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𝑾𝒆𝒏𝒏 𝒅𝒖 𝒈𝒆𝒘𝒊𝒔𝒔𝒆 𝑻𝒂𝒈𝒆 𝒏𝒖𝒓 𝒎𝒊𝒕 𝑲𝒂𝒇𝒇𝒆𝒆
𝒖̈𝒃𝒆𝒓𝒔𝒕𝒆𝒉𝒔𝒕 ...
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Nicht übernächtigt? Tja, das war dann wohl nichts. Gestern wollte ich einfach nicht einschlafen, weshalb ich bereits drei Espresso intus hatte, bevor ich das Bett verlassen konnte. Fragt also nicht, wie viel Koffein sich in mir befand, als ich auf dem Weg zu Degenhardts Kurs war. Genau das musste auch der Grund sein, warum ich so hibbelig war. Eindeutig überdosiert.

Als ich den Vorlesungssaal betrat, waren bereits einige Studenten anwesend. Degenhardt war noch nicht da, aber seine Unterlagen sowie sein Laptop lagen bereit. Umso besser, dass ich ihn nicht gleich sehen musste. Deshalb konnte ich mich auch endlich einmal unbefangen im Saal umsehen.

Das Seminar fand in einer kleineren Räumlichkeit statt – aber meines Erachtens zu groß für eine Kursstärke von rund zwanzig Personen. Es gab circa fünfundzwanzig Reihen mit den klassischen Stühlen zum Herunterklappen. Das Mobiliar war insgesamt in Weiß gehalten. Ich blickte kurz Richtung Fensterfront, die sich über die gesamte Länge des Saals erstreckte und entschied mich dann dafür, wieder an demselben Platz zu sitzen wie vergangene Woche. Einen kürzeren Weg zum Ausgang gab es nicht. Zumal ich mich hier nicht länger als nötig aufhalten wollte.

Nachdem ich meine Unterlagen herausgeholt hatte, hörte ich plötzlich ein Räuspern neben mir. Ich sah auf und blickte in ein Paar braune Augen, die regelrecht strahlten.

„Hey, ist bei dir vielleicht noch frei?", fragte mich der Kerl, wobei er mir ein ehrliches Lächeln schenkte.

Ich blickte kurz um mich. In diesem großen Raum waren bisher kaum Plätze besetzt, was mich zunächst ein wenig stutzig machte. Kannte er denn niemanden hier? Weshalb wollte er sich ausgerechnet zu mir setzen? Allerdings hatte er immerhin nett gefragt. Warum also nicht?

„Na klar", entgegnete ich ihm und rutschte einen Stuhl weiter, um ihm einen Platz neben mir freizugeben. Als Dank lächelte er mich noch breiter an und setzte sich sogleich. Der direkte Weg nach draußen war somit von ihm versperrt. Schön blöd.

„Ich heiße übrigens Adrian", er streckte mir freundlich seine Rechte entgegen.

„Elli. Freut mich", lächelte nun auch ich, als ich seine Hand schüttelte.

„Schön, dass wir beide in diesem Seminar sind. Elli ist die Abkürzung von ..." Eine kurze Stille trat ein, ehe ich seinen Satz vollendete.

„Eleanora. Aber bitte nenn mich einfach Elli." Normalerweise wollte niemand meinen vollen Namen wissen.

Mein Sitznachbar musterte mich kurz von der Seite. „Alles klar. Elli passt auch besser zu Ihnen, Frau Wiesinger." Er hatte also letzte Woche mitbekommen, dass ich den Saal vermeintlich unauffällig verlassen wollte. Jetzt kannte wahrscheinlich der gesamte Kurs meinen Nachnamen. Was soll's?

Nachdem ich nichts darauf sagte, fuhr Adrian fort: „Und was belegst du dieses Semester noch so beziehungsweise was studierst du denn?"

„Englisch und Kunst auf Lehramt", antwortete ich einsilbig.

„Welches Lehramt?" Seine braunen Iriden ließen mich nicht eine Sekunde aus den Augen.

Wie lange sollte denn noch dieses Frage-Antwort-Spiel dauern? „Realschule."

„Und du bist schätzungsweise im ersten Semester?", hakte Adrian interessiert nach.

