Sechstes Kapitel
„Es funktioniert nicht" Enttäuscht ließ ich die Hände fallen und Stand auf. „Wir versuchen es schon ewig und bis jetzt ist nichts passiert". Thor saß neben mir auf dem Boden. „Es braucht Zeit, wir müssen erstmal herausfinden, wie wir deine Kräfte aktivieren können, dann können wir weitermachen." Er sah so entspannt aus. Wie konnte er so ruhig bleiben, Hydra konnte jederzeit hier rein spazieren. Seit drei Wochen war ich jetzt dabei zu trainieren, im Kampf machte ich langsam Fortschritte, zumindest war dort Erfolg sichtbar, aber meine Kräfte konnte ich so viel beeinflussen wie zuvor und zwar gar nicht. Thor sah zu mir hoch „Wenn du so aufgebracht bist, ..." „Jaja ich weiß, in der Ruhe liegt die Kraft. Blablabla. Deine Kalendersprüche helfen mir kein bisschen" resigniert stützte ich mich auf dem Tisch im Trainingsraum ab. Wenn er weiter so dummes Zeug wie, „du musst die Kraft in dir spüren" und „greife nach dem Kribbeln" an mich heranlaberte, griff ich bald nach seiner Kehle. Der hatte leicht Reden. Er hatte diesen schicken Hammer, der ihm half seine Kräfte zu kontrollieren.
Ich atmete ein paar Mal tief ein und aus, dann setzte ich mich wieder, entschlossen, meine Kräfte zu kontrollieren. Meine Beine kreuzten sich und mein Rücken wurde gerade. Ich schloss die Augen und konzentrierte mich nur auf meine Kraft, auf das Gefühl, wie sie in mir aufstieg und in meine Hände strömte. Nichts. Es passierte absolut nichts. Ich seufzte und stand auf. Steve und Clint würden schon auf mich warten zum Trainieren. „Danke Thor. Bis morgen". „Morgen wird es bestimmt besser." Auch er stand auf. Ja bestimmt. Die Stimme in meinem Kopf triefte nur so von Sarkasmus.
In einem der anderen Trainings-Räume fand ich Clint und Steve, sie hatten Matten auf den Boden gelegt und warteten schon auf meine Ankunft. Die Frage lag ihnen auf den Lippen doch ich sah sie nur böse an. „Fragt nicht" sagte ich wütend auf mich selbst und als ich sah, dass wir heute wieder nicht mit Waffen üben würden, blieb ich stehen und seufzte in Richtung Decke. „Ernsthaft? Wann fangen wir endlich mit dem richtigen Training an?" Ich erwartete keine Antwort. Sie würde sowieso nur wieder heißen, dass wir schon mit dem richtigen Training begonnen hatten und das die Basics unerlässlich waren.
Ich pfefferte meine Tasche in die Ecke und kam zu ihnen auf die Matten. Wir begannen ein paar Runden durch den Raum zu joggen, dann machten wir ein paar kleine Boxübungen. Als sie sahen, dass ich sie gut meisterte, gingen sie zu schwierigeren Aufgaben über. Steve stand gegen über von mir, als Trainingspartner und Clint gab mir von außen Anweisungen. Sie simulierten einen Mann gegen Mann Kamp, in dem Steve der Angreifer war. Er versuchte mich zu packen und ich parierte seine Schläge. Zugegeben, es machte mir Spaß, doch das zeigte ich nicht. Ich musste mich konzentrieren, mit Steve Schritt zu halten aber ich schaffte es. Ich blieb zwar in der Defensive, doch ich verlor nicht.
