
8 | Aufmerksam sein
Bislang – das Wörtchen fliegt mir durch den Schädel. Bislang hat er mir nichts getan. Noch nicht. Vielleicht hat er das noch vor. Hat er? Ich kenne ihn doch gar nicht. Warum bin ich nur mitgegangen? Werden wir nicht genau vor so etwas gewarnt? Geh nie mit jemand Fremdes mit! Und was mache ich? Ich verlasse mich auch noch auf diesen fremden Mann.
Mit den ersten Schritten auf dem Weg wird die Düsternis zurückgedrängt. Nicht die Dunkelheit, ich meine vielmehr diese gespenstige Stille, was mir erst jetzt im ganzen Maße bewusst wird. Als die Geräusche der Natur wieder einsetzen.
Es fühlt sich im Nachhinein so an, als wäre alles für einen kurzen Moment zum Stillstand gekommen. Oder habe ich sie eben in diesem unwillkommenen Augenblick nur ausgeblendet?
Das Knacken des Unterholzes, das Rascheln der Blätter, Trippelschritte und Zischen ... All das kehrt zurück und lässt mich nun nicht mehr zusammenzucken. Sie sind meine treuen Begleitenden auf dem finsteren Pfad und spenden mir Zuversicht. Hoffnung, dass ich doch noch irgendwo ankommen werde.
Selbst mein abhandenkommendes Zeitgefühl, was mir dennoch einbläuen möchte, dass die fünfzehn bis zwanzig Minuten mit Sicherheit schon vorbei sind, stört mich nicht.
Zumindest bin ich getarnt mit meiner Kleidung.
Ist diese abrupte Gleichgültigkeit noch normal? Vielleicht liege ich ja irgendwo weit hinter mir in irgendeinem Graben und lediglich meine Hülle wandelt hier herum ... Ich schüttle mich. Aufhören damit!
»Cob?«
Er hält an und dreht sich zu mir um. Ist seine Augenbraue etwas gewandert? Möglich ist es.
»Erzähl mir etwas.« Nur irgendetwas, damit ich von meinem Inneren abgelenkt werde, flehe ich innerlich.
»Meine Dame, zu gern würde ich Ihren Wünschen entsprechen, aber–«
»Nichts aber, tun Sie es einfach«, bestimme ich. Wenn ich mich hier schon bemüßigen muss – dank ihm, dann kann er mich wenigstens unterhalten.
»Ich fürchte, meine Dame ...«, Cobie beugt sich etwas vor – Scham, Reue? Keine Ahnung – bei diesen Worten, »dass ich dafür nicht der geeignetste bin.«
»Versuch macht klug.« Etwas Besseres wollte meinem Hirn wohl nicht einfallen.
»Es ist nicht mehr lang, dann werden Sie ansprechende Unterhaltung erhalten«, versucht er es erneut und setzt wieder zum Gehen an.
Ich folge ihm, doch lasse nicht locker. »Cobie, du willst mir allen Ernstes weismachen – bei all deinen Kompetenzen, die du mir bereits aufgelistet hast –, dass du mir nicht irgendetwas erzählen kannst?«, probiere ich ihn zu locken.
»Ja, meine Dame«, ist alles, was er erwidert.
Doch ich werde dadurch nicht sauer oder enttäuscht. Meine Schultern haben sich sogar etwas entspannt. Amüsiert stelle ich fest, dass mir allein dieses kurze Gespräch schon geholfen hat. Vielleicht ist Cobie doch kein Robo. Jedenfalls kann er entgegen meiner mittlerweile fest verankerten Annahme wohl doch nicht alles. Ein leises Kichern schleicht sich durch meine Kehle hinaus.
Dass dieser Streuner mal zu einer willkommenen Abwechslung werden würde, damit habe ich nicht gerechnet.
»Ist alles in Ordnung mit Ihnen, meine Dame?«, fragt er, als sich mein Kichern in ein kehliges Lachen verwandelt.
»Wie kann denn je alles in Ordnung sein?« Ich wische mir meine Lachtränen weg. »Also wirklich Cobie. Irgendetwas ist doch irgendwie immer.«
»Das klingt nach einer negativen Sicht.«
»Nicht unbedingt«, widerspreche ich.
»Wie meinen Sie das?«, fragt er eilig nach – als würde ich sonst meine eigenen Gedanken womöglich nicht mehr greifen können.
