21. Kapitel
Wenige Tage später waren die Ferien vorbei und in Hogwarts herrschte die gleiche Betriebsamkeit, wie ich sie von zuhause gewohnt war. Auch der Unterricht unterschied sich nicht gross von dem, was ich bereits gewohnt war, auch wenn die Zauber und Methoden teilweise anders waren. Elaine und Xameria schleppten mich von einer Schulstunde zur nächsten und Elaine half mir weiter, wenn ich in einem Fach nicht weiter wusste oder etwas nicht verstand. Xameria stand selbst immer wieder mit dem Stoff an und nahm ebenfalls Elaines Hilfe in Anspruch, wodurch ich mich nicht ganz so ahnungslos und dumm fühlte. Wie ich bereits erfahren hatte, wurden wir von Professor Slytherin in Zaubertränke, oder besser gesagt in Alchemie unterrichtet. Professor Gryffindor unterrichtete Verteidigung gegen die Dunklen Künste, Professor Ravenclaw Verwandlung – und zwar in dem Raum, in dem ich zu meiner Zeit Verteidigung gegen die Dunkeln Künste hatte, was mich regelmässig verwirrte – und Professor Hufflepuff war die Lehrerin für Zauberkunst. Daneben gab es noch einige weitere Lehrer, die uns in Astronomie, Kräuterkunde und Geschichte unterrichteten. Dazu kam noch ein weiteres Fach, das ich bisher noch nicht gekannt hatte und das von Finëa unterrichtet wurde: Theoretische Magie. Der Name klang furchtbar trocken und der Stoff war hochkomplex aber auch unheimlich interessant. Das Ziel des Fachs war es, dass wir uns mehr darunter vorstellen konnte, was Magie eigentlich war und wie sie genau funktionierte. Ich erinnerte mich, an dem Abend, an dem ich mit Cedric, Jessie und den Weasley-Zwillingen in der Bibliothek eingebrochen war und ich in der Verbotenen Abteilung ein Buch zu diesem Thema gefunden hatte. Finëa hatte es selbst verfasst und nach allem, was ich darüber herausgefunden hatte, war sie eine Meisterin auf diesem Gebiet gewesen. Oder war es noch.
Die Wochen zogen ins Land, ohne dass gross etwas passierte. Der Unterricht war teilweise spannend, teilweise langweilig, die Hausaufgaben häuften sich und jeder Lehrer schien zu denken, sein Fach sei das Wichtigste von allen. Beinahe hätte ich vergessen können, dass das nicht mein eigentliches Leben, meine eigentliche Zeit war, wäre da nicht das Heimweh nach meinen Freunden gewesen und der Rabe aus Obsidian, der mich von Zeit zu Zeit aus diesen unheimlichen roten Augen anstarrte. Und langsam wünschte ich mir, dass es endlich so weit war. Nicht, dass ihr mich jetzt falsch versteht, ich mochte Finëa und wünschte ihr keinesfalls den Tod, aber ich wollte auch endlich wieder nach Hause. Ich hielt Ausschau nach möglichen Anzeichen, die darauf hindeuteten, dass Finëa bald getötet werden würde und die mir einen Hinweis liefern könnten, wer es getan hatte – oder tun würde. Ich beobachtete Finëa, was mir leicht viel, da diese beschlossen hatte, mich in alle möglichen Aktivitäten und ausserschulischen Kurse, die sie organisierte, einzubeziehen. Bald hatten die Leute sich daran gewöhnt; sogar die kleine verschworene Gruppe, mit der Finëa nachts im Gemeinschaftsraum der Finjarelles Ritual-Magie praktizierte und die ich bei meiner Ankunft hier aufgemischt hatte, hatte mich als eines ihrer Mitglieder akzeptiert und ich verkehrte nun auch mit Sechst- und Siebtklässlern und einigen überaus begabten Fünftklässlern aus Finjarelle, wie auch mit ein paar Siebtklässlern aus den anderen Häusern, die ebenfalls ein Talent für diese Art von Magie hatten. Unter ihnen war auch Helena Ravenclaw, die Tochter von Rowena Ravenclaw. Die Rituale und Zauber, die Finëa dort mit uns übte, waren weit fortgeschrittene Magie und ich hatte Mühe auch nur halbwegs mitzukommen, doch es war unheimlich interessant. Wir übten Zauber, bei denen wir unser aller Kräfte bündelten und sie zusammen einsetzten, um etwas zu erreichen, das wir allein nie geschafft hätten. Kampfzauber und Heilzauber waren darunter, aber auch Zauber, die man zum Bauen brauchte. So waren die mächtigen Steinkreise wie Stonehenge oder der Steinkreis im Verbotenen Wald errichtet worden, erklärte uns Finëa. Nebst diesen Ritualzaubern übte sie auch mit jedem einzelnen von uns, wie wir unser magisches Potenzial am besten gut ausschöpfen konnten.
