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𝑾𝒆𝒏𝒏 𝒅𝒖 𝒊𝒏 𝒆𝒊𝒏𝒆𝒎 𝒇𝒓𝒆𝒎𝒅𝒆𝒏 𝑩𝒆𝒕𝒕
𝒂𝒖𝒇𝒘𝒂𝒄𝒉𝒔𝒕 ...
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Irgendetwas kitzelte an der Nase und ließ mich aufwachen. Geradeso bekam ich meine Augen auf, denn sie brannten wie die Hölle. Zudem fühlte sich mein Kopf an, als wäre ein Lastwagen darübergefahren. Vorsichtig blinzelte ich einige Male und richtete mich währenddessen auf. Mein gesamter Körper war vollkommen gerädert. Was war passiert?
Langsam, aber sicher orientierte ich mich und konnte so feststellen, dass ich zwar nicht in meinem Zimmer lag, jedoch keinen blassen Schimmer hatte, wo ich überhaupt war. Wurde das Aufwachen in fremden Räumlichkeiten nach durchzechten Nächten jetzt zur Gewohnheit?
Ich strich über die Decke, welche mit einem seidigen grauen Stoff überzogen war, der sich äußerst angenehm an meinen Körper schmiegte. Zudem war das riesige Bett, in dem ich lag, unglaublich weich, sodass man am liebsten gar nicht mehr daraus klettern wollte.
Als ich mich weiter in dem Raum umsah, fand ich gegenüber von mir einen großen Kleiderschrank aus Wildeiche, der mit einigen grauen Applikationen geziert war, um diesen nicht zu wuchtig wirken zu lassen. Rechts neben mir stand ein kleines Glastischchen, auf dem ein Radiowecker vor sich hin blinkte. 10:23 Uhr zeigte er an.
Schließlich konnte ich links noch einen grauen Sessel sowie ein hohes Regal ausmachen, in welchem unzählige Bücher eingeordnet waren. Daneben das bodentiefe Fenster, dessen Vorhang jedoch aufgezogen war und deshalb sanft die Sonnenstrahlen durch den ganzen Raum schickte. Diese hatten mich wohl auch geweckt.
Egal, wer hier wohnte, derjenige hatte definitiv Geschmack.
Obwohl ich mich eigentlich viel lieber in dem gemütlichen Bett verkrochen hätte, zog ich die Bettdecke von meinem Körper und hievte meine Beine, die sich wie Blei anfühlten, über die Bettkante, sodass sie langsam den Boden berührten. Dunkelbraunes Echtholz-Parkett im modernen Stil. Es war ein großartiges Gefühl, diesen mit meinen Füßen zu erkunden. Er hatte eine leichte Struktur und war angenehm warm. So erhielt ich den Antrieb, endlich aufzustehen, wenngleich ich zunächst etwas wackelig auf den Beinen stand, weil ich dermaßen erschöpft war.
Erst jetzt fiel mir auf, dass ich fast nichts trug. Lediglich meine Unterwäsche und ein mir völlig unbekanntes weißes T-Shirt. Ich roch intuitiv daran und mich traf die Erkenntnis wie ein Blitz. Dieser Geruch konnte nur einer Person gehören.
Unweigerlich überkam mich ein Hauch von Panik. Wie war ich verdammt noch mal in Degenhardts Wohnung beziehungsweise Schlafzimmer gelandet? Wo waren meine Kleidung sowie meine persönlichen Sachen? Mein Handy?
Die Aufregung schnürte meine Kehle zu und ich sah mich abermals im Raum um, in der Hoffnung, etwas Brauchbares zu finden, das mir Hinweise zu meinen Wissenslücken liefern konnte.
Meine Neugierde zog mich Richtung Schrank, den ich zu gerne öffnen würde, um zu sehen, wie sein Innenleben aussah. Aufgeräumt? Strukturiert? Chaotisch? Doch bevor ich dem Drang nachgeben konnte, hielt mich meine Vernunft zurück. Es war besser, wenn ich so wenig wie möglich über seine Person wusste.