Ein Lächeln umspielte meine Lippen. „Das folgerst du woraus?"

„Nun ja, da gibt es so einiges, was dafür spricht. Erstens habe ich dich noch nie auf dem Campus gesehen. Eichstätt ist klein, man kennt quasi jeden. Und zweitens hätte sich vermutlich niemand, der unseren lieben Herrn Degenhardt kennt, getraut, ihm so gegenüberzutreten, wie du es vergangene Woche getan hast", erklärte er mit Anerkennung in seiner Stimme.

„Und welchen Ruf genießt der liebe Herr Degenhardt?", fragte ich, wobei ich auf die gleiche Betonung achtete, die Adrian zuvor gewählt hatte.

Dieser lachte kurz auf. „Ich würde sagen, mit ihm ist nicht gut Kirschen essen, wenn man sich mit ihm anlegt. Aber für sein junges Alter ist er ein herausragend kluger sowie talentierter Doktorand, der einem erfahrenen Professor in nichts nachsteht. Na ja, du wirst dir selbst noch ein Bild von ihm machen." Oh, das passte schon ziemlich gut zu dem, was ich bisher von ihm mitbekommen hatte.

Gerade wollte ich Adrian fragen, was er selbst eigentlich studierte, da kam Herr Degenhardt in den Saal und nahm seinen Platz beim Rednerpult ein. Augenblicklich verstummten jegliche Gespräche und alle Augen und Ohren waren auf ihn gerichtet. Nach einer kurzen Begrüßung stieg er auch schon in die heutige Thematik ein. Auf seiner ersten Folie kam gleich eines meiner absoluten Lieblingszitate von Vincent van Gogh:

„Ich kann nichts dafür, dass meine Bilder sich nicht verkaufen lassen. Aber es wird die Zeit kommen, da die Menschen erkennen, dass sie mehr wert sind als das Geld für die Farbe."

Anstatt etwas zu sagen, ließ Degenhardt diese Worte einfach auf uns wirken. Dadurch entstand eine schneidende Stille im Seminarraum, die er nutzte, um seinen Blick durch die Reihen schweifen zu lassen.

Als sich absolut keiner traute, etwas zu sagen, stellte er schließlich eine Frage: „Irgendjemand, der weiß, wo man diese Worte van Goghs findet?"

Meine Hand fuhr schneller hoch, als ich denken konnte und Degenhardt beäugte mich mit einem gleichgültigen Blick. Da sich sonst niemand zu melden schien, gab er mir das Zeichen, dass ich reden durfte.

„Er schrieb diese Worte an seinen Bruder Theo, zu dem er ein äußerst gutes Verhältnis pflegte und der ihn stets finanziell unterstützte", kamen die Worte wie selbstverständlich über meine Lippen. Wie oft hatte ich die Briefe zwischen Vincent und Theo gelesen? Unzählige Male.

Degenhardt ließ meine Antwort ohne Kommentar stehen, obwohl ich hätte schwören können, dass er bestimmt seinen klugen Senf dazugeben wollte.

„Was schließen Sie aus seinen Worten?", fragte Degenhardt nun mehr an mich als an den Rest des Kurses gerichtet, da er eindeutig mich weiter fixierte.

„Dass van Gogh ein zutiefst trauriger Mensch war, der sich von den Leuten sehr unverstanden gefühlt hat. Er wollte durch seine Bilder mitteilen, was ihn bewegte, was die Zeit, in der er lebte, ausmachte. Seine Pinselführung zeugt nur so von diesem inneren Ausdruck, den er verzweifelt versucht hat, anderen zu vermitteln. Und auch, wenn seine Bilder zu seinen Lebzeiten kaum Abnehmer hatten, so konnte er sein Bedürfnis, sich mitzuteilen, nicht stillen. Er machte einfach weiter und hatte insgeheim die Hoffnung, dass er doch einmal verstanden, dass der wahre Wert seiner Bilder erkannt werden würde. Er wusste natürlich nicht, dass dieser Zeitpunkt der Wertschätzung erst nach seinem Tod kommen würde, aber er klammerte sich daran, dass es noch zu seinen Lebzeiten passieren könnte. Wie sonst sollte er als mittelloser Künstler rechtfertigen, noch weiter zu malen, Geld für Farbe und Material auszugeben? So hoffte er, dass sein Bruder ihm weiter in seinem Schaffen unterstützen würde. Und das tat er auch. Bis zu seinem Tod."

