Drittes Kapitel
„Einen guten Morgen wünsche ich, bist du heute in Redestimmung?" ich öffnete meine Augen. Vor mir stand Steve, natürlich hinter der Glasscheibe. Er hatte ein Tablett in der Hand, mit Essen und einer Wasserflasche. Die eine Glaswand hatte eine Klappe, zu klein um mich hindurchzuzwängen, aber groß genug, um mir das Tablett mit dem Essen hindurch zu schieben. Ich drehte mich im Bett und schloss meine Augen wieder. Ich hatte zwar Hunger aber ich wollte nicht klein beigeben, solange er noch da war. Wenn ich nur stark blieb, würden sie vielleicht aufhören es zu versuchen. Ich hörte wie Steve die Klappe öffnete und das Tablett in meine Zelle schob. Mit einem grummeln zog ich mir die Decke über den Kopf. Er sollte ruhig merken, dass ich auf sie nicht gut zu sprechen war. Nach ein paar Minuten hörte ich, wie Steve seufzte und den Raum verließ. Ich war wieder alleine.
Seit zwei Wochen war ich nun hier und ich hatte seit Tag eins nichts mehr gesagt. Sie kamen jeden Tag mehrmals und versuchten mich zum Reden zu bringen, doch ich blieb stumm. Es war ihnen fast jedes Mittel recht, etwas aus mir heraus zu bekommen. Ob Essensentzug, Drohungen, gutes Zureden, Provokation oder Versprechungen, nichts hatte mich bewegen können etwas zu sagen. Das Einzige was noch fehlte war Gewalt, aber ich glaube dafür waren sie zu sanftmütig. Sie verstanden einfach nicht, dass ich es für sie tat und nicht für mich. Immer wenn sie kamen und erneut mit mir reden wollten, ging mein Gehirn auf Sparmodus. Ich achtete auf niemanden und konzentrierte mich auf mich selbst. Anfangs hatte ich einzelne Lieder in meinem Kopf abgespielt um der Langeweile und den kritischen Blicken meiner Gefängniswärter zu entgehen, mittlerweile war ich bei ganzen Alben angekommen. Ich sang sie in Gedanken hoch und runter, jeden Song zu jedem Sänger, den ich kannte und das waren sehr viele, nur um nicht zuhören zu müssen. Einmal hatten sie mich fast aus der Reserve gelockt, als sie Tracy erwähnten. Sie wussten nur, dass sie sich selbst umgebracht hatte und ich darauf hin „ausgerastet" sei. Das hat mich unfassbar wütend gemacht. Sie hatten keine Ahnung und sie hatten nicht das Recht, über Tracy zu reden. Sie wussten nicht, was ich durchgemacht hatte, geschweige denn, was ich immer noch durchmachte.
Nachdem ich noch gut eine Stunde geschlafen hatte stand ich auf. Ich musste mich bewegen. Die letzten sieben Monate war ich mehrere Meilen am Tag gelaufen. Es passte meinem Bewegungsdrang gar nicht in so einer kleinen Zelle eingesperrt zu sein, also stand ich auf und gönnte mir erst einmal eine ausgiebige Dusche. Als ich aus der Dusche trat und mich frisch angezogen hatte, nahm ich meine Zelle, wie jeden Tag, genauer unter die Lupe, vielleicht hatte sich ja doch noch etwas verändert. Ich musterte jede Ecke, jede Wand und jede Fließe, in der Hoffnung einen Ausweg zu finden. Die Wände waren aus massivem Glas, durch das selbst eine Kugel nicht so schnell durchkam. Ich hatte es versucht, zwar nur mit dem Bein meines Bettes und meinen Fäusten, alles was ich heben konnte warf ich mit so viel Kraft ich konnte, gegen das Glas. Nichts passierte, nicht einmal ein kleiner Riss. Nachdem ich alle meine Optionen durchgegangen war, kam ich wie immer zu einem ernüchternden Ergebnis. Hier gab es keinen Weg raus, jedenfalls keinen von hier innerhalb der Zelle.
Resigniert setzte ich mich zurück auf das Bett. Mein Blick fiel auf das Tablett. Es gab Suppe und Brot. Ganz so wie ich es mir in einem Gefängnis vorstellte und fast so wie jeden Tag, allerdings glaube ich, dass es nur Suppe gab, weil ich diese nur mit einem Löffel essen konnte. Wer weiß ob ich nicht mit einer Gabel oder einem Messer doch noch einen Ausweg fand. Oder sie waren vielleicht einfach unfähig im Bereich der kulinarischen Spezialitäten, das konnte ich mir schon besser vorstellen.
Ich stand auf und ging zu dem Tablett. Ich hasste das Gefühl von Hunger, denn dann bekam ich immer schlechte Laune. Steve legte mir, seit er gemerkt hatte, dass ich nicht reden würde, immer ein Buch oder ein Magazin mit auf das Tablett. Ich war mir nicht sicher ob es eine „guter Cop, böser Cop" Nummer sein sollte aber ich beschwerte mich nicht, es war eine willkommene Abwechslung. Die Einzige um genau zu sein. Einmal hatte er mir eine Zeitschrift mit mehreren Artikeln der Avengers gegeben. Ein Heldenhaftes Team im Kampf gegen das Böse, so wurden sie beschrieben. Meiner Meinung nach waren sie nicht so heldenhaft, wie sie vorgaben. Zudem war die Hälfte der Avengers einfach nur gut ausgerüstete Menschen mit Waffen und oder Kampferfahrung. Nur vier von den sieben, die ich bis jetzt kennen gelernt hatte, hatten auch spezielle Kräfte. Die Artikel waren sehr aufschlussreich und enthielten deren Stärken und Schwächen, deren Vorgeschichte und was sie Hauptteiles taten. Einen hatte ich wohl noch nicht kennengelernt. Spiderman.
Ich setzte mich mit samt dem Tablett auf das Bett und aß. Als ich damit fertig war, spülte ich das Geschirr im Waschbecken ab, stellte das Tablett zurück an die Klappe in der Wand und begann das Buch zu lesen. Es war ein langweiliges Buch, als Kind hatte ich es schon einmal gelesen aber ich gab mich damit zufrieden. Das Buch handelte von einem Mann, welcher sein Leben lang anständig war und ein langweiliges Leben führe. Kurz bevor das Buch endete, traf er die Liebe seines Lebens, wurde bei einem Autounfall schwer verletzt, starb im darauffolgenden Jahr an den Folgen des Unfalls und ärgerte sich kurz davor, dass er nicht mehr erlebt hatte.