Also drehte ich mich wieder um, sodass mein Blick direkt auf das große Boxspringbett fiel. Unmittelbar darüber hing ein Bild. Die blauen Farbtöne tanzten spiralförmig und dynamisch in fließenden Bewegungen von links nach rechts. Wurden durch helle, runde Lichtherde durchbrochen. Rechts eine Mondsichel, die leuchtend gelb erstrahlte. Unter dem außergewöhnlich gestalteten Himmel erstreckte sich rechter Hand ein idyllisches Dorf, während links Zypressen eindrucksvoll ihren Weg gen die Sterne bahnten. Vincent van Goghs Sternennacht. Ein Spätwerk seinerseits. Sagte es doch derart viel über seine damalige geistige Verfassung aus.
Ich liebte dieses Bild. Unweigerlich hatte es mich in seinen Bann gezogen. Mich in eine andere Welt entführt. Mich van Gogh ein Stückchen näher gebracht.
Es dauerte eine Zeit lang, bis ich mich wieder von ihm losreißen konnte und ich den Sessel ansteuerte. Auch hier lag weder meine Kleidung noch meine Handtasche. Super! Bin ich ernsthaft gezwungen, in meinem Aufzug rauszugehen?
Ehe ich mich dazu durchringen konnte, hielt ich erneut inne, denn ein Blick auf das Regal ließ mich mein Vorhaben vergessen. Bereits von Weitem hatte ich erkennen können, dass sich sehr viele Bücher darin stapelten sowie aneinanderreihten, aber nun fielen mir konkrete Titel ins Auge. Zahlreiche Biografien und Bildbände von van Gogh. Ältere und neuere Ausgaben. Ich kam nicht umhin, meine Hände ehrfürchtig über die verschiedenen Buchrücken wandern zu lassen. Ich selbst hatte auch einige Bücher über meinen Lieblingskünstler, jedoch nicht einmal ansatzweise diese Menge und Vielfalt, wie ich sie hier vorfand. Ein paar davon wirkten sehr alt und kostbar, mussten vermutlich einen immensen Wert haben.
Eine besonders antik wirkende Ausgabe einer Briefsammlung zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Behutsam glitten meine Fingerkuppen über den ledrigen Einband, umfassten den Buchrücken und ich ließ eine zufällige Seite darin aufschlagen, blätterte weiter, sog den Geruch von altem Papier in mich auf — wie ich das liebte.
Bevor ich die ersten Zeilen bewusst auf der nächstvorliegenden Seite durchlesen konnte, riss mich ein klapperndes Geräusch aus meiner tiefen Faszination. Erschrocken legte ich das Buch an seinen ursprünglichen Platz zurück, um somit alle Indizien für meine Neugier zu verwischen.
Nun konnte ich mich nicht länger drücken. Draußen war Degenhardt und vermutlich wartete er schon auf mich. Langsam musste ich mich wohl dem stellen, was gestern geschehen war und mich in diese prekäre Situation mit meinem Dozenten katapultiert hatte. Also trugen mich meine Beine Stück für Stück am Bett vorbei in Richtung Tür. Ein letztes Mal betrachtete ich die Sternennacht, erhoffte mir durch sie eine kraftspendende Wirkung, die von van Gogh auf mich übergehen sollte und drückte möglichst leise die Klinke nach unten, um hinauszutreten.
Zunächst fand ich mich in einem Gang wieder. Gegenüber von mir sah ich ein Geländer aus Edelstahl, das rechts an weiteren Türen vorbeiführte und linker Hand eine Treppe hinableitete, die eine Rechtsbiegung nach unten machte.
Ein willkommener Duft von Kaffee stieg in meine Nase, welcher mich dazu motivierte, ohne Umschweife die Treppe abwärts zu nehmen. Schritt für Schritt. Kaum hörbar glitten meine nackten Füße über das angenehm warme Holz der Stufen. Bis ich schließlich den Boden erreichte, der von grauen Granitfliesen gepflastert war. Eine Fußbodenheizung sorgte dafür, dass nicht die zunächst erwartete Kälte meine Beine hinaufwandern konnte.
Der Raum, welcher sich vor mir erstreckte, war durch die lange Fensterfront lichtdurchflutet. Links befand sich eine Wohnlandschaft mit einem eckigen Holztisch, auf dem eine interessante Vase thronte. Diese kam mir seltsam bekannt vor.
Während ich vorsichtig in den Wohnbereich schlich, schweifte mein Blick weiter und verharrte kurz an dem massiven Eichenholztisch mit vier Freischwingerstühlen.
