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Wenn dir (fast) eine Sicherung durchbrennt ...
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Leider musste ich zugeben, dass mich der erste Blick in seine Augen minimal lahmlegte. Sie waren wie das Meer und ihr Ausdruck, der von Arroganz und Stärke geprägt war, zog mich immer weiter in die Tiefe.
Doch genau dort lag noch etwas anderes in ihnen. Etwas Undefinierbares. Etwas, das nicht ganz zum Rest passte. Etwas, das mich festhielt. Ich war wie gefangen. Gefangen am Grund des dunklen Ozeans, den es zu erforschen galt.
Unwillkürlich begann mein Körper innerlich zu beben, als hätte ihn der tosende Sturm in seiner Iris zum Erschüttern gebracht. Und als hätte die Flut meine Denkfähigkeit mit sich gerissen, konnte ich gerade keinen klaren Gedanken fassen.
Doch eine plötzliche Veränderung in seinem Blick rüttelte mich schlagartig wach und ich registrierte, wie sich sein rechter Mundwinkel nach oben zog.
Der Kerl grinste mich an. Aber es war nicht irgendein Grinsen, sondern so ein überhebliches, amüsiertes Was-willst-du-eigentlich-von-mir?-Grinsen.
»Ich bezweifle doch stark, dass deine Termine mehr Wichtigkeit tragen als meine«, sagte er mit einem sexy dunklen Timbre, das meine Knie butterweich werden ließ.
Nein, Elli! Seine Stimme klingt überhaupt nicht sexy! Das bildest du dir ein! Aber diese Arroganz ... Die hast du gerade ganz deutlich rausgehört!
Kurzerhand fixierte ich meinen Zeigefinger, der sich — warum auch immer — knapp vor seiner Brust befand. Mir wurde schlagartig bewusst, wie nah ich bei ihm stand. Es war gefährlich nah, denn es trennte uns höchstens ein Meter voneinander.
Ich ließ meine Hand schnellstens sinken, ballte sie zur Faust und funkelte meinen Gegenüber möglichst finster an. »Du denkst wohl, du wärst was Besseres!«
Toll, was für ein einfallsreicher Spruch!
Erneut verschandelte ein unverschämtes Grinsen sein viel zu gut aussehendes Gesicht. Mein Blick rutschte zu seiner kantigen Kieferpartie, die von einem perfekt getrimmten Dreitagebart geziert war.
Wie es sich wohl anfühlt, über die Bartstoppeln zu fah...? Nein, stopp! Nicht hilfreich!
Ich schüttelte energisch den Kopf.
»Ein Frühstück einzukaufen hat wohl nicht allzu hohe Priorität. Noch dazu in einer Tankstelle, in der die Speisen erstrangig für Pendler mit dem Auto angeboten werden und nicht für dahergelaufenes Fußvolk. Demnach schließe ich daraus, dass meiner Angelegenheit eindeutig mehr Bedeutung zukommt«, erwiderte er und hob dabei seinen Kopf ein wenig an.
Dieser Typ hält sich definitiv für was Besseres. Arschloch!
»Du hast offensichtlich vergessen, wo sich der nächste Bäcker befindet«, schob er hinterher und verschränkte dabei seine Arme vor der Brust.
Unweigerlich blieben meine Augen an seinem definierten Oberkörper hängen, der durch sein weißes Hemd verboten gut zur Geltung kam. Verflucht, ich musste diesem Mistkerl sofort Kontra geben, anstatt gedanklich herumzusabbern.
»Es ist nicht verboten, hier was einzukaufen, auch wenn man nicht mit dem Auto unterwegs ist! Außerdem scheinst du was viel Wichtigeres vergessen zu haben, nämlich wie man sich gegenüber anderen respektvoll verhält!«, giftete ich zurück und trat in meiner Rage noch näher an ihn heran.
Hat der Kerl heute Früh in seinem Aftershave gebadet? Definitiv zu viel ... Oder? Verflucht, warum zum Geier riecht das so gut?
In der nächsten Sekunde zerschoss mein Gegenüber die unangebrachten Gedanken, indem er mich mit einem kalten, undurchdringlichen Blick ansah, der jegliches Kribbeln in mir absterben ließ.