Ironisch dachte ich, als ich das Buch zu Ende gelesen hatte. Da gibt es Menschen, die gerne mehr erleben würden und gar nicht merken, wie schön sie es hatten. Ein Leben in Ruhe und Frieden. Aufwachsen, Lieben, Kinder kriegen und alt werden. Das ist ein Leben, welches ich niemals haben konnte, wenn das so weiter ging, wonach ich mich jedoch so sehr sehnte.
Ich hatte schon oft überlegt mein Geheimnis mit anderen zu teilen, mich jemandem anzuvertrauen, doch ich konnte nicht, sonst würde ich erneut viele Menschen in Gefahr bringen und noch einmal konnte ich damit nicht umgehen. Ich war unkontrollierbar was das anging. Meine Hände fingen an zu zittern und ich merkte wie mein Körper unruhig wurde. Ich musste mich ablenken, sonst würden die Schuldgefühle mich überwältigen. In meinen Gedanken sah ich die Gesichter der Menschen aufblitzen, welche ich getötet hatte. Ich sah wie sie litten, wie sie kämpften und wie das Leben aus ihren Augen glitt. Früher hatte ich gedacht, dass Menschen die sterben, einfach die Augen zumachten und 'einschliefen' aber dem war nicht so. Wenn ein Mensch stirbt, dann sieht man das Leben regelrecht aus ihm weichen. Der Letzte Atemzug, das weiten der Pupillen und der entsetzte, schmerzverzerrte Ausdruck im Gesicht, bei tragischen Todesfällen brennen sich in die Erinnerungen wie Feuer. Ich sah wie sie gelitten hatten und ich war schuld gewesen.
Nervös stand ich auf und versuchte mich abzulenken. Ich musste mich beruhigen. Meine Hände zitterten immer noch und ich musste sie ein paar Minuten kräftig schütteln, um wenigstens den Schein von Kontrolle wieder zu erlangen. Ich tigerte in meiner Zelle auf und ab um mich abzulenken und meine Gedanken frei zu bekommen, doch es brachte nichts. Normalerweise würde ich in so einer Situation loslaufen, rennen bis mir die Lunge brannte und ich keine Luft mehr bekam. Ich würde vor meinen Schuldgefühlen davonlaufen aber ich war gefangen. Ich konnte hier nicht weg und meine Gedanken stachen auf mich ein. Sie zerrissen mich, machten mich unfähig zu denken und zu handeln. Ich musste hier raus, ich konnte hier nicht bleiben. Flucht war das Einzige, an was ich gerade denken konnte, Flucht und die Schmerzen derjenigen, welchen ich Leid zugefügt hatte. Ich spürte, wie die Panikattacke mich überrollte. Meine Hände fassten an meine Schläfen und drückten fest dagegen. Wenn ich nur genug Druck aufbaute, konnte ich vielleicht vergessen oder verdrängen, was mich wahnsinnig machte. Doch es half nichts.
Ich wusste nicht was ich tun sollte. Tränen stiegen mir in die Augen und ich wurde immer unruhiger. Noch ein bisschen länger und ich würde unter Tränen zusammenbrechen. Beherrsche dich, beruhige dich. Es gibt einen Ausweg, ich muss ihn nur finden, doch ich fand ihn nicht. Ich konnte mich nicht beruhigen und die Schuldgefühle schrien auf mich ein. Ich tat das Einzige, was mir noch richtig erschien. Mit samt meiner Klamotten stellte ich mich unter die Dusche. Erst unter heißes, dann unter eiskaltes Wasser. Meine Beine gaben nach und ich glitt an der Duschwand entlang auf den Boden. Tränen liefen mir über die Wangen, ich konnte mich nicht mehr kontrollieren. Hysterisch weinte ich bis keine Tränen mehr übrig waren. Dann sahs ich da, unter eiskaltem Wasser und von Schuldgefühlen überwältigt. Das Einzige was ich tun konnte war starren. Ich starrte leer auf den Abfluss und sah zu, wie das Wasser, was mir über den Körper lief im Abfluss verschwand. Ich weiß nicht wie lange ich so da saß, es konnten Minuten oder Stunden gewesen sein. Irgendwann kam jemand in das Badezimmer und zog mich aus der Dusche. Ich reagierte nicht, ich konnte nicht, mein Kopf war leer. Es gab nichts was ich noch wollte, außer, dass es aufhörte. Die Gefühle vor denen ich so lange davongelaufen war, hatten mich eingeholt. Es war dumm von mir zu denken, dass ich vor ihnen davonlaufen könnte. Es hätte mir klar sein sollen, dass sie mich früher oder später einholten.
Steve stand neben mir und versuchte mich auf die Beine zu ziehen, doch ich rührte mich nicht. Er stellte die Dusche ab, zog mir meine nassen Klamotten aus und streifte mir trockene über. Danach wollte er mich zum Bett begleiten, aber ich weigerte mich immer noch stumm. Ich saß nur da und blickte auf den Boden, die Augen verquollen vom Weinen. Er redete mir gut zu, doch ich verstand nicht. Ich wollte nicht verstehen. Lass mich hier sitzen, wollte ich sagen, doch ich brachte keinen Ton heraus. Ich wollte nicht aufstehen. Ich wollte nicht, dass es besser wird, ich wollte nur dass es endlich aufhörte.
Als Steve merkte, dass ich nicht mitkommen würde, griff er unter meine Schulter und meine Beine und hob mich hoch. „Elly du bist eiskalt, wie lange hast du unter der Dusche gesessen?" Steve klang besorgt oder bildete ich mir das ein. Es war das erste Mal seit über sieben Jahren, dass sich jemand um mich sorgte. „Ich, ich weiß es nicht" meine Stimme klang belegt und ich war den Tränen schon wieder nahe. „Ich wollte, dass es aufhört". Steve blickte mich an, er fühlte sich so warm an. „Was sollte aufhören Elly?". Ich blickte ihm in die Augen. Sie waren tiefblau und strahlten Ruhe, Verständnis und Bedauern aus. Ich war mir sicher, er sorgte sich um mein Wohlbefinden. Das gab mir den Rest. Die Tränen schossen mir wieder in die Augen und aus meiner Kehle drangen hysterische Krächzer. Ich konnte mich nicht mehr kontrollieren. Etwas in mir zerbrach. Mein Kartenhaus aus unterdrückten Gefühlen der Schuld, Einsamkeit, Trauer und Angst der letzten Jahre brach über mir zusammen. Mein Atem ging unregelmäßig und versuchte zwischen meinen Schluchzern nach Luft zu schnappen. „Es soll aufhören, bitte" flehte ich Steve atemlos an. „Ich, ich kann nicht... Es soll aufhören" meine Stimme brach und ich brachte nur noch unverständliche Laute heraus, geschüttelt von Heulkrämpfen. Steve legte mich aufs Bett und verschwand. Das passierte mir immer, jeder verließ mich. Ich konnte mich auf keinen verlassen. Ich steckte meinen Kopf in das Kissen und versuchte die Luft anzuhalten, um bewusstlos zu werden. Ich wollte mich ausschalten und raus aus der Situation, egal um welchen Preis.