Daraufhin breitete sich eine ungeheure Stille im Saal aus. Meine Worte hatten einfach meinen Mund verlassen, ohne groß darüber nachzudenken. Aber ich verstand van Gogh so sehr. Zumindest dachte ich, dass ich es tat. Ich wünschte, ich hätte einmal mit ihm sprechen, ihm bei seinem Schaffensprozess über die Schulter schauen können.

Adrian neben mir stieß seinen Atem schwer aus, als hätte er die letzte Minute die Luft angehalten. Dann stupste er kurz meinen Oberschenkel an und zeigte mir einen Daumen nach oben, weshalb ein Grinsen über meine Lippen huschte.

Ohne jegliche Reaktion auf das, was ich gesagt hatte, fuhr Degenhardt mit seiner Präsentation fort. Was wohl gerade durch seinen Kopf ging? Hatte ich ihn vielleicht ein klein wenig beeindruckt?

_____

Mittwoch war mit Abstand der brutalste Tag der Woche, denn ich hatte ernsthaft von halb neun Früh bis 21 Uhr abends durchgehend Uni. Wie ich so bescheuert sein und mir diesen Tag derart mit Kursen vollstopfen konnte, war mir wirklich ein Rätsel. Mein übermotiviertes Ich sollte ich zukünftig mal ein wenig im Zaum halten.

Wieder einmal mit Kaffee bewaffnet, machte ich mich zum Kunstsaal auf. Dort fand ein Malereikurs statt, auf den ich mich wirklich freute. Mein Dozent Herr Meisinger war super und ließ uns bei den vorgegebenen Themen äußerst viele Freiheiten in der Umsetzung. Diesen Eindruck hatte er zumindest letzte Woche vermittelt. Im Kurs waren lediglich Kunst-Hauptfachstudenten im ersten Semester zugelassen, was definitiv einen gewissen Druck herausnahm. Sah man die großen Leinwand-Arbeiten, die im Gang vom Kunstbau hingen, dann wurde mir nämlich bewusst, welcher Weg vor mir lag, bis ich auch einmal so etwas zustande bekommen würde.

Da ich noch keinen der Erstsemester von Kunst richtig kennengelernt hatte, suchte ich mir am erreichten Zielort einen hellen Platz an der Glasfront, die eine Aussicht in den Campusinnenhof gewährte. Für die frühe Uhrzeit war dort ein reges Treiben zu beobachten.

Anschließend bereitete ich meinen Arbeitsplatz vor und sah mich kurz im Saal um, in dem sich mittlerweile acht von zehn Leuten eingefunden hatten. Dieses Jahr hatten ausschließlich Mädels angefangen, was nicht verwunderlich war, da das Fach im Allgemeinen eher von Frauen gewählt wurde. Mein Blick schweifte weiter und blieb an den großen Fenstern gegenüber von mir hängen, in denen sich der gesamte beleuchtete Raum spiegelte. Es war noch etwas dunkel draußen, aber später würde die Herbstsonne alles mit ihrem Licht durchfluten. Eine perfekte Atmosphäre für das künstlerische Arbeiten.

Punkt acht Uhr startete unser Dozent – allerdings anders als erwartet. „Guten Morgen allerseits. Anstatt weiterzuarbeiten, bitte ich Sie mit Ihren Bildern zu mir. Wir werden uns den aktuellen Stand anschauen und darüber diskutieren. Der Austausch mit anderen ist wertvoll, man holt sich darin Anregungen und Tipps. Ich muss wohl kaum betonen, dass wir respektvoll miteinander umgehen und nur begründete Kritik äußern."

Als wir uns in einem Halbkreis sitzend zusammengefunden hatten, verwies Herr Meisinger auf eine Staffelei. Ohne große Umschweife winkte er die nächstgelegene Kursteilnehmerin zu sich und forderte sie mit einem nonverbalen Impuls dazu auf, ihr Bild mit den Anwesenden zu teilen.

