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Wenn du dir Kussverbot erteilst ...
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Mein Herz klopfte so stark in meiner Brust, dass mein ganzer Körper davon vibrierte. Was überhaupt nicht förderlich für meinen elendleeren Magen war. Schon den gesamten Tag über dachte ich daran, dass ich heute Abend ein Date mit Joshua haben würde. Für nichts anderes war Platz in meinem Kopf. Und das Beschissene daran war, dass sich dieser Gedanke gefühlstechnisch auf mich übertrug. Also spielte nicht nur mein Hirn verrückt, sondern auch mein Körper. Mir war so furchtbar übel, dass ich keinen einzigen Bissen runterbekommen hatte.
Das Verrückte an diesem Zustand war, dass er mich trotz der unvorteilhaften Nebenwirkungen irgendwie total glücklich machte. Ich freute mich unglaublich darauf, Zeit mit Joshua zu verbringen. Ihm nahe sein zu dürfen. Andererseits hatte ich aber auch wahnsinnige Angst davor. Angst, dass irgendetwas schieflaufen könnte — so wie es eigentlich bei uns üblich war. Doch ich wollte nicht, dass es schieflief. Ich wollte ganz unbedingt, dass es ein toller Abend wurde.
Verdammt, da wurde mir schon wieder schlecht und dieses Mal hatte ich das Gefühl, mich gleich übergeben zu müssen. Meine Haut ähnelte vermutlich der eines gerupften Huhns und ich zitterte so sehr, dass mein Zeigefinger unkontrollierte Bewegungen machte, als ich ihn anhob.
Ich kann da jetzt nicht klingeln und einfach hochgehen ... Wenn ich vor ihm stehe, kotz' ich ihm sicher direkt vor die Füße. Das wäre mal ein genialer Start. Wieso sagt einem keiner, dass man bei Dates unbedingt Kotztüten dabei ha...
Da war mein Finger schon auf einem der Knöpfe gelandet. Erschrocken starrte ich hin und hoffte, er hätte das Ziel bei seiner Zitterpartie verfehlt ... Aber dem war natürlich nicht so. Scheiße! Was machte ich denn jetzt? Sollte ich noch mal schnell Sandy anrufen?
»Hallo?«, drang bereits Joshuas tiefe Stimme aus dem Lautsprecher und mein Herz schlug gleich fünfmal schneller als zuvor.
Ich hätte nicht gedacht, dass er so rasch an der Tür sein würde und schluckte den tennisballgroßen Kloß in meinem Hals hinunter.
»Hey«, krächzte ich und schüttelte gleich darauf den Kopf darüber. Das ging ja alles schon super los.
»Ich mach dir auf ... Bis gleich.«
Keine Sekunde später ertönte der Summer. Ich stemmte mich gegen die schwere Eisentür und stieß sie auf. Dann stand ich in der erleuchteten, modern gehaltenen Eingangshalle, passierte links neben mir die Briefkästen, die in der hellgrauen Betonwand eingebaut waren und stellte mich vor den Treppenaufgang. Bevor ich den ersten Schritt wagte, atmete ich nochmals tief ein und aus, um die Übelkeit zu verdrängen und mein rebellierendes Herz zu beruhigen. Aber keine Chance ... Bei Letzterem sollte ich mich damit abfinden, dass es wahrscheinlich den kompletten Abend mit Joshua außer der Reihe tanzen würde.
Also nahm ich langsam die Stufen nach oben. Dabei konzentrierte ich mich auf die weißen Linien, die den schwarzen Marmor durchbrachen. Jedoch half es nicht. Sowohl Körper als auch Verstand waren innerlich am Durchdrehen. Meine Knie glichen zerflossener Butter und waren demnach kaum spürbar. Gut, dass ich mich am Handlauf festklammern konnte, ansonsten wäre ich längst die Treppe hinuntergesegelt. Ich atmete gegen die immer größer werdende Aufregung an, schluckte sie bestmöglich herunter und hoffte, dass ich halbwegs zurechnungsfähig war, wenn ich ganz oben bei ihm ankam.
