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𝑾𝒆𝒏𝒏 𝒅𝒖 𝒔𝒐 𝒈𝒂𝒓 𝒌𝒆𝒊𝒏𝒆 𝑳𝒖𝒔𝒕
𝒂𝒖𝒇 𝒅𝒆𝒏 𝑻𝒂𝒈 𝒉𝒂𝒔𝒕 ...
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Andi fuhr auf den Parkplatz der Kirche und bog in die nächstgelegene freie Lücke ein. Wir hatten die gesamte Autofahrt nur das Radio laufen lassen und kaum miteinander gesprochen. So war das schon am gestrigen Abend gelaufen.
Nachdem mich Degenhardt ohne ein weiteres Wort draußen stehen gelassen hatte, war ich so in meinem Gefühlschaos versunken, dass ich völlig teilnahmslos den Rest meiner Arbeit verrichtet hatte. Zwar hatte Andi es anfänglich mit ein paar dummen Sprüchen probiert, mich aus meiner Trance zu wecken, doch ich war schlicht und ergreifend verloren gewesen. Teilweise hatte ich vor lauter Kopfzerbrechen schon gar nicht mehr denken können, sodass ich wie ein Roboter meine Handlungen ausgeführt hatte. Wie gut, dass dies beim Lichterkettenentwirren möglich gewesen war.
Ich konnte einfach nicht verstehen, was verdammt noch mal mit mir los war. Warum ich mich so wenig im Griff hatte. Weshalb mir das Ganze überhaupt widerfahren musste. Das Leben konnte schon echt mies sein.
Degenhardt versaute mir nicht nur meinen Lieblingskurs in der Uni, sondern auch noch die Hochzeit eines besten Freundes. Ja, richtig gehört ... Meine Begeisterung für den heutigen Tag hielt sich nämlich maximal in Grenzen, denn es bedeutete schließlich, dass ich meinen wundervollen Dozenten die ganze lange Zeit irgendwie ertragen musste. Ganz toll!
„Welche Laus ist dir eigentlich über die Leber gelaufen?", fragte mich Andi, als er den Motor abstellte. Er sah mich mit seinem strengen Blick von der Seite an. „Gestern konnte ich es als eine deiner Launen abtun, aber heute wird es langsam gruselig."
„Wie? Mir geht's doch wunderbar. Ich bin nur müde, weil der Tag gestern so anstrengend war." Ich wich gezielt seinem Starren aus, denn meine Augen hätten die Lüge sofort entlarvt.
Ehe Andi sprach, nahm er meine Hand und zog mich näher zu sich. Womit ich gezwungen war, ihn nun doch direkt anzusehen. „Schon klar. Und wo ist dann die vorlaute und quirlige Elli, die ich gefühlt seit Ewigkeiten kenne? Die bei ihrem ersten Kaffee anspringt und losplappert, sodass ich mich hin und wieder verfahre, weil mein Hirn so viel Info verarbeiten muss? Sie ist wohl seit gestern Abend in ein Loch gekrochen und kommt da anscheinend nicht freiwillig wieder raus! Oder ist sie dort vielleicht stecken geblieben?" Seine dunkelbraunen Bambiaugen hatten einen besorgten Ausdruck, auch wenn ein Lächeln seine Lippen zierte.
Ich ergriff meinen Kaffeebecher und stürzte den letzten Schluck hinunter. „Es war ein Kaffee zu wenig. Normalerweise trinke ich daheim auch noch einen, weißt du. Und beschwer dich lieber nicht, sonst bequatsche ich dich später so lange, bis dir die Ohren rauchen und du dir wünschst, du hättest lieber nie etwas zu mir gesagt!" Das war mir ein wenig zu schroff entfahren als beabsichtigt. Er konnte schließlich am wenigsten für meine Situation.
Gerade hatte ich nur ein wenig geschwindelt beziehungsweise eigentlich schwindelte ich genau genommen gar nicht. Ich verheimlichte lediglich eine winzige Kleinigkeit. Im Übrigen stimmte das mit dem Kaffee. Ich hatte heute Morgen tatsächlich nur einen anstatt zwei daheim getrunken. Ziemlich bescheiden, wenn man bedachte, wie schlecht ich mal wieder in der Nacht geschlafen hatte. Meine unterirdische Laune war demnach absolut berechtigt.
„Na immerhin mal mehr als ein Grummeln. Du machst mir Angst, wenn du so still bist. Lass das sein, hörst du!", ermahnte mich Andi und er lächelte erneut. Dieses Mal erreichte dies auch seine Augen.