Immer wieder beobachtete ich Finëa auch ausserhalb dieser nächtlichenStunden dabei, wie sie sich mit einem oder zwei der Schüler ihres Hauseszusammensetzte und mit ihnen an ihren ganz besonderen Fähigkeiten arbeitete.Elaine zum Beispiel brachte sie bei, wie sie lernen konnte, die Gefühle derPersonen um sich herum auszublenden, damit sie sich besser konzentrierenkonnte, und ein anderes Mal erklärte sie ihr, dass sie ihre Fähigkeit, dieGefühle der Personen um sie herum zu erspüren, auch ausweiten konnte, um ihreGedanken zu lesen. Das wurde mir dann allerdings zu unheimlich und ich wandtemich einem Aufsatz für Geschichte zu. Hier mochte ich das Fach sehr, was mich anfangsselbst überraschte hatte. Möglicherweise lag mein plötzliches Interesse aberauch daran, dass Koboldaufstände und Riesenkriege von diesem Zeitpunkt ausbetrachtet noch in der Zukunft lagen und wir stattdessen die antikenZaubererkulturen, wie die im alten Ägypten oder in Babylon behandelten. Auchdas Thema Atlantis hatten wir einmal angeschnitten, es leider jedoch nichtvertieft – zu gern hätte ich mehr über dieses mystische, versunkene Reicherfahren.
Ein aderes Mal arbeitete Finëa mit William und versuchte ihm zu erklären, wie er sich in eine Dryade verwandeln konnte, wenn er seinen ganzen Körper gegen einen Birnbaum lehnte. Es war unheimlich lustig dabei zuzusehen, da Finëa William immer wieder zeigte, wie er sich an den Baum lehen musste und erklärte, was er dabei tun musste, woran er denken sollte. William stand dann beinahe eine Stunde lang da, klammerte sich an den Baum und versuchte sich zu konzentrieren und sah dabei einfach zum schreien komisch aus. Noch besser wurde es dann allerdings, als es ihm endlich gelang. Zwar hatte ich zuvor noch nie eine Dryade gesehen, aber mir war doch klar, dass die durchschnittliche Dryade ganz anders aussah, als William es in dieser Gestalt tat, was mich ordentlich zum Lachen brachte. Danach war er so beleidigt, dass er eine ganze Woche lang nicht mit mir sprach. Was Finëa mit Kaspar übte, wusste ich nicht, denn von diesem Unterricht schloss sie sogar mich aus.
Mit Xameria und auch mit mir und den anderen Schülern, die Feyblut in sich trugen, trainierte Finëa das Kämpfen mit Schwert und Schild und das Bogenschiessen, um unsere Kraft und Schnelligkeit zu verbessern. Sie liess uns sogar einmal eine echte Ritterrüstung anziehen. Das Teil erdrückte mich schier, so schwer war es, und ich gab meinen Kindheitstraum, später einmal Ritterin zu werden, endgültig auf. Das war mir einfach zu schwer. Wortwörtlich. Godric Gryffindor und einige Schüler aus den anderen Häusern schlossen sich dabei regelmässig unserem Kampftraining an, da Professor Gryffindor es wichtig fand, wie er sagte, die Traditionen nicht zu vernachlässigen. Da viele der Hexen und Zauberer aus alten Adelsgeschlechten stammten, waren sie – vorallem die Jungs natürlich – von klein auf auch im Waffenhandwerk unterrichtet worden. Das ich eine blutige Anfängerin und kaum in der Lage war, das Schwert richtig zu führen, schien die anderen mehr zu erheitern als zu stören und zwei Jungs aus Gryffindor, Joff und Callum, nahmen sich schliesslich meiner an und brachten mir bei, wie man richtig mit dem Schwert umging und wie man sich im Kampf zu bewegen hatte. Ich glaube, ich trieb die beiden regelmässig zur Verzweiflung, als ich es immer und immer wieder falsch machte. Doch wie Callum immer wieder betonte, langsam – wohlgemerkt gaaaanz langsam – wurde ich besser.
