13. Kapitel
Die ganze Doppelstunde Verwandlung und während des ganzen Mittagessens grübelte ich, ob es wirklich eine gute Idee war, raus zu schleichen. Und falls wir uns rausschlichen, wann wäre der beste Zeitpunkt? Wie sollten wir vorgehen, um herauszufinden, was das für ein Monster war? Planlos in den Wald hineinlaufen, brachte nicht fiel, wie meine letzten Versuche gezeigt hatten.
Am Nachmittag wurden meine Gedanken durch eine Doppelstunde Verteidigung gegen die dunklen Künste abgelenkt. Wie versprochen war Professor Otkins zu Flüchen und Gegenflüchen übergegangen, worauf wir uns schon seit unserer ersten Stunde gefreut hatten – auch wenn ich sagen muss, das schwarzmagische Tierwesen auch sehr interessant gewesen waren. Wir hatten mit einer Reihe ganz unterhaltsamer Flüche begonnen wie zum Beispiel dem Tarantellegra. Immer war es darum gegangen, den Zauber mit Finite oder Finite Incantatem aufzuheben, wobei ersterer nur auf einen Zauber, letzterer auf mehrere angewandt wurde. In dieser Stunde jedoch begannen wir mit einem neuen Zauber.
«Expelliarmus ist ein sehr nützlicher Zauber», erklärte Professor Otkins. «Er dient dazu, den Gegner zu entwaffnen, wodurch ihr euch wirksam vor weiteren Flüchen schützen könnt, denn – logischerweise – ohne Zauberstab keine Flüche. Ein starker Expelliarmus direkt auf eine Person angewandt, kann diese allerdings auch zurückschleudern.» Professor Otkins erklärte uns, wie wir den Zauber ausführen mussten und stellte uns dann zu Paaren zusammen, um zu üben. Ich bekam George ab.
«Hast du vor, wieder nach dem Monster zu suchen?», fragte George während wir uns einen Platz weit hinten im Klassenzimmer suchten.
Ich nickte. «Aber ich weiss nicht, wann wir losziehen sollen. Und wir brauchen einen Plan. Es bringt nichts, wenn wir einfach aufs Geradewohl durch den Wald laufen.»
«Hmm», George überlegte und tippte sich nachdenklich an die Lippe. «Wir brauchen also einen Zauber, um es aufzuspüren. Wir könnten Charlie fragen, vielleicht kennt er einen. Und vielleicht will er auch mitkommen.»
Charlie war alles andere als begeistert, als wir ihm von unserem Vorhaben erzählten, aber er kannte einen Aufspür-Zauber. Nachdem wir ihm auch erzählt hatten, dass die Zwillinge eine todsichere Methode gefunden hatten, um nicht von einem Lehrer ertappt zu werden – die wir allerdings nicht preisgaben – stimmte Charlie dem Vorhaben zu. Er beschloss sogar, mit uns mitzukommen. Charlie war klug genug zu wissen, dass wir uns nichts und niemandem aufhalten lassen würden.
Wir setzen unser Vorhaben auf Freitagnacht an und noch am selben Abend in der Astronomiestunde erzählte ich Jessie von unserem Plan. Somit war alles vorbereitet. Nun konnten wir nur noch warten und versuchen, Charlie zu überreden, uns den Aufspür-Zauber beizubringen. Doch Charlie blieb standhaft.
Am Donnerstag hatten wir eine Doppelstunde Verwandlung mit den Hufflepuffs. Nach der Verwandlung von Streichhölzern und anderen kleinen, unbelebten Gegenständen, waren wir nun bei der Verwandlung von Tieren angelangt; ebenfalls von kleinen, denn je grösser das Objekt oder Tier, desto schwieriger die Verwandlung, hatte Professor McGonagall erklärt. Also liess sie uns in dieser Stunde Mäuse in Schnupftabakdosen verwandeln. Oder besser gesagt, sie liess es uns versuchen. Am Ende der Doppelstunde hatte meine Tabakdose immer noch zwei graue Ohren, Schnurrbart und Schwanz.
Nach dem Unterricht fing Cedric mich ab. «Also, Adrienne, ich wollte nur fragen... es ist so..., wenn du nochmals...», er senkte die Stimme, «wenn du nochmals rausschleichen willst, um nach dem Monster zu suchen, dann würde ich gerne mitkommen.»
Verstohlen sah ich mich um, ob wir auch ja nicht belauscht wurden, dann beugte ich mich näher zu Cedric. «Wir treffen uns Freitagnacht; um halb zwölf beim Schlossportal. Gleich daneben hat es eine Besenkammer, falls du dich verstecken musst.»