Ein paar Hände packten mich von Hinten und hielten meine Handgelenke fest. „So jetzt eine Stufe schwerer. Wir sind zu zweit, was tust du?" Reflexartig drehte ich die Handflächen nach außen und zog die Arme nach unten, was Clint dazu brachte, loslassen zu müssen. Ich duckte mich unter Steves Armen hinweg, sodass ich hinter ihm zum Stehen kam, und stieß ihn so heftig ich konnte auf Clint zu. Es machte ihm fast nichts aus. Er wirbelte herum und begann nach meinen Handgelenken zu greifen, doch ich wich ihm mit einer Drehung aus und kickte ihm die Füße vom Boden. Er fiel der Länge nach hin, doch Zeit zum Ausruhen hatte ich nicht. Clint war über Steve gesprungen und tat so, als würde er mit den Fäusten auf mich einschlagen. Clint war nicht so schnell wie Steve, jedoch hatte er irgendwelche komischen Kung Fu Tricks drauf, die Steve nicht kannte. Er wirbelte herum und riss mir die Beine vom Boden, so wie ich es zuvor bei Steve gemacht hatte. Ich wollte hochspringen, doch als ich reagieren konnte, lag ich auch schon auf dem Boden. Clint und Steve standen über mir und reichten mir die Hand. Sie zogen mich hoch „Na war das das richtige Training?" fragte Clint, doch ich war noch lange nicht fertig. So schnell gab ich nicht auf. Ich zog sie zu mir heran und verdrehte ihnen die Arme, dann duckte ich mich unter ihnen weg, die Arme immer noch in den Händen. Ich zog daran, um sie aus dem Gleichgewicht zu bringen, es klappte eher weniger, doch sie taumelten ein wenig. Ich ließ ihre Arme los, und stieß sie zurück, jetzt hatte ich die Hände frei, sie aber auch. Mit einem Tritt in Clints Kniekehle brachte ich ihn zu fall. Steves Hände packten mich von hinten und hoben mich hoch. Ich stieß mich vom Boden ab und stieß ihn rückwärts gegen die Wand hinter ihm. Seine Handflächen drehte ich nach außen, dann zog ich ihn nach vorne. Er stolperte nur kurz, doch diese Zeit reichte mir um hinter Clint zu kommen, der mittlerweile wieder auf die Beine kam. Ich sprang an deinem Rücken hoch um meinen Arm um seinen Hals zu legen, ganz so, als würde ich ihm das Genick brechen wollen, und zwang ihn wieder in die Knie.
Da waren wir nun, Clint vor mir auf den Knien, ich direkt hinter ihm, bereit ihn zu töten und Steve in der Bredouille, ob er weiter angriff, oder Clint rettete. „Besser?" Fragte ich außer Atem. Steve lächelte und sagte „Ja fast, eins ist da noch". In dem Moment zog Clint an meinem Arm, der um seinen Hals lag. Durch den Ruck machte ich einen ungewollten Salto über ihn, landete vor ihm und dann war er es, der den Arm um meinen Hals gelegt hatte. „Wieg dich niemals in Sicherheit und rechne immer mit einem Angriff". Clever, sie hatten meine Idee, ihre Überraschung zu nutzen bei mir angewandt und ich hatte es wirklich nicht kommen sehen.
Clint ließ mich los und zog mich auf die Beine. „Der Rest war ganz passabel" sagte Clint leicht provozierend. „Leicht passabel? Hast du überhaupt mal hingesehen? Ich war gelinde gesagt großartig, ja wenn nicht sogar unglaublich überragend" Mit wilden Gesten untermalte ich meine überschwänglichen Worte. Sie lachten. „Es tut mir leid Jungs aber ich muss mich noch ein wenig weiter selbst Loben. Erst seit drei Wochen im Training und seht mich an, ich bin ein Naturtalent" Mit hochgezogener Nase und völlig überzogenem überheblichem Lächeln holte ich meine Tasche und verließ den Raum um in meinem Zimmer duschen zu gehen. „Autogramme gibt es später" sagte ich, bevor ich sie in lautem Gelächter zurückließ und in mein Zimmer eilte.
Der Trick funktioniert echt jedes Mal, dachte ich mir, als ich mich vor der Dusche auszog und das Wasser anstellte. Ich hatte sonst immer helfen müssen, die Matten aufzuräumen aber sie vergaßen es schnell, wenn ich sie zum Lachen brachte. Als das Wasser angenehm warm war, stellte ich mich darunter. Genau in dem Moment klopfte es an meiner Tür. Ich war wohl aufgeflogen. Steve rief durch die geschlossene Tür. „Junge Dame, wenn Sie das nächste Mal einfach so verschwinden, bekommen Sie eine Strafarbeit" Er konnte das Lachen in seiner Stimme nicht ganz unterdrücken. „Tut mir leid Steve, ich bin gerade unter der Dusche. Ich kann dich nicht hören" log ich.
