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𝑾𝒆𝒏𝒏 𝒅𝒆𝒓 𝑨𝒍𝒌𝒐𝒉𝒐𝒍 𝒛𝒖𝒎 𝑩𝒖𝒉𝒎𝒂𝒏𝒏 𝒘𝒊𝒓𝒅 ...
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Mensch, Elli! Du kannst mir doch nicht so einen Schrecken einjagen!" Nur beiläufig hörte ich meiner Freundin Anna zu, während ich in Gedanken versunken die Pinsel auswusch.

Es war Mittwochabend meines Marathonunitages. Vor einer knappen Stunde war mein letzter Kurs zu Ende gegangen und Anna wollte mich abholen, damit wir gemeinsam zu Neles WG aufbrechen konnten. Nach dem Kurs malte ich meistens noch eine Zeit lang mit Kira, bevor wir gegen Mitternacht – manchmal sogar später – Feierabend machten. Heute war ich allerdings alleine länger geblieben, weil meine Kommilitonin verhindert und erst gar nicht im Kurs gewesen war. Die Zeit mit der Leinwand hatte ich gut nutzen können, um etwas nachzudenken.

Seit gestern Mittag – also, nach Joshuas schnellem Aufbruch – hatte ich nichts mehr von ihm gehört. Nichts. Absolut nichts. Könnt ihr euch vorstellen, wie sehr ich auf Kohlen hocken musste, nach allem, was zwischen uns passiert war?

Zudem war es ja nicht so, als hätte ich mich von jetzt auf gleich von den vergangenen Tagen der Versenkung blitzgeheilt. Der Sex mit ihm hatte zwar einiges in mir bewirkt, aber Wunder konnte er nun auch nicht vollbringen. Langsam hegte ich den Verdacht, dass ich mir alles nur eingebildet hatte, um für einen kurzen Moment mit den Ereignissen meiner Vergangenheit klarzukommen.

„Hörst du mir überhaupt zu?", fragte mich Anna, fasste meine Schulter an und schüttelte mich leicht, damit ich sie wieder registrierte.

Mein verwunderter Blick musste Bände sprechen, denn Anna musterte mich äußerst besorgt, bevor sie fortfuhr. „Also, wenn du willst, dann können wir den Mädelsabend absagen und einfach zu zweit ein wenig quatschen. Was ist denn nur los mit dir?" Eine durchaus berechtigte Frage. Zu schade, dass ich sie mal wieder nicht ehrlich beantworten konnte.

„Nein, alles gut. Wie ich dir bereits gesagt hab', hatte ich Magen-Darm. Mir geht's inzwischen wieder richtig gut und ich freu mich schon die ganze Zeit auf unseren Abend", weil er eine willkommene Ablenkung ist. Fast wollte ich ein Fünkchen Wahrheit meiner miesen Lüge hinzufügen, ließ es aber dann lieber sein. Damit es glaubhaft wirkte, rang ich mir ein Lächeln ab.

„Okay, magst du dir zumindest helfen lassen? Du legst gerade das Tempo einer Schnecke hin!" Anna lachte und wies mit ihrem Zeigefinger auf mein penibles Auswaschen der Malutensilien hin.

„Das muss eben gründlichst gemacht werden", verteidigte ich mich, ehe einige Spritzer in ihre Richtung flogen. Natürlich vollkommen unabsichtlich.

Anna quiekte erschrocken auf, riss mir plötzlich die Pinsel aus der Hand und bespritzte nun mich damit, sodass ich tatsächlich ganz schön was abbekam. Die glitschige Konsistenz der restlichen Farbe in Verbindung mit Wasser fühlte sich etwas eklig an den Körperteilen an, die davon getroffen waren. Ich war froh, dass ich noch immer meinen Kittel trug, denn so wurde meine Kleidung darunter nur minimal feucht. Inzwischen war es nämlich deutlich zu kalt draußen geworden, um dort mit nassen Klamotten herumzurennen. Außer ich wollte mir den Tod holen.

„Du Biest! Das hätte ich dir gar nicht zugetraut!", schrie ich gespielt schockiert auf und machte einen bedrohlichen Satz nach vorne, um Anna aufzuschrecken.