Den Freitagabend schlugen wir uns mit Zaubererschnippschnapp um die Ohren. Fred, George und ich spielten Runde um Runde, als wären wir süchtig nach dem Spiel. Langsam leerte sich der Gemeinschaftsraum, bis nur noch wir und Charlie da waren. Nun war es an der Zeit, uns auf den Weg zu machen. Wie verabredet trafen wir uns um halb zwölf mit Jessie und Cedric in der Eingangshalle, dann stahlen wir uns aus dem Schlossportal und gingen auf direktem Weg zu der Stelle, wo wir Cedrics Katze gefunden hatten.
Als wir den Wald erreichten, legte Charlie seinen Zauberstab auf seine Handfläche. «Investiga», sagte er. Der Stab begann sich zu drehen wie ein wild gewordener Kreisel, schnell und immer schneller. Dann verlangsamte er sich wieder und blieb schliesslich zitternd stehen. «Wir müssen da lang», sagte Charlie und deutete in die Richtung, in die auch sein Zauberstab wies.
Nebst dem Aufspür-Zauber, kannte Charlie noch einen weiteren, sehr nützlichen Zauber. Er hiess Lumos und er erzeugte ein Licht an der Spitze des Zauberstabs. Diesem Zauber verdankten wir es, dass wir nicht über jede zweite Wurzel fielen und Zeit verloren. Trotzdem zog sich unser Ausflug. Immer und immer wieder wiederholte Charlie den Zauber und dann versuchten wir so gut es ging in die vom Zauberstab angezeigte Richtung zu gehen; Felsen, Dickichte und steile Abhänge versperrten uns immer wieder den Weg. Inzwischen mussten wir schon sehr, sehr tief im Wald sein.
«Hat sich dort nicht gerade etwas bewegt?», sagte plötzlich Cedric und zeigte zu einer dunklen Tannengruppe.
Charlie führte seinen Zauber nochmals aus und nun zeigte der Zauberstab in die Richtung, aus der wir gerade gekommen waren.
«Meint ihr, das was ich gesehen habe, war das Monster?», fragte Cedric ängstlich.
«Wie sah es denn aus?», fragte Fred zurück.
«Keine Ahnung, ich hab's nur aus den Augenwinkeln gesehen.»
«Vielleicht hat es Angst vor uns, weil wir so viele sind», überlegte Jessie. «Und weil wir um einiges grösser sind als Katzen.»
«Ich glaube nicht, dass es eine gute Idee ist, weiter nach diesem Ding zu suchen», sagte Charlie. «Es war nie eine gute Idee. Kommt, wir gehen zurück zum Schloss.»
Die Zwillinge maulten, aber Cedric, Jessie und ich waren froh, dass Charlie unser Unterfangen beendete. Seit Cedric den Schatten gesehen hatte, war uns die Angelegenheit nicht mehr geheuer. Immerhin hatte dieses Wesen mehrere Katzen und all diese anderen Tiere, die Hagrid gefunden hatte, verletzt oder getötet. Und wir suchten nach diesem Ding? Wie blöd waren wir eigentlich?
«Los jetzt», sagte Charlie in einem Ton, der keine Widerrede duldete. Er sprach erneut seinen Zauber, diesmal aber um das Schloss zu finden. Der Zauberstab kreiselte wieder wie verrückt und zeigte uns dann die Richtung an. Wir zottelten los.
Bestimmt schon eine Stunde war verstrichen, seit wir umgekehrt waren. Charlie ging mit dem erleuchteten Zauberstab voraus, Cedric, Jessie und ich folgten und zuhinterst kamen die Zwillinge. Sie schmollten. Und dann hörten wir es. Lautes Knacken und Krachen, Gebrüll und Geheul. Was auch immer das war, es musste sehr gross sein, wenn es so laute Geräusche verursachte. Und es kam näher.
«Es ist kein Werwolf. Es ist nicht Vollmond», flüsterte Jessie panisch, doch das half nicht wirklich. Keiner von uns war scharf darauf, herauszufinden, was das für ein Wesen war.
«Lauft!», brüllte Charlie und wir machten, dass wir wegkamen.