Bei der ersten Etage fiel mein Blick auf den Aufzug. Den würde ich bestimmt nicht nehmen, sonst wäre ich ja noch schneller da. Obwohl ich es auch irgendwie kaum erwarten konnte, ihn gleich zu sehen. Verdammt, was stimmte nicht mit mir? Alles in mir widersprach sich.
Ich schüttelte den Kopf und ging weiter die Treppe empor. Gelangte in den zweiten Stock, in dem ich im Gang zwischen den zwei Wohnungstüren Halt machte. Nur noch wenige Stufen und ich würde Joshua gegenüberstehen. Mein Herz hämmerte inzwischen so wild, dass sein Pochen vermutlich bis nach oben zu hören war. Bevor ich den finalen Weg antrat, umschloss meine Hand noch mal fest den Edelstahl des Geländers, sodass die Knöchel weiß hervortraten. Dann nahm ich all meinen Mut zusammen, holte tief Luft und wagte die letzten Schritte bis zum Ziel.
Kaum hatte ich die Hälfte der Stufen hinter mir, sah ich ihn bereits. Herrgott ... Sein Anblick killte fast jegliche Zurückhaltung in mir. Joshua stand mit den Händen in den Hosentaschen seiner dunklen Jeans im Türrahmen. Diese Position setzte seinen verboten heißen Oberkörper, der in einem grauen Hemd verpackt war, viel zu gut in Szene. Verflucht ...
Ein verschmitztes Lächeln zierte seine Lippen. Aber in seinem Blick meinte ich auch, so etwas wie Unsicherheit erkennen zu können. Und verdammt, ausgerechnet das machte ihn gerade so dermaßen unwiderstehlich. Hinzu kam das dunkle Wirrwarr seiner Haare, in denen ich meine Hände am liebsten gleich vergraben hätte wollen, während ich ihn küsste.
Stopp! So geht das nicht! Wenn ich ihn jetzt küsse, dann könnte ich mit Sicherheit nicht mehr damit aufhören.
Ja, ich wollte Joshuas Lippen auf meinen spüren. Aber noch mehr wollte ich diesen faszinierenden Mann kennenlernen, der es jedes Mal schaffte, mein Herz höher schlagen zu lassen. Genau deswegen musste ich mich zusammenreißen und konnte nicht gleich über ihn herfallen. Das war unser erstes Date. Das war überhaupt das allererste Date in meinem Leben. Ich wollte es keinesfalls verkacken ...
Schließlich kam ich oben an und kreuzte direkt seinen Blick, der mich augenblicklich festhielt.
»Hallo Elli. Schön, dass du da bist«, begrüßte er mich mit einem strahlenden Lächeln.
Verflucht ... Ich schmelze gleich.
»Möchtest du reinkommen?«
Ich nickte — mehr nicht. War wohl besser so, bevor ich wieder etwas Unverständliches von mir gab, denn meine Stimme war irgendwo, nur nicht hier. Würde heute ja eine tolle Konversation werden. Vielleicht sollte ich ihn doch besser gleich küssen?
Während ich auf ihn zuging, polterte mein Herz und ich knetete die furchtbar schwitzigen Hände. Joshua ließ mich dabei nicht aus den Augen. Sein Lächeln wurde noch tiefer und brachte seine Augen zum Strahlen. Als ich bei ihm ankam, um in die Wohnung zu treten, setzte jedoch mein Gehirn zeitgleich mit meinem Herzen aus und ich blieb wie gebannt stehen. Igendetwas zog mich magisch zu ihm. Er blickte mich intensiv an, so als würde er gerade in mein Innerstes schauen.
Im nächsten Moment drückte er mich an sich und ich fand mich in seinen starken Armen wieder. Ich schmiegte mich an seine Brust, schloss meine Augen, ließ meine Hände auf seinem Rücken ruhen und inhalierte seinen zitronig-frischen Duft. Dann spürte ich seine Wange auf meinem Kopf und hörte ihn leise aufseufzen. Lauschte seinem Herz, das genauso hektisch schlug wie das meine. Und dennoch beruhigte es mich. Diese Nähe zu ihm. Ich fühlte mich sicher. Geborgen. Jegliche Übelkeit und Angst waren wie weggeblasen.