Dann stimmten wir beide in ein Lachen ein, das wohl durch den gesamten Kunstbau schallte. Aber das konnte uns egal sein, denn wer war schon nach einundzwanzig Uhr in den Unifluren unterwegs, mal ganz abgesehen von uns beiden verrückten Hühnern?

Schließlich schafften wir es zu zweit, den Rest meiner Sachen aufzuräumen und den Kunstsaal sauber zu hinterlassen, sodass wir ruhigen Gewissens zu Nele aufbrechen konnten. Da wir ihr in weiser Voraussicht unsere Wünsche zum Essen abgegeben hatten, warteten bereits duftende Pizzen, als wir in die WG einkehrten. Sie waren zwar nicht mehr ganz heiß, aber Pizza war kalt immer noch köstlich. Nebenher schauten wir Hangover und tranken ordentlich Wein, wie es sich für diese Art von Film gehörte.

Es gelang mir dank meiner wunderbaren Freundinnen, dass ich tatsächlich einmal etwas abschalten konnte. Wenigstens ein paar Stunden vor der Realität flüchten und unbeschwert die Zeit genießen. Das sollte mir nach dem ganzen Scheiß vergönnt sein. Das böse Erwachen kam sowieso früher oder später und ausnahmsweise hatte ich am heutigen Abend keine Lust, mir meinen Kopf zu zerbrechen.

Ordentlich beschwipst schwankten Anna und ich nach Hause. Wir hatten deutlich über den Durst getrunken und schoben daher vorbildlich die Fahrräder neben uns her. Die besagte Frischluftwatsch'n lieferte zusätzlich einen Beitrag, weshalb wir uns nicht allzu koordiniert fortbewegten. Aber immerhin stellten die Räder eine kleine Stütze dar.

„Jetzt will ich einfach nur heim in mein Bett!" Ich stöhnte auf, als ich daran dachte, die Couch erst noch herrichten zu müssen.

„Irgendwie sind wir nicht mehr so fit wie vor einigen Monaten", sagte Anna in einem frustriert klingenden Ton. „Zu Schulzeiten konnten wir unter der Woche bis in die Puppen feiern und waren am nächsten Tag trotzdem top fit. Und jetzt sind wir schon zerstört, wenn wir mal mit ein bisschen Wein einen Film anschauen."

Ich schüttelte lachend den Kopf, wenn ich an die Oberstufenpartys dachte. Da hatte ich wirklich nichts ausgelassen. „Weißt du noch, als wir nach der letzten offiziellen Klausur bei Theo daheim feiern durften? Seine Eltern sind doch im Urlaub gewesen ... Welch blaues Wunder sie wohl erlebt haben, als sie wieder gekommen sind."

Anna prustete los, wodurch sie gefährlich taumelte und geradeso wieder ihr Gleichgewicht fand. Ich hatte sie im Geiste schon auf dem Boden gesehen. „Oh ja! Das war so genial! Aber wer kam denn auf die Idee mit der Schaumparty?"

Jetzt war es an mir, laut aufzulachen. „Ich hab' keine Ahnung! Aber es war so lustig! Zum Glück konnte man in dem Pool stehen, sonst hätte das damals kein gutes Ende für den ein oder anderen genommen ..."

Während wir über weitere Partys und unsere Abizeit sinnierten, lachten und schaukelten wir weiter nach Hause. Dabei bemerkte ich, dass Anna wirklich recht hatte. Tatsächlich konnte ich nicht mehr die Ausdauer beim Dauerfeiern sowie die Trinkfestigkeit vorweisen, wie ich es als Abiturientin getan hatte. Wurde ich etwa alt? Oder lag es schlicht daran, dass ich weniger auf Partys herumhüpfte?

Ich gab es ja zu: Der Alkohol war mehr mein Freund als mein Feind. Eine Party ohne ihn war aber auch nur halb so lustig. Trotzdem sollte ich es langsam lassen, derart viel unter der Woche zu bechern – vor allem, wenn ich nicht einmal Feiern war, sondern allein daheimsaß. Aber irgendwie war mein Leben gerade zu kompliziert, um es nüchtern aushalten zu können.

