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Wenn sich der Spießer
verpissen kann ...
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»Das ist keine gute Idee«, raunte Joshua und ich spürte, wie er den Kopf schüttelte.
Das war jetzt nicht sein Ernst!
Wütend schoss mein Blick nach oben, traf den seinen und ich stutzte. Seine Stirn war in Falten gelegt, die Furche zwischen den Brauen tiefer denn je. Der Tsunami in seinen Augen könnte nicht stärker wüten. Ich war mir nicht sicher, ob das jetzt Gutes oder Schlechtes zu bedeuten hatte. Warum sah er mich so an?
»Aber ich kann nicht anders.«
Damit zog er mein Gesicht zu sich, überbrückte den letzten Abstand und versiegelte meine Lippen mit seinen. Mein Herz sprang vor Freude. Es galoppierte geradezu. Mein Magen rumorte, als wieder ein Sturm in ihm jagte, der meinen gesamten Körper erschütterte.
Leicht fordernd fand seine Zunge den Weg in meinen Mund. Verband sich mit meiner. Ganz sanft, genießend. Als hätte er sich lange Zeit genau hiernach gesehnt, um diesen Moment nun in vollen Zügen auszukosten.
Ich vergrub meine Hände in seinen Haaren. Fuhr sachte mit den Fingern über die Kopfhaut. Er glitt derweil meine Wangen hinab. Machte an meiner Taille Halt, um mich an sich zu pressen. Ein Prickeln durchfuhr meinen Körper. Sammelte sich im Zentrum meiner Lust. Ich drängte mich — wenn möglich — noch mehr an ihn. Ließ meine Zunge immer stürmischer mit seiner ringen.
Ein tiefes Stöhnen entwich ihm und er löste seine Lippen von meinen. Auch ich keuchte auf, als ich sie keine Sekunde später an meinem Hals saugen spürte. Ein Kribbeln erfasste mich erneut. Unbändiges Verlangen quälte mich und hinterließ ein schmerzhaft süßes Brennen in meinem Unterleib.
»Elli, ich will dich ...« Wieder traf sein Mund eine hochsensible Stelle. »... so ...« Und wieder. » ... so sehr ...«
»Dann hör verdammt noch mal niemals auf«, flüsterte ich heiser und kam seinen heißen Küssen entgegen. Auch ich hatte diese Nähe zu ihm vermisst. Seinen Geruch. Seine Berührungen. Die Gefühle, die er damit in mir weckte. Einfach alles. Weil mich verflucht alles an ihm süchtig machte.
Doch langsamer, irgendwie zärtlicher platzierte er die folgenden Küsse auf meinen Hals, über das Kinn bis zu meinen Mund. Auch hier liebkoste er mich behutsam. Trotzdem war es intensiv. Mein Puls raste in ungeahnte Höhen. Mein Bauch rotierte auf ganz neuen Ebenen. Alles in mir zersprang förmlich vor Glück. Selbst als er sich allmählich von mir löste. Mich aber immer noch fest in seinen Armen hielt und dabei einfach nur ansah.
Zeit wurde unbedeutend. Alles, was zählte, war dieser Moment. Wie er mich anblickte. Ein Blick, der so viel mehr sagte, als man es jemals mit Worten ausdrücken könnte. Raum wurde unbedeutend. Alles, was zählte, waren er und ich. Wie er mich festhielt. Ein Halt, der so viel mehr vermochte, als mir Sicherheit zu schenken.
Da piepste die dämliche Spülmaschine. Immerhin hatte sie unseren Kuss vorhin nicht unterbrochen ... Dennoch wurde mir gerade die innige Situation allzu sehr bewusst und ich rückte abrupt ein Stück von ihm ab.
Unerwartet verzogen sich seine Lippen zu einem verschmitzten Grinsen. Meine Brauen zuckten fragend nach oben.
»Im Übrigen tut es mir nicht leid.«
Ein Lacher entwich mir, bei dem ich kurzzeitig meinen Kopf in den Nacken warf. »Wow, Herr Degenhardt ... Bemerkenswerter Fortschritt. Und gut für deine Eier, die dieses Mal bestimmt etwas abbekommen hätten.«
»Was glaubst du, warum ich mich nicht entschuldige?« Er zog mich dabei wieder näher zu sich und lachte. So wie damals beim Aufblasen der Luftballons.