»Es ...« Joshua räusperte sich und sein Griff verstärkte sich. »Ich freue mich sehr, dass du hergekommen bist.«
Ich lächelte zufrieden und öffnete langsam die Augen. »Hattest du denn Zweifel?«
Toll, Elli! Minimal gekrächzt, aber immerhin eine vollständige Frage!
Vorsichtig löste er sich von mir und schob mich an den Schultern ein Stück von sich. Erneut traf mich sein Blick, der so viele Emotionen widerspiegelte, dass ich sie gar nicht alle erfassen konnte. Aber sie verpassten mir allesamt eine Gänsehaut.
»Wenn ich ehrlich bin: ja.« Die Aufrichtigkeit in seiner rauen Stimme ließ mich noch mehr erschauern. »Elli, ich werde diese Chance nutzen, die du mir geschenkt hast und das Bestmögliche daraus machen.«
Herrgott, er war mir so nah. Und wie er mich anschaute. Alles um uns herum verschwand. Da waren nur noch er und ich. Und die elektrisierende Spannung zwischen uns, die sich immer mehr aufbaute. Unwillkürlich senkte ich meine Lider und fixierte seine vollen Lippen. Ich musste mich nur ein bisschen strecken, um sie kosten zu können ...
»Du ahnst nicht, wie gerne ich dich jetzt küssen würde ...«, sprach er meinen nächsten Gedanken aus und brachte mein Herz damit zum Flattern.
»Aber ...?«, hauchte ich, den Blick immer noch auf seinen verführerischen Mund gerichtet.
»Es gibt so vieles, das du noch nicht weißt«, sagte er und seufzte auf. »Und da ich versuche, es besser zu machen, möchte ich dieses Mal mit dem Küssen warten. Denn wenn wir jetzt damit anfangen, werden wir heute vermutlich nicht mehr zum Essen kommen.«
Ich wandte meinen Kopf zur Seite und hoffte, er bemerkte meine Enttäuschung nicht. Dann versuchte ich mich mit der Analyse seiner Worte abzulenken. Wie gewohnt, dauerte es mal wieder etwas länger, bis die Bedeutung an mein Gehirn gesendet wurde und ich die Augen verwundert aufriss. »Essen? Hast du etwa gekocht?«
Er nahm die Hände von meinen Schultern und legte eine davon in den Nacken. »Nun ja ... Nicht ganz. Aber ich habe alles vorbereitet, um jetzt mit dir gemeinsam zu kochen. Ich hoffe, du magst Italienisch?«
Allmählich nahm ich wieder das Drumherum um uns wahr und ließ meine Augen Richtung Küche wandern. Neben Joshuas herb-frischen Duft erreichten mich nun auch andere Gerüche, die sich im gesamten Raum ausgebreitet hatten: Knoblauch, Basilikum, Zwiebeln, Tomaten und vieles mehr vermischten sich dabei zu einem gaumenerfüllenden Gedicht.
»Volltreffer! Ich liebe es!«, erwiderte ich schmunzelnd. »Aber ich sollte dich vorwarnen: Ich bin eine absolute Niete im Kochen.«
Joshua zwinkerte mir zu, als er »Für dieses Essen muss man kein Sternekoch sein« sagte und bedeutete mir mit seiner ausgestreckten Hand Richtung Wohnraum, dass ich eintreten konnte.
Ich lachte leise und ging ein paar Schritte hinein, während ich mich meiner Lederjacke entledigte. Darunter kam eine figurbetonte rote Bluse zum Vorschein, die ich mit einer schwarzen engen Jeans kombiniert hatte. Sandy hatte gemeint, ich sollte etwas anziehen, das meine körperlichen Vorzüge unterstrich, aber worin ich mich zugleich wohlfühlte.
»Jetzt machst du mich neugierig ... Was gibts denn?«
Hinter mir hörte ich die Tür ins Schloss fallen und Joshua auf mich zugehen, ehe er neben mir zum Stehen kam, um die Jacke abzunehmen. »Pizza und Salat. Und meine kleine Schwester hat uns sogar noch mit einem passenden Nachtisch versorgt.«
»Das ist wirklich lieb von ihr.« Ich schüttelte lächelnd den Kopf und dachte an Jenni. Irgendwie hatte ich es auch ihr zu verdanken, dass Joshua und ich jetzt hier standen. Schließlich hatte sie durch ihre kleine List auf Reiners Geburtstag das Ganze zwischen uns wieder ins Rollen gebracht.