Einen Moment später kam Steve mit Tony und Bruce zurück. Ich lag immernoch auf dem Bett und musste aussehen wie ein Häufchen Elend. Sogar in Tonys Augen konnte ich Mitleid aufblitzen sehen. Bruce ging neben dem Bett in die Hocke, er hatte eine Tasche bei sich. Ich schluchzte immer noch hemmungslos, als Bruce eine kleine Spritze aus seiner Tasche zog, die Schutzkappe entfernte und mir die klare Flüssigkeit in den linken Oberarm spritzte. Ich ließ es geschehen. Bruce blickte zu Tony und Steve, meinte, dass ich davon eine Weile schlafen würde und sah dann noch einmal zu mir. Sein Gesicht war voller Sorge. Wieso sorgten sich diese Menschen um mich, sie kannten ich doch überhaupt nicht. Ich konnte mit so viel Mitleid nicht umgehen, aber das musste ich in diesem Moment auch nicht mehr. Das Beruhigungsmittel zeigte seine Wirkung und ließ mir schon kurz darauf die Augen zufallen.
Ich rannte so schnell ich konnte, sie waren hinter mir her. Ich konnte sie hören, sie hatten mich gefunden. Ich musste hier weg. Um mich herum war alles dunkel. Die Bäume ließen nur wenig Mondlicht durch und der Wald war dicht. Ich wusste nicht einmal, ob ich noch in die richtige Richtung lief. Meine Schritte brachen nur so durchs Unterholz. Den Weg, auf dem ich losgerannt war, hatte ich schon längst verloren. Ich blickte auf meine Hände, sie waren blutverklebt. Schüsse direkt hinter mir ließen mich zusammenzucken.
Erschrocken fuhr ich hoch. Ich war nicht im Wald, ich lag in der Zelle auf meinem Bett. Es war alles nur ein Albtraum gewesen aber er hatte sich so real angefühlt. Ich hatte oft Albträume aber manchmal fühlten sie sich so real an wie dieser Traum. Ein Blick auf meine Hände versicherte mir, dass es nicht echt war, da war kein Blut. Ich stand auf, ging ins Badezimmer und schüttete mir kaltes Wasser ins Gesicht, nur um ganz sicher zu gehen. Es war nur ein Traum. Vielleicht lag es an den Beruhigungsmitteln, die ich gestern bekommen hatte. Ich sah und den Spiegel, ich sah mal wieder schrecklich aus. Meine Augen waren immer noch angeschwollen und gerötet und unter meinen Augen leuchteten bläulich meine Augenringe. Trotz der Beruhigungsmittel hatte ich mich nicht erholen könnten und auch meine Gedanken konnte ich nicht wirklich abstellen.
Ich hatte mich gerade angezogen, als mich ein ohrenbetäubender Knall von den Beinen riss. Automatisch zog ich meine Arme über den Kopf um mein Gesicht zu schützen. In meinen Ohren pfiff und rauschte es unerträglich laut. Ich drückte mir die Hände auf die Ohren um den Geräuschen zu entgehen aber sie kamen nicht von außen. Der Knall könnte mein Trommelfell beschädigt haben. Ich blickte mich in meiner Zelle um, hier war alles heil geblieben. Meine Zelle hatte nichts abbekommen, allerdings sah ich dünne Rauchschwaden unter der Tür hindurchziehen, welche den Raum zu meiner Zelle verschloss. Es war eine massive Metalltür, nicht so einfach zu öffnen. Ich versuchte aufzustehen, doch mein fehlendes Gleichgewicht zwang mich zurück in die Knie.
Gerade als ich es geschafft hatte mich an meiner Kommode hochzuziehen, wurde die Tür aufgestoßen. Es waren nicht meine normalen Gefängniswärter, die da zur Tür hereinkamen. Es waren viele Leute, in schwarzen Kleidern, der Größe nach zu urteilen waren es Männer und sie waren kräftig. Sie hatten alle samt das gleiche an, Springerstiefel, Cargo-Hosen und schwarze Pullover. Auf dem Kopf trugen sie schwarze Masken, welche nur einen Blick auf die Augen zuließen. Der Rest des Gesichtes war verdeckt. In ihren Händen hatten sie Waffen und fast jeder hatte noch ein paar weitere an ihrer Hose hängen. Was für Waffen konnte ich nicht sagen, dafür hatte ich mich noch nie interessiert, aber sie waren groß und sahen bedrohlich aus. Ich habe solche Menschen immer verabscheut. Wieso sollte man sich für so etwas interessieren, wenn man nicht die Absicht hatte sie zu nutzen.
Die Männer kamen direkt auf mich zu, ihre Absicht war klar. Sie wollten mich und sie sahen nicht so aus als ob sie lange fackeln würden. Zu meinem Pech ließ sich die Zelle von außen Problemlos öffnen. Ich konnte nur zusehen, wie die Männer in meine Zelle kamen. Meine Ohren und mein Gleichgewichtssinn machten mir immer noch Probleme. Ich sah, wie einer der Männer etwas zu mir sagte, seine Maske bewegte sich, doch ich verstand nicht. Als Reaktion auf meine fehlende Tat wurden mehrere Waffen auf mich gerichtet. Der eine Mann brüllte mich an. Seine Halsschlagadern waren zum Bersten gefüllt, er war eindeutig sauer.
Einer der Männer holte ein paar Kabelbinder aus seiner Hosentasche und kam auf mich zu. Ich konnte nichts tun. Sie waren mir zahlenmäßig überlegen, also ließ ich es mit mir geschehen. Der Mann mit den Kabel Bindern zog meine Hände zu sich, worauf ich meinen Halt verlor und zurück auf die Knie sank. Ich glaube sie lachten darüber. Zum Glück konnten sie nicht Gedanken lesen, denn eigentlich war ich es, die über sie lachte. Mal ehrlich, Kabelbinder? Lernt man nicht schon in der Grundschule, wie man sich davon befreite? Aber ich sagte nichts. Das war eine willkommene Hilfestellung in meiner jetzigen Situation. Mein Gehör und mein mangelndes Stehvermögen machten mir schon genug sorgen.
