Kapitel 12
Mit einem müden Blinzeln sah er seinem Spiegelbild im Fenster in die hellen Augen. Sie waren noch ein bisschen trüb, kein Wunder, er war ja erst vor einigen Minuten aufgestanden. Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem kaum merklichen Grinsen, dann hob er die Hand und berührte das kühle Glas mit seinen Fingern. Mit der andere Hand strich er sich langsam die grünen Haare aus der Stirn und zwang sich, sein Gesicht noch einige Momente länger anzusehen, bevor er dann das Fenster öffnete und die kühle Morgenluft einatmete. Heute Abend hatte Sven seinen Boxkampf. Er hatte ihn gefragt, ob er mitkommen solle, doch Sven hatte es abgelehnt. Er wollte mit ein paar Kumpels fahren und dann hinterher noch mit ihnen feiern gehen.
Das leise Summen seines Handys riss ihn aus seinen Gedanken, er ging immer noch ein wenig Gedankenverloren zu seinem Nachttisch und entsperrte das kleine Gerät. Es war kaum eine Überraschung, dass die Nachricht von Sven war. Guten Morgen Fabi. Schrieb er. Ich hoffe, du hast gut geschlafen und bist schon wach. Wenn du Bock hast, dann können wir heute Abend noch telefonieren oder gerne auch zocken. Ich kann nicht versprechen, dass ich nüchtern bin, aber dein Skill carried mich schon. Fabian musste noch ein wenig mehr lächeln und schüttelte den Kopf. Sven war ein Idiot. Aber er war süß dabei. Ich bin schon wach und habe auch gut geschlafen. Wenn du Bock hast, können wir später gerne noch zocken. Ich drück dir die Daumen. Er starrte noch ein paar Momente auf sein Handy, doch von Sven kam nichts mehr.
"Hallo Fabi." Sven klang erstaunlich nüchtern, doch als er zu kichern begann, war Fabian klar, dass Sven nur ein guter Schauspieler war. "Warum nennst du mich eigentlich immer Fabi?" Fragte Fabian anstatt einer Begrüßung. "Ist doch süß." Sven kicherte erneut. Offensichtlich machte der Alkohol ihm noch bessere Laune. "Hast du Bock, noch eine Runde zu zocken?" Fabian hatte Bock. Deswegen startete er den Server ein weiteres Mal. "Ich habe unsere Base heute Morgen noch ein bisschen ausgebaut und unsere Trockenrecks wieder gefüllt." Sven kicherte einfach weiter und Fabian war sich nicht sicher, ob er gut genug war, um sie beide durch das Spiel zu führen. "Oh. Ich brenne." Jetzt musste auch Fabian kichern und ließ seinen Charakter voraus in den See laufen. Sven folgte. "Wollen wir heute eine Höhle erkunden?" Fabian schüttelte auf Svens Frage den Kopf, obwohl er das nicht sehen konnte. "Nein, das ist eine ziemlich schlechte Idee. Lass uns lieber ein paar Dörfer looten und endlich mal die Beete bepflanzen."
"Gute Nacht, Fabi." Fabian musste Lächeln. "Soll ich nicht lieber noch ein bisschen bei dir bleiben? Nicht, dass du dich übergibst." Sven lachte leise. "Du kannst von dir Zuhause aus doch eh nichts machen. Mal davon abgesehen, dass ich meine Grenzen gut kenne. Ich hab mich nur ein einziges Mal übergeben und da war ich 16 und habe mich mit Bacardi abfüllen lassen. Mir geht es gut, ich hab auch mindestens einen Liter Wasser getrunken, das gibt schon keinen Kater." Fabian seufzte leise. "Ich würde auch bei dir vorbeikommen und dir morgen früh etwas zu essen machen." Ein bisschen nervös biss er sich wieder auf dem Daumennagel herum. "Wann kannst du hier sein?"
"Sven?" Fabian klopfte gegen die Tür, weil er um die Uhrzeit nicht mehr klingeln wollte. Die Tür ging schwungvoll auf, dahinter stand Sven. Seine Haare waren noch verstrubbelter als sonst. "Fabi." Das 'A' war unnötig lang gezogen. "Hallo, Sven." Fabian kam in die Wohnung und stellte sich auf die Zehenspitzen, um Svens Haare zumindest ein bisschen glatt zu streichen, bevor er ihn dann sanft umarmte. "Wie geht es dir?" Sven kicherte leise und hob ihn hoch. "Jetzt geht es mir großartig." Fabian schüttelte den Kopf. "Das freut mich. Lässt du mich jetzt wieder runter?"
Sven schien nicht daran zu denken. Stattdessen machte er sich auf den Weg ins Schlafzimmer und setzte Fabian auf der Bettkante ab. "Was wird das?" Fabian lachte, um seine Unsicherheit zu überspielen, und zog sich die Schuhe aus. Sven stieg in das Lachen ein und setzte sich auf die Matratze, um ihn zu umarmen. Fabian ließ es zu und strich ihm erneut durch die Haare. "Wie geht es dir?" Fragte er weiter, während Sven die Füße auf die Matratze zog. "Das hast du schon gefragt." Sven lachte weiter, was Fabian den Kopf schütteln ließ. "Ich weiß. Aber ich hätte gerne auch noch eine ernste Antwort." Die dunklen Augen seines Freundes schlossen sich langsam. "Mir geht es gut. Es ist wirklich alles in Ordnung, mach dir keine Sorgen um mich. Ich wollte nur, dass du da bist, damit du bei mir bist. Mach es dir doch einfach ein bisschen bequem... Wir können einfach ein bisschen schlafen."