_____

Am nächsten Tag wachte ich mit einem verdienten Schädel auf, der mich an meinen Vorsatz erinnerte, nie wieder Alkohol zu trinken. Es würde wohl weiterhin ein Vorsatz bleiben, der bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag darauf wartete, erfüllt zu werden. Wenigstens hatte ich heute nicht allzu früh Uni, sodass ich mir erst einmal in aller Seelenruhe einen Kaffee genehmigen konnte.

Ein Blick auf mein Handy verriet mir, dass ich noch über eine Stunde Zeit hatte, bis mein erster Kurs startete. Gerade eben, als ich es wieder weglegen wollte, flog eine Benachrichtigung über eine neue E-Mail herein. Beim Lesen des Absenders blieb kurzzeitig mein Herz stehen: Die Mail war von Joshua! Beziehungsweise von seinem Dozenten-Account, also von Degenhardt.

Plötzlich war ich so aufgeregt, dass mir mein Smartphone beinahe aus der Hand gefallen wäre. Er hat mir endlich geschrieben. Erleichterung, Glück, Aufregung ... Diese Gefühle brachten meinen Körper zum Zittern und mein Herz zum Flattern.

Die Finger flogen über den Bildschirm und ich hatte Mühe und Not, die Nachricht nicht vor lauter Nervosität ungelesen zu löschen, weil ich derart aus dem Häuschen war. Was wohl drinstand? Wollte er mich sehen? Wie würde er das in einer dienstlichen Mail geheim rüberbringen?

Endlich gelang es mir und ich las die Zeilen, die förmlich an mich gerichtet waren.

Sehr geehrte Frau Wiesinger,

vielen Dank für Ihre Nachricht. Das versäumte Referat können Sie gerne in der Woche nach den Weihnachtsferien halten. Bis nächsten Montag bereiten Sie bitte den Text zu van Goghs Sonnenblumenbildern vor. Ich hoffe, damit sind all Ihre Fragen geklärt.

Mit freundlichen Grüßen

J. Degenhardt

Nach dem ersten Lesen stutzte ich, denn mit diesem Inhalt hatte ich wirklich nicht gerechnet. Was hieß hier vielen Dank für Ihre Nachricht und Ich hoffe, damit sind all Ihre Fragen geklärt? Welche Nachricht? Welche Fragen? Ich ahnte Bitterböses und fand schließlich die Bestätigung dafür. Auf dem zweiten Blick fiel mir das RE im Betreff auf sowie eine Nachricht, die zuvor von meiner Mailadresse verschickt worden war. Was zum Geier?

Die glückselige Erleichterung wich mit einem Schlag, als ich auf die Uhrzeit des Versendens schaute: halb drei Uhr nachts. Verdammt! Wie hatte mir das passieren können?

Ich blinzelte mehrmals, während ich meine Erinnerungen an die vergangene Nacht durchkämmte. Scheiße, ich hatte doch tatsächlich im Suff eine Mail an Joshua geschrieben. Ich Idiot! Ich dämlicher Riesenidiot! Er wollte sich doch eigentlich bei mir melden und nicht umgekehrt. Na ja, egal ... jetzt war es zu spät.

Peinlich berührt überflog ich meine Worte an ihn.

Lieber Herr Degenhardt, – Also als lieb würde ich jetzt weder Joshua noch seine Dozentenfassade bezeichnen, aber okay ... –

da ich aus gesundheitlichen Gründen am Montag gefehlt habe, konnte ich mein Referat in Ihrem Kurs leider nicht halten. Dies würde ich gerne nachholen, wenn das möglich ist. – Klang plausibel und gar nicht so schlecht von der stark alkoholisierten Version von mir. – Um die Einzelheiten und meine Fragen zum Kurs zu klären, bitte ich Sie um einen schnellstmöglichen Termin in Ihrer Sprechstunde. – Was? Noch verzweifelter ging nicht, oder? – Gerne auch zu einem anderen Zeitpunkt. – Oh, ging wohl doch. – Es ist mir wirklich ein Anliegen, dies zu klären. – Scheiße, wie armselig. –

Viele liebe Grüße

Elli Wiesinger

Vor Scham versank ich halb im Erdboden. Den Rest erledigte der Schmerz, der wie ein Hammer auf meinen Kopf schlug, damit ich schließlich komplett einsackte.