Die gesamte Besprechung gestaltete sich äußerst interessant, denn man erfuhr zum einen etwas Genaueres darüber, an was und wie andere arbeiteten und zum anderen bekam man eine konstruktive Rückmeldung. Noch interessanter waren allerdings die Reaktionen auf Letzteres. Die meisten tickten sehr ähnlich wie ich, waren dankbar für jegliche Tipps bezüglich deren Arbeit, denn nur so konnte man weiterkommen. Denn es wurden dabei viele Ideen vorgeschlagen, welche die Kreativität und den Blick noch weiter öffneten. Allerdings gab es vereinzelt auch den Typ Mensch, dem die kritischen Äußerungen in Bezug auf das eigene Schaffen ziemlich nahe ging. Da flossen schon das ein oder andere Mal Tränen oder es gab heftigen Widerspruch.

Das konnte ich in gewisser Weise nachvollziehen, schließlich war ein Bild sozusagen ein Teil der eigenen Persönlichkeit. Man packte Emotionen im Prozess des Schaffens mit ein und es begann ein regelrechter Kampf mit dem Blatt Papier oder der Leinwand vor einem. Nichtsdestotrotz schüttelte ich innerlich den Kopf über ein solch kritikresistentes Verhalten, denn man sollte auch andere Meinungen anhören, darüber stehen und zumindest nachdenken können, ob diese auch berechtigt waren. Das konsequente Abweisen von Anregungen in der Kunst war meines Erachtens fehl am Platz, da man dadurch eine mögliche Bereicherung für die persönliche Horizonterweiterung ausschlug.

Nach fast sechzig Minuten Besprechung war ich demnach um einiges schlauer – auch was gewisse Personen im Kurs anbelangte.

Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich jetzt nur noch eine knappe Stunde Zeit hatte, um weiterzumalen, da ich das Aufräumen und Saubermachen meiner Utensilien ebenfalls miteinplanen musste.

Am Anfang war es gar nicht einfach, mich in dem Bild wiederzufinden, das ich vergangene Woche begonnen hatte. Deshalb stand ich erst einmal geschlagene fünf Minuten davor und versuchte, den Prozess zu rekonstruieren. Dabei ignorierte ich so gut es ging die anderen Studenten, die bereits eifrig arbeiteten.

„Alles in Ordnung?", fragte Herr Meisinger, der nun direkt hinter mir stand und mich somit aus meiner Trance riss. Ich blickte kurz in seine grünen Augen, die mich interessiert anblitzten. Sein Haar war grau meliert und etwas länger, weshalb er es meistens zu einem Zopf gebunden hatte. Vom Alter her schätzte ich ihn auf etwa Ende fünfzig. Sein Gesicht war allerdings nicht mit Falten überzogen. Überwiegend um die Augen herum befanden sich zahlreiche kleine Fältchen, die auf sein häufiges Lächeln zurückzuführen waren und ihn deshalb sehr sympathisch wirken ließen. Herr Meisingers Kleidungsstil war leger und unterstrich sein Werk als Kunstdozenten, denn er trug eine blaue Jeans, ein kariertes Hemd mit grauer Weste darüber, welche seinen Bauch ein wenig kaschierte.

„Ja, alles gut. Es ist nur", stockte ich kurz, bevor ich weitersprach, „ich brauche immer etwas Zeit, bis ich wieder in meinem Bild drin bin. Um mein Ich zu finden, das letzte Woche daran gearbeitet und an einem bestimmten Punkt aufgehört hat."

Anstatt zu antworten, nickte mein Dozent einfach nur wissend und ging dann weiter. Ich hatte das Gefühl, dass er genau wusste, wovon ich sprach, weshalb er mir nun den nötigen Freiraum ließ. Vielleicht verhielt es sich bei ihm ähnlich, wenn er in so einer Situation war?

Schließlich widmete ich mich erneut meinem Bild, fand jenen Pinselstrich, den ich zuletzt gesetzt hatte und führte meine Arbeit fort. Dabei versuchte ich mich zu erinnern, was die Formen und die Farben in mir ausgelöst hatten. Vergangene Stunde hatte ich mir vehement verboten, an Degenhardt zu denken. Und die Kunst hatte mich wunderbar abgelenkt.