Fabian schob ihn sanft von sich und schüttelte den Kopf. "Ich schlaf nicht gerne mit Maske." Sven behielt den Abstand bei und lächelte. "Und wenn du sie erst ausziehst, wenn das Licht aus ist? Ich kann natürlich auch das Sofa fertig machen... Aber willst du das wirklich?" Fabian seufzte leise und schüttelte den Kopf. "Ich weiß auch nicht, was ich mir dabei gedacht habe, einfach her zu kommen. Kann ich mir von dir was zum Schlafen leihen?" Sven wies mit dem Kopf auf seinen Schrank. "Ich geh Zähne putzen und mich im Bad umziehen, dann hast du hier deine Ruhe."
Fabian wartete, bis die Schlafzimmertür sich hinter dem anderen schloss, bevor er zu dessen Schrank ging und diesen öffnete. Keine erkennbare Ordnung, ein wenig schiefe Stapel und hin und wieder nicht richtig geordnete Teile. Offensichtlich versuchte Sven es zumindest, war aber nicht besonders gut darin, Ordnung zu halten. Sehr sympathisch. Mit einem kleinen Lächeln schüttelte er den Kopf, und zog dann eines der Shirts aus dem Stapel, der vermutlich aus alten Shirts bestand, und griff dann nach kurzem Überlegen auch eine Jogginghose. Eigentlich hätte er sich nicht umziehen müssen, immerhin trug er einen Hoodie und eine Jogginghose, aber da beides mal wieder in die Wäsche gehörte, zog er sich schnell um und löschte dann das Licht, bevor er ins Bett kroch.
"Fabi?" Sven gab sich offensichtlich Mühe, zu flüstern, doch er kicherte. Fabian musste unter seiner Maske lächeln und rieb sich die nackten Oberarme. "Komm rein." Es war bemerkenswert, dass Sven immer noch so gute Laune hatte, als er mit einem lauten Poltern gegen das Bett stieß, lachte er einfach nur. Kurz darauf fühlte er, dass Sven das Bett abtastete, dann senkte die Matratze sich. Fabian atmete angespannt ein und aus, während Sven es sich bequem machte, doch er musste schnell feststellen, dass der andere offensichtlich nicht plante zu kuscheln. Zumindest berührten sie sich nicht. "Gute Nacht, Fabi." Fabian zog sich die Maske aus und legte sie auf den Nachttisch. "Schlaf gut."
Mit einem ziemlich müden Stöhnen drehte Fabian sich zu dem schrillen Wecker und drückte so lange auf allen Knöpfen herum, bis der Wecker verstummte. "Was ist los?" Svens Stimme war heiser und noch ganz schlaftrunken. "Nichts ist los." gab Fabian leise zurück. "Schlaf weiter." Sven antwortete mit einem Brummen, kurz darauf fühlte Fabian Svens Hand an seinem Rücken. Mit einem leisen Seufzen reckte er den nackten Arm aus dem warmen Bett in das kühle Zimmer und tastete auf dem Nachttisch in der Dunkelheit nach seiner Maske, um sie aufzusetzen. Dann drehte er sich wieder um, so dass er Sven in der Dunkelheit angucken konnte. Ein kleines Lächeln legte sich auf seine Lippen, dann streckte er vorsichtig einen Arm nach ihm aus und strich ihm durch die weichen Haare.
"Guten Morgen." Sven kam näher gerutscht und legte den Kopf auf Fabians Brust. Fabian musste lächeln. "Morgen ist gut. Es ist fast zwölf, das müsstest du Frühaufsteher doch als Mittag kennen." Sven brummte und vergrub das Gesicht an Fabians Brust. "Bin ich nicht normalerweise der gut gelaunte? Hast du so gut geschlafen?" Fabian musste auf die Frage kichern und zerzauste Svens Haare. "Ich habe dir Stundenlang beim Schlafen zu geguckt, du schnarchst wie ein Braunbär. Das ist schon sehr amüsant. Wie sieht es aus? Wollen wir aufstehen?" Sven schlang seine Arme fest um Fabian und verhinderte so, dass sie das Bett verließen. "War das eigentlich okay für dich? Also dass du bei mir im Bett geschlafen hast." Fabian schloss entspannt die Augen. "Wenn es nicht in Ordnung wäre, dann würde ich hier nicht so liegen. Und bei dir? War auch für dich alles in Ordnung?" Sven hob seinen Kopf und lächelte Fabian noch sehr verstrahlt an. "In Ordnung? Ich platze gleich vor Glück. Pass auf, ich lass dich nie wieder aufstehen." Dieses Mal stellte sich kein ungutes Gefühl in seinem Magen ein, Fabian musste unter seiner Maske lächeln. "Ich hab dich auch lieb. Wie sieht es aus? Was ist der Plan für heute?" Svens Kopf sank zurück auf seine Brust. "Wir könnten einen Spaziergang machen."
