Schwarze Peitsche
„Hast du irgendjemanden von mir erzählt?", fragt Tyler Ken, der ihm ins Foyer gefolgt ist, abseits der Schülermasse, die sich im Speisesaal befinden.
„Nein, habe ich nicht. Wieso denn auch?", antwortet Ken trocken. Tyler schlitzt einwenig die Augen.
„Bei mir ist gestern nämlich jemand eingebrochen."
„Wirklich?", fragt Ken nach, der ziemlich unbeeindruckt wirkt.
„So ist es. Deshalb frage ich dich noch einmal, hast du irgendjemanden davon erzählt?"
Ken schüttelt mit dem Kopf. „Nein, habe ich nicht. Ich habe dir mein Wort gegeben und dazu stehe ich auch."
Tyler fixiert ihn. „Wieso sollte ich dir glauben? Ich mein, wir kennen uns nicht wirklich. Warum solltest du zu deinem Wort stehen?
Ken lächelt leicht. „Du kannst es nicht mit völliger Gewissheit wissen, das ist richtig. Dafür müsstest du in meinen Kopf hinein, aber so ein Zauber ist noch nicht entwickelt worden. Ich kann dir aber nur so viel sagen: Warum sollte ich so eine Gelegenheit schamlos ausnutzen nur für eine kurzfristige Befriedigung?"
Tyler versteht nicht recht worauf Ken hinaus will.
„Tyler, du bist der Einzige, der außerhalb aller drei Schutzkreise steht, das ist etwas Außergewöhnliches und hat eine große Bedeutung! Meine Aufgabe ist es Dinge zu wissen und zu analysieren. Das macht mir Spaß. Ich bin so gespannt, wohin sich das alles entwickelt, warum sollte ich mir den einzigen Zugang durch so etwas Verräterisches verbauen. Lieber will ich auf deiner Liste der Guten stehen als dein Feind zu sein. Nein, dafür ist mir die mögliche Erkenntnis, viel zu kostbar. Ich sage dir wie es ist. Ich bin hungrig danach zu erfahren, was es mit dir auf sich hat und habe auch so meine Theorien. Ich habe keinem und werde niemanden davon erzählen", führt Ken fort. „Ich habe dir aber auch gesagt, dass wenn ich es rausgefunden habe, mit Sicherheit auch andere in der Lage dazu sind", fügt er hinzu.
Tyler legt den Kopf leicht schief. Einige Schüler kommen aus dem Speisesaal und Ken zieht Tyler weiter ein Stück abseits. „Die Sache ist wirklich ernst, aber das weißt du. Und theoretisch kommt jeder der es weiß in Frage. Wirklich Jeder", betont Ken. Tyler findet es gut, das Ken die gegenwärtige Situation nüchtern und sachlich analysiert hat. Und damit hatte er recht und Tyler wusste das. Jeder käme in Frage, auch seine Freunde Zac und Emilia. Ob Ken die Wahrheit sagte, konnte er auch nicht mit Gewissheit sagen, doch die Art wie er sprach, wie er dabei wirkte, und sein geschildertes Motiv lässt ihn darauf schließen das er die Wahrheit sagte.
Tyler macht sich nach der Schule auf den Weg zur Bibliothek. Auf dem Weg dorthin, ist er in Gedanken versunken. Er kann sich nicht vorstellen, dass Zac, oder Emilia ihm schaden wollen würden, doch auch sie gehören nun zum Kreis der Verdächtigen. Jedoch was soll das für ein Leben sein, fragt er sich. Permanent hinter die Schulter zu gucken will er nicht. Er weiß auch, dass er auf sich allein gestellt hilflos wäre. Zu vertrauen erfordert auch Mut und genau das will er tun. Seinen Freunden vertrauen. Emilia mag sich in der vergangenen Zeit komisch verhalten haben, doch er kann ihre Gedanken nachvollziehen.
Er betritt das Büro des Oberbuchmeisters und schildert ihm das vergangene Geschehen. „Ich hätte ehrlich nicht gedacht, dass so schnell etwas nach draußen gelangt. Nein, das überhaupt etwas nach draußen gelangt", sagt Odin während er aus dem Fenster schaut. „Bist du dir sicher, dass keine andere Sache mit dem Einbruch zu tun haben könnte?", fragt er.
„Nicht das ich wüsste."
„Absolut nichts? Hast du in Magnolia mal was verbrochen, oder dir anderweitig Menschen zum Feind gemacht?", Odin dreht sich zu Tyler um.
„All denen, den ich mal einen simplen Streich gespielt hatte sind tot. Da ist niemand mehr, der mir etwas heimzahlen könnte."
Odin fixiert Tyler. Für ihn war Tyler ein unscheinbarer Junge, mit bestimmten moralischen Werten, für die er eintrat. Auf der anderen Seite lässt ihn das Gefühl nicht los, das mehr hinter seinem Auftreten steckt.