»Respekt ist etwas, das man sich erst einmal verdienen mu...«
»Falsch! Respekt ist etwas, das man jedem Menschen gleichermaßen entgegenbringen sollte, egal wie alt die Person ist oder welchen Status sie in unserer Gesellschaft hat. Das hat was mit Anstand und Würde zu tun. Wenn du das nicht erkennen kannst, dann fehlt dir wohl was davon.«
Hierauf folgte ein nonverbaler Kampf, den wir lediglich mit unseren Blicken austrugen. Zwischen seinen Brauen bildete sich eine kleine, tiefe Furche. Ich dachte ja, dass bei mir gleich eine Sicherung durchbrennen würde, aber so wie der Typ aussah, war das eher bei ihm der Fall. Das gefährliche Funkeln in seinen Augen brachte mich zum Zittern. Ich war kaum fähig, noch länger standzuhalten.
»Offensichtlich mangelt es dir an Respekt gegenüber anderen, ansonsten würdest du nicht solch ein respektloses Verhalten zu Tage legen.«
Argh, du arroganter, aufgeblasener ...
Plötzlich hörte ich ein leises Räuspern und ich drehte mich um. Anna. Verdammt, die hatte ich absolut vergessen. Sie lächelte leicht irritiert und verwies mit einer kurzen Kopfbewegung auf den Tankwart. Der schien sich allerdings herzlich wenig für die kleine Auseinandersetzung vor ihm zu interessieren, so gelangweilt wie er auf sein Handy starrte und darauf herumtippte. Also wandte ich mich nochmals an den arroganten Idioten.
Der erneute Blick in sein Gesicht zog mir regelrecht den Boden unter den Füßen weg. Verflucht, ich durfte mich nicht schon wieder in seinen stürmischen und zugleich tiefgründigen Augen verlieren. Ich musste schleunigst woanders hinsehen.
Da entdeckte ich endlich den Fehler in seinem sonst so anziehendem Äußeren: die perfekt gestriegelte Frisur. Die Massen an Gel ließen nicht zu, dass sich auch nur eine Strähne in seinem Haar verirren konnte — als wäre es in dieser klebrigen Substanz getränkt worden. Es brachte die tiefschwarze Mähne dermaßen zum Glänzen, dass es an das Fell eines Maulwurfs erinnerte.
Seine Frisur unterstrich das, was er bereits durch und durch repräsentierte. Er war nicht mehr als ein arroganter Schnösel, der sich für was Besseres hielt. Der dachte, dass er hier mehr zu melden hatte. Der dachte, dass er ein gewisses Vorrecht hatte. Der dachte, dass ihm jeder und alles zu Füßen liegen und vor ihm kuschen würde.
Oh nein, nicht mit mir!
»Wenn du mich nun entschuldigen würdest, ich habe heute definitiv noch Wichtigeres vor. Mich mit einem aufgeblasenen Idioten über Dinge zu unterhalten, bei denen ihm sowieso jede Kompetenz fehlt, gehört nicht dazu. Schönen Tag noch.« Mit diesen Worten schloss ich, machte auf dem Absatz kehrt und brachte meinen rebellierenden Körper unter Kontrolle, denn jede Faser war angespannt und schrie danach, diesem Snob doch noch eine Ohrfeige zu verpassen.
Was der sich einbildet!
Dann atmete ich einmal durch und räusperte mich, um dem Tankwart zu signalisieren, dass es weitergehen konnte. Widerwillig ließ er von seinem Smartphone ab und fixierte mich aus müden Augen. Anschließend wiederholte ich meine Bestellung. Langsam und überdeutlich, mit einer kurzen Pause nach jedem Satz. Das tat ich selbstverständlich nur, damit mir der Kerl vor mir bestens folgen konnte. Das bedrohliche Schnauben hinter mir machte deutlich, dass ich dabei eine zusätzliche Wirkung nicht verfehlte. Wie mich das amüsierte!
