Siebtes Kapitel
Ich saß in meinem Raum im Schneidersitz auf dem Bett. Meine Hände waren auf meinen Beinen abgelegt und ich hatte die Augen geschlossen. Ich hörte, wie sich die anderen unten in dem großen Saal angeregt unterhielten, doch ich versuchte es auszublenden. In den letzten Tagen hatte ich versucht zu erforschen, welche Gefühle ich hatte, als ich meine Kräfte benutzt hatte. Bis jetzt war es immer Wut oder tiefe Verzweiflung gewesen, doch ich hatte Angst, die Kontrolle zu verlieren, wenn ich mich auf diese Gefühle stützte. Stattdessen versuchte ich es mit Momenten des Glücks oder der Freude, aus meiner Kindheit. Zum Beispiel wie mein Vater mich beim Autofahren aus dem Dachfenster in den Wind gehoben hatte, oder als ich mit meiner Mutter beim Wandern eine spontane Schlammschlacht veranstaltet hatte und mein Vater uns danach mit dem Gartenschlauch wieder sauber machte. Es gab auch schöne Momente, als ich mit den Kindern aus meiner Pflegefamilie ein riesiges Schloss aus Decken und Kissen gebaut hatte oder mit ihnen die Magische Welt der Gartenzwerge entdeckte und ihnen winzige Städte aus Holz und Stein errichteten.
Immerhin spürte ich ein leichtes Kribbeln in den Fingern, wenn ich diese Gefühle kanalisierte. Mit Thor trainierte ich zwar auch noch, jedoch hatte ich das Gefühl, dass es alleine besser klappte. Ich versuchte immer wieder meine Kräfte aus meinen Gedanken in meine Hände fließen zu lassen. Manchmal kribbelte es intensiver und manchmal tat sich gar nichts. Es war zwar ein Fortschritt aber es ging mir viel zu langsam.
Ich öffnete die Augen, jetzt war ich zu aufgewühlt, weil ich mal wieder zu viel nachgedacht hatte. Es waren jetzt schon fünf Wochen vergangen und bis jetzt hatte ich quasi keine Fortschritte mit meinen Kräften gemacht. Das störte mich extrem, warum konnte ich sie nicht kontrollieren? Was machte ich falsch und was, wenn ich sie niemals kontrollieren konnte... Ich wollte gar nicht weiter darüber nachdenken, sonst würde ich noch Angstzustände bekommen.
Ich ging die Treppe runter. Die anderen waren nicht darin. Ich folgte den Stimmen zu dem Technikraum mit dem Hologramm. Kurz vor der Tür verstand ich, worum es ging, Hydra. Ich trat einen Schritt näher an die Tür um zu lauschen. Sie hatten eine neue Hydra-Basis ausgemacht und wollten sie hochgehen lassen. Sie diskutierten nur noch, was der richtige Weg war. Ich trat ein. Tony Vision, Steve, Clint, Bruce und Peter standen um das Hologramm, was einen Lageplan eines Gebäudes zeigte, und diskutierten. Als sie mich bemerkten, verstummten sie.
„Ihr habt eine Basis ausfindig gemacht? Sind dieses Mal auch ein paar Köpfe von Hydra dabei?" Keiner wollte mir antworten. „Was denn? Darf ich nicht zuhören?" Ich trat an das Hologramm heran und drehte es mit den Händen. Es war ein Livebild einer Massive Festung, wie ein Fort aufgebaut, umgeben von Wasser. Es lag ein Stück vom Strand entfernt, um es Angreifern so schwer wie möglich zu machen. Zahlreiche Sicherheitsvorkehrungen waren in der Festung markiert. Tony schob mich bei Seite und stellte das Holo wieder in die Ausgangsstellung zurück. „Also wenn wir hier reinkommen, können wir deren Schutzwand zerstörten" Er zeigte auf einen kleinen Eingang, im westlichen Teil des Forts. „Ja aber wie wollen wir unbemerkt zu diesem Eingang gelangen? Da sind überall Wachposten verteilt und wenn wir die Schutzwand nicht ausschalten können, dann müssen wir auch nicht angreifen." Steve fand Tonys Vorschlag wohl nicht so prickelnd. „Ja natürlich aber ohne an diese Tür zu kommen, können wir die Schutzwand nicht abschalten."
Sie diskutierten hin und her, die anderen Schalteten sich immer wieder ein, keiner wollte nachgeben. Ich trat noch einmal an das Hologramm heran, drehte es und musterte jedes Detail. Das Fort war rund aufgebaut und von einer Großen Mauer umgeben. Hinter der Mauer befand sich ein Innenhof und ein großes Gebäude mit dicken Steinwänden. Überall da, wo ein Wachposten seine Runde zog, war eine dünne rote Linie eingezeichnet, da wo sich Laser und Automatische Waffen befanden, waren blaue Punkte eingezeichnet und da wo unbemannte Drohnen ihre Runden zogen, waren blaue Linien eingezeichnet. Eine rote Kuppel war über das gesamte Fort gestülpt, das musste die Schutzwand sein von der sie sprachen. Das Fort war ein kompletter blinkender Haufen von Lichtern und Linien. Die Tür, die Tony benutzen wollte, war im westlichen Teil, nahe an dem Reaktor, welcher die Stromversorgung für die gesamte Festung sicherte. Nur logisch, dass sie auch das elektrische Schutzschild am Laufen hielt.
Ich drehte das Hologramm immer und immer wieder, bis mir ein kleines Detail ins Auge fiel. Auf dem Innenhof gab es einen Brunnen. Das war seltsam. Mir war klar, dass es eine alte Festung war, und dass damals Brunnen nicht unüblich waren, aber die Festung befand sich auf dem Meer. Umgeben von Salzwasser. Das hieß, egal wie tief man grub, Süßwasser würde man hier nicht finden. Ich verkleinerte das Bild, um mehr von der Umgebung sehen zu können. Ein paar hundert Meter vom Strand entfernt gab es eine Stelle, die zwar völlig unscheinbar aussah, doch sah sie so aus, als würden dort häufig Menschen entlanglaufen. Weit und breit war an dieser Stelle nichts zu sehen, bis auf die plattgetretene Natur ein Stück bis zur Straße rauf. Ich vergrößerte die Stelle und es waren eindeutig Fußspuren zu sehen, Spuren, die einfach im Nichts verschwanden.