Dann begann eine Abfrage an mein heutiges Ich. Leider musste ich zugeben, dass dieser Kerl mittlerweile noch mehr Platz in meinem Kopf für sich beanspruchte. Wieso musste ich überhaupt einen Gedanken an ihn verschwenden? Er war es doch gar nicht wert. Vor allem, nachdem Degenhardt am Montag keinerlei Reaktion auf das gezeigt hatte, was ich im Kurs zum Besten gegeben hatte. Innerlich wurmte mich das. Verärgerte mich. War eine klitzekleine Rückmeldung denn zu viel verlangt?

Als ich das nächste Mal auf mein Bild blickte, bemerkte ich, was ich in meinem Wirrwarr von Denken und Nichtdenken fabriziert hatte. Meine Hand musste sich wohl verselbstständigt haben.

„Scheint ja bei dir zu laufen. Das sieht ziemlich abgefahren aus", hörte ich erneut jemanden hinter mir sagen. Ich drehte mich um und erkannte ein blondes Mädchen mit braunen Augen, dessen Name Kira sein musste, wenn ich es richtig im Kopf behalten hatte. Sie war meiner Meinung nach eine von der vernünftigen Sorte hier im Kurs. „Sieht nach einer abstrakten Landschaft aus."

Ich betrachtete selbst noch mal die vielen Pinselstriche, während ich einen Schritt zurückging. Dadurch verschwammen die Striche und wurden eins mit den Flächen, die sie umgaben. Die dunkelblauen Linien, die ich eben gezogen hatte, tanzten mal dicker, mal dünner verlaufend durch das Bild. Sie durchkreuzten hellblaue Bereiche, die in mehreren Farbabstufungen gestaltet waren. Sämtliche Blautöne spielten sich gegenseitig aus und versuchten sich regelrecht zu übertrumpfen. Die dunkelblauen Linien lösten diesen Kampf ein wenig auf, aber brachten zugleich eine starke Unruhe in das Bild. Leider hatte ich selbst keine Ahnung, was genau das vor mir war, aber ich fühlte mich ungefähr so wie das Chaos, das ich auf dem Papier zustande gebracht hatte. Aus irgendeinem Grund kam es mir aber auch bekannt vor.

„Wenn ich das nur wüsste", murmelte ich leise vor mich hin.

Kira lachte neben mir. „Okay. Sehr aussagekräftig. Ich finde, dass dein Bild viele ausdrucksstarke Stellen hat. Diese verschwimmen aber teils, wodurch ihr Reiz etwas verloren geht. Versuche sie ein wenig zu klären. Dann hättest du einen Schwerpunkt im Bild."

Wie recht sie doch hatte. Genauso sah es in meinem Leben aus. Da war nämlich auch viel Klärungsbedarf vorhanden.

„Danke, guter Vorschlag", lächelte ich sie an.

„Bleibst du nach dem Kurs noch da? Wir könnten noch ein bisschen weiterarbeiten. Die Zeit ist nämlich schon fast um", schlug meine Kommilitonin mit einem ehrlich wirkenden Lächeln vor.

„Eigentlich total gerne, aber ich hab' gleich eine Englischvorlesung", musste ich ihr Angebot ablehnen. Ein weiteres Mal verfluchte ich mein übermotiviertes Ich, das die Kurse so bescheiden aneinandergereiht hatte. Wer wollte schon einen lückenlosen Stundenplan?

„Schade ...", sagte Kira und ich meinte kurz Enttäuschung in ihren Augen zu sehen, ehe sie fragte: „Vielleicht an einem anderen Wochentag?"

Sofort schlich sich ein Grinsen in mein Gesicht, was mein Gegenüber augenblicklich anzustecken schien. „Sehr gerne!"

Wir tauschten schnell unsere Nummern aus und dann war die Kurszeit tatsächlich schon zu Ende. In Windeseile säuberte ich meine Pinsel, packte meine Kunstutensilien zusammen und machte mich zur Bibliothek auf, in der mein nächstes Seminar stattfand. Gerade hatte ich gar keine Lust auf Englisch ... Aber was sollte ich machen? Wenigstens würde mir Nele wieder Gesellschaft leisten, das war ein eindeutiger Lichtblick. Einen weiteren Rettungsanker stellte der Kaffeeautomat im Eingangsbereich der Bibliothek dar. Das war zwar nicht der beste Kaffee, aber ich war mit Koffein — egal ob genießbar oder nicht — wunschlos glücklich.