Ostern kam und ging und dann kam der Abend, an dem es passierte. Ein aufgeregter Viertklässler kam in den Gemeinschaftsraum der Finjarelles gestürzt, sah sich hektisch um und rief mir dann zu, dass Professor Finjarelle mich sprechen wolle. Sofort. Und ich solle mich beeilen, als wäre der Teufel persönlich hinter mir her. Ich nahm ihn beim Wort und rannte los zum Büro der Hauslehrerin der Finjarelles. Als ich dort ankam, herrschte bereits einiger Aufruhr.
«Lasst sie durch, lasst das Mädchen durch!», die gebieterische Stimme gehörte Salazar Slytherin, der mir zuwinkte, zu ihm ins Büro zu kommen. Was ich dort sah, liess mir das Blut in den Adern gefrieren. Finëa sass dort, auf ihrem Schreibtischstuhl mit ihrem eigenen Dolch in der Brust. Slytherin inspizierte mit gerunzelter Stirn die halbvolle Teetasse, die auf Finëas Schreibtisch stand.
«Adrienne.» Die leise, röchelnde Stimme mit der Finëa sprach, war kaum wiederzuerkennen. Ich ging näher zu ihr hin, damit sie sich weniger anstrengen musste. «Gib das ... Helena», sagte sie mit gurgelnder Stimme und steckte eine Hand in ihre Tasche, doch noch ehe sie sie wieder herausziehen konnte, brachen ihre Augen und sie fiel in sich zusammen. Hilflos starrte ich Finëa an. Ich hatte gewusst, dass es passieren würde, aber darauf vorbereitet gewesen, war ich nicht. Aber hätte ich nicht versuchen müssen, es zu verhindern? Voller Bedauern und Schuld sah ich in Finëas nun mehr leere Augen. Ich hätte versuchen sollen, ihren Tod zu verhindern, aber war zu selbstsüchtig gewesen, um es zu tun. Hatte ich wirklich bereitwillig ein Leben geopfert, nur um wieder nach Hause zu kommen?
«Hier», sagte Slytherin leise und hielt mir den Umschlag hin, den er aus Finëas Tasche gefischt hatte. «Wissen Sie, was hier geschehen ist, Miss Seanorth?», fragte er und durchbohrte mich mit seinen dunklen Augen.
«Nein, Sir. Ich habe keine Ahnung», antwortete ich wahrheitsgemäss.
Er kniff die Augen zusammen. «Aber Sie wussten, dass etwas in die Richtung geschehen würde.» Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.
Mir zog sich die Kehle zusammen. Verdächtigte er mich etwa? Aber gerade im Moment, war ich nicht in der Lage, mich damit auseinanderzusetzen. Ich konnte meinen Blick einfach nicht von Finëas leblosen Körper abwenden. Fey waren unsterblich, hatte Xameria gesagt, und gar nicht so leicht zu töten wegen ihrer übermenschlichen Kraft und der schnellen Reflexe. Und doch steckte dort in Finëas Brust dieser Dolch. Es war meine Schuld. Ich hätte etwas tun müssen, anstatt einfach nur abzuwarten!
«Finëa sagte, ich solle Ihnen, Miss Seanorth, helfen, ihren Mörder zu fassen. Es waren ihre letzten Worte an mich. Warum hat sie das gesagt?» Slytherins Augen schienen mich an Ort und Stelle festzuhalten, während er auf meine Antwort wartete. Doch ich hatte keine, zumindest keine, die er mir glauben würde.
Er nickte leicht, aber deutlich missbilligend und deutete dann auf den Umschlag in meiner Hand. «Tun Sie, was Professor Finjarelle Ihnen aufgetragen hat. Erfüllen Sie ihren letzten Wunsch. Aber, Miss Seanorth», seine Worte hielten mich auf der Türschwelle auf, «ich möchte Sie nachher in meinem Büro sehen und ich erwarte, dass Sie dann eine Erklärung für mich haben. Verstanden?»
Immer noch betäubt von dem, was ich gesehen hatte, taumelte ich aus dem Büro, meine Hände fest in den Umschlag gekrallt, als wäre er eine Rettungsleine. Irgendwann fand ich mich in einem Korridor im vierten Stock wieder, ohne dass ich recht wusste, wie ich hierhergekommen war. In meinen Händen hatte ich immer noch den Umschlag. In eleganter Schrift war darauf ein Name zu lesen: Helena Ravenclaw. Finëa hatte gewollt, dass ich ihn ihr gab und Professor Slytherin hatte mir ebenfalls aufgetragen, das zu tun. Nur wusste ich gar nicht, wo ich Helena finden konnte. Wo lag eigentlich der Gemeinschaftsraum der Ravenclaws? Orientierungslos irrte ich durch die Gänge und traf schliesslich auf einen Vertrauensschüler, der, die Arme vorwurfsvoll in die Seiten gestemmt, auf mich zu kam. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie spät es bereits geworden war. Für die unteren Klassen galt längst Ausgangssperre.