Mit zitternden Fingern berührte Fabian sein blasses Gesicht im Spiegel, dann führte er seine Hand von dem kühlen Glas zurück und sah zu, wie er die Finger auf seine Stirn legte. An die Stelle, die Sven vor wenigen Minuten noch im Flur der kleinen Wohnung geküsst hatte. Sven hatte ihn geküsst. Und Fabian war sich sicher, dass Sven ihn auf die Lippen geküsst hätte, wenn er die Maske nicht getragen hätte. Sven meinte das alles wirklich ernst und das wurde Fabian jetzt erst bewusst, als er allein ins Svens Bad stand und sich in die feucht schimmernden Augen starrte. Mit einem wütenden Schlucken zog er die Maske wieder an und ging zur Tür, um sie aufzuschließen und das Bad zu verlassen.
Er fand Sven in der Küche. Der andere saß dort an dem Tisch und nippte an einem Glas Wasser. "Sven?" Fabians Stimme zitterte, als er ihn auf sich aufmerksam machte. Sven sah hoch und bedachte ihn mit einem liebevollen Lächeln. "Ja? Was ist los?" Fabian biss sich auf die Unterlippe. "Warum stehst du auf mich?" Er wich zurück, als Sven zu ihm kommen wollte. "Fabi, wie kommst du jetzt darauf?" Fabian schüttelte den Kopf. "Das spielt keine Rolle. Beantworte einfach meine Frage." Das Lächeln verschwand für einige Momente, Sven senkte den Kopf und atmete gut sichtbar ein und aus. "Fabi, ich mag dich, weil du ein toller Mensch bist. Du bist super fürsorglich und ich mag deinen schrägen Humor. Ich verbringe meine Zeit gerne mit dir, weil ich mich bei dir wohl fühle. Es ist sogar toll, mit dir echt beschissene Filme zu gucken und ich zocke wirklich gerne mit dir. Wenn ich nach nem stressigen Tag nach Hause komme, kann ich einfach den Computer anmachen und dann bist du da und es ist egal, dass der Tag stressig war, weil du da bist und mich zum Lachen bringst. Du weißt es nicht, aber du bist unglaublich knuffig." Svens Lächeln wirkte ehrlich, aber es konnte Fabian nicht beruhigen. "Und das hier ist dir vollkommen egal? Warum hast du nie nachgefragt?" Mit einer fast schon wütenden Geste wies er auf seine Maske. "Ich habe aus dem selben Grund nicht gefragt, aus dem du mich auch nicht gefragt hast. Ich weiß, wie es ist, dauerhaft auf seine 'Makel' angesprochen zu werden. Du hast es nicht von dir aus angesprochen und deswegen wollte ich auch nicht darauf herum reiten." Sven blieb ganz ruhig und legte beide Hände in seinen Schoß. "Wie willst du dich in mich verliebt haben, wenn du nicht einmal weißt, was darunter ist?" Die Tränen brannten in Fabians Augen und sie ließen sich nicht wegblinzeln. "Fabi... Es ist mir egal, was du unter deiner Maske versteckst-" Er unterbrach Sven mit einer unwirschen Handbewegung. "Es ist schlimmer, als alles was du dir vorstellen kannst." Seine Stimme zitterte, es nervte ihn nur noch mehr. Sven kam einen Schritt näher und legte den Kopf schief. Sein Blick ruhte auf Fabian. "Das glaube ich nicht." Fabian schluckte hart und griff seine Maske, um sie ruckartig herunter zu ziehen.
Falls Sven schockiert war, dann ließ er es sich nicht anmerken. Stattdessen betrachtet er ruhig, offensichtlich ein wenig neugierig das, was unter der Maske versteckt gewesen war. "Hast du Schmerzen?" Fragte er dann leise, Fabian schüttelte den Kopf, unsicher wie es weiter ging, weil Sven sich nicht vor ihm zu ekeln schien. "Möchtest du darüber reden?" Als Sven wieder einen Schritt auf ihn zu kam, wich Fabian nicht zurück. "Eine eifersüchtige Ex-Freundin." Seine Stimme zitterte. "Sie hat mir aufgelauert. Hat gesagt, dass sie dafür sorgen will, dass mich nie wieder jemand attraktiv findet." Eine einsame Träne löste sich aus seinem Auge und rollte ihm über die Wange. Sven fing sie mit seinem Daumen ab und wischte sie sanft fort. Seine Hand blieb an Fabians Wange liegen, er strich mit den rauen Fingerkuppen sanft über die von der Säure zerstörte Haut. "Willst du mir jetzt nicht sagen, dass ich hässlich bin?" Fabian rollten neue Tränen über die Wangen, doch Sven schüttelte nur sanft den Kopf. "Nein. Ich möchte dich viel lieber fragen, ob ich dich küssen darf."
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