„Dann muss wohl oder übel die Information über dich nach außen gedrungen sein. Der Kreis der Verdächtigen ist nicht groß, aber der, oder diejenige wird mit größerer Sorgfalt vorgehen. Ich vermute sie haben in deinem Zimmer nach Informationen gesucht, die du vielleicht irgendwo notiert hattest."
„Das vermute ich auch. Zum Glück habe ich nichts, was ich aus dem Buch gelesen habe aufgeschrieben."
„Ich weiß, wie wir einen erneuten Einbruch verhindern können."
„Echt? Wie denn?"
„Ich werde meinen Schutzzauber auf dein Zimmer anwenden, jedes widrige eindringen in dein Zimmer wird dadurch verhindert."
„Das ist möglich?", fragt Tyler erstaunt, was Odin mit einem Schmunzeln begegnet.
„Du kannst dir sicher sein, dass Rongo und ich alles dran setzen werden, dich zu beschützen. Doch wenn du draußen unterwegs bist musst du von nun an aufmerksam sein. Man kann nie wissen, wie der Feind vorgeht."
„Woher kennen Sie und Herr Pampus sich eigentlich?", fragt Tyler.
„Rongo und ich kennen uns schon sehr sehr lange. Wir haben auch schon sehr viel miteinander erlebt. Aber diese Geschichten muss er dir mal in Ruhe erzählen. Wir sollten jetzt wieder den Fokus auf dein Training legen, oder hast du darauf keine Lust?", fragt Odin ironisch.
„Deswegen bin ich schließlich hier", erwidert Tyler. Es klopft an der Türe.
„Herein?", bittet Odin. Buchmeister Jorkin betritt das Zimmer.
„Buchmeister Jorkin hier, wird uns bei unserem heutigen Training assistieren.", sagt Odin. Jorkin wirkt in seinem typischen Buchmeister Gewand unscheinbar und harmlos, wie jemand der keiner Fliege was zu leider tun kann. Die Drei machen sich auf in Richtung des Trainingsplatzes. „Hast du heute schon deine Übung absolviert?", fragt Odin Tyler.
„Selbstverständlich", antwortet er.
„Wann hast du sie gemacht?"
„Direkt nachdem aufstehen." Odin bleibt abrupt stehen.„Bei dir wird einen halben Tag zuvor eingebrochen, und das erste was du am Morgen machst ist sich der Übung zu widmen?", fragt er Tyler.
„Sie sagten doch ich solle sie jeden Tag machen und ich dachte am Besten ist es wenn ich den Tag damit beginne", antwortet er.
„Du hast die Ruhe weg. Der Einbruch scheint dich keineswegs verängstigt, oder eingeschüchtert zu haben", sagt Odin mit einem tiefen Lachen. Buchmeister Jorkin zeigt auf die diese Unterhaltung keine Regung.
Das Trainingsfeld ist diesmal unbenutzt, wo sonst die anderen Buchmeister trainieren, ist nun keiner zu sehen. So leer wie das Feld ist, versprüht es eine gewisse Ehrfurcht.
„Alle deine Gegner werden gegen dich basische und unbasiche Magistrale Zauber verwenden. Für dich wird es wichtig sein, agil zu sein und den Angriffen auszuweichen, um keinen nennenswerten Schaden zu erleiden", sagt Odin. „Jorkin verfügt über einen unbasichen Zauber, den er flexibel nutzen kann. Im Nah, wie auch im Fernkampf. Auf diese Weise können wir jede Reichweite abdecken. Auf einen Magi, der so flexibel agiert, wirst du mit Sicherheit auch im weiter Schulverlauf begegnen, umso wichtiger ist es, das du es gewohnt bist auf verschiedene Stile zu reagieren", führt Odin weiter aus und weißt auf Jorkin, der mit verschränkten Armen vor der Brust wie angewurzelt steht.
„Deine Verteidigung wird dein Schlüssel sein. Direkte Treffer solltest du so gut es geht vermeiden, denn das wird dein Körper nicht lange aushalten", erläutert Odin.
„Wird mir das ein Verständnis von Tempest Turn vermitteln?", fragt Tyler.
„Klug wie immer", schmunzelt Odin. „So ist es. Tempest Turn, ist die am schwierigsten zu erlernende Technik. Anders als bei den anderen Techniken, lenkst du nicht die Joudschichten, sondern du beschleunigst die Bewegung der Joudpartikel in den Schichten. In deinen Beinen und Bauch."
„Was heißt das genau? Und wieso der Bauch?"