Schließlich stiegen wir aus dem Auto und ich schlang meinen grauen Mantel etwas enger um den Körper. Heute wehte ein eisiger Wind, der selbst durch diesen dicken Stoff seinen Weg fand und meine Haut unangenehm streichelte.
Ich ging bereits einige Schritte, bis Andi mich einholte und seinen Arm um meine Hüfte legte. In der anderen Hand trug er die schwarze Schachtel, in welcher sich die Eheringe befanden. In etwas mehr als einer Stunde würden sie die rechten Ringfinger von Emilia und Gabriel umschließen.
Bei dem Gedanken schaute ich lächelnd zur Kirche auf. Ein beeindruckendes Bauwerk. Mitten in der Stadt versteckt, sodass es nicht besonders auffiel. Das Gotteshaus war ungefähr im Jahre 1730 erbaut worden und unverkennbar von der Strömung des Rokokos beeinflusst. Weiße Ranken, die sich verspielt umherschlängelten, zierten die lachsrosa Fassade. Aber das Äußere kam nicht annähernd dem nahe, was sich im Inneren befand ...
„Würdest du heute bitte mein Date sein, falls mich jemand tierisch nervt?" Andis Stimme drang leise in mein Ohr und ich spürte, dass er grinste.
„Ach, du missbrauchst mich mal wieder als dein Alibi?" Ich zog die Brauen gespielt streng nach oben, was ihn nun verschmitzt lächeln ließ.
Solche Dates hatten wir schon öfter vorgetäuscht. Auf Partys, in Clubs oder sonstigen Situationen, in denen es erforderlich war, um sich aufdringlichen Personen entziehen zu können. Wir waren darin ein eingespieltes Team und verstanden uns allein durch Blicke. Unsere nonverbale Kommunikation war einfach optimal ausgereift.
„Na gut, ausnahmsweise." Ich zuckte mit den Achseln, ehe ich meinen rechten Zeigefinger anhob. „Aber nicht, dass du wieder auf die Idee kommst, mich zu küssen!"
Ja, das war wirklich einmal fast passiert. Allerdings hatte Andi damals einiges über den Durst getrunken und er konnte sich an nichts davon mehr erinnern.
Mein bester Freund ließ kurz von meiner Hüfte ab und schüttelte sich. „Pfui, würde ich niemals wagen! Ich glaube ja immer noch, dass du den Beinahe-Kuss erfunden hast!"
„Meine Ohrfeige, die du am nächsten Tag noch fühlen konntest, ist der Beweis", entgegnete ich ihm mit einem vielsagenden Blick.
„Jaja", nuschelte Andi, wobei er sich mit der Hand über die Wange sowie das Kinn fuhr. Es war ihm immer noch peinlich.
Dann betraten wir die Kirche. In den ersten Reihen hatten sich schon die engsten Familienangehörigen einen Platz gesucht und Gabriel stiefelte vollkommen nervös vor dem Altar herum, wobei er kurz innehielt, um zu sehen, wer gerade hereinkam.
Auf dem Weg zu ihm ließ ich ehrfürchtig meinen Blick durch den sakralen Raum schweifen. Anders als außen, dominierte hier in den Verzierungen die Farbe Gelb gepaart mit Weiß. Auf der Decke erstreckte sich ein riesiges Fresko der Mutter Maria, welches sie als Königin des Himmels und als Mittlerin der göttlichen Gnade zeigte. Jegliche Fresken waren von Ranken umgeben, die diese einrahmten. Die großen Fenster tauchten das Kirchenschiff in ein atemberaubendes Licht, denn auch wenn es heute bitterkalt war, so schien die Sonne mit voller Kraft. Zwischen den verspielten Fenstern hingen verschiedene Gemälde in Holzrahmen, die so groß waren, dass sie fast bis zur Decke hoch reichten. Es war eine atemberaubende Architektur, die sich einem hier bot.
„Hey, sag mir, dass du die Ringe nicht vergessen hast!", begrüßte Gabriel seinen Bruder ohne eine Umarmung und fuhr sich stattdessen durch das perfekt sitzende Haar.
Als Antwort wedelte Andi mit dem Schächtelchen umher. „Komm runter! Heiratest du heute oder gehst du zu deiner Hinrichtung? So sieht kein glücklicher Bräuti-"
Mit einem harten Stoß in seine Seite brachte ich meinen besten Freund zum Schweigen und drängte ihn zur Seite.
