2. Über „E"s, Eltern und Einsamkeit
Emma war soeben dabei „Zwischen Himmel und Liebe" neben „Zwei an einem Tag" in den letzten freien Platz ihres Regals zu schieben, da klingelte ihr Telefon. Sie brauchte nicht hinzusehen, um zu wissen, wer es war. Das penetrante Ringen erklang nur aus einem Grund: Weil ihre Eltern anriefen.
Mensch, das wird bestimmt ein furchtbares Gespräch. Die wollen sich sicher beschweren, dass du dich so lange nicht gemeldet hast, quakte wie aufs Stichwort Harolds Stimme aus dem Bad. Kunibert faselte etwas von einer netten Geste.
Emma antwortete ihnen beiden nicht. Sie schnaufte kurz durch und fischte den Hörer von dem kleinen, schwarzen Couchtisch, der nun, da alle Bücher einsortiert waren, wieder auf seinem angestammten Platz auf dem Wohnzimmerteppich stand. Mit einem Druck auf den gründen Knopf nahm sie den Anruf an und es genügte ein Satz ihrer Mutter, um zu wissen, welcher ihrer beiden Mitbewohner recht mit seiner Aussage gehabt hatte.
„So geht das nicht weiter, Emma!", schallte es aus dem Hörer. „Du musst mal wieder unter Menschen. Du kannst nicht immer nur in deiner Wohnung sein. Finja hat uns erzählt, dass du dir jetzt sogar deine Lebensmittel liefern lässt!"
Petze, schoss es Emma durch den Kopf. Aber was hatte sie erwartet? Wer sich jeden Monat dreißig Euro dafür überweisen ließ, dass sie die Pakete und Briefe, die im Flur rumflogen, auf Emmas Fußmatte vor der Haustür legte, nahm Geld für Informationsdienste sicherlich dankend an. Geschäftstüchtig war die vierzehnjährige Tochter ihrer Nachbarin. Das musste Emma ihr lassen. Dabei sah sie mit ihren Engelslöckchen und dem runden Gesicht aus, als könnte sie kein Wässerchen trüben.
Mitten in ihren Überlegungen über Finja, legte ihre Mutter nach: „Wir dulden das nicht mehr! Weißt du eigentlich, wie das für mich und deinen Vater ist? Zu wissen, dass du nicht mehr rausgehst? Nicht mehr ..."
Ihre Stimme brach und früher wäre das Gleiche mit Emmas Herz passiert, sobald sie ihre Mutter so traurig erlebt hätte. Doch Emmas Herz bestand aus so vielen kleinen Stückchen, dass es unmöglich war, es weiter zu zerteilen.
„Bitte, Emmchen! Meinst du, dass Emanuel gewollt hätte, dass du so lebst?", führte ihre Mutter ihren Monolog fort und Emma zuckte bei der Erwähnung des Namens kurz zusammen.
„Ich weiß es nicht! Ich weiß nicht, was Emanuel gewollt hätte. Aber er wollte sicher nicht mit Siebenundzwanzig von einem Auto überfahren werden." Emma legte auf, ließ sich auf die graue, kleine Couch hinter sich fallen und vergrub das Gesicht in beiden Händen. Sie weinte nicht. Vor einem Jahr, in den Wochen nach Emanuels Tod, hatte sie all ihre Tränen verloren.
Emanuel Elias Engels und Emma Eleonora Engels, vormals Engelhardt. Genug ‚E's für eine ewige und endlose Ehe haben wir, hatten sie immer gescherzt, aber das Schicksal hatte ihnen andere Karten zugespielt – und Emma hatte seitdem das Gefühl, statt zu ewiger Liebe, zu endloser Einsamkeit auserkoren zu sein.
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