Plötzlich spürte ich Joshuas warme Hand, die meine linke streifte. Ich blickte zu ihm auf, bevor wir unsere Hände wie selbstverständlich miteinander verschränkten und er mich zur Kochinsel hinter sich herzog. Sofort prickelte die Haut an der Stelle, was einen Sturm durch meinen Bauch jagte, der lauter Bläschen darin herumwirbelte.
»Hast du Hunger?«
Ich starrte auf die Arbeitsplatte und begutachtete die unterschiedlichen Zutaten, die in kleinen Schüsseln gefüllt in einer Reihe standen: Paprika, Oliven, Schinken, Zwiebeln, Peperoni, Artischocken, ... Erneut strömten die leckeren Aromen in meine Nase und ich atmete einmal tief ein und aus.
»So ... allmählich ...«, antwortete ich wahrheitsgemäß, denn mein Magen spielte nach wie vor verrückt und hatte nicht wirklich das Bedürfnis nach Essen. Erst recht wenn meine Hand immer noch in Joshuas lag und er mit dem Daumen sanft über meine Finger strich.
»Dachtest du, es würde nichts geben und hast deshalb schon zu Hause gegessen?«
Verdammt ... Keine gute Frage!
Auf Knopfdruck wurde mir heiß und ich spürte, wie das Blut in meine Wangen schoss. »Ehrlich gesagt, war mir nicht so danach.«
Joshua lachte, umfasste mit seiner freien Hand meine Taille und zog mich zu sich, sodass ich meinen Kopf in den Nacken legen musste, um ihm in die Augen zu schauen. »Mir auch nicht.« Seine Stimme war samtig, zugleich rau, fast ein wenig bedrohlich und machte mich verflucht noch mal absolut verrückt.
Wir sahen uns an und ich versank in den Tiefen seines blauen Ozeans. Langsam beugte er sich zu mir hinab, sodass sich unsere Nasenspitzen berührten. Ich japste kurz nach Luft, hielt sie wieder an, weil ich an der Wucht der Emotionsflut drohte zu ertrinken. Mein wild pochendes Herz setzte für einen Moment aus, nur um mit schwindelerregender Geschwindigkeit einen Marathon hinzulegen.
»Okay ...«, raunte er, wobei sein Timbre bis in gewisse Zonen von mir vibrierte. Anschließend rückte er schlagartig einen Schritt zurück. »Ich hole dann mal den Pizzateig, bevor ich meine guten Vorsätze zunichte mache.«
Mehr als ein Nicken brachte ich nicht zustande, während ein weiteres Mal Enttäuschung durch meinen Körper fuhr. Ich weiß, ich wollte mich zusammenreißen, aber es fiel mir so verflucht schwer.
Joshua brachte eine silberne Schüssel, die von einem Küchentuch abgedeckt war. Als er dieses abnahm, wehte sofort der süßliche Geruch von Hefe zu mir und ich wagte einen Blick, um den Teig zu begutachten.
Ich hob anerkennend die Brauen. »Der sieht gut aus, denke ich. Zumindest ist er hoch. Hefe muss ja aufgehen ...« Sagte die, die noch nie etwas mit Hefe gemacht hatte.
»Danke. Jetzt muss er nur noch schmecken.«
»Das stimmt ...«, pflichtete ich bei. »Dann sollten wir mal in die Testphase gehen und schauen, ob er sich überhaupt gut woigln lässt.«
Joshua begann richtig laut zu lachen und zog eine seiner Augenbrauen irritiert nach oben. »Ob er sich was?«
Ich stemmte meine Hände in die Hüfte und funkelte ihn gespielt tadelnd an. »Joshua, wir sind in Bayern. Als gebildeter Mann musst du dich doch mit der Mundart hier auskennen.«
Erneut hörte ich sein herzhaftes Lachen, das mich sofort mitriss. Es war einfach unfassbar schön, ihn so entspannt und gut gelaunt zu sehen.