„Bleib ruhig, Gabriel! Alles ist perfekt geplant und vorbereitet. Es wird der schönste Tag deines Lebens werden, weil du die Frau heiratest, die dich immer glücklich machen wird, weil sie dich über alles liebt. Und du liebst sie", sprach ich die Worte aus, die Gabriel jetzt eindeutig nötig hatte, um seine Nervosität etwas zu bändigen. Dabei fasste ich ihn an beiden Schultern und sah ihm fest in die Augen.
Er antwortete mir mit einem stummen Nicken und drückte mich fest an sich. „Danke."
Ich lächelte ihn an, wobei mir nun einige Strähnen auffielen, die vereinzelt von seinem Kopf abstanden. „Wenn ich jetzt noch schnell deine Haare in Ordnung bringen darf, dann bist du der wohl bestaussehendste Bräutigam, den es auf der Welt gibt!"
Wiederum nickte Gabriel, sodass ich flink seine durcheinandergeratene Frisur zu seiner ursprünglichen Form zurechtstrich.
Danach setzten Andi und ich uns zu Angie, Reiner und Freddi in die erste Bank. Da Andi Gabriels Trauzeuge war, saß er ganz außen, um schnellstmöglich herauszukommen, wenn sein Einsatz kam. Clarissa, Emilias Trauzeugin, war noch nicht da. Vermutlich würden sie gemeinsam mit der Braut fahren.
Langsam begann sich die Kirche zu füllen und immer mehr unbekannte Gesichter tauchten auf. Schließlich war es kurz vor vierzehn Uhr und die letzten Gäste trafen ein, darunter Jenni, Clarissa und — wer hätte es gedacht — Degenhardt.
Sobald ich ihn entdeckte, wandte ich schnell meinen Blick ab, denn ich konnte jetzt schon spüren, was seine bloße Anwesenheit mit mir anstellte. Was würde dann erst sein, wenn ich ihm in die Augen sah? Ich müsste ihn heute gezwungenermaßen wohl noch oft genug anschauen, da musste ich ihn nicht schon jetzt genau unter die Lupe nehmen.
Dann kam der Moment, auf den alle gewartet hatten. Es ertönte Orgelmusik, der Chor stimmte ein, womit der Einzug des Geistlichen und der Braut angekündigt wurde. Aller Augen richtete die Aufmerksamkeit zum Eingang der Kirche.
Als ich Emilia entdeckte, setzte mein Herz kurz aus, weil sie derart hinreißend war. Sie trug ein Brautkleid im Empire-Stil, welches im Bereich des Oberkörpers und über die gesamte Armlänge in feiner Spitze gearbeitet war. Diese lief etwas in den fließenden, federleichten Stoff über, der in mehreren dünnen Lagen ihre Beine umspielte. Das Kleid offenbarte ihren Rücken, welcher durch den Tüllstoff des Schleiers leicht bedeckt wurde. Ihr langes dunkles Haar war gelockt und fiel über die linke Schulter, wobei die rechte Partie mit einer lockeren Flechtfrisur in die linke Seite überging.
Die zuvor empfundene Nervosität schien nun komplett von Gabriel abgefallen zu sein, denn er wirkte entschlossener und glücklicher denn je. Genauso musste das sein. Ich freute mich sehr für die beiden.
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Die Trauungszeremonie war sehr stimmungsvoll und kurzweilig gewesen. Danach hatte es einen kleinen Stehempfang vor der Kirche gegeben, bei dem die Gäste dem frischvermählten Paar Glückwünsche und Geschenke überbringen konnten. Im Anschluss wurde die Feierlichkeit in die gebuchte Hochzeitslocation verlegt, in der die Band bereits in den Startlöchern stand.
Die Gesellschaft saß jeweils an runden Tischen, die für sechs Leute gedeckt waren. Zu meinem unendlichen Glück durfte ich unter anderem mit Degenhardt einen Tisch teilen. Allerdings blieb es mir erspart, neben ihm zu sitzen, denn diesen Platz hatte Clarissa für sich beansprucht. Auf der anderen Seite war Jenni, die mich sofort anstrahlte und mir den Platz neben sich anbot. Ich begrüßte kurz die Runde mit einem Lächeln und wandte mich dann an Andi.
„Bevor es so richtig losgeht, muss ich noch mal wo hin", informierte ich ihn und nahm meine Clutch, die mit einigen Kunststeinen besetzt war.