Als ich mit Kabelbindern gefesselt war, zog mich einer der Männer auf die Beine. Ich musste mich, zu meinem Verdruss auf ihm Abstützen. Das war mir extrem unangenehm, nicht nur dass ich unfähig war selbst zu gehen, nein ich musste mir auch noch an meinem Verursacher helfen lassen. Der Mann zog mich mehr mit sich, als dass ich mitlief. Natürlich tat ich dies auch ein wenig mit Absicht. Er sollte es ruhig schwer haben, auch wenn ich nicht so schwer war. Drei der Männer gingen mit gezückten Waffen voraus und der Rest lief uns hinterher. Ich war in ihrer Mitte umringt von diesen Männern. Meine Situation sah aussichtslos aus und sie wurde noch schlimmer. Einer der hinteren Männer band mir ein schwarzes Tuch über die Augen. Nun war ich fast aller meiner Sinne beraubt. Ich konnte weder Sehen, noch Hören, noch richtig laufen, auch wenn ich das Gefühl hatte, dass die beiden letzteren langsam besser wurden. Ich hörte zwar noch lautes pfeifen und rauschen, aber ich konnte auch gedämpfte Stimmen und Schritte war nehmen.
Ich stolperte neben meinen Entführern her als ich noch etwas war nahm. Es roch stark nach Eisen. Es roch nach Blut. Jemand hier war verletzt, oder vielleicht schon tot. Diesen Geruch würde ich überall wiedererkennen und so intensiv wie er war, hatte jemand viel Blut verloren. Ich konzentrierte mich ganz auf meine Ohren. Irgendetwas musste mir doch helfen können. Doch da war nichts, jedenfalls nichts, was für mich erfreulich wäre. Ich hörte die Rotoren Blätter von mehreren Hubschraubern und spürte den kalten Luftzug auf der Haut.
Sie wollten mich nicht töten, verstand ich plötzlich, sonst hätten sie es schon getan. Sie waren bestimmt auch nur Handlanger, welche ihre Order befolgten. Damit lehnte ich mich zwar weit aus dem Fenster aber war es nicht immer so? Es war Zeit für mich, mir einen Überblick zu verschaffen. So konnte es nicht weiter gehen. Ganz ausversehen stolperte ich und ließ mich auf den Boden fallen. Im Fall zog ich mir die Augenbinde ein Stück herunter und was ich sag war ein Bild der Zerstörung. Überall lagen Trümmer und Glassplitter herum. Vor uns musste sich einmal eine Glaswand befunden haben, doch sie war nun in alle Einzelteile zerlegt worden. Möbelstücke lagen entweder verkohlt oder noch leicht brennend auf dem Boden und die einst weiße Wand war nun von schwarzem Ruß und Dreck überzogen. Sie mussten die Bombe direkt hier gezündet haben. Hinter der ehemaligen Glasscheibe war eine Grünfläche mit drei startklaren Helikoptern zu sehen und unseren Weg zu ihnen trennten nur ein paar Trümmer und der Körper eines jungen Mannes. Er war vielleicht so alt wie ich und er sah schwer verletzt aus. Ich konnte nicht sagen, ob er noch atmete, allerdings glaubte ich nicht, dass man mit so einem Blutverlust überleben konnte.
Der Mann neben mir zog mich erneut auf die Beine und stieß mich weiter in Richtung der Helikopter. Er machte sich nicht die Mühe mir die Augenbinde wieder über die Augen zu ziehen. Das war meine Chance. Ich musste mir genau überlegen, wie ich hier wegkam. Mit bloßer Körperkraft würde ich es nicht schaffen, dafür waren sie mir zahlenmäßig zu Überlegen. Ich spürte das Kribbeln in meinen Händen und zögerte. Sollte ich es zurückhalten? Was wenn ich es dieses Mal schaffte mich zu kontrollieren? Ich konnte es nicht riskieren. Ich musste es so versuchen. Probieren geht über Studieren hätte Tracy jetzt gesagt. Ich schlug meine gefesselten Hände mit so viel Kraft, wie ich konnte gegen meinen Körper und die Kabelbinder zersprangen. Zum Glück hatte ich das Überraschungsmoment auf meiner Seite. Mit einem geübten Tritt beförderte ich zwei der umstehenden Männer auf den Boden, meine Beiden Hände schlugen links und rechts, an die Kehle zweier anderer. Ich sprang vorwärts und schlug den zwei Männern vor mir die Köpfe zusammen, dann griff ich nach ihrer Waffe und schleuderte sie hinter mich, leider zu spät. Der Mann, hinter mir, sprang wortwörtlich auf mich zu und riss mich um. Seine Faust schlug mir hart ins Gesicht und aus seinem Gürtel zog er ein Messer. Okay vielleicht hatte ich mich getäuscht, mit der Annahme, dass sie mich nicht töten würden. Er hielt mir das Messer an die Kehle und schlug mir mit der anderen Hand auf meinen Brustkorb, dass mir die Luft wegblieb. Die anderen waren schon dabei, wieder aufzustehen und leider nicht nur die Männer, die ich niedergeschlagen hatte. Der braunhaarige Junge, von dem ich dachte er sei tot stand plötzlich auch auf. Er wollte mich verteidigen. Ich schrie ihm zu er solle es nicht tun. Er solle wegrennen, doch zu spät. Einer meiner Entführer zog seine Waffe und schoss, ohne zu zögern. Der junge Mann fiel um und blieb reglos liegen.
Das war zu viel des Guten. Sie konnten mit mir tun was sie wollten, aber andere meinetwegen zu verletzten oder sie gar zu töten ging zu weit. Das Kribbeln in meinen Händen explodierte und der orangene Schimmer schoss wie eine Abrissbirne aus meinen Fingerspitzen und beförderte den Mann über mir an das andere Ende des Raumes. Die anderen waren mittlerweile auf den Beinen und stürzten sich auf mich. Einen nach dem andern schoss ich die Männer weg von mir, nicht hart genug um sie zu töten, aber hart genug um sie kampfunfähig zu machen. Ich spürte meine Kraft ganz deutlich in mir. Es war nicht wie die letzten Male, als ich nicht mehr wusste was ich tat, ich konnte mich kontrollieren. Zumindest weitestgehend. Als der Weg für mich frei war hörte ich, wie eine Kugel an meinem Ohr vorbeizog. Es waren noch mehr Männer aus den Helikoptern gekommen. Mal ehrlich, wie viele Menschen passten in so ein Ding rein?