An der Stelle sollte ich vielleicht einmal zugeben, dass ich eine regelrechte Sucht dafür entwickelt hatte. Darüber hinaus lebte ich wohl insgesamt nicht sonderlich gesund. Kaffee, Rauchen, Alkohol. Manchmal auch ein wenig mehr Alkohol, wie man anhand der Einweihungsparty erkennen konnte. Ihr solltet euch lieber kein Beispiel an mir nehmen. Außerdem klang das auch ganz klar nach dem Künstlerklischee. Der verrückte Künstler, immer leicht einen sitzen, raucht vor sich hin, während er in der anderen Hand eine Farbpalette hält. Die zweite Flüssigquelle stellt Kaffee dar, um sich schön wach zu halten. So weit durfte es bei mir nicht kommen. Irgendein Laster musste deshalb zwingend kürzertreten.

Schnell schüttelte ich den Gedanken wieder ab und ging mitsamt dem wichtigen Koffeinspender in den Vorlesungssaal. Dort setzte ich mich neben Nele, die gerade in ihrem Smartphone vertieft war.

„Hey, alles gut?", begrüßte ich sie.

„Hallo Elli! Gut siehst du aus. Bei mir ist alles wunderbar. Bei dir?", entgegnete mir Nele, während sie ihr Handy in den Rucksack gleiten ließ.

War das ihr Ernst? Ich sah gut aus? Wieso fühlte ich mich dann nicht so? Kam Schönheit nicht von innen?

„Freut mich! Passt so weit alles. Der Kaffee hilft mir beim Wachbleiben. Mein Tag ist heute grauenhaft voll. Ich hatte schon vorhin einen Kurs. Und nach dem Essen geht es gnadenlos weiter bis 21 Uhr. Ich habe keine Ahnung, wie ich das überleben soll. Aber hey, anscheinend sehe ich besser aus, als ich mich fühle", monologisierte ich vor mich hin, was Nele zum Lachen brachte.

„Bis 21 Uhr? Ein bisschen Mitleid habe ich." Sie zwinkerte mir verschmitzt zu, weshalb ich ihr frech die Zunge herausstreckte.

„Zu gütig!"

„Kommst du mit in die Mensa?", erkundigte sich meine Sitznachbarin, die nebenher Block und Kugelschreiber auspackte. „Die üblichen Verdächtigen kommen auch."

Mensa. Essen. Cafete danach, um weiteren Kaffeekonsum zu unterstützen. Klang gut.

„Ich bin dabei. Sag mal, hast du alle Nummern von den anderen? Wie wär's, wenn wir mal eine WhatsApp-Gruppe gründen würden, um gemeinsame Treffen und Partys abzusprechen?", fragte ich und Neles Augen begannen zu leuchten. Irgendwie hatte sich unser kleines Grüppchen in der Orientierungswoche gefunden und seitdem aßen wir täglich gemeinsam. Richtig schön und eher selten, dass sich solche flüchtigen Bekanntschaften nicht gleich wieder verliefen. Wir waren ein bunter Haufen, aber scheinbar passten wir gut zusammen.

„Genial. Das ist eine tolle Idee! Ich müsste alle Nummern haben. Also könnte ich mich darum kümmern." Neles Begeisterung war kaum zu überhören.

Ich konnte nur noch mit einem Daumenhoch antworten, denn unser Dozent erhob im selben Moment die Stimme, um den Kurs zu eröffnen. Es war todeslangweilig. Aber zum Glück standen mir meine nette Kommilitonin und der Kaffee zur Seite.

Nach dem Seminar trafen wir uns mit den anderen Leuten in der Mensa. Diese war mal wieder gerammelt voll. Dabei stand gar nicht so leckeres Essen auf dem Plan. Hauptgericht eins gab es nicht mehr und auf den sogenannten Tipp des Tages konnte ich getrost verzichten. Der roch nämlich verdächtig nach Resteverwertung von gestern oder vorvorgestern. Deswegen entschied mich für einen Backcamembert mit Beilagensalat. Eine Nachspeise gönnte ich mir auch noch — wahrscheinlich nur, weil es sich dabei um Mokkacreme handelte.