Er besah mich mit einem strengen Blick. „Du gehst jetzt ernsthaft deiner Sucht nach?" Bei dieser Frage konnte er sich dann allerdings ein freches Grinsen nicht verkneifen. Andi mochte es nicht, dass ich rauchte, und das musste er mir bei jeder Gelegenheit unter die Nase reiben.
„Idiot!" Ich schüttelte lächelnd den Kopf und verschwand zu den Toiletten.
Nachdem ich mir die Hände gewaschen hatte, begutachtete ich mich mit einem prüfenden Blick im großen Spiegel. Der Nudefarbton des Kleides stellte einen perfekten Gegensatz zu meinem braunen Haar dar, das ich in großen, definierten Locken offen trug. Nur am Ansatz hatte ich ein wenig mit meiner Frisur gespielt und einige Strähnen geschickt gezwirbelt und mit kleinen Strasssteinchen versehen. Der Oberkörperbereich sowie die Ärmel meines Kleides waren komplett mit zarten Stickereien verziert, die eine Farbnuance dunkler als der Stoff darunter waren. Der fließende Stoff schmiegte sich vorteilhaft meinen Kurven an. Ich checkte kurz mein Make-up, das heute etwas auffälliger als sonst ausfiel und verließ dann zufrieden den Raum.
Kaum trat ich heraus, stieß ich sogleich mit jemandem zusammen. Allein der unverkennbare Geruch, der mir in die Nase stieg, verriet mir, dass es sich um Degenhardt handeln musste. Herb und männlich. Und noch etwas Frisches wie Zitrone war dabei. Verflucht, er roch so was von gut.
„Du schon wieder. Glücklicherweise habe ich gerade kein Getränk in der Hand, dass du mir überkippen kannst, um meinen Anzug zu ruinieren", vernahm ich seine tiefe, raue Stimme, deren Töne mein Herz ärgerlicherweise schneller schlagen ließen.
„Stimmt, ich warte immer noch sehnlichst auf die Rechnung vom letzten Mal", giftete ich ihn an und sah ihm dabei direkt ins Gesicht.
Seine Augen leuchteten wie immer in diesem unglaublich schönen Meerblau, das sich in unzählig viele Blautöne brach. Mich schwindelte es und meine Knie begannen ihr bewährtes Zitterspiel. Verdammt, wieso musste mein Körper immer die Führung übernehmen, wenn ich auf ihn traf?
„Die Reinigung wird dein Budget wohl deutlich übersteigen", entgegnete Degenhardt und zog dabei seine linke Braue gefährlich weit nach oben.
Ich funkelte ihn böse an, während sich meine Hände zu Fäusten ballten, weil er mich schon wieder derart in Rage brachte. „Was weißt du schon, was ich zahlen kann oder nicht!" Unbewusst rückte ich näher an ihn heran und fuchtelte dabei wild mit meinem Zeigefinger herum. „Übrigens möchte ich nicht in irgendeiner Weise in deiner Schuld stehen!"
Sein Blick veränderte sich und er sah mich kurz erwartungsvoll an, bevor er erneut die undurchdringliche Miene aufsetzte. „Stets die Schulden begleichend?", fragte er leise. Es klang eher wie eine Notiz an sich selbst. „Und wie möchtest du dann deine unverschämte und respektlose Art mir gegenüber entschuldigen?"
„Nun, da stehst du mir ja wohl in nichts nach. Und wie war das doch gleich ...?" Ich legte eine Pause ein und kam noch ein Stückchen näher. Herrgott, dass ich mich das gerade überhaupt traue!
Jetzt war mir Degenhardt genauso nah wie gestern. Nur wenige Zentimeter trennten unsere Gesichter voneinander. Es kostete mich all meine Kraft, um die nächsten Worte ohne ein Zittern in der Stimme auszusprechen und dabei den intensiven Blickkontakt standhaft aufrechtzuerhalten. „Respekt ist etwas, das man sich erst verdienen muss. Du weißt noch genau, was ich daraufhin in der Tankstelle zu dir gesagt habe. Und ich muss gestehen, jeglichen Respekt hast du meinerseits verloren. Äußerst fraglich, ob du ihn dir jemals wieder verdienen kannst."
Bevor ich auch nur ansatzweise seine Reaktion darauf mitbekommen konnte, machte ich auf dem Absatz kehrt und bog um die nächste Ecke in den Festsaal.
Diese Hochzeitsfeier konnte ja heiter werden.
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