»Entschuldige, aber solche speziellen Begrifflichkeiten habe ich nicht in meinem sprachlichen Repertoire. Möchtest du mich eventuell aufklären? Sonst weiß ich ja nicht, ob sich der Teig gut weigeln lässt.«
»Woigln«, verbesserte ich und hob belehrend den Zeigefinger. »Also, das hier ...«, sagte ich und präsentierte das Nudelholz, »... ist ein Woigler. Damit kannst du den Teig woigln.«
»Sehr einleuchtend«, entgegnete Joshua, mich amüsiert angrinsend. »Du kommst also ursprünglich von hier, wenn du solche bayerischen Spezialbegriffe beherrschst?«
Seine Frage ließ mich innehalten, währenddessen sich unzählig viele Stiche in mein Herz bohrten. Ich atmete kurz durch, schloss die Augen und schüttelte den Kopf. »Nicht direkt. Also ... nein. Ich lebe hier erst seit circa zehn Jahren. Aber ich habe so einiges an Bayerisch von den Schönebergers aufgeschnappt. Und ich weiß nicht ... Dieser Dialekt klingt so ... putzig. Er hat Charme. Und es gibt einige Wörter, die auf Dinge und Zustände nicht besser passen könnten. Da habe ich mir eben ein paar davon gemerkt. Und woigln hat schon was, oder?«
»Durchaus«, stimmte er mir nickend zu, ehe er wieder eine ernstere Miene aufsetzte. »Das heißt, du kennst die Schönebergers, seit du hier wohnst? Deswegen steht ihr euch auch so nah?«
»Ja und ja ... Sie sind einfach eine absolut herzliche Familie. Wir haben schon so viel gemeinsam erlebt. Mit Andi und Gabriel habe ich mich auf Anhieb gut verstanden. Wir waren sofort ein Team und sie sind über die Jahre wie Brüder für mich geworden. Genauso wie Freddi. Wir haben immer auf ihn aufgepasst, weil er mit Abstand der Jüngste von uns ist, aber er natürlich trotzdem ständig überall mitwollte.« Ich lächelte leicht, als ich an die frühere Zeit mit den drei Jungs dachte. Sie hatten mir oftmals die kindliche Unbeschwertheit geschenkt, die mich aufgrund meiner Erlebnisse eigentlich verlassen hatte.
»Und Angie ... Sie ist ein Goldstück und hat sich immer um mich gekümmert. Im Advent haben wir immer gemeinsam Plätzchen gebacken und deswegen ...«, mit einem Lächeln auf den Lippen drehte ich das Nudelholz in meinen Händen, »... bin ich bestens mit dem Woigler vertraut.«
»Das klingt schön«, sagte Joshua, während er vorsichtig einen Teil des Teigs aus der Schüssel löste und ihn anschließend auf der bemehlten Fläche knetete. Verdammt, warum musste das so sexy aussehen? Bevor ich zu sabbern beginnen konnte, gab er mir mit einer Handbewegung zu verstehen, dass ich jetzt den Teig ausrollen durfte.
»Reiner ist eher der Ruhepol in der Familie, habe ich den Eindruck.«
»Oh ja, aber den braucht man auch. Mit drei Jungs ist viel los und er bewahrt wirklich stets Ruhe. Dennoch er ist immer und überall präsent, auch wenn er oft im Hintergrund agiert«, erzählte ich und versuchte mich unterdessen daran, den Teig halbwegs rund hinzubekommen. Ich scheiterte allerdings kläglich und beäugte das deformierte, flache Etwas vor mir. »Geht als abstrakte Kunst durch.«
»Ganz deiner Meinung. Fast zu schade zum Essen.« Erneut entwich Joshua ein Lacher und er reichte mir schmunzelnd Tomatensoße und geraspelten Käse, damit ich mit dem Belegen starten konnte.
Ich hatte zwar immer noch keinen Hunger, aber verführerisch roch es dennoch. Während ich in die Schüsseln vor mir griff und die Pizza mit reichlich Schinken und Gemüse verschönerte, bemerkte ich seinen Blick auf mir. Ganz automatisch wurde ich unsicher. Irgendwie musste ich von mir ablenken ... Worüber hatten wir gerade noch gesprochen? Vielleicht sollte ich auch nicht ständig von mir reden, sondern stattdessen mal Fragen stellen, um mehr über ihn zu erfahren.