„Habt ihr es schon mal unterirdisch versucht?" Sie ignorierten mich. „Tony" immer noch keine Reaktion, sie waren so in ihre Diskussion vertieft, dass sie mich gar nicht mehr wahr nahmen. Auch mein zweites und drittes Mal ansprechen ignorierten sie. „Hallo Leute" eigentlich hatte ich nicht vorgehabt so laut zu schreien, doch es zeigte Wirkung. Sie verstummten und sahen mich entrüstet an. Ich deutete auf den Brunnen „Habt ihr das hier übersehen?" Sie verstanden nicht. Musste ich noch deutlicher werden? „Auf dem Fort ist ein Brunnen, wofür braucht an im Meer einen Brunnen, wenn..." Bruce unterbrach mich „Wenn nicht für einen Geheimgang. Wofür sonst sollte es einen Brunnen dort geben. Wie konnten wir das übersehen". Tony versuchte sich seine Verwunderung nicht anmerken zu lassen. „Gut, dann ist da eben ein Brunnen, aber wo führt er hin?" Ich deutete auf die Stelle, mit den ganzen Fußspuren und vergrößerte sie. „Also wenn die nicht alle fliegen können, dann schätze ich mal, dass er dort anfängt" Sie lehnten sich alle vor um meine Erkenntnis zu mustern. „Habt ihr eine Aufklärungsdrohne in der Nähe? Vielleicht könnt ihr sie mal dort hinschicken"
Gesagt, getan, Tony hatte kurz etwas in seinen Computer getippt und schon sahen wir eine Mini Drohne auf dem Weg zu der besagten Stelle. Sie konnte uns bessere Bilder liefern und siehe da, es war eindeutig zu sehen, dass dort vor kurzem noch viel Betrieb geherrscht hatte. Reifen- und Fußspuren waren im Sand zu sehen. Für jeden, der dort vorbeikam, sah es wohl so aus, als hätte hier jemand gecampt oder ähnliches, doch wenn man die Verbindung zu dem Brunnen zog, war es fast nicht mehr zu übersehen. Es sah ganz so aus, als sei unter dem Sand eine geheime Tür, doch die Drohne war zu klein, um irgendetwas ausrichten zu können. Tony beschloss, die Drohne dort zu postieren, falls jemand das Fort verließ oder betrat.
Am Abend in der Dämmerung tat sich dann endlich etwas. Die Drohne Registrierte Bewegungen und wir stürmten alle gleichzeitig in den Technikraum. Eine Geheime Tür im Sand hatte sich aufgetan und mehrere Männer stiegen daraus hervor. Tony steuerte die Drohne manuell und flog sie dorthin, wo die Männer hergekommen waren. Gespannt beobachteten wir alle den Bildschirm. Die Drohne flog eine Steinerne Treppe hinunter und kam in einem Gang an. Der Gang war in Stein gehauen und sah aus wie eine Höhle. Ein paar in die Jahre gekommene Holzbalken stützten das gesamte Konstrukt und aus der Decke tropfte Wasser. An die Holzbalken wurden nachträglich noch Lampen befestigt, doch diese sahen auch schon nicht mehr so neu aus. Sie flackerten ein wenig, immer wenn der Tunnel ein wenig erschütterte.
Die Drohne flog bis zum Ende des Tunnels, es waren gut 500 Meter gewesen, an der sich eine Treppe nach oben befand. Oben an der Treppe angekommen befand sich eine weitere Tür, jedoch war sie verschlossen. Tony flog den Tunnel noch ein paar Mal ab, um nach irgendwelchen Kameras oder versteckten Fallen zu suchen. Als er endlich von der Drohne abließ rief er das Team wieder zusammen. Sie begannen einen Schlachtplan auszuarbeiten, Steve würde mit Clint und Bruce das Ablenkungsmanöver starten, Tony würde die Schutzwand ausschalten, Peter würde Tony Deckung geben und Thor und Vision würden von außen Angreifen, sobald die Schutzwand aus war. Als sie endlich zum Schluss kamen, begannen sie ihre Sachen zu packen.
„Moment mal, was ist mit mir?" Sie sahen verwirrt aus. „Ihr habt alle eine Aufgabe, was mache ich?" „Du meine liebe," Tony kam auf mich zu. „Du bleibst hier und übst weiter deine Kräfte zu kontrollieren". Ich war fassungslos. „Wie bitte? Ich soll hierbleiben? Ohne mich hättet ihr doch den Geheimgang gar nicht gefunden" „Das würde ich so jetzt nicht sagen aber du bist noch lange nicht bereit, auf Missionen zu gehen." Tony wandte sich ab und wollte den Raum verlassen, aber ich war noch nicht fertig. „Er darf doch auch mit auf die Mission" Ich deutete auf Peter. Natürlich war es das schwächste Argument, was ich bringen konnte, aber weil ich in Rage war, fiel mir nichts besseres ein. Steve schaltete sich ein und versuchte mich zu beruhigen und legte mir seine Hände auf die Schultern. „Hör mal wir müssen dich um jeden Preis von Hydra fernhalten. Du hast deine Kräfte noch nicht im Griff, das wäre ein zu großes Risiko". „Clint hat auch keine Kräfte und ist dabei". Enttäuschung und Wut machten sich in mir breit und ich spürte ein leichtes Kribbeln in den Fingern. Wofür das ganze Training, wenn ich es jetzt nicht einsetzten konnte. Natürlich wusste ich, dass meine Kräfte nutzlos waren, aber ich war eine passable Kämpferin, das konnte doch auch nicht verkehrt sein. Steve wollte noch etwas sagen, doch ich wusste, auf was das hinauslaufen würde. „Lass stecken Steve" resigniert verließ ich den Raum, bevor ich noch etwas sagte oder tat, was ich bereuen würde.