Wir folgten Charlie und dem Licht seines Zauberstabs, sprangen über Wurzeln und grosse Steine, liefen Slalom zwischen Bäumen und Tannen hindurch. Hinter uns hörten wir immer noch das Knacken der Zweige und immer wieder lautes Gebrüll. Mein Fuss blieb an einer Wurzel hängen und ich schlug der Länge nach hin. So schnell es ging, rappelte ich mich wieder hoch. Vor mir konnte ich zwischen den Bäumen hindurch immer noch das Licht von Charlies Zauberstab ausmachen und ich rannte weiter. Hinter mir war das Knacken und Brüllen bedrohlich nahegekommen. Und dann, plötzlich, war das Licht weg. Mein Herz setzte einen Schlag aus, doch ich traute mich nicht, stehen zu bleiben und rannte weiter. Bloss weg von hier, bloss weg von dem Monster. Es war so dunkel, dass ich nicht erkennen konnte, wohin ich lief, selbst wenn ich den Weg gekannt hätte. Immer wieder stiess ich gegen Bäume, stolperte über Wurzeln und Steine. Nur ein einziger Gedanke beherrschte meinen Kopf: Mach, dass du hier wegkommst!
Ein lautes Knacken und wieder fiel ich der Länge nach hin. Hatte dieses Biest mich eingeholt? Mein Atem beschleunigte sich. Ich drehte mich auf den Rücken, stützte mich auf den Ellbogen auf, doch anstatt das ich das Monster sah, fuhr ein greller Schmerz durch mein rechtes Bein. Ich schrie auf und verriet damit jedem Untier in der Umgebung, wo ich mich befand. Es tat höllisch weh. Ein Blick auf mein Bein und ich registrierte, dass mein Fuss in einem seltsamen Winkel abstand.
Charlie rannte. Hinter sich hörte er das Getrappel von Füssen. Die Erstklässler waren ihm dicht auf den Fersen. Das laute Brechen von Ästen und Zweigen verriet ihm, dass für das Monster dasselbe galt. «Los, los, los!», spornte er die keuchenden Erstklässler an und bedeutete ihnen, vorzugehen. Einer, zwei, drei, vier. Verdammt, es waren nur noch vier Erstklässler! Wo war Adrienne? Hektisch sah Charlie in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Hoffentlich kam sie gleich. Doch von Adrienne war nichts zu sehen oder zu hören. Dafür aber vom Monster. Unentschieden wippte Charlie auf seinen Füssen auf uns ab. Sollte er warten, in der Hoffnung, dass Adrienne doch noch kam? Oder sollte er rennen. Er sah sich um, nach den restlichen Erstklässlern, die bereits ein ganzes Stück weiter waren. Verdammt, wenn er sich nicht beeilte, dann würde er sie auch noch verlieren. Adrienne musste vorerst allein zurechtkommen. Charlie beschloss, die Erstklässler zum Waldrand zu bringen und dann zurück zu gehen und Adrienne zu suchen. Hoffentlich hielt sie solange durch.
Charlie sprintete los und hatte die Erstklässler bald eingeholt. Wieder legte er seinen Zauberstab auf die Hand. «Investiga!» Der Stab kreiselte wie verrückt, viel länger, als er es sonst tat. Er musste seine Unentschlossenheit spüren. Er pflückte den Zauberstab aus der Luft und versuchte es erneut. Diesmal konzentrierte Charlie sich mit aller Kraft auf das Schloss und dann endlich hatten sie wieder eine Richtung.
Wie lange sie durch den Wald gerannt und gekeucht waren, wusste Charlie nicht – am Ende tat ihnen allen die Seite weh und sie konnten kaum noch aufrecht gehen. Doch endlich, endlich, stolperten sie zwischen den Büschen hervor und fanden sich in Hagrids Garten wieder. Hagrid konnte sicher helfen.
Immer noch keuchend klopfte Charlie an Hagrids Tür, die nur Sekunden später geöffnet wurde. «Hagrid, du musst uns helfen», presste Charlie zwischen heftigen Atemstössen hervor. «Wir waren im Wald, und da war das Monster, es hat uns verfolgt. Wir haben Adrienne verloren, sie ist noch immer ...»
«Was machen Sie hier?», unterbrach ihn eine kalte, strenge Stimme. Es war Snape. Ausgerechnet.
Völlig am Ende liess sich Charlie auf die Stufen, die zu Hagrids Tür hochführten, fallen. Sie waren geradewegs in Snapes Arme gelaufen.
«Kommen Sie her, Sie alle», schnarrte Snape. Keiner von ihnen kam auf die Idee, sich der Aufforderung zu widersetzen. Mit finsteren Blicken sah Snape sie an. «Sie wissen alle, dass es verboten ist, sich nachts ausserhalb der Schlafsäle aufzuhalten», schnarrte er, «und dass es verboten ist, sich im Verbotenen Wald aufzuhalten. Ich frage mich, was Sie auf die Idee gebracht hat, genau dies zu tun.»
Alle fünf liessen sie ihre Köpfe hängen und starrten auf ihre Füsse. Egal was sie jetzt sagen würden, es würde alles nur noch schlimmer machen.
«Die Weasleys; nun, von Ihnen hätte ich nichts anderes erwartet. Mr Diggory; ein Hufflepuff auf Abwegen. Sehr mutig für einen Angehörigen Ihres Hauses, und ausgesprochen dumm. Und Miss Silver; ich bin sehr enttäuscht von Ihnen. Fünfzig Punkte Abzug für jeden von Ihnen. Und jetzt Marsch hoch ins Schloss!», fauchte Snape.
Mit hängenden Schultern trotteten sie los. Dieser Ausflug war gründlich schiefgegangen.
«Aber, Sir! Adrienne ist noch da draussen, wir haben sie im Wald verloren», sagte Cedric.
Snapes Augen verengten sich und er durchbohrte Cedric mit einem finsteren Blick. «Los jetzt! Verschwinden Sie zurück in Ihre Schlafsäle, wo Sie hingehören!», fauchte er und ging dann schnellen Schrittes auf den Wald zu.
Ich sah mich um. Ich lag in einer Senke, zwischen hohen, alten Tannen, deren Wurzeln sich um den Rand der Senke wanden. Über eine dieser Wurzeln war ich gestolpert. Das Knacken von brechenden Ästen hatte sich entfernt, doch jetzt wurde es wieder lauter. Hatte das Monster die Fährte meiner Freunde verloren? Das wäre wenigstens etwas. Oder es hatte einfach meinen Schrei gehört und wusste, dass es hier eine wehrlose Beute gab. Mir wurde schlecht, als ich nur schon daran dachte, was dieses Biest wohl mit mir anstellen würde. Den Katzen hatte es ganze Gliedmassen abgebissen: Beine, den Schwanz.
Und dann tauchte das Untier zwischen den Bäumen auf. Erst konnte ich nur einen riesigen, schwarzen Schatten ausmachen. Hätte es sich nicht bewegt, ich hätte es nicht gesehen. Kein Geheul, kein Gebrüll, kein Gebell. Nicht einmal das Brechen von Zweigen. Das Monster bewegte sich völlig lautlos. Es kam näher und ich konnte seinen hechelnden Atem hören. Zottiges Fell, spitze Ohren, Schnauze, vier Beine, ein Schwanz, grosse, weisse Fangzähne, die sehr scharf aussahen. Was da auf mich zukam war ein riesiger, kohlrabenschwarzer Hund. Er hatte die Zähne gebleckt und kam ganz langsam näher und immer näher. Er wusste, dass ich nicht weglaufen konnte. Er hatte seine Beute auf sicher. Mein Herz schlug wie wild, mein Atem ging viel zu schnell und ich konnte meinen Blick einfach nicht von den Fangzähnen des Biests und von seinen bedrohlichen, gelbglimmenden Augen abwenden. Gleich würde es zuschnappen, seine Zähne in irgendeinem meiner Körperteile vergraben, ... Ich konnte seinen heissen, stinkenden Atem an meinem Hals spüren. Es musste es auf meine Kehle abgesehen haben. Ging es wenigstens schnell, wenn einem die Kehle aufgerissen wurde? Jedenfalls sicher schneller, als wenn der Hund zuerst über meine anderen Körperteile herfiel. Bittere Galle stieg meinen Hals hoch bis in meinen Mund. Ein Schnüffeln. Und dann ein Winseln. Die Fangzähne des Ungetüms waren plötzlich verschwunden. Es zog sich zurück, drückte seine Schnauze winselnd auf den Boden und sah mich einfach nur an. Immer noch in der gleichen Haltung zog der Hund sich langsam weiter zurück, bis er mit eingezogenem Schwanz in den Wald floh. Wieso? Verwirrt blickte ich dem Monsterhund nach. Er hatte seine Beute doch auf sicher gehabt. Ich hatte keine Möglichkeit gehabt, ihm zu entkommen. Wieso hatte er mich nicht angefallen? Er hatte es doch vorgehabt, das war deutlich zu erkennen gewesen.
Erst nach und nach machte sich die Erleichterung bemerkbar. Mein Atem wurde wieder gleichmässiger, mein Herz wechselte in seinen normalen Rhythmus zurück. Das Adrenalin war weg und ich war müde, so unglaublich müde. In meinem Bein pochte immer noch der Schmerz, doch ich nahm ihn kaum noch war. Auch nicht die Kälte. Schlafen. Das Einzige was ich wollte, war schlafen. Mir fielen die Augen zu.
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