Erstens: Was fiel mir ein, ihm zu schreiben? Und zweitens: Warum musste die Mail so furchtbar erbärmlich klingen? Die Antworten darauf sollten leicht fallen: Der Alkohol und meine tiefe Verzweiflung waren schuld. Aber wohl erstrangig der Alkohol, schließlich hatte er mich in diese missliche Lage gebracht.

Benommen tätschelte ich mal wieder meine Wange, um mich aus dem vermeintlichen Albtraum zu wecken. Aber wieder einmal passierte nichts. Alles war unverändert beschissen. Verdammt!

Nachdem ich halbwegs damit klarkam, diese peinliche Nachricht mitten in der Nacht verfasst und versendet zu haben, las ich seine Antwort noch mal durch. Gefühlt zwanzigmal. Doch kein Versuch ließ mich schlauer daraus werden.

Versteckte sich zwischen den Zeilen irgendetwas und ich schnallte es nicht? Oder tat er hier tatsächlich so, als hätten wir vor zwei Tagen nicht miteinander geschlafen?

Natürlich war mir bewusst, dass er nicht einfach etwas Persönliches schreiben konnte, aber ein kleiner, sachlich wirkender Hinweis, den ich als Wink interpretieren konnte, hätte schon gereicht.

Erneut zerlegte ich Satz für Satz. Ich hoffe, damit sind all Ihre Fragen geklärt. Das war doch wohl nicht sein Ernst! Absolut nichts war hier geklärt. Warum schlug er meinen Vorschlag eines Treffens in seiner Sprechstunde aus? Wollte er mich etwa nicht wiedersehen?

Langsam, aber sicher brodelte es bedrohlich in mir. Von Glückseligkeit über Scham bis zur Wut innerhalb von fünf Minuten. Mein Rekord an ambivalenten Gefühlen in kürzester Zeit war damit übertroffen.

Ich glaubte einfach nicht, dass Joshua nach Dienstag so tat, als wäre nichts passiert. War das seine Art, sich bei mir zu melden? Eine reservierte Antwort auf eine Mail, die ich ihm geschrieben hatte? Ich war derart wütend, dass ich am liebsten sofort in sein Büro geschneit wäre, um ihm den Marsch zu blasen.

Okay, Elli ... Ruhe bewahren! Es ist nur eine E-Mail. Vielleicht ist er einfach absolut vorsichtig und traut sich nicht zu schreiben, dass wir uns treffen. Damit auch ja nichts verdächtig rüberkommen kann.

Dies redete ich mir in Dauerschleife ein, ging dabei in meinem Apartment auf und ab, während ich versuchte, das Gefühlschaos in mir zu bereinigen.

Mir blieb gerade nur eines übrig: Ich musste abwarten. Warten, bis Montag war und ich ihn im Kurs sehen würde. Dann klärte sich bestimmt alles auf – zumindest hoffte ich das.

_____

Die nächsten Tage kosteten mich immens viel Kraft und Disziplin. Ständig war ich versucht, wieder in mein tiefes Loch zu kriechen und mich mit Alkohol zu betäuben. Aber da ich ihm dieses Mal nun wirklich abgeschworen hatte, hielt sich mein selbstzerstörerisches Potenzial in Grenzen. Dafür beschäftigte ich mich umso mehr mit der Literatur und den Inhalten meiner Vorlesungen. Außerdem musste ich die versäumten Veranstaltungen aufarbeiten. Und wenn es mal gefährlich langweilig wurde, bewaffnete ich mich sofort mit meinem Putzzeug. Damit schrubbte ich alles blitzeblank, obwohl man zuvor kein einziges Dreckpartikelchen in der Wohnung hatte finden können.

Heute würde der Teufelskreis endlich ein Ende nehmen. Es war Montag. Um Viertel nach zwei war das Seminar bei Joshua. Anschließend wollte ich mit ihm reden.