Immer noch über meine eigene Verwegenheit lachend ging ich nach dem Duschen runter zum Abendessen. Steve deckte gerade den Tisch und als er mich sah, unterbrach er. „Na haben wir nicht etwas vergessen?" fragte er mit gespielter Empörung. „Ich weiß nicht was du meinst" verschmitzt nahm ich mir eine Erdbeere aus der Obstschale und aß sie. „Oh doch, du weißt ganz genau was ich meine" er versuchte nach meiner Hand zu greifen, doch ich machte einen Satz zurück. Ich rannte im Kreis um die Kücheninsel und er versuchte mich zu fangen. Er packte mich von hinten und hob mich hoch. „Wenn du uns noch einmal veräppelst, machst du eine Woche lang den Abwasch" er begann mich zu kitzeln und ich brach in schallendes Gelächter aus. „Na wenn ihr euch immer veräppeln lasst, außerdem haben wir einen Geschirrspüler". Er ließ mich runter und drückte mir einen Stapel Teller in die Hand. „Irgendeine Aufgabe werde ich schon noch für dich finden" sagte er spielerisch drohend und widmete sich wieder dem Tisch zu.
Als alle beim Abendessen waren, kam auch Peter zum Tisch. Ich starrte ihn an, er war schon drei Wochen nicht mehr hier gewesen. Ich hatte das Gefühl, sie hatten ihn für mein Training ausquartiert, als würde hier gleich alles in die Luft fliegen. Okay ich gebe zu, die Sorge war gerechtfertigt. Eine Erklärung für das „erst war er tot, dann wieder nicht"-Problem zu finden, hatte ich vertagt. Ich musste, wie Thor sagte, meinen Kopf frei haben. Doch jetzt, als ich ihn wieder sah, schob sich das Problem zurück in meine Gedanken. Vielleicht bekam ich die Möglichkeit, mit ihm zu reden.
„Also Peter, wo haben sie dich versteckt?" Ich schob ihm einen Teller mit Besteck zu. Er war verwirrt und wusste nicht, was er sagen sollte. Sein Blick zuckte zu Tony rüber, dachte ich es mir doch. Sie hatten ihn außer Haus geschafft. Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. „Hör mal" setzte Tony an. „Entspannt euch. Ich verstehe schon. Es ist nur sinnvoll den Kleinen nicht in meiner Nähe zu lassen" Peter sah entrüstet aus. „Den Kleinen? Ich bin ein Jahr älter als du. Außerdem bist du die kleinste hier." „Er lässt sich nichts gefallen. Das gefällt mir." Peter errötete und alle mussten anfangen zu lachen.
„Nein jetzt ernsthaft, wo hast du gewohnt?" Peter lud sich eine Portion Chili in seinen Teller bevor er antwortete. „Ich habe bei meiner Tante May gewohnt in Queens". „Und was hast du für Kräfte?" Er wusste nicht, ob er darauf antworten sollte. Tony nahm ihm die Entscheidung ab. „Er ist Spiderman." Meine Hand verharrte mit dem vollgeladenen Löffel in der Luft. Ich hatte von ihm gelesen, aber er sah überhaupt nicht aus, wie ein Superheld. Er war so jung und seine Identität wurde geheim gehalten. Wahrscheinlich, damit er noch ein normales Leben führen konnte. Irgendwie war ich neidisch darauf, dass er so schlau gewesen war, sich zu verkleiden und ich nicht, wobei ich eigentlich nicht erwischt werden wollte. Ihn hatte eine Radioaktive Spinne gebissen, vielleicht hatte er wirklich heilende Kräfte.
Ich löffelte weiter mein Chili als sich mir etwas in die Gedanken drängte. Wurde hier denn überhaupt jemand mit seinen übernatürlichen Kräften geboren? Thor ist ein Halbgott, er stammt nicht von der Erde, das zählte nicht und Vision wurde geschaffen, nicht geboren. Wie wahrscheinlich ist es, dass ich meine Kräfte seit der Geburt habe, ich meine es muss doch irgendein auslösendes Ereignis gegeben haben, aber so weit ich zurückdenken konnte, war ich immer schon im Besitz meiner Kräfte gewesen. Meine früheste Erinnerung daran war, als ich mit vier Jahren den Suppentopf in die Luft gejagt hatte, als ich sie nicht essen wollte. Meine Eltern meinten, ich hätte sie umgeschüttet aber so war es nicht gewesen, jedoch wollte ich Ärger vermeiden. Tony sagte es sei eine Mutation in meinen Genen, dann musste es schon immer da gewesen sein, doch Wanda hatte auch genetische Mutationen und bei ihr wurden sie gemacht.