Als ich zu unserem Tisch kam, sah ich Anna unmotiviert in ihrem Essen herumstochern. Sie saß wie ein Schluck Wasser in der Kurve da. „Hey du schöne Blume, was ist denn mit dir los?", zog ich sie im amüsierten Tonfall auf und stellte mein Tablet gegenüber von ihr ab.

„Frag nicht." Ohne aufzusehen, spießte sie ein Stück des Camemberts auf und tunkte es in die Preiselbeersoße.

„So schlimm?", hakte ich nun besorgt nach.

Jetzt blickte Anna mir direkt in die Augen. Die ihrigen waren um die Iris herum gerötet, als hätte sie geweint. Was war nur los?

„Schlimmer!", schrie Anna fast, erschrak dabei aber selbst und beförderte kurzerhand einen weiteren Happen in den Mund.

„Okay, brauchst du heute Abend ein bisschen Gesellschaft? Pyjamaparty gefällig?", versuchte ich meine Freundin aufzumuntern.

Diese nickte heftig. „Ich jammere echt nicht gerne, aber mein Leben könnte derzeit minimal besser laufen", flüsterte sie mir dann kaum hörbar zu.

Davon konnte ich auch ein Liedchen singen. „Willkommen im Klub. Bin um halb zehn bei dir."

„So spät?", entfuhr es Anna und der Camembert, welchen sie gerade hineingeschoben hatte, landete zurück auf den Teller. Beim Essen war sie schon ein bisschen tollpatschig.

„Sorry, ich blöde Nuss habe heute bis 21 Uhr Kurse. Durchgehend. Könnte mich deshalb erschießen! Und deswegen schaff ich es leider nicht früher", erklärte ich ihr und konnte dabei nicht verhindern, wehleidig zu klingen.

„Du Arme", brachte Anna nach dem nächsten Bissen mitfühlend hervor. „Aber du bist schon auch selbst schuld. Warum packst du dir denn den Tag so voll?"

Ich verdrehte die Augen und zuckte mit den Achseln. „Unerklärliche Höchstmotivation? Oder doch nur absolute Dämlichkeit?"

Anna prustete los und verschluckte sich, sodass Sitznachbarin Nele ihr ordentlich auf den Rücken klopfen musste, weil wir alle etwas Panik hatten, dass sie hier und jetzt erstickte.

„Ich rede am besten nicht mehr, wenn du gerade isst." Ein vorwurfsvoller Blick seitens Anna quittierte meine Aussage. Okay, ich sollte die Arme nicht so sticheln, aber es war nun mal zu witzig, wie sie sich manchmal beim Essen anstellte. „Du darfst auch den Film aussuchen!"

„Supi, ich wollte schon seit ewigen Zeiten wieder mal Ungeküsst ansehen", rief Anna wie aus der Pistole geschossen, sodass sich für einen kurzen Moment alle Blicke um uns herum auf sie richteten.

„Sagt mir irgendwie was. Wer spielt da mit? Und um was geht es denn in dem Film?", fragte ich gleich neugierig nach.

„Oh, der Film ist so süß", schwärmte Nele, wobei ihre blauen Augen regelrecht leuchteten. „Da ist Drew Barrymore noch voll jung und sie spielt eine Journalistin, die sich für eine Story als Highschoolschülerin ausgibt. Leider ist sie schon immer voll der Losertyp gewesen, aber ihr cooler Bruder hilft ihr dann, beliebt zu werden."

„Dann ist da noch der megasüße Lehrer, in den sie sich verliebt. Und er verliebt sich natürlich auch in sie", vollendete Anna die Zusammenfassung.

O weh, eine Schülerin, wenn auch eigentlich erwachsene Journalistin, verliebt sich in den Lehrer. Das wollte ich doch unbedingt sehen. Nicht!