Wie hatte ich dieses Lachen vermisst? Aber ... die ganze Situation ... wirkte so surreal ...
»Du machst Witze?« Ungläubig wies ich ihn nochmals ein Stück von mir, um mich zu vergewissern, ob hier auch wirklich der echte Joshua vor mir stand. »Okay, wer sind Sie und was haben Sie mit dem spießigen Degenhardt angestellt?«
»Du meinst den vernünftigen Kerl, der diesen verdammt unvernünftigen Kuss von eben nicht sonderlich gutheißen würde?« Er lächelte mich immer noch an, weshalb mein Puls keinerlei Chance hatte, runterzufahren.
»Stimmt. Vernünftig war das eben nicht gerade, aber ... Ja, diesen arroganten Schnösel meine ich.« Bei dem Gedanken an Joshuas andere Seite, wurde das angenehme Kribbeln in mir gedrosselt. »Muss ich Angst haben, dass er gleich wieder um die Ecke kommt?«
»Ich versuche ihn gerade zum Schweigen zu bringen. Er war in der letzten Zeit genug präsent«, entgegnete er mir, sah mich aber gleich daraufhin mit ernstem Blick an. »Aber Elli ...«
»Wow, dann hat der Spießer ja echt lange geschwiegen.« Ich verdrehte die Augen, weil ich bereits wusste, was jetzt kommen würde.
Seine Hände ergriffen meine. Sanft und fest zugleich. Sie fühlten sich warm an. Entfachten erneut das Feuer in mir.
»Elli ... Ich will dich. Nach wie vor. Viel zu sehr. Ich habe alles Erdenkliche versucht, dich in den letzten Wochen und Monaten zu vergessen ... und habe versagt. Aber dennoch kann es so nicht weitergehen.«
»Du bist nicht mehr mein Dozent.«
Er schüttelte den Kopf. Sein Blick weiterhin ernst, nun aber mit einer Spur von Traurigkeit? »Das meine ich nicht.«
»Sondern?«
»Ich habe ernst gemeint, was ich im Penthouse zu dir gesagt habe ...«
»Sag mal, möchtest du eine Auszeichnung im Schwammigreden, oder was?« Dabei entzog ich ihm meine Hände, um sie vor der Brust zu verschränken und musterte ihn eindringlich. »Du hast da echt viel zu mir gesagt. Mehr als sonst irgendwann.«
Sein Kiefer mahlte und ich konnte deutlich erkennen, dass er vermutlich einen inneren Kampf mit sich austrug. Konnte er nicht einfach mal sagen, was er dachte? »Ich glaube, es ist besser, wenn wir beide erst einmal einige Dinge klären, bevor wir ...«
»Bevor wir was? Verdammt, Joshua! Muss ich dir jetzt jedes Wort aus der Na...«
Erneut verwickelten mich Joshuas Lippen in einen Kuss. Bestimmend fand seine Zunge den Weg in meinen Mund und seine Hände zu meiner Hüfte. Ich schlang meine Arme um seinen Hals und konnte gar nicht anders, als zu erwidern. Dafür fühlte sich der Gefühlscocktail in meinem Körper viel zu gut an.
Nach viel zu kurzer Zeit, ließ er wieder von mir ab und funkelte mich mit seinen Sturmaugen an. »Anders bekommt man dich manchmal nicht still. Du denkst zu viel. Du redest zu viel. Vielleicht machst du mal eine kurze Sendepause, wenn ich gerade versuche, die richtigen Worte zu finden.«
Eine Stille legte sich über uns, in der wir uns wie zuvor tief in die Augen blickten. Ich dachte direkt darüber nach, für was er nun die richtigen Worte suchte, schluckte die Frage aber herunter. Obwohl ich gegen ein paar weitere Küsse nichts einzuwenden hatte ...
»Elli, es gibt einige Dinge, über die wir reden müssen.« Sein Blick durchbohrte mich förmlich und schickte mir einen Schauder über den Rücken.
Ich wollte nicht reden. Vor allem nicht schon wieder darüber. Das meinte er doch? Oder? »Ich finde, unsere Kommunikation funktioniert anders sehr viel besser.«
»Wenn ich dich lediglich als Betthäschen benutzen wollen würde, dann würde ich dir zustimmen ...« Joshuas Augen fesselten die meinen und ließen mich wissen, dass er es ernst meinte. »Aber da ist ... mehr.«
Augenblicklich befiel ein starkes Kribbeln meinen Bauch und brachte ihn beim Nachdenken über seine Worte fast zum Explodieren.