„Elly? Hat dich das so aus der Fassung gebracht?" Eine Stimme riss mich aus meinen Gedanken, Steve hatte seine Hand auf meine Schulter gelegt. „Hm?" Ich schaute hoch, ich hatte gar nicht bemerkt, dass die anderen auf eine Antwort warteten. Ich richtete mich an Peter und Steve ließ seine Hand von meiner Schulter gleiten. „Was hast du für Kräfte?" Warum sollte ich nicht gleich fragen, wenn ich schon die Möglichkeit hatte. Er zählte ein paar auf, Widerstandsfähigkeit, übermenschliche Stärke und das Haften an Wänden und Decken. „Keine Heilkräfte?" fragte ich ganze beiläufig, doch die anderen merkten, dass ich etwas im Sinn hatte. „Nein wieso?" Sie schauten mich alle fragend an. Jetzt war die Katze aus dem Sack, nun konnte ich es auch erzählen, warum ich nachgefragt hatte.
„Naja, ich hatte euch ja erzählt, dass ich dachte er sei gestorben und es hatte sich so real angefühlt. Ich glaube nicht, dass ich es mir eingebildet habe. Ein paar Tage später hatte ich einen Albtraum, Steve hatte mich deswegen geweckt. In dem Traum war ich wieder in der Situation, als Peter gestorben war. Er sagte ich solle ihn retten, ich solle ihn heilen. Ich dachte, vielleicht hat Peter selbstheilende Kräfte, die ihn gerettet hatten. Irgendeine Erklärung musste es ja geben und ich hatte gehofft, dass es Peter selbst war" Sie hörten mir aufmerksam zu bis Thor etwas sagte. „Wie hat sich dein Traum angefühlt, hattest du schon mal so einen Traum?" Ich musste nicht lange überlegen. „Ich habe ständig solche Träume. Sie fühlen sich immer so real an, ich bin mir voll bewusst, dass ich gerade Träume. Das letzte Mal vor dem Traum mit Peter hatte ich geträumt, dass..." Ich stockte. Das konnte nicht sein, das wäre verrückt.
„Was? Was hast du geträumt?" Sie sahen mich alle erwartungsvoll an. Ich senkte den Blick und überlegte, ob ich weitersprechen sollte. Steves Hand legte sich wieder auf meine Schulter und drückte sie leicht zur Ermutigung. „Ich hatte geträumt, dass ich durch einen Wald renne und jemand hinter mir her war, von blutverschmierten Händen und von Schüssen." Es klang so absurd, aber hatte ich nicht genau das, unmittelbar danach erlebt? War nicht genau das passiert? Die Blutverschmierten Hände von Peters Wunden und die Schüsse, als ich versuchte, durch den Wald zu entkommen?
Ich schaute in die Runde und alle Schwiegen. Alle, außer Thor. „Das klingt mir ganz nach Visionen. Ich hatte auch schon mal eine, als Vision erschaffen wurde." Soll das heißen ich kann in die Zukunft sehen? Blödsinn. Ich lachte nervös, doch die Gesichter um mich herum waren ernst. „Das könnt ihr doch nicht wirklich glauben, das ist Humbug. Niemand kann in die Zukunft sehen. Die Zukunft ändert sich mit jeder Entscheidung, die wir treffen." Mein Lachen erstarb, als die anderen immer noch ernst dreinblickten. Man sah förmlich die Rauchwolken über ihren denkenden Köpfen qualmen. Thor hingegen sah tiefenentspannt aus. Für ihn war das anscheinend nichts neues. Er löffelte munter sein Chili weiter bis er erneut inne hielt. „Du sagtest, du hast eine Vision gehabt in der du Peter geheilt hast. Ich glaube wir haben gerade zwei deiner Kräfte herausgefunden?" „Sei nicht albern, es sind keine Visionen und heilen kann ich auch nicht."
„Peter hat wie durch ein Wunder Überlebt, realistisch gesehen, hätte er tot sein müssen. Es ist also nicht auszuschließen" Vision redete ganz sachlich, jedoch glaubte ich, dass er es eher zu sich selbst sagte als zu uns anderen. Ich wusste nicht wie ich reagieren sollte, also reagierte ich wie immer. Ich stand auf, räumte mein Geschirr ab und verließ den Raum mit den Worten „Ihr spinnt doch alle." Ich eilte in mein Zimmer, holte eine Jacke und ging in Stümpfen die Treppe weiter nach oben zur Dachterrasse. Dort lief ich ein paar Mal auf und ab bevor ich mich auf einen der Liegestühle setzte.