Dass er sich seit der seltsam distanzierten Mail nicht weiter gemeldet hatte, war zwar zugegeben eine Qual gewesen, aber ich maß dem Ganzen nicht zu viel Negatives bei. Nicht alles in meinem Leben konnte scheiße sein. Das durfte es nicht.

Auf dem Weg zum Saal setzten jedoch die Selbstzweifel ein und mein Herz rutschte mir in die Hose. Wenn Gefühle einen Menschen zum ängstlichen Mäuschen mutieren ließen, dann wünschte ich mir lieber, ich wäre nie dahinter gekommen, dass ich etwas für Joshua empfand. Dieser Umstand änderte alles. Und diese Art von Veränderung konnte ich eigentlich gerade so gar nicht gebrauchen. Aber wann fragte das Herz einen schon, was der Kopf wollte?

Im Raum angekommen, sah ich sofort Adrian, der mich lächelnd zu sich winkte. Ohne Joshua auch nur eines Blickes zu würdigen, ging ich auf meinen Kommilitonen zu. Schließlich wollte ich möglichst unauffällig bleiben. Ganz vielleicht hatte es auch mit meinem verletzten Stolz zu tun.

„Hey Elli, schön, dass du wieder da bist! Was war denn letzte Woche los?", fragte Adrian und umarmte mich als Begrüßung.

„Hey, hey. Ich war ..." Es war Zeit, um mein Lügennetz auszuweiten. „... krank. Magen-Darm. Unschöne Sache. Da halten sich Referate nicht so gut, wenn einem in Dauerschleife schlecht ist."

Adrian verzog mitleidig den Mund. „Oh Mann, das kann echt niemand gebrauchen. Kannst du denn das Referat nachholen? Ich hatte mich schon darauf gefreut und schließlich gehört es ja zur Seminarnote."

„Ich denke, Degenhardt wird es verstehen. Nach dem Kurs werde ich wohl oder übel ein Wörtchen mit ihm darüber reden müssen." Mein Ton klang hierfür alles andere als begeistert und das war ausnahmsweise kein Stück vorgegaukelt – ich hatte tatsächlich keine Lust, Joshua später gegenüberzutreten.

Während ich mich setzte, schluckte ich den Kloß herunter, der sich in meinem Hals gebildet hatte und ließ kurzzeitig den Blick durch den Saal schweifen.

Da stand er. Verboten gut aussehend wie immer. In seine Notizen vertieft, rückte er seine Brille zurecht. Bis auf seine vor Gel triefenden Haare war dieser Mann perfekt. Kurz bevor Joshua aufsah, leckte er sich über die Lippen. Verflucht, ich durfte nicht daran denken, wie sich diese auf meiner nackten Haut angefühlt hatten. Was das alles mit mir angestellt hatte. Sonst zerlief ich gleich an Ort und Stelle. Trotzdem ließ es sich nicht verhindern, dass ein gewaltiger Schauer meinen Rücken hinablief.

Anstatt mich kurz mit einem Blick zu bedenken, bestellte er mit einer einladenden Geste die neunmalkluge Frau Heidecker zu sich. Ach, hielt die etwa heute die Einheit? Da hatte ich gleich viel mehr Lust auf die nächsten neunzig Minuten, wenn ich ihr Geschwafel ertragen musste.

„Frau Oberschlaumeier ist heute dran", flüsterte mir Adrian zu. Vermutlich hatte er mein Starren bemerkt. Ich sollte vorsichtiger sein. „Letzte Stunde ist sie unerträglich gewesen, nachdem klar war, dass dein Input ausfallen wird. Sie bot tatsächlich an, dein ausgewähltes Werk zu analysieren. Aber Degenhardt beschloss spontan, den Seminarplan etwas umzuwerfen und hat ein anderes Thema vorgezogen. Brauchst du die Unterlagen dazu? Ich hätte sie zufällig dabei und könnte sie mit dir durchsprechen. Vielleicht hättest du ja-"

„Guten Tag zusammen!" Der Klang seiner Stimme durchdrang jede Faser meines Körpers, weshalb ich mich Joshua sofort zuwandte. „Heute werden wir uns einer sehr bekannten Serie an Bildern van Goghs widmen. Ich freue mich, dass Ihnen diese von Frau Heidecker näher gebracht wird. Nun übergebe ich das Wort gleich an Sie."