Das erinnerte mich ja nur minimal daran, dass ich insgeheim und unverständlicherweise ein klitzekleines bisschen einen gewissen Dozenten heiß fand. Na ja, aber ich war definitiv nicht verliebt. Eher Lichtjahre weit entfernt, auch nur ansatzweise solche Gefühle zu hegen. Ganz zu schweigen davon, dass er überhaupt was für mich übrig hatte. Vermutlich würde Degenhardt mich sowieso nicht einmal registrieren, wenn ich nicht vor drei Wochen mit ihm in der Tankstelle aneinandergeraten wäre.

„Elli, du siehst nicht so begeistert aus", merkte Nele mit Besorgnis an.

Gute Beobachtungsgabe! Wie soll ich denn aussehen, wenn ich so was Absurdes vor mich hindenke?

Vorschlag ..." Anna eröffnete ihre Idee verheißungsvoll, indem sie das Wort in die Länge zog. „Nele, wenn du Zeit und Lust hast, dann kannst du einfach schon mal um halb acht kommen und wir schauen uns Ungeküsst an. Dann kommt Elli um halb zehn und wir drei machen dann noch einen Filmmarathon. Zum Beispiel mit 10 Dinge, die ich an dir hasse und Freaky Friday? Ich hätte so Lust auf ein paar gute alte Filme."

Nele fiel Anna sofort um den Hals und ich war auch unendlich froh über ihren Vorschlag, sodass ich gleich zustimmte.

„Was habt ihr eigentlich am Wochenende vor? Hättet ihr Lust, zu mir zu kommen? Pizza machen und Filmabend? Oder vielleicht sogar Eichstätt ein bisschen unsicher machen?", fragte Nele an Anna und mich gewandt.

„Also, ich hätte Zeit!", sagte meine Freundin sogleich begeistert zu.

„Und du, Elli?" Die beiden Mädels fixierten mich mit erwartungsvollen Augen.

„Ich kann leider nicht. Ich bin auf einem Polterabend in der Heimat eingeladen", murmelte ich vor mich hin. Das war tatsächlich dieses Wochenende. Seit Studiumsbeginn war ich nicht mehr zu Hause gewesen. Wahnsinn, wie die Zeit verging.

„Auf einem richtigen Polterabend? Wie cool ist das denn!?", riefen die zwei wie aus einem Munde, weshalb der Rest der Runde verwirrt zu uns herüberblickte.

„Ja, mein Nachbar und guter Freund heiratet nächsten Samstag.", erklärte ich knapp und schenkte den beiden einen entschuldigenden Blick.

„Ich war noch nie auf einem", sagte Nele etwas wehmütig und Anna nickte zustimmend zwischen zwei Bissen. Es war faszinierend, wie langsam sie aß. Jeder von uns war schon längst fertig, aber Anna verzehrte immer noch genüsslich ihren Camembert. Dieser musste bestimmt schon ewig kalt sein. Ich dagegen hatte ihn verschlungen wie ein Scheunendrescher, wofür ich mich allerdings null schämte.

„Das ist auch mein erster Polterabend. Ich berichte euch, ob es sich lohnt oder ob einem die Teller gefährlich um die Ohren fliegen", versprach ich augenzwinkernd.

Dann saßen wir noch einige Zeit einfach still da und hörten den Jungs am Tisch zu, worüber diese etwas zu berichten hatten. Manchmal taten mir Adam und Lukas leid, weil sie sich immer den Frauenkram von uns anhören mussten. Sie nahmen das bisher kommentarlos hin. Oder schalteten sie bei solchen Gesprächen einfach auf Durchzug?

„Gut, dass ich morgen erst um Viertel nach zehn zum Kurs muss. Wenigstens ein bisschen länger schlafen", seufzte ich erleichtert und schnappte mir das Tablett, um zu gehen. In zwanzig Minuten musste ich zu meinem nächsten Kunstkurs. Dieses Mal war Zeichnen dran.

„Ich freue mich riesig auf heute Abend! Bis später und pass auf dich auf", gab Anna von sich, bevor sie ihren letzten Bissen in den Mund manövrierte. Den anderen winkte ich zu und klopfte kurz zweimal auf den Tisch, um mich zu verabschieden.

Dann begab ich mich noch schnell zur Cafete. Und jeder von euch weiß, was ich dort holte, um die nächsten Stunden heil überstehen zu können.

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