Ich fühlte mich wie ein kleines Kind, dem man den Lolli weggenommen hatte als ich die Treppe nach oben stieg. Kurz überlegte ich, in meinem Zimmer zu bleiben, doch dann griff ich nach meiner Decke und meinem Kissen und ging auf die Dachterrasse. Sie würden morgen aufbrechen und ich würde hierbleiben. Es gab also erstmal keine Rache für mich. War es überhaupt das, was ich wollte? Rache? Konnte es mir überhaupt Befriedigung verschaffen, wenn ich sie bekam? Mein Verstand sagte, dass es falsch war, anderer Leute Tod zu wollen, auch mein Herz hatte bedenken, aufgrund der vielen Schuldgefühle der letzten Male, doch mein kleiner Teufel auf meiner Schulter wollte es unbedingt. Diese Leute waren zudem nicht unschuldig oder? Naja, vorerst würde ich keine Chance bekommen, also konnte ich mir darüber vielleicht noch klar werden.
Wildes Getümmel weckte mich. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich eingeschlafen war. Meine Nasenspitze und meine Füße waren eiskalt. Die Sonne war gerade soweit aufgegangen, um über die Baumkronen zu schauen. Ich stand auf, und lief zum Geländer. Unten waren zwei schwarze Vans zu sehen, in die eifrig Sachen geladen wurden. Ich schnappte meine Decke und mein Kissen und rannte die Treppe runter zu den anderen. Sie stiegen gerade in die Vans, als ich unten ankam. „Elly hast du die ganze Nacht draußen geschlafen?" Steve kam mit seinem Schild und seiner Uniform aus der Tür hinter mir und schaute auf die Bettwäsche in meiner Hand. „Ihr geht schon?" „Ja es haben sich beunruhigende Aktivitäten auf den Satellitenbildern gezeigt. Wir sollten besser jetzt schon eingreifen" Er sprang in den Van und wollte gerade die Tür zuziehen, als ich ihn aufhielt. „Seid vorsichtig". Ich bemerkte, dass meine sehr besorgt klang. Die anderen hatten es wohl auch gehört denn sie begannen zu grinsen. Ich merkte, wie mir die Röte ins Gesicht schoss und drehte mich um. Mist, warum wurde ich rot? Dafür gab es keinen Grund. Ich hörte wie Steve die Tür zuschob und wie Vans vom Hof fuhren. Mein Blick ruhte noch eine ganze Weile auf der Hofeinfahrt, bevor ich wieder ins Haus ging.
Ich ging in mein Zimmer und legte die Decke und das Kissen zurück aufs Bett. Ich ließ mich hineinfallen und starrte an die Decke. Hoffentlich passierte ihnen nichts. Ich hätte mitkommen sollen, oder war es gut, dass ich hierblieb? Ich wusste es nicht. Ich würde heute wie immer, versuchen meine Kräfte zu kontrollieren. Vielleicht war es ja ganz gut, mal das Haus für sich zu haben. Einen Moment lang blieb ich noch liegen, dann wechselte ich meine Kleidung und ging in die Küche. Mein Magen grummelte, ich hatte gestern Abend nichts gegessen.
In der Küche fand ich stehengebliebenes Geschirr und einen Rest Kaffee in der Kanne. Sie mussten es eilig gehabt haben. Ich räumte das Geschirr in die Spülmaschine und schaltete sie ein. Dann schenkte ich mir den Rest Kaffee in eine Tasse und holte mir aus dem Kühlschrank einen Jogurt. Während ich aß überlegte ich, ob ich es irgendwie schaffte in den Kontrollraum einzubrechen, um sie über das Hologramm zu beobachten, aber ich gab die Idee schnell wieder auf. Es gab bestimmt mehrere Sicherheitsvorkehrungen von Tony.
Als ich fertig war wollte ich nach oben gehen, doch ich blieb neben dem Flügel stehen. Ein kurzer Gedanke kam mir in den Sinn und ich zog den Hocker unter dem Klavier hervor. Mit einem kräftigen Pusten befreite ich ihn vom Staub, dann setzte ich mich und klappte ihn auf. Ich hatte früher mit meinem Vater viel gespielt, auch ein paar meiner Pflegefamilien hatten ein Klavier gehabt, doch das war schon wieder ewig her gewesen. Zögernd legten sich meine Finger auf die Tasten und drückten sie sachte nach unten. Es fühlte sich gut an, nach all der Zeit mal wieder zu spielen. Meine Sorge, dass ich es nicht mehr konnte war völlig unbegründet. Meine Finger fanden die richtigen Tasten, ohne dass ich darüber nachdenken musste.
Land des Bären, Land des Adlers,
Land, wo wir die Welt erblickten.
Unser Herz strebt nach der Heimat,
wir zieh'n nach Haus über die Berge.
Wir zieh'n nach Haus,
wir zieh'n nach Haus,
wir zieh'n nach Haus
– über die Berge.
Wir zieh'n nach Haus,
wir zieh'n nach Haus,
wir zieh'n nach Haus
– über die Berge.
Hör unser Lied,
hör unser Sehnen,
wir zieh'n nach Haus
über die Berge.
Wir zieh'n nach Haus,
wir zieh'n nach Haus,
wir zieh'n nach Haus
– über die Berge.
Der letzte Ton verklang zusammen mit meiner Stimme. Das Lied hatten mir meine Eltern immer zum Einschlafen vorgesungen. Es war ein mittelalterliches Schlaflied gewesen um hungrige Kinder zu beruhigen und ich hatte es geliebt. Heute hatte ich es zum ersten Mal alleine gesungen. Es hatte sich schön angefühlt, schmerzlich aber auch beruhigend.
Ich klappte den Deckel des Flügels wieder zu. Ein kleines Seufzen entfuhr mir und ich war überrascht, dass es mir gutgetan hatte, dieses Lied zu singen. Ein Blick aus der Fensterwand sagte mir, dass es mittlerweile morgens war. Die Sonne war aufgegangen und die Vögel begannen zu singen. Es war ein schöner Morgen und gutes Wetter. Ich brauchte nur ein paar Sekunden, um zu entschließen, dass ich heute nicht in diesem muffigen Haus bleiben wollte. In der Vorratskammer packte ich mir ein wenig Essen und Trinken in einen Jutebeutel, dann zog ich meine Schuhe an und ging nach draußen spazieren. Es roch nach feuchtem Holz und auf den Blättern und Blumen waren noch kleine Tautropfen zu sehen. Die ersten Insekten begannen durch die Luft zu summen und nach Nahrung zu suchen. Hier und da sah ich ein Eichhörnchen, ein Vogelnest oder sogar einen Hirsch. Als er mich jedoch entdeckte verschwand er schnell im Wald. Es gab keine Wege in dem Waldstück hier, ich schätze, so oft lief hier niemand rum.
Nach gut zwei Stunden fand ich einen Bach. Ich folgte ihm und gelangte an einen kleinen See. Das Wasser war eiskalt, jedoch konnte man hier im Sommer sicher gut schwimmen gehen. Ich setzte mich ans Ufer und legte den Jutebeutel neben mich. Das Vogelgezwitscher war nach einem Warnschrei kurz verstummt, aber langsam begannen sie wieder munter zu singen. In ihren Nestern konnte man die Jungen zwitschern und um Futter betteln hören. Um den See befanden sich kleine Uferpassagen, abgetrennt von mehreren Bäumen. Auf der anderen Seite befand sich ein kleiner Steeg, er sah allerdings nicht mehr so standfest aus. Das Holz war morsch und die Bretter hingen durch. So wie es aussah, war der See früher auch mal kleiner gewesen, denn ein Teil des Steegs befand sich schon unter Wasser.
Aus meiner Tasche holte ich einen Apfel und Wasser. Als ich fertig gegessen hatte, wollte ich schon wieder aufstehen und zurück gehen, doch ich entschied mich noch kurz sitzen zu bleiben. Die ganze Atmosphäre war so angenehm, dass ich ein gutes Gefühl hatte, es mit meinen Kräften zu versuchen. Ich setzte mich in den Schneidersitz und schloss die Augen. Dieses Mal konzentrierte ich mich nicht auf meine Gefühle und auf meine Glücksmomente, ich ließ einfach nur die Stimmung auf mich wirken, hörte das Plätschern des Sees und das Zwitschern der Vögel. Wenn es nicht funktionierte, dann hatte ich nichts verloren, also atmete ich ein und aus.
Nichts, nicht mal ein Kribbeln in den Händen. Enttäuscht öffnete ich meine Augen wieder und erschrak. Ich war umhüllt von durchsichtigem orangenem Schimmer. Viele kleine Schleier waberten aus meiner Hand um mich herum. Als ich meine Hände unsicher zurückzog, verschwand der Schleier sofort. Das war unmöglich. Ich hatte ja nicht mal ein Kribbeln gespürt... Erneut schloss ich meine Augen und lauschte wieder nur den Geräuschen. Als ich sie wieder öffnete, sah ich erneut den orangenen Nebel aus meinen Händen wabern. Ich konnte nicht anders, ich musste Lachen. Die ganze Zeit hatte ich mich so darauf konzentriert, doch wahrscheinlich war genau das der Fehler.
Ich hob meine Hände leicht an und begann sie langsam hin und her zu bewegen. Der Nebel haftete an meinen Händen und schwang mit ihnen mit. Als ich meine Hände schloss, verschwand er wieder. Ein letztes Mal wollte ich es noch versuchen, danach war gut für heute. Dieses Mal schloss ich meine Augen nicht. Ich schaute auf meine Hände, ich klärte meinen Geist. Nichts war mehr in meinen Gedanken mehr zu finden, außer äußere Eindrücke, die ihren Weg über meine Sinne hineinfanden. Der Geruch des Wassers und das rascheln des Windes in den Baumkronen.
Erst war es nur ein kleiner Funke, dann begann die Luft um meine Hände zu flimmern, bis schließlich kleine schimmernde Zungen ihren Weg in die Luft fanden. Eine Träne lief mir übers Gesicht, ich hatte es geschafft. Endlich konnte ich es. Natürlich gab es da noch viel zu lernen, doch ich war so optimistisch wie nie. Ich formte kleine Wirbel mit meinen Fingern in den Nebel, langsam und vorsichtig, dann versuchte ich noch weiter zu gehen. Mein Ziel war es eine Kugel zu bilden, wie ich es getan hatte, als ich die Helikopter gesprengt hatte. Meine Hände kreisten langsam um einander und formten Eine Kugel in die Luft, doch der Nebel hielt diese Form nicht. Er folgte stetig meinen Händen, mehr aber auch nicht.
Schade, dachte ich mir und schloss meine Hände, der orangene Schimmer löste sich in alle Himmelsrichtungen auf, bis er nicht mehr zu sehen war. Ich wollte es für heute nicht übertreiben. Lächelnd stand ich auf, packte meine Tasche und machte mich auf den Heimweg. So viel Kontrolle hatte ich noch nie über meine Kräfte gehabt, ohne dass jemand verletzt wurde. Ich fühlte mich leicht und unbeschwert und konnte es kaum erwarten, es den anderen zu erzählen, oder sollte ich es erstmal für mich behalten? Vielleicht konnte ich so besser trainieren, ohne den Druck der anderen. Es hatte ja keine Eile, ihnen davon zu berichten. Diese Mission war sowieso schon gelaufen, ich konnte mich eventuell kurz vor der nächsten Mission outen, und zeigen, was ich bis dahin noch gelernt hatte.
Als ich wieder zuhause angekommen war, hatte ich beschlossen, erst einmal nichts zu sagen, nicht dass es nur ein einmaliges Ereignis war, in dem ich die Kraft ein wenig beherrscht hatte. Es war schon siebzehn Uhr und die anderen waren noch nicht zurück. Vielleicht hatten sie Schwierigkeiten bekommen. Ich beschloss für sie zu kochen und auf sie zu warten. Ein Blick in die Vorratskammer gab mir die freie Auswahl. In einem der Regale fand ich Nudelplatten und im Kühlschrank den Rest, was man für Lasagne benötigte. Das Rezept hierfür kannte ich auswendig, meine Pflegegeschwister hatten es geliebt, wenn ich Lasagne gekocht hatte. Sie waren immer ganz aufgeregt in der Küche herumgesprungen und konnten es kaum abwarten.
Nach zwanzig Minuten schob ich die Lasagne in den Ofen und ließ sie backen. Es würde noch circa eine Stunde dauern, dann war sie fertig. Ich setzte mich aufs Sofa und wartete. Erst saß ich einfach nur da und schaute aus dem Fenster, dann beschloss ich ein Buch zu lesen. Wahllos zog ich eins aus dem Bücherregal, es war eines über Feen und magische Welten, mehr ein Kinderbuch, als eines für Erwachsene. Wer genau hier solche Bücher ließ konnte ich nicht herausfinden. Vielleicht Tony oder Bruce? Im Deckel stand kein Name, aber die Beschreibung der Handlung auf der Rückseite hörte sich ganz nett an, also setzte ich mich und begann zu lesen.
Das Klingeln der Küchenuhr erschreckte mich. Die Lasagne war fertig und ich legte das Buch beiseite, um sie aus dem Ofen zu holen. Sie sah lecker aus und duftete herrlich. Kurz überlegte ich, ob ich schon etwas essen sollte, solange sie noh warm war, doch ich beschloss zu warten. Nachdem ich den Tisch gedeckt hatte setzte ich mich wieder auf das Sofa und las das Buch weiter. Im Grunde war es keine Anspruchsvolle Handlung, eine Geschichte, die ich auch hätte schreiben können. Es gab da diese Fee, die niemand mochte bis sie die anderen rettete. Am Ende hatte sie viele Freunde und blieb sich selbst jedoch treu.
Als ich das Buch fertig gelesen hatte schaute ich auf, schon fast Mitternacht. Besorgt schaute ich auf den gedeckten Tisch und stand auf. Ich ging auf die Dachterrasse und beschloss, dort zu warten, von da oben hatte ich die Auffahrt im Blick und konnte ein wenig in die Sterne schauen. Gegen zwei Uhr nachts hörte ich endlich die Vans die Auffahrt hochfahren. Ich lief nach unten, um sie in freudiger Erregung zu empfangen. Als ich unten ankam merkte ich sofort, etwas stimmte hier nicht. Sie alle sahen ziemlich ramponiert aus und als der zweite Van sich öffnete, sah ich erst die Ausmaße, die der Kampf mit sich gebracht hatte. Clint lag auf dem Boden des Vans, mehrere metallene Splitter steckten in seinem Oberkörper. Thor, Tony und Steve hoben ihn vorsichtig an und folgten Bruce ins Untersuchungszimmer.
„Peter was ist passiert?" fragte ich regungslos und starrte ihnen hinterher. Er sprang aus dem Van, um seine Nase herum war Blut und sein Anzug war zerrissen. Sein Blick war leer und traurig „Wir haben es nicht geschafft, die Basis zu zerstören. Sie waren uns zahlenmäßig viel zu überlegen." Er holte ihr Equipment aus dem Auto und ließ mich draußen alleine stehen. Vision blieb draußen mit mir stehen. „Wird er..." Ich sah ihn nicht an, mein Blick ruhte immer noch auf der Tür, durch die die anderen verschwunden waren. „Seine Überlebenschancen liegen bei 7%. Wahrscheinlich wird er in den nächsten Stunden sterben". Sieben Prozent, das war quasi nichts.
Vision schob mich zur Tür rein, als er merkte, dass ich mich nicht selbst bewegen würde. Vor der Treppe fing mich Tony ab. „Du kannst ihn heilen oder?" Er packte meinen Arm etwas zu unsanft und zog mich mit sich. „Ähm, das ist bis jetzt nur eine These. Wir wissen es noch gar nicht." Ich versuchte mich seinem Arm zu entwinden, doch sein Griff war zu fest. Er zog mich ins Untersuchungszimmer, bis zu der Trage, auf der Clint lag, dann ließ er mich los. „Mach schon, du hast das schließlich verbockt" befahl er mir, seine Arme hingen angespannt an seiner Seite runter und er sah mich fordernd an. Er gab mir die Schuld daran? Was hatte ich falsch gemacht? Ich war nicht Mal da gewesen. Ich wusste, dass ich Peter geheilt hatte, aber wie sollte ich es nochmal machen. Heute im Wald war kein Druck da gewesen, ich konnte ganz ich selbst sein und hatte keinerlei Verpflichtungen. „Worauf wartest du?" Tony klang sauer. Er deutete auf den bewusstlosen Clint. Bruce stand neben ihm und versuchte vorsichtig die verletzten Gefäße zu klammern, während Steve den Druck auf die blutenden Wunden hielt, zumindest soweit es wegen der Splitter möglich war.
„Sollten wir nicht warten, bis Bruce es versucht hatte? Vielleicht schafft er es ja" Ich klang absolut nicht optimistisch. Der ganze Boden war mittlerweile rot gefärbt, ein Wunder, dass er nicht im Auto schon verblutet war. „Tu etwas. Siehst du nicht, er stirbt" er schrie und kam drohend näher. Tony hatte mich noch nie angeschrien. Ich weiß, dass es der angespannten Situation geschuldet war, aber glaubte er, es würde dadurch besser werden? Er hatte mich eingeschüchtert und ich wusste, dass ich jetzt etwas tun musste, aber ich hatte Angst. Angst vor Tony, Angst vor Clints Tod und Angst vor meinen Kräften und deren Ausmaßen. Steve sah mich an, flehend und hilflos und auch Bruce sah nicht optimistisch aus, Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn.
Ich trat einen Schritt an Clint heran und nahm seine Hand. Auf dem Monitor zu seiner rechten konnte ich sehen, dass seine Werte gar nicht gut aussahen. Ich legte eine Hand auf seine Brust und konzentrierte mich. Oder sollte ich versuchen an nichts zu denken? Tony lief ungeduldig auf und ab, er atmete so laut, dass er auch direkt hinter mir hätte stehen können. Ich versuchte seine Geräusche auszublenden, doch jedes Mal, wenn ich dem ein Stück näher kam schrie Tony mich wieder an. „Ich schwöre es dir, wenn du ihn sterben lässt, dann werde ich dir dein Leben zur Hölle machen". Ich fuhr herum. „Verschwinde!" schrie ich ihn an. „Raus hier! Hau ab!" Bevor Tony etwas erwidern konnte war Vision an seiner Seite und stellte sich ihm in den Weg. „Tony ich glaube es ist besser, wenn wir gehen." Tony kochte innerlich, doch er ließ sich rausführen. Als sie weg waren wandte ich mich wieder Clint zu. Seine Werte rauschten nur so in den Keller. Ich nahm seine Hand und versuchte es erneut. Das klirren von Bruce Klammern und der schwere Atem von Steve machten mich fast wahnsinnig.