»Und du wohnst auch nicht schon immer hier, oder?«
»Nein.« Kurz entstand eine Stille zwischen uns, in der ich ihn leise durchatmen hörte. Vermutlich hatte meine Frage gerade ein paar unschöne Erinnerungen in ihm geweckt. Joshua war schwer zu durchschauen, aber allmählich erkannte ich gewisse Verhaltensmuster. Eben weil ich manchmal sehr ähnlich reagierte und ihn deswegen recht gut verstehen konnte.
»Ich komme eigentlich aus Düsseldorf.«
Mein Kopf schoss zu ihm und mir wurde plötzlich heiß. Düsseldorf war gar nicht so weit von meiner ... Heimat entfernt. Wenn alles in unserem Leben normal verlaufen wäre, hätten wir uns vielleicht trotzdem kennenlernen können. Unter ganz anderen Umständen.
»Wie und wann bist du dann hier in Bayern gelandet?«, wagte ich zu fragen, während ich Joshua dabei beobachtete, wie er mein einzigartiges Kunstwerk auf dem Pizzastein in den vorgeheizten Ofen schob.
Gleich darauf traf mich sein stürmischer Blick und ich befürchtete fast, keine Antwort zu bekommen.
»Mein Stiefvater bekam die Möglichkeit, mit einem Freund zusammen in Ingolstadt eine Firma zu gründen. Einige Jahre pendelte er zwischen Düsseldorf und Ingolstadt, weil meine Eltern wegen mir nicht in zwei so weit voneinander entfernten Orten wohnen wollten. Aber ich wurde älter und meine Jahre an der Schule waren nahezu gezählt, deshalb baute sich meine Mutter eine Zukunft in Bayern auf. Geplant war gewesen, dass ich mit ihnen nach Ingolstadt ziehen sollte, sobald ich mein Abitur erfolgreich absolviert hatte. Aber das waren ihre, nicht meine Pläne. Ich wollte meinen Vater nicht allein zurücklassen. Kurze Zeit später kam es dann zur Verhaftung meines Vaters ... Den Rest kennst du.«
Mein Stirn kräuselte sich. »Aber warum hättest du mit ihr wegziehen sollen? Dein Vater hatte genauso das Recht, sich um dich zu kümmern.«
»Hätte er ...« Joshua schluckte merklich und senkte seinen Blick. »Aber so einfach war es nicht, Elli.«
Oh, scheiße ... Ich trete hier aber auch von einem Fettnäpfchen ins nächste. Gespräche dieser Art sind definitiv nicht meine Stärke.
»War er schon vor... Also ähm ... Hat er denn vor seiner Verhaftung schon ...?«, stammelte ich und wusste dabei selbst nicht genau, was ich da eigentlich wissen wollte.
Noch immer fixierte er den Boden, stützte sich nun aber mit dem einen Ellbogen an der Arbeitsplatte ab. Im nächsten Moment sah er mich wieder an. Wenngleich ein Hauch von Unsicherheit in seinem Ausdruck lag, so wirkte er nun doch insgesamt entschlossen. Er trug dabei nicht seine Degenhardt-Maske, sondern es zeigte sich vielmehr der Joshua, der mir klar und deutlich sagen konnte, was Sache war.
»Nein, er war nicht vorbestraft, falls du das fragen wolltest. Es lag an seinen psychischen Problemen, dass es nicht zu einem geteilten Sorgerecht gekommen ist.«
»Oh, das tut mir leid«, entkam es mir mit einer viel zu groß geratenen Spur Mitleid in der Stimme. Es klang fast schon weinerlich. Dabei hasste ich es, wenn man mich bemitleidete. »Ich meine, ich ...«
Joshua unterbrach mich, indem er abwinkte. »Das war nun einmal so. Aber ich denke, seine Krankheit war wohl auch mit der Grund dafür, dass sich meine Mutter von ihm getrennt hat. Es ist nicht gerade unkompliziert mit einer Person zusammen zu sein, die an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leidet.«
Borderline-Persönlichkeitsstörung. Davon hatte ich schon in der Psychologie-Vorlesung gehört. Aber die fand immer morgens um acht Uhr statt. Da war ich meistens noch nicht wirklich aufnahmefähig. Jedoch hatte ich irgendetwas mit Trennungsängsten und fehlender Impulskontrolle im Hinterkopf ...