Wie gesagt, die Person, die hier wohnte, musste Geschmack haben und war in diesem Falle Degenhardt.
Plötzlich fiel direkt rechts neben mir eine Tür zu und eben dieser stand vor mir. In der einen Hand eine Milch, in der anderen eine Packung Müsli haltend. Doch dies war nicht der Grund, warum ich nicht aufhören konnte, ihn betreten zu mustern, denn er war lediglich mit einer Jogginghose bekleidet.
Unweigerlich ließ ich meinen Blick über seinen definierten Oberkörper wandern. Ich fühlte mich plötzlich wie Emma Stone in Crazy, Stupid, Love. Vor mir befand sich ein Körper, der unmöglich echt, sondern gephotoshopt sein musste, dermaßen glich alles daran einer Perfektion. Geradeso konnte ich verhindern, dass mir der Sabber bei diesem Anblick aus dem Mund lief.
Jeder einzelne Muskel war zu sehen, obwohl er doch unmöglich alle gleichzeitig anspannen konnte. Geradezu gierig ließ ich weiter meinen Blick über Degenhardts Körper gleiten. Über seine breiten Schultern, die stahlharte Brust entlang, sein ausgeprägtes Sixpack erkundend bis hinab zu dem V, das in seiner Jogginghose verschwand. Verdammt, meinetwegen könnte er in diesem Moment gar nichts tragen, denn dieser Oberkörper regte definitiv meine Fantasie an. Und verdammt, musste ich mich zusammenreißen, um nicht auf ihn zuzustürmen und jede dieser Muskelpartien auf deren tatsächliche Härte zu prüfen.
Deshalb sah ich augenblicklich in sein Gesicht mit dem markanten Kinn, vom Dreitagebart geziert, zu seinen verwuschelten schwarzen Haaren, dafür geschaffen, um meine Hände darin zu vergraben und schließlich zu seinen Augen. Dabei entging mir nicht, dass auch er Körperstellen unterhalb meines Kopfes scannte, weshalb sofort Hitze in mir aufstieg.
Irgendwo in mir klingelte eine Alarmglocke und mein Verstand war bereit, sich wieder anzustellen. „Morgen", murmelte ich.
Degenhardt erwachte dadurch ebenfalls aus seinem unverhohlenen Starren, nickte mir begleitend durch ein deutlich sichereres „Guten Morgen" zu. Dann ging er an mir vorbei zur Küchenzeile, sodass nun auch noch sein muskulöser Rücken zur Schau geboten wurde. Meine Zurückhaltung wurde gerade wirklich auf eine extrem harte Probe gestellt.
„Kaffee?" Seine raue Stimme durchbrach die kurze Stille und dieses Mal war es an mir zu nicken.
Allerdings fiel mir auf, dass er dies schlecht sehen konnte, weshalb ich ein „Gerne" hinterherschob, ehe ich mich verstohlen in der Küche umsah. Vor mir befand sich eine Kochinsel, an die ich mich lehnte. Neben den Herdplatten war noch genügend Platz, beispielsweise um dort zu essen, weshalb zwei Barhocker am anderen Ende standen.
Erneut starrte ich auf Degenhardts beachtliche Rückenansicht und verfolgte ihn dabei, wie er an der Siebträgermaschine herumwerkelte. Ansonsten waren keine weiteren Geräte auf der Küchenzeile zu entdecken. Mein Blick fiel auf deren graue Hochglanzfront mit dezenten Holzakzenten. Geschmackvoll und minimalistisch – passte zu ihm.
Aber ich konnte doch jetzt nicht einfach so tun, als wäre alles normal. Mir Gedanken über Degenhardt und seinen vermeintlichen Stil sowie Charakter machen.
Reiß dich zusammen, Elli!
„Wie komme ich hierher?", stellte ich endlich die Frage, die seit dem Aufwachen in meinem Hirn herumspukte.
„An was erinnerst du dich denn?" Ich überging die Tatsache, dass mir Degenhardt anstatt einer Antwort mal wieder mit einer Gegenfrage kam. Irgendwie war ich zu erschöpft, um mir bereits jetzt mit ihm eine hitzige Diskussion zu liefern. Dafür würden sicherlich noch andere Gelegenheiten kommen.
Ich versuchte mir deshalb den gestrigen Abend ins Gedächtnis zu rufen. „Ich war mit einer Freundin im Club, wir haben getanzt und hatten dabei ziemlich viel Spaß."
