18 | Schutzengel
Kein Ton kommt über ihrer beiden Münder. Das ist ja nicht zu fassen! Doch die Blicke der beiden heften auf mir – zwei starre Augenpaare. Unerträglich! Denkt denn keiner von denen an die da draußen? Wir müssen doch was unternehmen, helfen ... Irgendetwas. Meine Arme verabschieden sich mit der Zeit aus ihrer Position und wandern Richtung Boden; hängen nun eher schlaff herunter.
»So du Schlaumeier, was machen wir jetzt?«
»Wie redest du denn auf einmal mit mir?«, erzürne ich mich über Ev – das wird ja immer besser!
»Ich meinte doch nicht dich, Dora.« Ein Kichern entkommt ihr, dann zeigt sie schräg neben sich – nach wie vor, ohne ihn anzugucken. »Natürlich meinte ich ihn.«
»Du bist die Ältere«, ist Protasius' sowohl reife als auch ausgereifte Antwort. Ev sieht das wohl nicht anders, denn kurz bekomme ich Sorge, dass sich ihre Augenbrauen mit ihren Haaren verfangen könnten.
Wieder kehrt Stille ein. Doch dieses Mal warte ich nicht im Dunst des Schweigens ab, auch wenn die beiden das eventuell denken mögen – das ist mir nur echt egal, sollen sie das doch glauben. Beabsichtigt bleibe ich genauso stehen, wie ich bis dahin stand. Als würde ich mich auf einen Plan von ihnen in Gang setzen und solange ausharren.
Ich grübele nach, wie ich von ihnen Informationen bekommen könnte. Mehr als ›es liegt alles in deiner Hand‹ oder ›egal, was du sagst, wir sagen dir nichts, auch wenn es wichtig ist – ätschibätsch‹.
Forsche und direkte Ansagen haben bisher nichts bewirkt. Oder vielleicht waren es die falschen ... Hm. Protasius schiebt die Verantwortung gerne an Ev weiter und sie ... lässt sie einfach abprallen. Aber einmal hat er sich oder etwas irgendwie verraten. Ich lasse die Sequenz Revue passieren. Mehr als ich ahne ... Meinte er, als ich Ev meinen Schutzengel nannte. Sie wollten es mir doch nicht sagen ... – war Evs Reaktion. Nur was?
Und was hat das mit den Beben und dem Sturm zu tun? Bin ich eigentlich die Einzige, die etwas unternehmen will, die den anderen helfen will, die wissen will, was hier gespielt wird? Letzteres brauchen die beiden ja wahrscheinlich nicht, sie wissen es ja. Und wie hängt das alles mit Epiphanie zusammen? Oder mit Cobie – oder wie er auch immer heißt.
Länger kann ich es offenbar nicht verbergen, mein Zeigefinger kreist um mein Kinn herum – bemerke ich gerade. Ich nehme meine Hand herunter und stelle nun daher meine erste Frage, ganz vorsichtig: »Sollten wir nicht endlich da rausgehen und den anderen helfen?«
Ev und Protasius schauen sich an, es scheint, als würden sie sich mit Blicken verständigen. Dabei kommt mir wieder in den Sinn, wie Evanna überrascht war, dass er sie sehen könne ...
»Das ist grundsätzlich eine gute Idee«, beginnt Protasius und nickt Ev zu, die ihm ebenfalls zunickt.
»Wie wollen wir ihnen denn am besten helfen?«, übernimmt sie.
»Wir schauen, was getan werden muss, rufen Krankenwagen und sowas halt; das, was angebracht ist?« Was für eine bescheuerte Frage. »Auf jeden Fall besser, als sich hier die ganze Zeit zu verschanzen, oder etwa nicht?«
Ich fixiere Evs Augen. »Ev, stell mal vor, wir würden da liegen, dann würden wir doch auch wollen, dass jemand kommt und dass die nicht die ganze Zeit auf irgendeinem Klo herumdiskutieren.«
Ihr Blick wird glasig, ihre aufgesetzte Mimik verrutscht. Auch wenn sie keine Maske von den Türstehern bekommen hat, so trägt sie dennoch eine. Nur warum? Sowas haben wir doch nie gebraucht.
»Was wolltest du mir vorhin sagen, bevor er aufgetaucht ist, Ev?« Noch immer lasse ich sie nicht aus meinem Blick.
»Ich ... Oh Dora ... Wie soll ... Ich –«
»Deine ach so beste Freundin trägt Mitschuld, reicht das?«, peitscht Protasius mitten rein.
»Also du hast mir den hier echt ganz anders beschrieben«, meint Ev und ich wundere mich auch immer mehr.
»Er hat sich mir auch komplett anders präsentiert.« Aber warte! Was?! Die Worte von Dummkopf dringen zu mir durch. »Was hat er gerade gesagt? Was soll das heißen? Das glaube ich nicht. Ev?«
Sie wendet sich weg. Was sie nicht bedenkt, ist der große Spiegel über den Waschbecken, über den ich sie sehen kann, da sie sich genau in diese Richtung gedreht hat. Ihr Kopf neigt sich nach unten, die Haare hängen ihr ins Gesicht, doch kann ich sehr wohl das Glitzern auf ihren Wangen sehen.
»Ev ...« Ich taste mich vorsichtig heran, gehe zunächst nur zwei kleine Schritte näher. Protasius bleibt zumindest mal still.
»Dora ... Warum?«, fragt sie leise, aber ich weiß nicht, was sie meint, warte ab. »Warum hast du mir nicht davon erzählt?« Leicht schüttelt sie mit dem Kopf, sodass ihre Haare sachte wippen.
»Wovon? Was meinst du?«
»Von der Party, der Einladung, von heute.«
»Ich verstehe nicht. Wieso ist das jetzt wichtig?« Ich nähere mich noch einen Schritt, bemerke entgegen meiner Worte, dass das offensichtlich von immenser Bedeutung gewesen wäre. »Ev, ich habe die Einladung nicht ernst genommen und dann auch vergessen. Erst wieder daran gedacht, als Mister ›Ich gehe nicht ohne Sie‹ alias Cobie vor meiner Tür auftauchte. Wäre ich doch nie mitgegangen ...« Obwohl ich dann auch nie diesen bezaubernden Moment mit Epiphanie gehabt hätte. Epiphanie ... Das begreife ich, glaube ich, auch noch nicht vollständig.
»Cobie?«
»Ja, der Fahrer, Bote, Ersthelfer, Mechaniker und was weiß ich nicht alles. Und wahrscheinlich ist das nicht mal sein richtiger Name. Ach Ev, es tut mir leid, du weißt, ich rede mit dir über alles, mit verheimlichen hatte das nichts zu tun.«
»Das weiß ich doch, Dora!«
»Was ist es dann?«
»Hätte ich es gewusst, dann ...« Wieder unterbricht sie sich. Ich balle meine Hände zu Fäusten, nicht, weil ich wütend auf sie bin, sondern, um sie zu gewähren und um meine innere Angespanntheit in Zaum zu halten. »Ist nicht mehr wichtig«, behauptet sie dann.
»Was wäre dann gewesen, Ev?«, hake ich nach, denn das glaube ich ihr nun nicht.
»Ist wirklich nicht mehr von Bedeutung.«
»Aber vielleicht hilft es mir zu verstehen?«
Sie zuckt mit den Schultern. Also habe ich recht. Ich betrachte sie. Was ist nur alles an diesem Abend, in dieser Nacht geschehen? Kann das wirklich wahr sein?
Eine Berührung – jemand hat mir auf die Schulter getippt – lässt mich herumfahren.
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