»Oder irre ich mich da?«
Ich schloss meine Lider und sah anschließend zu Boden. Mein Herz schlug gefährlich schnell. Was sollte ich jetzt sagen? Wollte er gerade ernsthaft über unsere Gefühle füreinander sprechen? Nach all der Zeit, in der wir versucht haben, genau diese zu ignorieren und zu verdrängen?
»Elli?«
Ich schüttelte langsam, aber sicher den Kopf. Doch damit schien sich Joshua nicht zufrieden zu geben, denn er legte seine Hand unter mein Kinn und hob es an. Als sich unsere Blicke trafen, überzog erneut eine Gänsehaut meinen Körper.
»Muss ich dir jetzt jedes einzelne Wort aus der Nase zieh...«
»Hallo und aufgepasst! Hier kommt Nachschub zum Spülen und zugleich eure Ablöse«, flötete eine bekannte weibliche Stimme und ich atmete erleichtert aus, während mich Joshua losließ.
Auch ich rückte etwas weiter von ihm weg und beobachtete, wie Kathrin ein übervolles Tablett mit allerlei Gläsern auf der Kücheninsel abstellte. Unglaublich, dass ich jemals froh sein würde, sie zu sehen ... Und dann kam auch schon der Dämpfer, als hinter ihr Reinhard in die Küche schneite.
Unsicher sah er mich an und nickte mir zu. Seinem Blick nach zu urteilen fühlte er sich gerade auch nicht sonderlich wohl. Mein Herz krampfte sich zusammen und ich stieß hektisch die Luft aus.
Dann standen wir vier einfach nur da. Keiner sagte etwas. Wie ich solche Situationen hasste ...
»Hallo«, ergriff mein Vater schließlich das Wort und trat zu Joshua heran, um ihm seine Rechte entgegenzustrecken. »Ich bin Reinhard, der Vater von Elli. Und du bist?«
Dieser versteifte sich, erfasste aber nach kurzem Zögern die Hand zur Begrüßung. »Freut mich, ... Herr Wiesinger. Joshua Degenhardt, der Bruder von Emilia.«
Langsam schüttelten sie sich die Hände. Mein Vater blickte dabei von Joshua zu mir und wieder zurück. »Freut mich ebenfalls, Joshua. Bitte nenn mich Reinhard. Das Gesieze ist doch immer etwas ...«
»Spießig?«
Reinhard ließ Joshuas Hand los und nickte schmunzelnd. Auch ich konnte mir bei Joshuas passender Ergänzung ein überbreites Grinsen nicht verkneifen.
Irgendwie absolut verrückt, dass sich gerade Joshua und mein Vater unterhielten. Wenn er wüsste ...
»Emilias Bruder also. Sehr schön ... Und ihr beide wart hier fleißig?« Reinhards Blick pendelte erneut zwischen Joshua und mir hin und her. Ob er was ahnte?
Mir wurde mit einem Mal knallheiß und ich biss mir auf die Unterlippe, die immer noch leicht von den unsagbar guten Küssen geschwollen war. Das machte die Situation kein Stück besser.
»Wir ...« Joshua ballte die Fäuste und räusperte sich. Schindete er gerade Zeit? Weil er das alles genauso seltsam und unangenehm fand wie ich? »Wir sind eben fertig geworden. Die Spülmaschine fehlt noch.«
»Alles gut, ihr Zwei. Geht euch ruhig amüsieren«, meldete sich nun auch Kathrin zu Wort. »Reinhard und ich übernehmen. Ich bin übrigens Kathrin.«
Joshua nickte ihr zu und streckte die Hand aus, um auch sie freundlich zu begrüßen — man konnte sich mit ihm zeigen, so viel war sicher. Sie lächelte ihn daraufhin entzückt an, so wie sie es oft bei Reinhard tat. Gleich kotzte ich irgendwo hin ...
»Na dann ...« Joshua drehte sich zu mir um und sah mich fragend an.
Es dauerte einen Moment, bis ich schaltete. Irgendwie war ich immer noch mit der Gesamtsituation überfordert und wusste nicht so recht, was ich machen sollte. Schließlich setzte sich mein Körper in Bewegung und ich ging mit Joshua zusammen an Reinhard und Kathrin vorbei.