Ich hatte ja schon den Gedanken gehabt, dass ich es vielleicht gewesen sein konnte, die Peter geheilt hatte aber wenn es die anderen sagten, klang es so real. Dass meine Albträume Visionen waren, war einerseits eine plausible Erklärung, andererseits klang es auch völlig abgedreht. Keiner konnte in die Zukunft sehen, das ging nicht. Okay ich gab zu, eigentlich konnte man auch nicht einfach so Dinge in die Luft sprengen. So stark ich auch nachdachte, ich konnte in meiner Vergangenheit nichts finden, was die These von Thor untermauern könnte. Ich hatte häufiger Albträume gehabt, aber ich konnte mich nicht mehr an sie erinnern. Außerdem hatte doch jeder immer mal wieder Albträume. Hätte ich heilen können, dann hätte ich doch meine Eltern geheilt, als sie mit dem Auto gegen einen LKW gefahren waren. Ich saß ja auch in dem Auto und ich hatte überlebt... Hatte ich vielleicht nur überlebt, weil ich mich selbst geheilt hatte?
Ich ließ mich nach hinten fallen und schaute in den Himmel. Der Abend war kalt und der Himmel war klar. Unter den Sternen konnte ich den großen und den kleinen Wagen ausfindig machen, Sternenbilder, die mir mein Vater gezeigt hatte, mehr erkannte ich aber auch nicht. Ich zog meine Jacke ein Stück enger um mich, sie war mir, wie alles hier, zu groß, doch ich beschwerte mich nicht. Meine Füße waren schon wieder kalt, doch das war mir egal. Die Behauptungen von Thor musste ich vorerst in meinen Gedanken zurückschieben, sonst würde ich mich totgrübeln und wieder zu viel an meine Eltern denken.
Mein Atem stieß kleine Wolken aus, jedes Mal, wenn ich ausatmete. Die Luft war beißend kalt und stach in der Lunge, wenn man sie einatmete. Meine Füße und Finger schmerzten mittlerweile, doch ich blieb noch ein wenig liegen. Es war so angenehm still hier oben. Ein leichter Wind brachte die Baumkronen zum rascheln und immer mal wieder hörte man Uhus und andere Tiere durch den Wald rufen. Über mir zogen ein paar Wolken vorbei, bedeckten den Mond und gaben ihn wieder frei. In ein paar Nächten würde Vollmond sein. Die ganze Stimmung war gleichermaßen friedlich und unheimlich.
Ein Klicken hinter mir signalisierte mir, dass jemand durch die Tür auf die Dachterrasse kam. Ich drehte mich nicht um, denn ich war mir sicher, dass die Person gleich zu mir kommen würde. Als sie neben mir stand erkannte ich, dass es Steve war. In der einen Hand hielt er ein paar Decken und in der anderen hatte er zwei Tassen. Er ließ sich auf dem Liegestuhl neben mir nieder und warf mir zwei decken auf den Schoß. Ich rührte mich nicht. „Willst du dich zudecken oder soll ich das machen?" Als ich immer noch nicht reagierte, stand er auf und machte Anstalten, mich in die Decken einzuwickeln. Mit einem kleinen Lächeln winkte ich ab. „Nein lass das, ich kann das alleine." Nachdem ich mich in die Decken eingerollt hatte reichte er mir eine Tasse. Sie war angenehm warm und duftete nach Schokolade. Ich warf ihm ein dankbares Lächeln zu. Er wickelte sich auch in eine Decke und begann an seiner Schokolade zu nippen.
Ich sah ihn eine Weile lang nur an, wie er die Sterne beobachtete. Es schien ihm genauso gut zu gefallen, wie mir. Als er bemerkte, dass ich ihn anschaute, fragte er „Möchtest du reden?". Ich glaube es war das erste Mal, dass mich jemand so aufrichtig fragte, ob es etwas gab, was ich loswerden wollte. Und ich wollte reden, ich wusste nur nicht wo ich anfangen sollte. „Ich, ich weiß nicht" Ich wandte den Blick wieder in Richtung Sterne. Die Tasse in meinen Händen taute allmählig wieder meine Finger auf. Er schaute wieder in Richtung der Sterne. Ich war dankbar, dass er sich nicht aufdrängte. Nach einer halben Tasse heißer Schokolade begann ich schließlich doch zu sprechen. „Was hältst du von der ganzen Sache mit den Visionen und den Heilkräften?" Ich klang zögerlich, nicht sicher, ob ich die Antwort hören wollte, doch Steve war ganz entspannt und freundlich. „Ich glaube es ist eine tolle Sache für alle anderen, allerdings bringt es dich weiter in Gefahr. Wir müssen um jeden Preis verhindern, dass Hydra etwas davon mitbekommt, sonst wollen sie dich noch mehr." Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht. „Aber denkst du, dass es wahr ist. Meinst du ich habe wirklich solche Kräfte?" „Wieso nicht? Es kann doch sein, und wenn es nicht so ist, dann finden wir schon noch deine Fähigkeiten."