„Bitte, lasst uns allein." Ich sah sie nicht an. Meine Augen waren geschlossen, doch ich wusste, dass sie zögerten. „Geht schon! Ihr könnt sowieso nichts mehr tun" meine Stimme war laut und verzweifelt. Ich hatte nicht vorgehabt, die beiden anzuschreien, doch ich hatte mich nicht richtig unter Kontrolle. Als sie sich immer noch nicht regten kreischte ich ihnen förmlich ins Gesicht. „Ich sagte, ihr sollt verschwinden!" Es zeigte Wirkung. Sie gingen, zögerlich, aber sie gingen. Als die Tür ins Schloss fiel, brachen mir die Tränen aus. Ich war selten so überfordert gewesen wie jetzt. Eine riesige Last, lag auf mir. Ich drückte mir mit den Händen gegen die Schläfen und strich mir die Haare aus dem Gesicht, ungeachtet des Blutes an meinen Fingern. Irgendetwas musste ich doch tun können. Bei Peter hatte es doch auch geklappt.
Ich versuchte es immer und immer wieder, doch es passierte nichts. Das piepsen des Monitors wurde immer langsamer, mehrere Alarmtöne erklangen in Regelmäßigem Abstand. Clints Atmung ging so flach, man hätte meinen können, dass sie gar nicht mehr vorhanden war. Konzentriere dich. Ein und ausatmen Elly, ein und aus.
Das piepsen verklang. Das Gerät zeigte eine Nulllinie und ein kontinuierlicher, unangenehm eindringlicher Ton erklang. Ich sah hoch. Er hatte keinen Puls mehr, sein Herz war stehen geblieben. Nein bitte nicht. Das würde ich mir nicht verzeihen. Er hatte Kinder und eine Frau, was sollten sie ohne ihn tun? Ich rannte um den Tisch herum und riss das Kabel aus dem Monitor. Das konnte ich nicht ertragen. Er war tot, ich hätte ihn retten können.
Meine Knie gaben nach und ich fiel auf die Knie in eine riesige Blutlache. Meine Hose sog sich langsam voll mit damit, durch meine Tränen konnte ich sehen, wie sich die einzelnen Fasern verfärbten. Ich setzte mich und Lehnte mich am Tischbein der Trage an. Clints Hand hing davon herunter und ich griff nach ihr. Sie war kalt und blass. „Es tut mir leid." Schluchzte ich. „Ich wollte es. Wirklich. Aber ich konnte nicht, ich habe versagt." Meine Hand verharrte in seiner. Blut tropfte von seinen Fingerspitzen und machte leise glucksende Geräusche, als sie hinab in die Blutlache fielen. Ich beobachtete, wie sie fielen, Tropen um Tropfen. Die Geräte in der Ecke gaben leise summende Geräusche von sich und vor der Tür konnte ich mehrere Menschen auf und ab gehen hören. Meine Tränen waren versiegt. Ich lehnte den Kopf an die Trage und schloss die Augen. Ich musste es ihnen sagen, doch ich konnte noch nicht. Die Sekunden verstrichen wie Stunden, als sich plötzlich etwas tat. Clints Finger zuckten.
Ich riss die Augen auf. Er war da, der Nebel, meine Kräfte, sie waren da. Sie hatten Clint komplett eingeschlossen und schienen ihn wie ein Kokon in einer sicheren Hülle zu halten. Ich stand auf, seine Wunden waren noch da. Mit der einen Hand hielt ich immer noch Clint fest. Ich hatte Angst, dass wenn ich losließ, meine Kräfte verschwinden würden. Ich umklammerte seine Hand so fest, dass es uns beiden wehgetan haben muss, doch ich spürte nichts. Mit der anderen Hand zog ich die Metallsplitter aus seinem Körper. Der Nebel verdichtete sich an den Wunden, kroch in sie hinein und zog sie zusammen. Eine nach der anderen schlossen sie sich. Als ich die Splitter entfernt hatte, fuhr ich über jedes Hämatom, jeden Kratzer und jede Beule und ließ meine Hand darüber verweilen, damit der Schimmer seine Arbeit tun konnte. Jedes Mal, wenn er eine neue Verletzung ausmachte, gab es an der Stelle kleine Funken, bevor sich der Schimmer zuzog. Clints Gesicht bekam langsam wieder Farbe und als ich sicher war, dass er vollständig geheilt war, ließ ich von ihm ab. Ich hätte schon früher aufhören können, doch ich wollte sicher gehen.
Tränen liefen mir übers Gesicht, mein ganzes Sichtfeld war verschwommen. Ich konnte nicht mal mehr Clints Gesicht scharf sehen, so stark weinte ich. Ich hatte es geschafft und ich wusste, ich wollte niemals wieder in so eine Situation gebracht werden. Mein Blick fiel gen Himmel und ich faltete die Hände. Ein stummes Dankesgebet lag mir auf den Lippen. Ich war nicht gläubig, aber in solchen Situationen musste irgendein Schutzengel auf mich achtgegeben haben. Clints Atmung normalisierte sich und sein Puls wurde kräftiger.
Immer noch unter Tränen zog ich die Tür auf. Alle standen sie davor und warteten und hofften. Als sie mein Gesicht sahen, machte sich die Resignation in ihnen breit. Bruce drückte sich an mir vorbei und eilte zu Clint. „Er lebt. Sie hat es geschafft". Ein kollektives Aufseufzen ging durch die Gruppe, die Erleichterung war ihnen anzusehen. Steve kam mit ausgestreckten Armen auf mich zu, doch ich hob nur abwehrend die Hände und wich zurück. Bevor er etwas sagen konnte, lief ich an ihnen vorbei. Tony griff nach meinem Arm. „Hör mal, was da gerade passiert ist..." Ich ließ ihn nicht ausreden, stattdessen verdrehte ich ihm das Handgelenk und stieß ihn von mir weg. Mein Finger machte eine drohende Gebärde, doch ich sagte nichts, meine Stimme war zu brüchig dafür und ich wusste gerade sowieso nicht, was ich sagen sollte. Ich ging und ließ sie einfach stehen.
In meinem Zimmer angekommen, verriegelte ich die Tür und schob zur Sicherheit noch die Kommode davor. Alles war voller Blut, sogar auf dem Boden hinterließ ich rote Abdrücke. Im Badezimmer sah ich in den Spiegel, meine Tränen vermischten sich mit Clints Blut, Meine gesamte Hose war voll davon und auch mein Shirt hatte einiges abbekommen. Ohne zu zögern stellte ich das Licht aus, ging ich mit samt den Klamotten in die Dusche und setzte mich in den Regen. Ich spürte, wie die Zähe Flüssigkeit von meinem Körper lief und im Abfluss verschwand.
Schon bald hielt ich mich nicht mehr zurück, ich ließ meinen Tränen und meinen Schluchzern freien Lauf, es war ein Gemisch aus Trauer und Erleichterung. Ich hatte solche Angst gehabt, was wenn es nicht geklappt hätte, wenn er gestorben wäre, oder wenn ich alle in die Luft gesprengt hätte. Mein Kopf lehnte an der kühlen Duschwand und meine Arme hatte ich um meine angewinkelten Beine geschlungen. Es war schrecklich gewesen, ich hatte mich unfassbar hilflos gefühlt. So etwas durfte nicht noch einmal passieren, ich musste hier weg.
Nach einiger Zeit hörte ich ein Klopfen an der Tür. Steve fragte, ob alles in Ordnung sei Doch ich antwortete nicht. Er versuchte die Tür zu öffnen, kam aber nicht sehr weit. Nach einiger Zeit ließ er ab und verschwand.
Ich saß einfach nur da, mit leerem Blick und ohne jegliche Gedanken. Meine Klamotten mussten mittlerweile Blut frei sein, doch ich blieb wo ich war, ich hatte nicht die Kraft aufzustehen. Als es erneut an der Tür klopfte schrie ich ins Dunkel, sie sollen verschwinden und mich alleine lassen, was sie auch taten. Niemand kam herein und ich wusste nicht genau, ob ich mich darüber freuen, oder deswegen gekränkt sein sollte. Wollte ich jemanden in meiner Nähe oder wollte ich alleine sein? Nein das Einzige was ich wollte war hier weg.
Ich zog meine Kleidung aus und ließ sie in der Dusche liegen. Nachdem ich mich nochmal kurz abgeduscht hatte, trocknete ich mich ab und zog mich an. Ich kramte meinen alten Rucksack aus der Kommode und stopfte ein paar Kleidungsstücke hinein. Meine Wasserflasche hatte ich zum Glück nicht weggeworfen und nachdem ich sie mit Wasser befüllt hatte, stopfte ich auch sie in den Rucksack. Ein Blick durch das Zimmer zeigte mir, dass es nicht viel mehr gab, was ich mitnehmen konnte, außer einer dünnen Decke. Ich machte eine Rolle daraus und steckte sie zu der Wasserflasche. Am liebsten hätte ich noch etwas zu essen mitgenommen, doch das konnte ich nicht riskieren.
Als ich die Kommode wieder an ihren alten Platz verfrachtet hatte, zog ich die Tür auf. Draußen war alles dunkel und still. Kein Wunder, es war mittlerweile auch schon sechs Uhr morgens. Hoffentlich hatte ich niemanden aufgeweckt. Nur mit Stümpfen schlich ich die Treppe hinunter, bedacht keinen Mucks von mir zu geben. Mir war schlecht vor Aufregung. Unten angekommen horchte ich noch einmal, ob irgendjemand neben mir durchs Haus schlich. Nichts. Mein Weg führte mich durch den großen Saal die Treppe hinunter. Vor der Eingangs Tür zog ich mir meine Schuhe an, dann drückte ich die Klinke runter und zog die Tür auf. Mein Kopf fühlte sich schwer an. Das Adrenalin und die Müdigkeit machten mir zu schaffen.
Ich war erst ein paar Schritte gegangen, als eine Stimme hinter mit erklang. „Du willst einfach so verschwinden?" Steve, er musste die ganze Zeit gewartet haben. Ich drehte mich um. „Was willst du?" Meine Stimme klang matt und ausgelaugt. Ich hatte nicht die Kraft für eine große Diskussion. „Du hast ihm das Leben gerettet. Danke." Ich sagte nichts. Er trat einen Schritt auf mich zu, doch ich wich zurück. „Elly" setzte er an. Seine Stimme war so sanft. Ich kannte diese Tonlage. Mein Vater hat sie auf der Jagt bei verletzten Tieren benutzt, um sie zu beruhigen, bevor er ihnen den Hals umdrehte. Ich war gerne dabei gewesen, bis mir klar wurde, was wir da überhaupt taten.
„Spars dir Steve" Ich machte mir nicht die Mühe zu flüstern und wandte mich zum Gehen. „Elly bitte" er klang wie ein bettelndes Kind. „Was Steve, was möchtest du" Ich fuhr herum, die Tränen stiegen mir schon wieder in die Augen. Ich war nicht in der Verfassung, jetzt über Richtig und Falsch zu diskutieren. Meine Gedanken waren träge, ich war müde und mir war übel. Er sah mir an, wie ich mich fühlte. „Es tut uns leid" „Was genau tut euch leid? Sag schon, Was? Vielleicht dass ihr mich in eine unmögliche Lage gebracht habt, dass ihr Dinge von mir verlangt habt, die schier unmöglich waren? Dass ihr eine riesige Verantwortung auf mir abgeladen habt? Dass Tony mir die Schuld daran gibt oder dass ihr mich angeschrien habt? Sag schon, welcher dieser Punkte tut euch den leid." Ich spukte ihm die Fragen förmlich ins Gesicht. Meine Abscheu war nicht zu übersehen. Er schwieg und starre zu Boden.