Sein Räuspern beendete meine Überlegungen und ich nahm ihn wieder bewusst wahr. Inzwischen widmete er sich dem Rest des Hefeteigs und rollte ihn für seine Pizza aus. Vermutlich wollte er sich damit ablenken.
Doch auf einmal hielt er inne. Sein Blick traf mich mitten ins Herz und ließ es augenblicklich schwer werden. Es lag so viel Schmerz darin.
Schließlich lachte er kurz bitter auf. »Eigentlich wollte ich die harten Themen erst nach dem Hauptgang servieren. Ich hoffe, dir ist jetzt nicht der Appetit vergangen.«
In mir spukten so viele Fragen und Gedanken im Kopf herum, dass er mir davon schwirrte. Scheinbar gab es da sehr viel, das ihn nach wie vor belastete. Genauso ging es mir ja auch. Demnach war mir bewusst, dass er sich bereit fühlen musste, wenn er darüber sprechen wollte. Allerdings wusste ich gerade nicht, wie ich in Bezug auf seine Vergangenheit reagieren sollte. Aber ich schuldete ihm jetzt definitiv eine Antwort, denn ich wollte ihm keinesfalls das Gefühl geben, mir nicht alles von sich anvertrauen zu können.
Also trat ich näher an ihn heran und griff nach seiner rechten Hand, die eben ein paar Champignons auf der Pizza verteilt hatte. »Mein Hunger hält sich tatsächlich in Grenzen, aber das liegt sicher nicht an dem, was du mir von dir und deiner Familie erzählt hast. Sondern daran, dass mich deine Nähe verrückt macht. Das hat bisher noch niemand geschafft. Deswegen möchte ich unbedingt mehr über dich erfahren. Darüber, warum du der bist, der du bist. Mit allem, was dazugehört. Aber ich weiß aus persönlicher Erfahrung, dass es nicht einfach ist, sich zu öffnen. Nimm dir also bitte so viel Zeit, wie du brauchst.«
Nun wandte er sich ganz an mich und nahm meine andere Hand, um mich fest an sich zu ziehen. Mein Herz setzte mal wieder aus, als der tobende Tsunami in seinen Augen auf mich einwirkte. Ich meinte aber, dass er diesmal von Leidenschaft und Begierde geprägt war.
»Ich brauche nicht mehr Zeit, denn ich denke, wir haben davon schon viel zu viel verschwendet. Ich möchte, dass du alles erfährst. Und das wirst du. Aber jetzt ...« Ein Knurren entkam ihm, das in mir irgendeine äußerst wichtige Leitung durchbrennen ließ. »Jetzt will ich verdammt noch mal nur noch eine einzige Sache, der ich nicht mehr weiter widerstehen kann.«
Damit senkte er seine Lippen auf meine und wir ließen uns ohne Zögern auf einen Kuss ein, der all die Lust in mir freisetzte, die ich zuvor vehement unterdrückt hatte.
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Meine Lieben!
Da schaffen es meine Chaoten im 54. Kapitel zum ersten Date — wer hätte es gedacht? 😂 Ich bin sehr gespannt, was ihr zum Auftakt sagt und hoffe, die Chemie zwischen den beiden gefällt euch ... Denn es wird in nächster Zeit eventuell mehr davon geben (was der Plot sagt und die Autorin macht, sind allerdings zwei Paar Schuhe). 🤭❤️
Das Kapitel ist längentechnisch irgendwie ein wenig ausgeartet. 😂🙈 Deswegen hat es auch so lange mit dem Schreiben und Überarbeiten gedauert. Ich hoffe, die Länge war okay? Oder habt ihr euch irgendwo gelangweilt und hättet lieber zwischendrin einen Cut gehabt? Danke schon mal für eure Rückmeldung! ❤️
Vielen lieben Dank für eure Unterstützung —sie motiviert mich so unglaublich! 😍
Genießt den Abend und das restliche Wochenende und fühlt euch gedrückt! ❤️
Eure Teresia ☀️
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