„Vielen herzlichen Dank, Herr Degenhardt", säuselte die Blondine, während sie ihren Dozenten mit ihrem unterwürfig-anhimmelnden Blick geistig auszuziehen schien. Man konnte schwerlich übersehen, wie scharf die Heidecker auf ihn war. Gleich kam mir mein Mittagessen hoch.

Wie immer nahm Joshua am gefühlt hintersten Eck des Raumes Platz, um sich dort Notizen zum Referat zu machen. Obwohl es mich alle Kraft kostete, widerstand ich dem Drang, mich unterdessen umzudrehen. Ob Joshua mich beobachtete? Keine Ahnung, verdammt! Hör lieber der blonden Schnepfe zu!

Leichter gesagt als getan. Leider konnte ich mich die ganze Zeit über nicht für van Goghs wundervolle Sonnenblumenbilder begeistern, weil ich in Gedanken bereits beim Gespräch mit Joshua war, welches ich im Anschluss führen musste.

Eigentlich war es ganz simpel: Ich würde mich für seine Mail bedanken und ihn fragen, ob es Konsequenzen geben würde, weil ich letzten Montag gefehlt hatte. Mit Konsequenzen meinte ich aber insgeheim diejenigen, die wir aufgrund unseres gemeinsamen Erlebnisses am Dienstag ziehen mussten. Im Durch-die-Blume-Reden war ich kein Ass, aber nun hatte ich meine Rede recht gut einstudiert. Ich würde das bestimmt locker hinkriegen.

Endlich fand Frau Oberschlaumeier – um Adrians passende Worte zu verwenden – ein Ende und die Kursteilnehmer konnten die verbleibenden Minuten nutzen, um Fragen zu stellen. Eines musste man ihr lassen: Sie wirkte sehr souverän und beantwortete alles fachlich einwandfrei. Aber die Art und Weise, wie sie sprach, war nahezu nervtötend, weshalb ich ihr weiterhin kein Gehör schenken konnte.

Schließlich beendete Joshua das Seminar mit einem Ausblick in die nächste Einheit. Während die meisten Studenten schnellstmöglich ihren Weg nach draußen fanden, ging die Heidecker mal wieder zum Schleimen nach vorne. Was sie nur von Joshua wollte?

Gespielt geistesabwesend räumte ich meine Tasche ein. Dabei blickte ich sporadisch zwischen meinen Unterlagen und den beiden, wie sie sich unterhielten, hin und her. Ganz automatisch kochte ein Gefühl in mir hoch, welches ich bereits mehrmals verspürt hatte, wenn ich ihn mit anderen Frauen zusammen sah. Eine unerklärliche Wut, die mich ungehindert ergriff und nicht loslassen wollte. Die meisten würden es wohl als Eifersucht bezeichnen. Dass ich mal so tief sinken würde! Wegen eines Mannes, bei dem ich immer noch nicht wusste, ob er es wirklich wert war.

Adrians Räuspern riss mich aus meinem nachdenklichen Zustand: „Also, was ich dich eigentlich vorher fragen wollte: Hättest du eventuell später Zeit und Lust, dass wir einen Kaffee zusammen trinken?"

Als Antwort darauf sah ich ihn verwirrt an, denn er wusste doch, dass ich montags einen stressigen Tag hatte. „Damit wir die Unterlagen durchsprechen können." Ach stimmt, da war ja was.

Fragend fixierte mich Adrian mit seinen braunen Augen und schenkte mir dabei ein freundliches Lächeln mit seinen perfekten Zähnen, während ich darüber nachdachte, wo sich noch ein freies Zeitfenster in meinem straffen Tagesplan befand.

„Kann ich dir spontan Bescheid geben? Ich weiß momentan nicht genau, wann es mir passt", antwortete ich und reichte ihm mein Handy, damit er seine Nummer eintippen konnte.

Kurzzeitig hatte ich das Gefühl, Adrian sei ein wenig überfordert. Dieser Eindruck verflüchtigte sich allerdings rasch wieder, als er mir ein breites Grinsen schenkte und mit seinen Fingern über den Bildschirm flog.

„Na klar. Sag einfach, wann du Zeit hast. Ich würde mich freuen, wenn es klappt." Mit diesen Worten gab er mir mein Smartphone zurück.

Zum Abschied umarmten wir uns kurz. Indes konnte ich aus dem Blickwinkel beobachten, wie sich auch die Heidecker von Joshua verabschiedete. Endlich ging die aufgetakelte Blondine. Endlich würde ich mit ihm allein sein. Endlich würden wir über die Sache am Dienstag sprechen.

Plötzlich durchfuhr mich ein Meer an Gefühlen, das mir den Schweiß in die Hände trieb und meinen Bauch zum Rumoren brachte. Warum überfiel mich in seiner Nähe immer diese unkontrollierbare Nervosität?

Unsicher setze ich einen Fuß vor den anderen und kam Joshua immer näher. Dabei schaute ich ihm zu, wie er in seinen Unterlagen blätterte und sich nebenbei etwas notierte. Allmählich verwunderte es mich, dass mir Joshua immer noch keine Beachtung schenkte.

Kurz bevor ich zum Pult gelangte, ertönte jedoch seine tiefe Stimme. „Was brauchen Sie?"

Die Frage klang genervt und sein Blick war weiterhin auf seine Notizen geheftet. Was sollte das? Wusste er nicht, dass ich es war?

Mutig schluckte ich den Kloß in meinem Hals herunter. „Ich wollte über mein Fehlen am Montag spre-"

„Frau Wiesinger, Sie haben alle Informationen per Mail erhalten. Wenn Sie mich nun entschuldigen würden, ich mu-"

„Das ist doch wohl nicht dein Ernst!", zischte ich möglichst leise. „Uni hin oder her. Was soll das distanzierte Gehabe, das noch dazu ziemlich unverschämt ist?"

Immer noch widmete er sich konzentriert seinen Unterlagen. „Bitte treten Sie mir mit dem nötigen Respekt gegenüber." Es war so eine Kälte im Klang seiner Stimme. So hatte ich sie zuletzt wahrgenommen, als er mich in seinem Kurs bloßgestellt hatte.

Bin ich hier im falschen Film?

„Respekt? Schau bitte mal in den Spiegel, wenn du so was sagst! Ich glaub das jetzt nicht!" Ich wütete inzwischen – allerdings in einer gemäßigten Lautstärke. „Aber bitte gern, dann mit Respekt: Herr Degenhardt, kann es sein, dass Sie an Alzheimer leiden? Oder an einer Persönlichkeitsstörung? Oder wie soll ich mir diese plötzliche Haltung mir gegenüber erklären?" Meine Fragen trieften nur so vor Sarkasmus.

Da er es nicht für notwendig hielt, mich anzusehen, entriss ich ihm den Stapel Blätter vor der Nase. Sein Kopf schnellte nach oben und die Intensität seines Blickes traf mich vollkommen unvorbereitet. In diesen meerblauen Iriden tobte ein unaufhaltsamer Tsunami. Ein Sturm, der alles mit sich riss, was nicht niet- und nagelfest war. War da eine gewisse Verzweiflung zu erkennen?

„Sie sollten jetzt besser gehen", sagte Joshua ruhig, aber in einem bedrohlichen Tonfall.

Ungläubig suchte ich in seinen Augen nach einer Antwort. Diese musterten mich inzwischen wieder mit einer undurchschaubaren Art, wie ich es sonst von Degenhardt gewohnt war. Oder hatte ich mir diesen verzweifelten Funken vorhin nur eingebildet?

Egal, ob Einbildung oder nicht ... Das Arschloch war auf jeden Fall soeben zurückgekehrt. Und diese Erkenntnis ließ Tränen in mir hochsteigen, die ich mit Vehemenz zurückzudrängen versuchte. Mein Mund stand offen. Unfähig, etwas zu sagen. Ein Zittern erfasste meinen Körper, während mein Kopf nach einer sinnvollen Erklärung für sein Verhalten suchte. Was lief bei diesem Kerl nur verkehrt?