«Ich suche Helena Ravenclaw. Ich soll ihr etwas von Professor Finjarelle geben», erklärte ich dem Vertrauensschüler, bevor er mir irgendwelche Punkte abziehen oder mir Strafarbeiten verpassen konnte. Zum Beweis für meine Worte, hielt ich den Umschlag in die Höhe.
Es dauerte lange, doch schliesslich nickte der Vertrauensschüler und führte mich zur Bibliothek. «Hier findest du sicher jemanden aus Ravenclaw. Den kannst du dann nach ihr fragen», erklärte er mich und liess mich stehen. Erst da viel mir auf, dass er ein Gryffindor war. Hatten meine Füsse mich aus Gewohnheit in die Nähe des Gryffindorturms gebracht?
Lange musste ich nicht lange suchen, bis ich eine Ravenclaw gefunden hatte, die in ein Buch vertieft über ihren Hausaufgaben brütete. Sie erklärte sich gerne dazu bereit, mich mit hoch zu ihrem Gemeinschaftsraum zu nehmen, wo ich Helena wahrscheinlich finden würde. Ich war etwas überrascht, dass sie das einfach so vorschlug, wo doch in meiner Zeit kaum jemand wusste, wo die Gemeinschaftsräume der anderen Häuser lagen. Auf den Ausflug zum Gemeinschaftsraum der Ravenclaws hätte ich allerdings im Nachhinein gerne verzichtet. Die Ravenclaw-Schülerin hatte mich nämlich einige Stockwerke höher und dann zu einer schier endlosen Wendeltreppe geführt, die wir hatten hinaufsteigen müssen. Oben hatte ich geschnauft wie nach einem Marathonlauf oder nach dem Kampftraining mit den anderen Fey-Schülern. Die Ravenclaw-Schülerin hatte mich am Treppenabsatz stehen lassen und war in ihrem Gemeinschaftsraum verschwunden und es dauerte eine ganze Weile, bis die Tür zum Gemeinschaftsraum sich wieder öffnete. Es war Helena, die heraustrat.
«Ich soll dir das hier von Professor Finjarelle geben», sagte ich und hielt Helena den Umschlag entgegen, doch anstatt ihn zu nehmen, musterte sie mich misstrauisch.
«Wieso sollte sie das tun?»
Verwirrt sah ich sie an. Was meinte sie? Dachte sie, ich sei die ganze Wendeltreppe hochgekraxelt, nur um ihr einen Streich zu spielen?
«Wieso sollte Professor Finjarelle dir auftragen, mir etwas zu überbringen? Sie könnte es mir auch selbst nach der nächsten Stunde Theoretische Magie geben. Oder bei einem unserer Treffen in eurem Gemeinschaftsraum.»
«Sie kann nicht. Sie ... ist tot», brachte ich leise hervor.
Helena starrte mich an, als hätte ich sie geschlagen und taumelte rückwärts gegen eine Wand, an der sie zu Boden rutschte. «Nein.» Pure Verzweiflung schwang in dem kleinen, leisen Wörtchen mit. «Nein!» Ihre Augen füllten sich mit Tränen und sie vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Ihre Schluchzer klangen beinahe markerschütternd laut in dem kleinen Raum am oberen Ende der langen Wendeltreppe wieder.
Unsicher ging ich neben ihr in die Hocke und legte ihr eine Hand auf die Schulter. «Hier.» Ich hielt Helena den Umschlag entgegen und sie wischte sich die Tränen ab und nahm ihn. Sie öffnete ihn und zog einen Pergamentbogen heraus, einen Brief. Während sie las, traten ihr neue Tränen in die Augen und rannen über ihre Wangen hinab.
«Danke, Adrienne», schniefte sie, als sie mit Lesen fertig war, «dass du mir den gebracht hast.
«Nichts zu danken», murmelte ich.
Helena schüttelte den Kopf. «Doch, das hab' ich. Und ich hoffe, dass es dir gelingt, herauszufinden, wer sie getötet hat.»
Woher wusste sie ...? Hatte es in dem Brief gestanden? Und wenn ja, was stand dort noch so alles über mich drin und über diese ganze Sache hier?
«Und ich soll dir noch etwas von Finë – Professor Finjarelle ausrichten», fügte sie hinzu, ohne meine verwirrte Miene zu bemerken. «Sie schreibt hier, ich soll dir sagen, du bist keine Fey.»
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