Ich sprang nach vorne und suchte hinter einem umgefallenen Tisch Deckung. Ich formte meinen orangenen Nebel mit den Händen zu einem Ball, ehrlich ich wusste nicht, dass ich das konnte und schoss ihn über den Tisch in Richtung des Helikopters. Es knallte und einer der Helikopter flog in die Luft. Eine Hitzewelle zog über meinen Kopf hinweg und die Schüsse verstummten. Ich wartete einen Moment, bevor ich über den Tisch schaute, jeder einzelne von ihnen ist von der Druckwelle umgerissen worden und keiner bewegte sich mehr.
Entsetzt blickte ich auf meine Hände. Ich war zu weit gegangen. Wie konnte ich nur denken, dass ich meine Kraft kontrollieren konnte. Tränen stiegen mir in die Augen und ich kauerte mich hinter dem Tisch zusammen. Was hatte ich getan. Ich war ein Monster. Es war meine Schuld, hätte ich es doch einfach unterdrückt. Ich zitterte am ganzen Körper. Meine Arme schlossen sich um meine Beine und ich machte mich so klein ich konnte, um der Situation irgendwie zu entfliehen.
Ein röcheln neben mir ließ mich stocken. Hatte jemand der maskierten Männer überlebt? Nein, es war der Junge, von dem ich dachte er sei tot. Er war nicht tot, zumindest noch nicht. Er lag direkt neben dem Tisch. Wie konnte ich das nicht bemerkt haben? Vielleicht wollte ich es nicht. Der junge Mann hatte eine Schusswunde auf der Brust, aus der kontinuierlich Blut sickerte. Es war eine venöse Blutung, arterielle Blutungen hätten gespritzt. Das war ganz schönes Pech für ihn, denn das hieß, dass es länger dauern würde, bis er verblutete. Er hatte braune Haare und braune Augen, und sie fixierten mich. Er lebte noch und er war noch bei Bewusstsein. Wie konnte das sein? Er hatte so viel Blut verloren.
In seinen Augen lag Schmerz. Er sah mich so qualvoll an und versuchte etwas zu sagen. Ich verstand nicht. Ich rückte ein Stück näher an ihn heran. Seine blutverschmierte Hand hob sich und ich griff nach ihr. Er würde sterben, es konnte nur noch wenige Augenblicke dauern. Ich wollte es nicht mit ansehen aber in seinem Blick lag dieses Flehen, ich konnte nicht anders. Er versuchte etwas zu sagen, doch ich hielt ihn ab. Er sollte sich entspannen, auch wenn das absurd klang. Meine freie Hand griff nach seiner Jacke und zog sie zu. Ich konnte mir das nicht ansehen, wie er ausblutete. Meine Hand verharrte auf seiner Brust, über seiner Wunde und färbte sich rot. Ich wollte nicht, dass er starb. Es war unfair. Das war ein Tod, welcher auch auf meine Kappe ging. Wenn ich nicht hier gewesen wäre, würde der Junge weiterleben können. Meine Finger begannen zu kribbeln und ich ließ es geschehen. Ich wüsste nicht warum, aber es fühlte sich richtig an. Ich glaube es beruhigte ihn, den orangenen Schimmer zu sehen, wie er um seinen Körper waberte. Er schloss die Augen und ließ meine Hand los.
Ich saß noch einen Moment neben ihm, als ich ein Geräusch hörte. Ich glaube da kam jemand, nein ich wusste es. Es waren deutliche Schritte zu hören. Viele Schritte, sie kamen von draußen und sie hörten sich nicht vertraut an. Ich stand auf und lief ohne mich noch einmal umzublicken durch die zerstörte Glaswand vorbei an den brennenden Helikoptern und den leblosen Körpern auf dem Boden, rein in den Wald. Keinen Moment zu früh, denn schon hörte ich laute Rufe und das zischen von Kugeln, die an mir vorbei rauschten.
Ich rannte, so schnell ich konnte. Aber weniger, um nicht geschnappt zu werden, sondern eher um vor mir selbst davon zu laufen. Ich wollte entkommen und ich wollte vergessen. Zudem gönnte ich ihnen den Sieg nicht. Ich musste es schaffen, für den jungen Mann, der für mich sein Leben gelassen hatte. Also rannte ich, quer durch den Wald, über umgestürzte Bäume und über kleine Bachläufe hinweg.
Meine Kondition hatte stark gelitten, seit ich in dieser Zelle eingesperrt war. Schon nach ein paar hundert Metern brannte meine Lunge, doch ich rannte weiter. Die Rufe waren unmittelbar hinter mir. Sie riefen mir zu, ich solle stehen bleiben, doch ich ignorierte sie natürlich. Immer wieder zischten Kugeln an mir vorbei. Jedes Mal machte ich einen Satz in die andere Richtung und zog die Hände über den Kopf. Ich wollte es eigentlich nicht, denn es machte mich langsamer, aber es war ein Reflex.
Ein stechender Schmerz traf mich an der linken Seite und riss mich zu Boden. Sie hatten mich getroffen. Ich versuchte mich aufzurappeln und kroch vorwärts. Ich konnte nicht aufstehen. Meine linke Hand fasste sich unter den Rippenbogen, da wo die Kugel mich getroffen hatte. Es war ein glatter Durchschuss. Meine Finger spürten das Blut aus der Wunde quellen. Wenn ich Glück hatte, hatte die Kugel keine Lebenswichtigen Organe verletzt, allerdings befand sich genau an der Stelle, der unteren Spitze meines linken Lungenflügels. Da musste ich schon unverschämt viel Glück haben und das Glück war zurzeit nicht auf meiner Seite.
Ich war ein paar Meter weit gekommen, als die Männer über mir waren. Jede einzelne ihrer Waffen waren auf mich gerichtet. Keuchend hielt ich mir meine Wunde, sie schmerzte bei jedem Atemzug stärker, sodass ich nur flach atmen konnte. Sie zogen mich wieder auf die Beine als der Blick des vermeintlichen Anführers auf meine Schussverletzung viel. „Du hast sie angeschossen. Wir sollten sie doch nicht verletzen. Wir hatten einen Auftrag". Er war außer sich und wanderte den Schaft seiner Waffe von mir auf den Mann, der auf mich geschossen hatte. Er drückte ab, ohne ein weiteres Wort. Der Knall hallte durch den Wald und der Körper des Mannes sackte zusammen. Durch ein kleines Loch in der Schwarzen Mütze quoll langsam Blut heraus. Er hatte ihn getötet. Ich wusste nicht was ich tun sollte. Diese Männer waren skrupellos und schreckten wirklich vor Nichts zurück.