»Zunächst: Ein Zustand vollkommener Ordnung klingt für mich utopisch.« Diesen Satz lasse ich für eine Weile zwischen uns in der Luft hängen, sodass er seine Wirkung entfalten kann. Auch wenn ich nicht weiß, ob Cobie versteht, was ich damit meine. Manchmal habe ich das Gefühl, dass niemand meine Gedankengänge nachvollziehen kann.
Da er nichts erwidert – leider sehe ich nicht mal seine Mimik, da wir uns wieder bewegen und er weiterhin vor mir geht –, spreche ich weiter: »Und außerdem wäre es fatal, wenn wir nichts von den vermeintlichen Problemen spüren. Auf vieles können wir verzichten, ganz klar. Aber nehmen wir mal Kopfschmerzen. Die können viele Ursachen und Auslöser haben. Beispielsweise Stress. Unser Körper macht uns darauf aufmerksam mittels dieses Zustandes des Nicht-Ordnung-Seins, was gut ist. Denn, wenn wir darauf achten, können wir darauf eingehen und uns sowie unserem Körper das geben, was er braucht.«
Während ich meine Position erläutere, beobachte ich Cobie. Als würde er gespannt lauschen, neigt er ab und zu seinen Kopf. Warum sein linkes Bein mittendrin zweimal – jedoch nur sehr leicht – zuckt, kann ich nicht bestimmen.
»Eine interessante Sicht«, lässt er mich wissen. Bevor ich ihn nach seiner Meinung fragen kann, überrumpelt er mich erneut. »Bedeutet das, dass Sie derzeit Stress ausgesetzt sind, meine Dame?«
»Meinst du das Ernst, Cob?« Was für eine Frage. Das kann er sich ja wohl denken! »Schau dich doch mal um!«, schmettere ich ihm entgegen, was er auch noch tut. »Cobie, das war nicht wortwörtlich gemeint. Du hast mich heute Abend überfallen, mich mehr oder weniger gezwungen mit dir mitzukommen, dann ist das Auto liegengeblieben, wir müssen durch diesen schrecklichen Wald ... Soll ich weiterreden? Ich glaube, das muss ich kaum. Und dann kenne ich unser Ziel nicht mal!«
»Und ansonsten, meine Dame?«, fragt er in seiner gewohnt ruhigen Stimme nach.
»Wie bitte? Das reicht dir wohl noch nicht.« Ich schnaube aus und ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung, was ich darauf erwidern soll. Hat er sie noch alle?
Meine ursprünglichen Ahnungen behalten recht. Willkommene Abwechslung? Pah! Das wird sofort wieder gestrichen. Da sind wir wieder. Robo-Cob und ich – wie am Anfang. »Wie lange noch?«
»Nicht mehr lang, meine Dame.«
»Was soll das heißen?«
»Es ist nicht mehr weit.«
»Wie viele Minuten noch?«
»Etwa sieben, meine Dame. Meiner Schätzung nach zumindest.«
Ich verkneife es mir, zu sagen, dass seine vorherige Schätzung definitiv daneben liegen muss und stampfe ihm frustriert hinterher. Auch meine Arme und Hände spannen sich wieder an.
Das muss auch erst einmal jemand schaffen. Er hat nun einige Chancen – wenn auch unwillentlich und durch diese ganze Begebenheit – erhalten und alle vergeigt.
Auf alle Fälle werde ich, sobald ich Zivilisation sehe, einen Abflug machen. Es reicht mir! Glücklicherweise scheint das inzwischen wirklich nicht mehr weit weg zu sein. Nachdem der Weg zunächst enger wird, ufert er aus und wird breiter. Die Bäume lichten sich, wodurch der Blick weiter streifen kann. Genauso verändert sich die Luft – eben noch rein und frisch. Und die Schmutzpartikel dringen bereits zu uns durch.
Vermutlich werden wir wie beim Hineinhüpfen in den Wald auf einer großen Hauptstraße herauskommen. Sicherlich genauso abgelegen von allem anderen.
Seufzend ergebe ich mich dieser Vorstellung, die sich mit Sicherheit bewahrheiten wird, jetzt schon. Noch länger an Cobies Seite ausharren zu müssen.
»Aufpassen!«, ertönt mit einem Mal. Im nächsten Moment verliere ich jedoch schon den Halt unter meinem rechten Fuß. »Meine Dame ...«, schiebt Cobie noch nach, was er sich wirklich mal hätte schenken können. Meine Augen nehmen noch wahr, wie mein Fuß panisch dem Abhang entkommen will, doch es ist nichts mehr zu machen, er rutscht ab.
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