Das i-Tüpfelchen des Ganzen war allerdings der Tankwart, der seine Arbeit mit einer faultierähnlichen Gemütlichkeit verrichtete und sich durch nichts aus der Ruhe bringen ließ. Hätte der Angeberidiot mich nicht so provoziert, dann könnte er jetzt bestimmt schon längst seinen Sprit bezahlen. So ein Jammer aber auch. Mit mir legte man sich lieber nicht an.
»Ich zahle«, verkündete Anna, als unsere Bestellung vollständig hergerichtet vor uns lag.
»Kommt nicht infrage«, widersprach ich und zückte bereits den Geldbeutel. »Immerhin esse ich selbst genug davon und noch dazu war die ganze Sache meine Idee!«
Hörte ich da gerade ein weiteres Schnauben hinter mir? Gleich würde ich mich noch mal umdrehen und ihm den Spruch »Geduld ist eine Tugend« unter die Nase reiben.
»Nein, ich übernehme das. Schließlich machen wir das nur wegen mir. Also lass bitte gut sein. Du machst sowieso schon viel zu viel für mich«, sagte Anna bestimmt und zahlte somit das komplette Frühstück.
Als wir die Tüten mit dem lecker duftenden Essen an uns nahmen, verabschiedete ich mich mit einem übertrieben höflichen »Einen wunderschönen Tag noch«. Dabei fixierte ich den ungeduldigen Vollidioten mit einem letzten vernichtenden sowie triumphierenden Blick und verschwand.
»So ein dämlicher Schnösel! Hast du den gesehen? Unverschämter geht ja fast nicht«, sprudelte es aus mir heraus, kaum waren wir nach draußen getreten.
»Ich habe zwar nicht alles mitbekommen, aber ... du warst auch nicht gerade die Freundlichkeit in Person«, stellte Anna mit einem Grinsen fest.
»Papperlapapp, was gibt ihm denn das Recht, uns so anzumaulen? Und uns auch noch so respektlos zu duzen! Als wäre er was Besseres, nur weil er seinen maßgeschneiderten Anzug anhat«, empörte ich mich ohne Luft zu holen. »Erstens darf jeder in so einer Tankstelle einkaufen und zweitens kommt derjenige zuerst dran, der vor einem in der Reihe steht. Außerdem haben wir ja mit dem Tankwart kein Kaffeekränzchen gehalten. Der Typ war einfach absolut ungeduldig und ungehobelt und ...« ... verdammt sexy!
Bin ich des Wahnsinns? Sexy war der ganz bestimmt nicht! Gut, er sah nicht schlecht aus ...
»Was fällt dir denn noch so zu ihm ein?«, fragte mich Anna, während ich mich mit Tempo in Richtung Wohnung aufmachte und mit meiner Rechten in der Tasche nach der Zigarettenschachtel suchte.
»Mir fällt so einiges zu dem Deppen ein! Diese Sorte Männer nimmt sich alles, was sie will. Und wenn jemand nicht nach ihrer Pfeife tanzt, dann wird man ungemütlich und zeigt sein wahres Gesicht.« Ein verächtliches Schnauben entkam mir, ehe ich mit herablassendem und tieferem Tonfall die Aussage imitierte, die mich vorhin am meisten auf die Palme gebracht hatte: »Respekt ist etwas, das man sich erst einmal verdienen muss. Genau dieser Satz zeigt den Charakter von diesem Vollpfosten. Jede Person, die den Kerl ertragen muss, tut mir jetzt schon unendlich leid. Was für ein frustriertes Leben muss der haben, um auf diese Weise verkorkst zu sein?«
Kurz drehte ich mich zu Anna um, die mir mit offenem Mund und hechelnden Geräuschen hinterherhetzte. Die Antwort auf meine Frage blieb allerdings aus. Also schnappte ich mir eine Kippe, zündete sie an und überlegte, warum der Kerl so ungenießbar war.