Sie zerrten mich mit sich, meine Hände hatten sie dieses Mal nicht gefesselt. Jeder Schritt viel mir schwer und ich hatte extrem Mühe mit den Männern schrittzuhalten. Sie zogen mich an meinem Pullover vorwärts ungeachtet meines Strauchelns. Meine Hand war immer noch auf meinen Oberbauch gepresst, um den Blutverlust zu mindern. Meine Hände waren mittlerweile komplett rot und mein Pullover war blutgetränkt. Dank des Adrenalins, was durch meinen Körper floss, spürte ich noch nicht die schmerzlichen Ausmaße, welche die Kugel hinterlassen hatte. Ich glaubte dennoch, lange konnte ich nicht mehr weiterlaufen, geschweige denn weiterleben.
Unser Weg führte uns nicht zurück zu den Helikoptern, sondern weiter in die entgegengesetzte Richtung. Nach ein paar Minuten sah ich Lichter durch den Wald leuchten. Es mussten Scheinwerfer sein. Mehrere Autos standen dort mit laufendem Motor, startbereit. Als wir die Autos erreichten, es waren Jeeps um genau zu sein, kamen ein paar Männer auf mich zu. „Habt ihr sie" hörte ich einen der Männer aus dem Auto rufen. Ein Blick auf mich genügte ihm und er deutete auf die Ladefläche des Jeeps. Sie hoben mich darauf, aus eigener Kraft schaffte ich es nicht mehr, und fuhren los. Einer der Männer packte einen Erste-Hilfe-Kasten aus und wollte sich an meiner Wunde zu schaffen machen, doch ich ließ es nicht zu. Ich wollte nicht, dass mich so jemand verarztete und vielleicht war es auch ganz gut so, wenn dies meine letzten Minuten waren. Ich saß an die Wand zur Fahrerkabine gelehnt und spürte den Schmerz überhandnehmen. Das Adrenalin verlor seine Wirkung und ließ mich nun jeden zerstörten Nerv in meiner Wunde spüren und die nicht vorhandene Straße auf der wir fuhren machte es nicht leichter. Ich blicke in den Himmel, in der Hoffnung, mich von dem Schmerz ablenken zu können. Das Blätterdach der Bäume ließ nicht sehr viel Sicht auf den Himmel, doch ab und zu gab es freie Stellen in den Baumkronen.
Ich weiß nicht wie lange ich in den Himmel schaute, doch in einem kurzen Moment konnte ich das aufflackern einer Sternschnuppe sehen. Oder war es ein Satellit gewesen? Als ich das nächste Mal die Sterne sehen konnte, war es immer noch da und es kam auf uns zu oder irrte ich mich. Nein, es war eindeutig. Ein leuchtender Punkt, der immer größer wurde und mit unglaublicher Geschwindigkeit auf unsere Jeeps zuraste. Noch bevor ich richtig darüber nachdenken konnte kollidierte es mit uns und schleuderte uns alle in die Luft. Wir landeten hart auf dem Boden, verstreut um den Jeep. Es war kein großer Sturz gewesen, dennoch kam ich so ungünstig auf, das ich verzweifelt nach Luft japste. Ich flog direkt gegen einen Baum und spürte, wie ein paar meiner Rippen brachen. Neben mir war einer der Männer aufgeschlagen und blieb reglos liegen. Vielleicht hatte er sich das Genick gebrochen, doch ich schaute nicht lang genug hin, um es zu erfahren.
Es brach ein Chaos aus. Schüsse fielen, das Geräusch von Metall auf Metall drang zu mir durch und Männer schrien. Eine Hand legte sich auf meinen Mund und hinderte mich daran loszuschreien. Ich zuckte so heftig zusammen, dass sich meine gebrochenen Rippen mit lautem Schmerzensprotest meldeten. Ein Blick in Richtung der Hand ließ mich stocken. Steve saß neben mir in der Hocke und hielt mir den Mund zu. Seine andere Hand lag an seinen Lippen und er machte die stumme Geste, dass ich mich ruhig verhalten soll. Der hat Nerven, erst erschreckt er mich zu Tode und dann sagt er ich solle still sein. Was machte er hier?
Noch bevor ich die Frage aussprechen konnte zog er mich auf die Beine und führte mich weg von den Jeeps. Naja zumindest versuchte er es. Als ich mein Gewicht auf meine Beine verlagerte schmerzte es in meinem Brustkorb so heftig, dass mir die Luft wegblieb. Meine eine Hand lag immer noch auf meiner Schusswunde, jedoch konnte ich den Druck darauf nicht halten, da genau über der Schusswunde mindestens zwei meiner Rippen gebrochen waren. Ein erstickter Schrei entwich mir und Steve erfasste die Situation sofort. Ohne nachzufragen fasste er mich unter der Schulter und den Beinen, hob mich hoch und trug mich weg von den maskierten Männern. Auf meine Fragen, was geschehen sei, woher sie wussten wo ich war und warum zum Teufel ausgerechnet sie mir halfen schüttelte Steve nur den Kopf. „Wir erklären dir alles, wenn wir hier raus sind. Tony lenkt die anderen ab, damit wir entkommen können". Moment mal, hatte er gesagt, Tony lenkte sie ab? Dann war es wirklich keine Sternschnuppe gewesen, sondern Tony Stark in seinem Anzug. Ich wollte Steve aufhalten, er durfte mein Leben nicht für mich riskieren, doch er winkte ab. „Er schafft das schon" sagte er kurz angebunden. Es war mir unangenehm, dass Steve mich trug aber auf meine Bitte, mich selbst laufen zu lassen, reagierte er nur mit einem Lächeln und einem Blick, der sagte, dass ich das nicht konnte.
Mit jedem Schritt, mit dem wir uns von den Jeeps entfernten, wurde es leiser um uns herum. Meine Brust schmerzte bei jedem Ruck, der durch meinen Körper ging. Das Atmen fiel mir zunehmend schwerer, doch ich bemühte mich, halbwegs normal zu atmen, um Steve nicht auf meine Schmerzen aufmerksam zu machen. Ich spürte wie das Blut weiter aus meiner Wunde floss und Steves Uniform rot färbte.