„Und dann?", hakte er nun an mich gewandt nach, reichte mir dabei eine Tasse Kaffee, servierte zudem Milch und Zucker.
Angestrengt dachte ich nach ... Doch in mir tat sich eine Leere auf, die es nicht zuließ, tiefer danach zu graben, was sich gestern noch ereignet hatte. Mir schwante Übles. Vielleicht war es besser, nicht weiter darüber zu sinnieren.
„Eigentlich würde es mich nur interessieren, warum ich hier bei Ihnen gelandet bin!" Ich fuhr ihn etwas harsch an, um zu verdeutlichen, dass ihm das davor absolut nichts anging.
Degenhardt verdrehte kurz die Augen, wenngleich er ein Schmunzeln auf den Lippen trug. „Warum ich hier bei dir gelandet bin."
Bei dir? Das Duzen war meines Erachtens nicht Teil der Vereinbarung, die wir damals in seinem Büro getroffen hatten, weshalb ich ihn mit einem verwunderten Ausdruck fixierte. „Wie bitte?"
„Komm schon, Elli. Wollen wir nach alldem ernsthaft so tun, als wäre nichts passiert?" Wovon spricht er denn bloß? „Willst du mich ab heute wieder siezen, mich ignorieren und lediglich als deinen Dozenten ansehen?"
Seine derzeitige Aufmachung erschwerte es zwar gerade, aber das war eigentlich genau der Plan, den ich weiterverfolgen wollte.
„I-ich denke ... das ist das Beste?" Sehr überzeugend! Ganz große Klasse, Elli! Noch mehr Fragezeichen hättest du am Ende dieses Satzes nicht dranhängen können!
„Gut, dann vergessen wir eben das, was gestern war beziehungsweise beinahe zwischen uns gelaufen wäre. Und ich bin umso mehr froh darüber, dass ich noch rechtzeitig die Notbremse gezogen habe", entgegnete mir Degenhardt im gleichgültigen Ton, musterte mich allerdings mit einem Blick, der eine gewisse Enttäuschung erkennen ließ.
Was zum Henker wäre denn gestern beinahe passiert? Verdammt, hatte ich was eingeschmissen oder warum war mein Hirn dermaßen unzuverlässig? So viel hatte ich nun auch wieder nicht getrunken, oder? „Ich weiß ehrlich nicht, wovon Sie reden."
Mein Dozent kehrte mir erneut den Rücken zu, fuhr sich mit seinen Händen durch die Haare und rieb sich über das Gesicht, während er zwischen Kochinsel und Küchenzeile hin- und hertigerte. Derart außer sich hatte ich ihn zuvor noch nie erlebt. Okay, außer vielleicht nach den beiden Ausrutschern, ... die ja nie passiert waren ...
Doch auf einmal fuhr er herum, ging schnellen Schrittes auf mich zu und kam unmittelbar vor mir zum Stehen. Mein Herz begann ganz automatisch wild an zu pochen und meine Knie wurden weicher denn je.
Seine ozeanblauen Augen fixierten mich mit einem Blick, den ich bisher nicht bei ihm gesehen hatte und der mehrere Gefühle gleichzeitig offenbarte: Verzweiflung, Verwirrung, Verlangen. Fast etwas Flehendes flackerte darin auf, ehe Entschlossenheit die Oberhand gewann. Im selben Zuge packte er mich an der Taille, um mich mit einem Ruck auf der Kochinsel abzusetzen, sodass mir ein überraschtes Quieken entfuhr.
Bevor ich auch nur ansatzweise seine Handlung infrage stellen oder mich wehren konnte, spürte ich schon seine Lippen auf meinen. Voller Verlangen bewegten sie sich. Seine Zunge bahnte fordernd ihren Weg zu meiner und löste damit Unvorstellbares in mir aus, wodurch ich wie von selbst meine Beine um seine Hüfte schlang. Indes legte ich meine Hände auf seinen breiten Schultern ab, um ihn noch näher an mich zu ziehen. Wieso musste mein Körper sich auch immer verselbstständigen und unkontrolliert auf ihn reagieren?
Ein Stöhnen entwich ihm und er hielt kurz inne. „Elli ..." Mein Name war kaum mehr als ein Hauchen seinerseits. „Du willst mir also weismachen, dass du dich daran nicht erinnern kannst?" Im nächsten Moment knabberte er sanft an meinen Lippen, was ein Zittern durch meinen gesamten Körper schickte.
„Und daran?" Seine Hand, die zuvor auf meiner Hüfte geruht hatte, ging langsam an meinem linken Oberschenkel entlang auf Wanderschaft und bescherte mir eine zusätzliche Gänsehaut.
„Oder daran?", sagte er in einem solch verführerischen Ton, dass ich jegliche Bedenken im Nu über Bord und somit meinen Kopf genießerisch in den Nacken warf, damit seine Zunge meinen Hals in Beschlag nehmen konnte.
Inzwischen fuhr seine Hand an der Innenseite meines Oberschenkels entlang nach oben in eine äußerst gefährliche Richtung. Nichts hatte sich jemals so gut angefühlt wie das, weshalb ich ihn gewähren ließ. Doch kurz bevor seine Finger ihr Ziel erreichen konnten, löste er sich von mir.
Enttäuscht und zugleich erschrocken sah ich in seine Augen, in denen sich Unverständnis widerspiegelte. Jetzt verstand ich erst recht nichts mehr. Was sollte dieses Spiel? Wollte er mich erst aufheizen, um mich dann wie eine heiße Kartoffel fallen zu lassen?
„Verdammt, Elli", entfuhr es ihm mit einer ordentlichen Spur Wut darin. „Ich weiß, wir hatten eine Abmachung, aber wie soll ich mich daran halten, wenn dann wieder solche Dinge zwischen uns passieren?"
Plötzlich entfernte er sich gänzlich von mir und blieb einen Meter vor mir mit verschränkten Armen stehen. „Ich wollte die Situation gestern wirklich nicht ausnutzen, aber du hast mich ja sozusagen angefleht."
Ich hatte was? Unweigerlich klappte mein Mund auf, jedoch verließ ihn kein Ton und Degenhardt sprach weiter.
„Doch, was soll ich sagen? Ich bin auch nur ein Mann? Und eine mehr als attraktive Frau bietet sich mir an und ich sage dazu Nein? Obwohl ich weiß, wie falsch das alles zwischen uns ist, kann ich trotzdem der Versuchung nicht widerstehen? Und dann warst du gestern auch noch komplett durch den Wind." Wieder fuhr er sich verzweifelt durch die Haare, sodass diese mittlerweile in alle Richtungen standen. „Fuck, ich bin echt nicht der gefühlsduselige Typ. War und bin ich nicht, werde ich niemals sein. Aber ich habe keine Ahnung, was mich an dir anders handeln und denken lässt. Es macht mich regelrecht krank. Und ich weiß nicht einmal, warum ich dir das jetzt eigentlich alles sage."
Mein Hirn ratterte bei seinen Worten weiter vor sich hin und bruchstückhaft tauchten einzelne Bilder vor meinem inneren Auge auf. Ich, sitzend auf dem Sofa, mit einer Tasse Tee in der Hand. Ich, mich nach ihm verzehrend. Ich, nach seinem Gesicht greifend und ihn küssend. Ich, auf ihm sitzend und wild mit ihm herummachend. Ich, halb auf der Kochinsel liegend und voller Begierde darauf wartend, dass er mich an meiner empfindlichsten Stelle berührte. All dies regnete hemmungslos auf mich herab, brachte allmählich jegliche Erinnerungen an die gestrige Nacht zum Vorschein.
Doch auf einmal war da ich ... ein Häufchen Elend nach seiner Abweisung. Die sogenannte Notbremse, die er gezogen und mich somit zurück auf den Boden der Tatsachen befördert hatte. Mich zurück an den Ort auf der Straße führte, in der er mich gefunden hatte. Zu der ich orientierungslos geflüchtet war. Nach meinem Zusammenbruch auf der Toilette.
Unweigerlich tauchten als Nächstes auch Bilder auf, die eigentlich nicht mehr in meinem Erinnerungsvermögen existieren sollten. Äußerst schmerzhafte Gedächtnisfetzen, die mich bis ins Mark erschütterten.
Jetzt wurde mir bewusst, warum ich mich gestern so verzweifelt an ihn geworfen hatte.
„Joshua, es tut mir leid", flüsterte ich heiser und musterte ihn mit einem verzweifelten Blick. „Ich hätte dich gestern nicht so überfallen dürfen. So was wird nie wieder vorkommen."
„An diesem Punkt waren wir schon mal. Hat wunderbar funktioniert", hörte ich ihn mit verbittertem Sarkasmus sprechen, während er jeglichem Augenkontakt auswich.
Seine Aussage ließ mich unwillkürlich schmunzeln, obwohl absolut nichts an dieser Situation komisch war.
„Da hast du recht", räumte ich ein. „Ich will — muss ehrlich zu dir sein. Deshalb muss ich dir jetzt sagen, dass ich dich gestern nur ausgenutzt habe."
Joshuas Kopf schoss in meine Richtung und er beäugte mich konsterniert. Wartete auf meine Erklärung, die ich ihm nach dem vergangenen Abend definitiv schuldig war. Er hatte mich nicht allein gelassen, war für mich da gewesen, obwohl es nicht richtig war, sich derart um seine Studentin zu kümmern. Immerhin hatten wir vor Wochen die Vereinbarung getroffen, alles zu vergessen, was um die Hochzeit herum passiert war und wie Fremde gegenüberzutreten.
Schuldbewusst blickte ich auf meine nackten Oberschenkel, währenddessen ich meine schwitzigen Hände darauf knetete. „Ich bin nicht ich selbst ... bin nicht zurechnungsfähig gewesen. Und es tut mir leid, dass ich dich als Ventil dazu genutzt habe, mich besser zu fühlen."
„Was ist im Club passiert? Warum hast du ganz verloren auf der Straße gesessen?" Joshua wusste wohl ganz genau, dass irgendein Vorfall mich zu meinem gestrigen Handeln verleitet hatte.
Aber ich konnte und wollte mich damit nicht auseinandersetzen. Das war wohl auch der Grund, warum mein Gehirn die Geschehnisse von gestern einfach wieder hatte löschen wollen. Mein Schutzmechanismus.
„Es geht dich nichts an", fuhr ich ihn schließlich an. Ich konnte mich ihm jetzt nicht öffnen. Dafür kannte ich ihn zu wenig. „Bis auf das bisschen Rummachen haben wir keinerlei Verbindung zueinander und das ist auch gut so. Da ich nicht länger bleiben möchte, hätte ich jetzt wirklich gerne meine Kleidung und meine Handtasche."
Nach meinen Worten, die ich ihm hingeschmettert hatte, breitete sich eine Stille zwischen uns aus. Anstatt einander anzusehen, stierte Joshua auf den Boden und ich fixierte weiter meine Oberschenkel. Beide gingen wir verloren unseren Gedanken nach. Der Moment konnte sich nicht unangenehmer anfühlen.
Durch sein Räuspern wurde dieser schließlich unterbrochen, sodass ich ihn erneut ansah. Mit der Erklärung „Zweite Tür rechts ist das Badezimmer mit deinen Sachen" deutete Joshua nach oben.
Ich wartete keine weitere Sekunde und hüpfte von der Kochinsel, um an ihm vorbeizugehen.
„Elli ..." Seine Stimme klang zum ersten Mal gebrochen, weshalb mein Herz schwer wurde und ich nochmals kurz neben ihm innehielt. „Es geht mich nichts an, aber ..." Meine Augen weiteten sich vor Angst, weil ich nicht wusste, was nun seinerseits kommen würde. „Deine Narbe auf dem Bau-"
Die schallende Ohrfeige, die seine linke Wange traf, verbot Joshua jedes weitere Wort.
So schnell es irgend ging, stürmte ich die Treppe hinauf, nahm die von ihm beschriebene Tür ins Badezimmer. Dort entledigte ich mich sofort dem T-Shirt, um in meine Jeans und mein Oberteil zu schlüpfen. Ich verlor keine Zeit vor dem Spiegel, sondern hetzte mit meiner Handtasche in gleichschneller Geschwindigkeit nach unten. Dann rauschte ich an einem stummen Joshua vorbei, der sich in der Zwischenzeit nicht vom Fleck gerührt hatte, und verließ ohne einen Abschied seine Wohnung.
Das war's. Damit sollte alles zwischen ihm und mir enden, was zwar niemals einen erkennbaren Anfang gehabt, mich aber trotzdem aus der Bahn geworfen hatte. Der Schlussstrich war gesetzt.
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