Kaum waren wir in den Gang herausgetreten, holte ich tief Luft, so als hätte ich sie vorhin permanent angehalten.
Doch da blieb Joshua auf einmal stehen und mein Gesicht kollidierte fast mit seiner Brust. Dafür trat ich ihm wohl schmerzhaft auf den Fuß, denn für eine Sekunde verzog er seinen Mund.
»Dein Vater und du ...«
»Lass es«, ermahnte ich Joshua augenverdrehend und versuchte mich an ihm vorbeizuschlängeln.
Aber er hielt mich am Ellbogen fest und zog mich zu sich. Ich hingegen blickte stur in Richtung Ausgang. »So funktioniert es nicht. Wie soll ich mehr über dich erfahren, wenn du immer wieder abblockst? Lass mich dich kennenlernen, Elli.«
Ein weiteres Mal rumorte mein Inneres und konnte sich dabei nicht entscheiden, ob das nun positiv oder negativ war. Ein Teil von mir freute sich wie ein kleines Kind, dass sich Joshua scheinbar ernsthaft um mich bemühte. Aber der andere, sehr viel größere Teil, hatte Angst. Noch nie war mir ein Mensch so nah gekommen. Und das immer wieder. Wenn es mir zu eng wurde, machte ich in der Regel dicht. Brach den Kontakt ab. Oder ich zwang die Person, mich in gewissen Bereichen meines Lebens in Ruhe zu lassen. So hatte ich es beispielsweise bei Andi getan.
Aber würde das bei Joshua auch so einfach gehen? Irgendwie bezweifelte ich das. Und genau das machte mir Angst.
War ich bereit? Bereit für ein Wir? Wenn ja, musste ich ihm alles erzählen. Man musste kein Ass in Beziehungen sein, um zu wissen, dass Geheimnisse die Macht hatten, Gefühle zu zerstören. War ich also bereit, mit Joshua einen Schritt weiterzugehen? Meine Geheimnisse mit ihm zu teilen? Dabei durch die Hölle zu gehen? Und wollte ich riskieren, dass sein Wissen ihn womöglich auch in Gefahr bringen konnte?
Es kostete mich alle Kraft, Joshua nun doch anzusehen. »Ich brauche etwas Zeit. Mein Leben ist ein einziges Chaos. Ich ... ich möchte dich da ungern mitreinziehen.«
Die Art, wie er mich musterte — sanft, mit einem Hauch Neugier — lieferte mir stumm eine Antwort. »Bin ich nicht jetzt schon Teil dieses Chaos? Lass mich dir helfen und für dich da sein.«
»Ja, du bist irgendwie schon mittendrin ... aber irgendwie auch nicht. Mein Problem ist, dass ich zu viele Baustellen habe. Und ich glaube, nur wenn ich aktiv und schrittweise an ihnen arbeite, kann ich da etwas ordnen. Ich versuche das ... wirklich ... aber es ist schwerer als ich gedacht habe. Ich muss erst ein paar Sachen regeln. Ich muss erst zu mir finden, bevor ich mich auf ...« Ich zeigte zwischen ihn und mir hin und her. »... was auch immer das zwischen uns ist, einlassen kann.«
Nach einer kurzen Pause nickte er. »Das verstehe ich.« Dann strich er behutsam meine Arme empor, sodass sich darauf sofort die kleinen Härchen aufstellten. »Du weißt, wo du mich findest. Ich warte auf dich.«
Mein Herz kickte wild gegen meinen Brustkorb. So als wollte es sagen, ich soll mich nicht so haben und ihm dankend in die Arme fallen, anstatt ihn auf unbestimmte Zeit zappeln zu lassen. Aber mein Verstand predigte mir, dass ich womöglich erst dann einen Menschen in mein Leben lassen konnte, wenn ich selbst damit klarkam.
Unvermittelt zog mich Joshua näher zu sich und ich inhalierte seinen herben Duft, während ich mich an seine Brust schmiegte. Wir verharrten in dieser Umarmung. Hielten einander fest. Wollten nicht loslassen.
Doch irgendwann umschloss Joshua mein Gesicht mit seinen Händen und hauchte mir einen Kuss auf die Stirn. »Nimm dir die Zeit, die du brauchst. Aber du sollst wissen, dass ich für dich da bin, Elli.«
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