Ein Zischen und ein heftiger Windstoß signalisierte Tonys Ankunft. Er hatte seinen Anzug an, aber seinen Helm abgezogen. Er schaute mich an und in seinem Blick lag Sorge. Ich musste schrecklich aussehen. Durch den Blutverlust war ich blass geworden und Dreck und Blut taten ihr übriges. „Steve gib sie mir, wir müssen sie zu Banner bringen, so schnell wie möglich." Tony stellte sich Steve in den Weg. „Es geht mir gut" wollte ich sagen, doch meine Stimme brach nach dem zweiten Wort.
Ein fast unerträglicher Schmerz durchfuhr meinen ganzen Körper, als Steve mich an Tony weitergab. Ich hörte die Krepitationsgeräusche meiner gebrochenen Knochen. Von dem Geräusch hätte ich mich fast übergeben, von dem Schmerz mal abgesehen. Tony schaute auf Steves blutige Uniform und dann auf mich, „festhalten Kleine" sagte er und dann schossen wir auch schon in die Luft. Eigentlich hätte ich den Flug genießen sollen, das war das, was ich schon immer wollte. Fliegen wie ein Vogel, frei sein, doch die Schmerzen trübten meine Sinne. Ich konnte nicht mehr klar denken und meine Augen nahmen nur noch verschwommene Schemen wahr. Tony sagte etwas aber ich verstand ihn nicht. Mein Kopf fühlte sich an, als wäre er unter Wasser. Alles war dumpf, sogar der Schmerz ließ langsam nach.
Tony landete vor einem Gebäude, welches ich zuvor noch nicht gesehen hatte, jedenfalls glaubte ich das, auf meine Sinne war nicht mehr viel Verlass. Ich konnte den Klang von Bruce's Stimme erkennen, aber ich sah ihn nicht und verstand nicht was er sagte. Der Blutverlust machte sich eindeutig bemerkbar. Ich kämpfte gegen die Bewusstlosigkeit an, ich hasste es hilflos ausgeliefert zu sein, doch ich verlor. Als Tony mich in das Gebäude trug, fielen mir die Augen zu.
Das nächste woran ich mich erinnerte war, dass ich in einem dunklen Wald, voller Nebel stand. Woher ich wusste, dass es ein Wald war konnte ich nicht sagen. Ich wusste es einfach, obwohl man keine vier Meter weit schauen konnte. Es war kühl und dunkel. Der Wald verbreitete eine Merkwürdige Stimmung, still und düster war er einfach nur da. Einen Ort, den man eigentlich meidet, weil sich einem die Nackenhaare aufstellten, wenn man ihm zu nahekam und ich stand genau mittendrin. Wie war ich hierhergekommen und wo war ich?
Ich fühlte mich unbehaglich. Die ganze Stimmung wirkte bedrohlich auf mich, deshalb begann ich zu laufen. Erst ging ich, dann joggte ich bis ich rannte und rannte. Nichts veränderte sich, die Bäume flogen nur so an mir vorbei aber alles sah gleich aus. Lief ich im Kreis? Ich konnte es ehrlich gesagt nicht sagen. Der Nebel hinter mir wirbelte auf und schloss sich sogleich wieder, zu einer undurchdringlichen Suppe. Wie lange ich rannte wusste ich nicht, es fühlte sich an wie Stunden fast schon Tage. Jedes Mal, wenn ich dachte, einen Lichtblick zu sehen, schloss sich der Nebel wieder um mich. Er hielt mich gefangen in völliger Isolation und Orientierungslosigkeit.
Ich rannte bis ich nicht mehr konnte. Immer wieder musste ich keuchend stehen bleiben, weil mir die Luft wegblieb. Wo zum Teufel war ich. War das die Hölle? Die Bestrafung für meine Morde? Ich wollte weiterlaufen aber meine Beine streikten. Ich brauchte eine Pause und ließ mich einfach an Ort und Stelle auf den Boden sinken. Da fiel mir auf, dass ich absolut keine Spuren hinterließ. Seltsam, ich wischte durch das Gestrüpp auf dem Boden, doch es sah so aus, als wäre nie etwas hier gewesen. Es sah völlig unberührt aus. Ein Blick über die Schulter bestätigte, was ich gerade herausgefunden hatte. Nichts, keine Fußspuren oder sonst etwas, was auf meinen Verbleib hindeuten würde. Das alles war unnatürlich, soviel stand fest. Vielleicht bildete ich mir das alles nur ein, vielleicht war es ein Traum und ich musste einfach aufwachen aber wie?
Ein leises flüstern riss mich aus meinen Gedanken. Ich blickte mich um, wo war es hergekommen? Da war Nichts, nur Stille und dieser undurchdringliche Nebel. „Elly" jemand flüsterte meinen Namen, es war leise aber ich konnte in ganz deutlich verstehen. Wo kam das her? Ich stand auf, ich war hier nicht allein. „Elly". Ich legte meinen Kopf schräg um genau herauszufinden, wo die Stimme herkam. Beim nächsten Flüstern war ich mir sicher, sie kam von links. Ich war mir nicht sicher ob ich auf die Stimme zugehen sollte, doch etwas zog mich zu ihr. Mein Verstand schrie mich an, ich solle es lassen, doch die Stimme rief mich, es war als würde sie mich mit unsichtbarer Hand auf sich zuschieben.
„Elly" das Flüstern wurde eindringlicher, je näher ich der Stimme kam, doch jedes Mal, wenn ich dachte, sie müsste unmittelbar vor mir sein entfernte sie sich wieder. War das alles nur ein Spiel? Wenn ja fand ich es überhaupt nicht lustig. In meiner Verzweiflung schrie ich. Ich schrie die Stimme an, sie solle zu mir kommen, Sie solle mich in Ruhe lassen, ich war mir selbst nicht sicher was ich von ihr wollte, doch der Nebel verschluckte jedes Geräusch. Ich folgte der Stimme immer weiter und weiter, bis ich dachte, sie komme aus allen Richtungen. Verwirrt drehte ich mich im Kreis um die Stimme zu orten, doch sie war überall.