Steve versuchte wirklich alles, damit ich mich wohlfühlte und ich nahm es dankend an. Es war schön, so umsorgt zu werden, vor allem, weil ich weiß, dass sich das von jetzt auf gleich ändern konnte. „Es fühlt sich so unwirklich an. Mein Leben lang habe ich gedacht, ich wäre nur zu Vernichtungszwecken auf der Welt. Ich habe mich verhalten, wie ein Elefant im Porzellanladen. Dass ich jetzt auch etwas Gutes mit meinen Kräften bewirken kann, fühlt sich irgendwie falsch an." Ich stellte die mittlerweile leere Tasse neben mir auf den Boden und zog die Decke höher. Ein Frösteln lief mir durch den Körper, ob von der Kälte oder von den vielen neuen Erkenntnissen, wusste ich nicht. Steve rückte mit seinem Liegestuhl ein stück näher an ich heran und legte den Arm um meine Schultern. Er deckte uns beide mit seiner Decke zu und zog mich ein Stück an sich.
Es war ein seltsames Gefühl, jemandem so nahe zu sein, den man nicht einmal richtig kannte, aber ich ließ es geschehen. Mit jeder Minute, die verstrich wurde es weniger komisch und ich begann schließlich, mich wohl zu fühlen. Steve war nicht der Typ Mensch der solche Situationen ausnutzte. Als hätte er meine Gedanken gelesen, fragte er „Ist das besser oder möchtest du rein gehen? Soll ich dich alleine lassen?" „Nein es ist gut so. Ich war schon lange nicht mehr umarmt worden." Er zog mich noch ein Stück zu sich heran und ich fügte noch ein leises „Danke Steve" hinzu. Sein Körper fühlte sich so warm an, ganz im Gegensatz zu meinem. Ich legte meinen Kopf an seine Schulter und schaute weiter hoch in die Sterne. Es hätte eine romantische Situation sein können, aber Steve machte es nicht dazu. Er meinte es nur freundschaftlich und fürsorglich, zum Glück, denn für romantische Gefühle gab es in meinem Kopf gerade keinen Platz.
„Hör mal" setzte er an. „Denkst du das wirklich, dass du nur Zerstörung in die Welt bringst?" Ich hob meinen Kopf ein wenig, um ihm ins Gesicht sehen zu können. „Ja. Zumindest hatte ich das bis gerade eben geglaubt. Wenn es stimmt, dass ich heilen kann, dann bin ich vielleicht doch nicht ganz hoffnungslos" „Du bist nicht Hoffnungslos" Ich hörte einen Anflug von Sarkasmus in seiner Stimme. „Ach nein? Danke Steve es bedeutet mir ja so viel, das aus deinem Mund zu hören. Ach, es kann leider nicht jeder Captain Perfekt sein" Er knuffte mich und musste lachen. Ich liebte meinen Sarkasmus und ich war froh, dass sie ihn auch mochten.
Ich stand auf und hielt ihm meine Hand hin. „Nun Mister Superperfekt, darf ich sie hineingeleiten oder möchten Sie nicht mit mir gesehen werden." Er griff nach meiner Hand und ließ sich hochziehen. „Nun ich denke dieses eine Mal kann ich über ihr unschickliches Verhalten hinwegsehen." Er griff nach den Decken und ich hob die beiden Tassen vom Boden auf. Immer noch lachend gingen wir zur Tür der Dachterrasse. Kurz bevor wir sie verließen, blieb ich nochmal stehen. „Steve?" Er tat es mir gleich und drehte sich zu mir. „Danke, für alles" sagte ich zögernd. Seine Hand boxte leicht gegen meine Schulter. „Ich stelle es dir in Rechnung". Wir beide prusteten los und gingen die Treppe nach unten.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro