten berichtete, da war sie ganz und gar begeistert, es muss wirklich eine grosse Leidenschaft für sie sein. Professor Slytherin, weshalb haben sie nicht danach gefragt, ob sie das Gift in Professor Finjarelles Tee gegeben hat?»
Hatte er nicht? Verblüfft schaute ich zwischen dem Gründer und Elaine hin und her. Vielleicht hätte ich doch etwas aufmerksamer sein sollen.
«Das hat zweierlei Gründe: Zum einen wollte ich mir nicht schon wieder eine elend lange Tirade über ungerechte Verdächtigungen anhören», erklärte uns Slytherin, «zum anderen hätte sie einfach 'Nein' sagen können. Selbst wenn es eine Lüge wäre, dann hätten wir doch keinerlei Beweise für das Gegenteil, wenn ich von ihr aber, wie sie mir versprochen hat, die Gifte bekommen, dann kann ich diese mit der Probe vom Tee vergleichen.»
Oke. Ich hätte wohl wirklich besser aufpassen sollen, ich hatte nämlich gerade keine Ahnung, wovon Slytherin da sprach.
«Aber wenn sie 'Nein' gesagt hätte und wir gewusst hätten, dass sie gelogen hat, es also doch getan hat, dann wäre sie doch auch überführt gewesen?», argumentierte Elaine.
Professor Slytherin wiegte den Kopf hin und her. «Das schon, aber ich glaube nicht, dass das Wort einer dreizehnjährigen Hexe als Beweis ausgereicht hätte.»
«Wieso das Wort einer dreizehnjährigen Hexe?», klinkte ich mich nun ins Gespräch ein. «Es ist schliesslich Corvus, der sagt, ob sie die Wahrheit sagt oder nicht. Nicht ich.»
«Natürlich, das wissen wir», sagte Slytherin. «Allerdings bist du, Adrienne, die Einzige, die mit Corvus sprechen kann.»
Stimmt, das war dann natürlich ein Problem: Damit wäre es das Wort eines jungen Mädchens gegen das einer erwachsenen Hexe und wahrscheinlich würden die meisten Leute eher ihr glauben als mir.
«Dann müssen wir wohl abwarten, was die Tests der Gifte ergeben», fasste ich enttäuscht zusammen.
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