Schließlich schüttelte ich den Kopf, denn mir wollte beim besten Willen nicht in den Sinn kommen, was los war. Entweder er wies mich von sich, weil er noch mal darüber nachgedacht hatte und zu dem Schluss gekommen war, dass wir das – was auch immer das war – zwischen uns besser beenden sollten. Oder irgendetwas war passiert, das seine Meinung geändert hatte. Aber egal, was es war ... Ich hatte es nicht verdient, so von ihm behandelt zu werden!

„Findest du nicht, dass ich eine Erklärung verdient habe? Hat es dir etwa so wenig bedeutet?" Obwohl ich versuchte, so gefasst wie möglich zu klingen, bebte meine Stimme.

Der Schmerz hatte längst mein Herz erreicht und zog es zusammen, je mehr ich mir darüber bewusst wurde, dass Joshua mich zurückwies. Nach allem, was zwischen uns geschehen war.

Dann senkte er den Kopf und stemmte die Arme gegen das Pult, sodass sich sein gesamter Körper anspannte. Mein Blick fiel etwas seitlich auf ihn, wodurch ich genau beobachten konnte, wie sein Kiefer mahlte.

Das schickte mir ein Fünkchen Hoffnung, dass ich eine vernünftige Antwort erhielt, wenn ich weiter nachhakte. „Was hat sich geändert?"

„Es ist besser so", presste Joshua kaum hörbar hervor, während sein Blick auf die Tischplatte vor ihm gerichtet war.

„Meinst du damit, dass es einfacher für dich ist, weiterhin ein Arsch zu sein? Damit man ja nicht hinter deine Fassade blicken kann? Bloß keine Gefühle zulassen? Oder habe ich dem unnahbaren Herrn Degenhardt zu viel zugetraut und er weiß gar nicht, was das ist?" Der Schmerz in meinem Herzen bohrte sich zunehmend in mich hinein, weshalb ich völlig kopflos vor mich hin sprach. „Du warst da, als ich niemanden bei mir haben wollte. Ich habe mich dir ein Stück geöffnet, obwohl ich das nicht wollte. Und jetzt?"

Oh, ich würde mich später dafür hassen, wie verzweifelt ich gerade vor ihm stand, aber ich konnte nichts dagegen tun. Meine Gefühle gegenüber ihn verleiteten mich zu diesen unüberlegten Aktionen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit lieferte Joshua mir tatsächlich eine Antwort. „Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass ich dir nicht guttu."

Zu gut konnte ich mich an die Worte erinnern, die er damals im Büro an mich gerichtet hatte. Aber danach waren wir eine Zeit lang getrennte Wege gegangen. Bis Freitag. Bis zu diesem einen Tag, der so vieles zwischen uns verändert hatte. Wenn man ehrlich war, dann hatte er nur etwas ins Rollen gebracht, was seinen Anfang schon viel früher gehabt hatte, wir aber nicht wahrhaben wollten.

„Und das war's jetzt?", flüsterte ich verbittert.

Wut ... Enttäuschung ... Schmerz ... Das war alles, was ich in diesem Moment empfand. Es war die Angst vor diesen Gefühlen gewesen, was mich am Dienstag hatte zögern lassen. Nichtsdestotrotz war ich das Risiko eingegangen. Jetzt musste ich den Preis dafür zahlen.

„Geben Sie mir die Unterlagen, bevor Sie gehen." Das war alles. Alles, was er zu sagen hatte. Nach allem, was passiert war. Dabei war er nicht einmal imstande, mir in die Augen zu blicken. Er war so ein feiges Arschloch.

Ohne es zurückhalten zu können, entrann meinen Augen eine Träne. „Wage es nicht, mir auch nur noch ein einziges Mal näher zu kommen."

Damit schmiss ich ihm die Blätter mit einer Wucht entgegen, sodass sie kreuz und quer zu Boden segelten.

Joshua nuschelte etwas Unverständliches vor sich hin, was ich jedoch nicht ansatzweise verstehen konnte. Nachdem wohl keine Erklärung oder sonstige Reaktion mehr von ihm zu kommen schien, verließ ich ohne ein weiteres Wort den Raum.

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