Ich schloss die Augen und fokussierte mich ausschließlich auf mein Gehör. Die Stimme hallte in meinem Kopf und wurde lauter bis sie zu einem stetigen Gemisch aus Brummen und schreien wurde. Ich hielt mir die Ohren zu und riss die Augen auf. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich in die Hocke gegangen war. Die Geräusche waren weg und auch der Nebel um mich herum war verschwunden. Ich drehte mich verwundert, doch es waren keine Bäume mehr zu sehen, stattdessen lag vor mir ein schwarzer See. Kleine Wellen schwappten an sein Ufer und machten meine Füße nass. Das Wasser war so tief schwarz, dass man hätte denken können, es sei ein riesiger See gefüllt mit schwarzer Farbe. Die Viskosität des Wassers war zäh wie Öl. Ich trat einen Schritt zurück, um nicht zu sehr damit in Berührung zu kommen. Um den See herum gab es nichts zu sehen. Das Ganze endete wie in einem Bild mit einer schwarzen Wand. Auch die andere Seite des Ufers konnte ich nicht erkennen. Man sah nur einen schwarzen Horizont in noch schwärzerem Wasser enden.
„Elly" da war die Stimme wieder. Direkt hinter mir. Ich wirbelte herum, doch es war niemand zu sehen. „Elly bitte du musst kämpfen" Die Stimme flüsterte immer noch, jedoch jetzt drängender und flehender. Kämpfen? Weshalb sollte ich kämpfen und gegen wen? „Elly bitte". „Was willst du von mir" schrie ich ins Nichts. „Was soll ich tun, sag es mir". Genau in diesem Moment, erschien ein Licht über der Mitte des Sees. Ein goldener Warmer Lichtkegel, so schön in all diesem Dunkel leuchtete hoch oben. Ich hatte das Gefühl, dass er nur für mich leuchtete. „Elly" Die Stimme war nun kein flüstern mehr, sie klang warm und fürsorglich, wie eine Umarmung. „Komm zu mir Elly. Es wird alles wieder besser werden". Zu ihr kommen? Wie sollte ich das anstellen. Das Licht war mitten im See und das Wasser sah aus als ob es einen verschluckte, sobald man sich zu weit reinwagte.
„Wie soll ich das tun, Wieso kannst du nicht einfach zu mir kommen" meine Hände fuhren mir durch die Haare und mein Kopf rauchte. Sollte ich es riskieren? Ich meine, was hatte ich zu verlieren. Ich konnte hier weiter im Dunkeln sitzen oder versuchen in die Wärme des Lichts zu gelangen.
Noch bevor ich eine Entscheidung getroffen hatte begannen meine Beine vorwärts zu laufen. Sie glitten durch die flachen Passagen des Ufers rein in immer tiefer werdendes Wasser. Das Wasser war angenehm warm aber es war schwer sich an der Oberfläche zu halten. Durch diese zähe Masse zu kommen hatte ich mir einfacher vorgestellt. Meine Kleider sogen sich mit dem Schwarzen Wasser voll und zogen mich nach unten. Schon bald konnte ich den Boden unter den Füßen nicht mehr spüren und ich bemühte mich nicht daran zu denken, was alles in diesem Wasser lauern könnte.
Stück für Stück arbeitete ich mich voran. Ein Blick über die Schulter sagte mir, dass es zu spät zum Umkehren war. Das Ufer war verschwunden, es blieb nur noch der Weg nach vorne. Kurz bevor ich den Lichtkegel erreichte hörte ich die Stimme wieder. Jedoch klang sie jetzt angespannt und flehend. Dieses Mal kam sie aus der Tiefe des Wassers. Da erst realisierte ich, dass es zwei Stimmen gewesen waren. Sie klangen fast gleich, jedoch lag in beiden ein anderer Tonfall. Die eine war warm und liebevoll. Die andere kalt und bemüht. Ich stockte. Was bedeutete das, welche Stimme war die Richtige? Beide hatten eine Anziehungskraft auf mich. Ich blickte mich um. Was nun? Für welche sollte ich mich entscheiden. Panik überkam mich, weil ich nicht wusste was ich tun sollte und langsam ging mir die Puste aus.
Mein Zögern wurde bestraft. Das Licht verschwand und zurück blieb die Dunkelheit. Ich schrie ihm nach es solle auf mich warten, ich hätte mich entschieden doch es wartete nicht. Es wurde dunkler und dunkler und kurz bevor es erlosch, sagte die warme Stimme „Ja, du hast dich entschieden". Dann war es wieder Dunkel. Tränen stiegen mir in die Augen. Das war nicht das was ich wollte. Ich wollte in die Wärme, in die Arme der Zuneigung. Doch meine Skepsis hatte mich zurückgehalten. Was blieb mir jetzt noch. Die Dunkelheit? Konnte ich es zurück zum Ufer schaffen? Unmöglich, ich hatte keine Ahnung mehr, wo ich hergekommen war. Das Ufer war nichtmehr zu sehen. „Elly du musst kämpfen". Die flüsternde Stimme rumorte in meinem Kopf. „Wofür lohnt es sich zu kämpfen. Was soll ich hier. Das Licht ist fort. Ich habe nichts mehr" meine Stimme brach und ich drehte mich im Wasser auf der Suche nach einem Ausweg. Es war hoffnungslos. Das war es also. Das war das Ende. Ich ließ mir noch einen kurzen Moment Zeit, bevor ich mich dem stellte, was nun kommen sollte. Meine Tränen versiegten und ich klärte meine Gedanken. Es gab keinen Ausweg, oder war das vielleicht mein Ausweg? Ich würde es gleich herausfinden.
Ich ließ mich auf dem Rücken treiben, schwimmen war mittlerweile zu anstrengend geworden. In Gedanken stellte ich mich meinen Gräueltaten und meinen Gefühlen. Ich entschuldigte mich für jeden einzelnen Mord, jede Missetat, die ich begannen hatte, sei sie auch noch so trivial. Ich wollte damit abschließen, bevor ich starb. Als ich fertig war, war es, als würde mir ein Stein von Herzen fallen, nur dass der Stein mich hier nicht in die Tiefe gezogen hatte, er hatte mich über Wasser gehalten. Ich spürte eine Leichtigkeit in mir. Ich schloss die Augen und ließ mich in die Tiefe sinken. Alle meine Schuldgefühle, Ängste und meinen Hass ließ ich über Wasser. Ich entfloh dem Ganzen und ließ es guten Gewissens zurück. Ich konnte nicht wieder gut machen, was ich getan hatte, jedoch konnte ich meinen Frieden damit schließen und um Vergebung hoffen. Die Dunkelheit schloss sich um mich wie ein warmer Kokon und zog mich immer tiefer. Ich ließ es geschehen.
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