„Danke, das war alles was ich wissen wollte." Ich ließ ihn stehen und ging. Die Tränen liefen mir schon wieder übers Gesicht und zornig wischte ich sie mit meinem Ärmel ab. Ich wollte jetzt nicht heulen, das würde mich schwach aussehen lassen. Steve lief hinter mir her. „Bitte bleib stehen. Lass uns reden" „Oh ich glaube wir haben genug geredet." Er packte meine Hand und zog mich zurück, worauf wir zusammenstießen. Ich wollte meine Hand wegziehen, doch er hatte sie fest im Griff. „Steve lass mich. Lass los!" „Hör auf, hör auf dich zu wehren." Sagte er beruhigend. „Vergiss es. Ich brauche euch nicht. Ich brauche niemanden" Mit diesen Worten riss ich mich los und schubste ihn nach hinten.
Ich drehte mich um und lief ein paar Schritte, bevor die Übelkeit in mir überhandnahm. Gerade noch rechtzeitig beugte ich mich über die Rasenfläche, bevor ich mich übergab. Ein Schwall Galle verließ meinem Körper und landete im Gras, vielleicht war es ganz gut, dass ich heute noch nichts gegessen hatte. Keuchend japste ich nach Luft und wartete, bis der Würgereiz nachließ. Steve stand mittlerweile hinter mir und hatte mir eine Hand auf den Rücken gelegt, doch ich versuchte sie abzuschütteln.
Als der Würgereiz vorüber war, richtete ich mich auf und zog meine Wasserflasche aus dem Rucksack. Ich spülte meinen Mund aus und spuckte das restliche Wasser ins Gras. „Was ist los, geht es dir gut?" Das fragte er nicht wirklich. „Nein es geht mir nicht gut. Es geht mir absolut nicht gut. Ich hatte mich endlich ein wenig zu Hause gefühlt und jetzt müsst ihr es kaputt machen. Ohne diese scheiß Kräfte, hätte ich ein normales Leben gehabt. Ich hasse sie. Ich will sie nicht mehr haben" Steve nahm mich in den Arm, noch während ich die Sachen aussprach. Ich wehrte mich, er sollte mich loslassen. Ich brauchte diese Menschen nicht, ich war ohne sie besser dran, und sie ohne mich.
Steves Arme zogen mich fest an sich. Ich hatte meine Hände gehoben und schlug ihm mit den Fäusten gegen den Oberkörper, doch er ließ nicht los. Tränen liefen mit übers Gesicht. „Bitte Steve lass mich los. Lass mich gehen" Meine Fäuste gaben auf und ruhten jetzt auf seiner Brust. Die Übelkeit und das drückende Gefühl in meinem Kopf machten mir zu schaffen. Seine Hand fuhr mir beruhigend über den Hinterkopf und drückte mich an sich. Meine Tränen machten sein Shirt nass, als ich es darin vergrub, doch es störte ihn nicht. Ich schluchzte und weinte und er hielt mich einfach nur fest. Er sagte nichts, wofür ich ihm sehr dankbar war. Vielleicht sollte ich doch hierbleiben.
Ich beruhigte mich schrittweise, meine Tränen versiegten und der Schmerz in meinem Herzen ließ langsam nach. Eine ganze Weile blieben wir noch so stehen, bis ich die Umarmung löste und einen Schritt zurücktrat. Ich musste zugeben, das war genau das, was ich jetzt gebraucht hatte. Mein Ego sah das ein wenig anders aber es hatte jedem meiner Gefühle gutgetan. Beschämt sah ich zu Boden, ich wusste nicht was ich sagen sollte und die Kopfschmerzen nahmen langsam überhand.
Er griff nach meiner Hand. „Sollen wir wieder rein gehen?" Ich formte mit meinen Fingern die Konturen seiner Hand nach. Auf irgendetwas musste ich mich gerade konzentrieren, sonst würde ich mich wieder übergeben müssen. Das pochen in meinem Kopf schwoll zu einem stetigen Hämmern an, und in meinen Ohren sauste es. Als ich nicht antwortete kam er einen Schritt näher. Er nahm mein Kinn zog es ein Stück nach oben, damit ich ihn ansah. „Ist alles in Ordnung?" In seinem Blick lag Sorge. Nein es war nichts in Ordnung. Ich wusste nicht, was ich jetzt tun sollte. Mein Verstand schrie, ich solle weglaufen aber mein Herz hatte hier ein Stück Heimat gefunden. Wie ich meine Kräfte einschätzen sollte wusste ich immer noch nicht und was genau diese Gefühle zu Steve von mir wollten konnte ich auch nicht sagen. Zudem brachten mich diese Kopfschmerzen langsam um den Verstand.
„Ja ich, es sind nur diese Kopfschmerzen" Ich fasste mir mit einer Hand an dort hin, von wo der Schmerz kam. Steve sagte etwas doch ich hörte nur das Rauschen. Ich kniff die Augen zusammen und versuchte das Hämmern und Rauschen abzuschütteln. Steve griff mach meinen Schultern und hielt mich fest. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass geschwankt hatte. Er schüttelte mich leicht und redete mit mir. Ich schätze er hatte gefragt, was los sei. Meine Beine gaben nach und er hielt mich. Er hob mich hoch und trug mich ins Haus. Um mich herum drehte sich alles. Ich griff in Steves Shirt, um irgendwo halt zu finden, doch es half nicht. Die Welt drehte sich immer schneller, auch wenn ich die Augen schloss spürte ich es. Lichter flackerten über mir, als Steve mich den Gang entlang ins Krankenzimmer trug, zumindest vermutete ich das, weil es dort wieder stark nach Eisen und Desinfektionsmittel roch. Steve wollte mich auf eine Trage legen, doch ich hielt mich weiter fest. Wenn ich jetzt sein Shirt los ließ würde ich völlig die Orientierung verlieren. Ein weiteres Händepaar griff nach mir und half mich von Steve loszumachen. Er packte jedoch gleich meine Hand, als sein Shirt frei war. Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen und das Karussell, auf dem ich mich befand drehte sich immer schneller. Das Hämmern in meinem Kopf schwoll zu einem Rauschen an, immer lauter und lauter wurde es, bis es meinen Gesamten Verstand einnebelte und mir schwarz vor Augen wurde. Gott sei Dank, war das letzte, an was ich denken konnte.
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