»Bestimmt läuft jeder Tag bei dem gleich frustrierend ab: Viel zu früh aufwachen, aufstehen, duschen, den Bart und das Haar bis in die letzte Spitze perfektionieren, die Flasche Aftershave halb über sich leeren, piekfeine Aktentasche nehmen, in den überteuerten Wagen steigen, zur Arbeit fahren. Dort sitzt er dann den gesamten Tag vor seinem PC, starrt darauf und verrichtet gelangweilt seine Arbeit.« Oh ja! Ich sehe ihn gerade bildlich vor mir! »Und weißt du, was sein Highlight ist?«, fragte ich erneut an Anna gewandt, die daraufhin lediglich mit den Schultern zuckte.
»Seine Sekretärin, die er den ganzen Tag herumscheuchen kann, die ständig auf Abruf stehen muss und die er anschauzt, wenn sie zu langsam arbeitet. Bestimmt behandelt er sie nicht mit dem nötigen Respekt, weil sie sich den ja erst noch verdienen muss!« Bei dem Gedanken brodelte es in mir, sodass sich meine Augen zu Schlitzen verengten und ich kaum mehr den Weg vor mir erkennen konnte. Am besten nahm ich gleich noch mal einen Zug zur Beruhigung. »Am Ende seines Arbeitstages fährt er dann gestresst in seine Penthousewohnung und isst Schickimicki-Fastfood, weil er zum Kochen zu bequem ist. Und weil ihn niemand ertragen kann, geht er schließlich in sein leeres Bett. Und genau so läuft das Ganze am nächsten Tag wieder ab. Tag für Tag. Wie eine Dauerschleife.«
»Der arme Kerl ...«
»Arm ist der sicher nicht. Frustrierend wäre so ein Tag aber allemal und das würde zumindest erklären, warum er so ist, wie er sich vorhin aufgeführt hat. Ist man mit sich und seinem Leben unzufrieden, macht man andere ebenfalls unglücklich«, schlussfolgerte ich und betrachtete dabei aufmerksam die Hausnummern, weil wir unserem Ziel immer näher kamen.
»Ich meinte eher, armer Kerl, weil du nach einer Begegnung mit ihm schon so über ihn denkst«, erwiderte Anna begleitet von einigen Lachern.
Abrupt blieb ich stehen und Anna knallte gegen meinen Rücken, nachdem sie mich wohl endlich eingeholt hatte. Dann wandte ich mir zu ihr um, inhalierte erneut das Nikotin und dachte kurz über ihre Worte nach, bevor ich zur Antwort ansetzte. »Okay, ich habe vielleicht etwas voreilig Schlüsse gezogen, weil mich dieser Kerl gerade echt rasend gemacht hat. Normalerweise tue ich das natürlich nicht.«
Wirklich nicht. Keine Ahnung, was gerade mit mir los ist. Warum beschäftigt mich der Snob denn so? Was geht mich der überhaupt an?
Immer noch mit einem Lächeln im Gesicht, verschränkte Anna die Arme und sah mich abwartend an. »Gibt es vielleicht einen Grund, warum du ihn dir so penibel schlechtredest?«
Ich zog die Stirn kraus und schüttelte energisch den Kopf. »Nö, warum? Es gibt sowieso nur die zwei Möglichkeiten, dass er entweder ein arroganter Arsch ist oder er einfach nur mit dem falschen Fuß aufgestanden ist. Wobei ich es dennoch unerhört finde, dass er seine schlechte Laune an anderen auslässt ...«
»Du würdest ihm also noch eine Chance geben, deine Meinung über ihn zu ändern, wenn ihr euch ein weiteres Mal sehen würdet und er nett zu dir wäre?«
»Na klar.« Wirklich? »Aber wenn er dann wieder unverschämt zu mir wäre, dann sollte er sich warm anziehen.«
Darüber würde ich mir allerdings nicht mehr den Kopf zerbrechen. Denn wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass ich einem Büroheini wie ihm noch ein zweites Mal begegnete? Richtig, die war sehr gering. Und wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass mich mein Gefühl täuschte und er kein schnöseliger Idiot war? Richtig, noch geringer. Im Falle des unwahrscheinlichen Falles, dass ich mich irrte und er innerlich ähnlich anziehend wie äußerlich sein sollte, hoffte ich dennoch inständig, dass ich ihm niemals mehr über den Weg laufen würde.
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