„Der Bauch bildet die Körpermitte und sorgt für die notwendige Stabilität, während du die Technik ausführst. Die Schwierigkeit besteht darin, die Partikel gleichzeitig und gleichmäßig zu beschleunigen. Während deines Übungskampfes mit Jorkin möchte ich das du dich vermehrt auf deine Beine und Bauch konzentrierst. Zum Ausweichen und um dich zu bewegen, sind sie am entschiedensten."
„Ok, ich verstehe." Tyler und Odin betreten das Kampffeld und stellen sich gegenüber auf.
„Jorkin, du weißt was zu tun ist", sagt Odin, der wiederum nickt und sich nun Tyler zuwendet.
„Dann wollen wir mal", sagt er. Jorkin drückt seine rechten Finger durch und eine schwarz, violett leuchtende Kugel bildet sich in der Hand, die ein zischendes Geräusch von sich gibt. Er drückt diese Kugel, als würde er einen Wasserball zum Platzen bringen wollen, schwingt seinen Arm ein mal nach oben und wieder nach untern. Während des Schwingens zischt es lauter und aus der Kugel entsteht ein schwarz, violettes Seil. Tyler fragt sich, was das für ein unbasicher Zauber ist. Dieses düstere Seil passte seiner Meinung nach nicht zu einem unscheinbaren Mann wie Jorkin. Plötzlich schwingt Jorkin das Seil auf Tyler, der ausweicht in dem er mit dem Oberkörper sich weit nach hinten lehnt. Dieser Schwung war begleitet von einem peitschenden Geräusch. Genau das war es auch. So wie Jorkin das mysteriöse Seil hält, merkt Tyler das es eher einer Peitsche gleicht, die beim Schwingen giftig zischt.
Als Jorkin wieder ansetzten möchte, erkennt Tyler dies und macht paar Schritte nach hinten kehrt, um aus der Reichweite der dunkeln Peitsche zu gelangen. Doch Jorkins Hieb trifft Tyler zischend an der Schulter. Der brennende Schmerz, den er verspürt ist kaum auszuhalten. Wie konnte Jorkin ihn denn treffen, wenn er sich außerhalb der Reichweite befand? Doch dann sieht er, wie die dunkle Peitsche länger geworden ist. Das hatte Odin also damit gemeint, dass Buchmeister Jorkin in der Lage ist jede Reichweite abzudecken, denkt er sich.
Jorkin schwingt die Peitsche wie ein Lasso, bevor er sie wieder auf Tyler loslässt. Doch diesmal fliegt die Peitsche wie ein gerader Strahl auf ihn zu. Tyler weicht aus in dem er einen Schritt nach rechts macht und greift mit beiden Händen nach der Peitsche. „Das ist unklug", sagt Jorkin. Mit einem lauten Schrei lässt Tyler die Peitsche los. Seine Hände fühlen sich an, als hätte er sie sich verbrannt. Doch Jorkin lässt ihn nicht gewähren und verpasst ihn einen erneuten Peitschenhieb, diesmal an die andere Schulter. „Wenn du diesen Hieben nicht ausweicht, dann wirst du nicht mehr lange überleben", ruft Odin rein. Tylers Gesicht ist schmerzverzerrt. Jorkin hat seine Peitsche etwas eingezogen und blickt Tyler an. Als er sich wieder aufgerappelt hat, legt Jorkin erneut zu. Er versucht ihn von den Beinen zu holen, doch Tyler springt geschickt drüber. Doch kurz danach folgt der nächste Hieb. Jorkin visiert verschiedene Körperstellen an, doch Tyler weicht jedem einzelnen aus. Es sieht so aus als würde Jorkin Tyler regelrecht tanzen lassen. Wenn er versucht sich Luft zu verschaffen wird die Peitsche länger.
Das kann ich nicht ewig so machen, ich muss in den Nahkampf denkt er sich schwer atmend. Tyler stürmt auf Jorkin zu, doch ein Schlag der Peitsche in den Bauch wirft ihn zurück. Verdammt, ich muss dieser blöden Peitsche ausweichen, um ihn zu erreichen, sagt er sich selbst und hält sich krampfhaft die Magengegend. Dafür das Jorkin so unscheinbar aussieht konnte er exzellent mit seiner unbasichen Kraft umgehen, was auch immer das für eine Kraft ist. Tyler startet erneut einen Versuch, hüpft über den ersten Hieb, dreht sich um den Zweiten, fast ist er da, und wird noch einmal schneller. Kurz vor ihm zielt er auf sein Gesicht, doch er trifft nur die Peitsche, die sich vor Jorkin, zu einer dunklen Schutzwand geformt hat. Die Kraft des Schlags prallt auf ihm zurück, der brennende Schmerz, der durch seinen ganzen Körper jagt lässt ihn fast bewusstlos werden. „Soll ich dem ein Ende setzen?", fragt Jorkin und blickt zu Odin. Die Schutzwand hat sich wieder zu einer Peitsche geformt, die er in der Hand hält.
„Nein, das genügt. Er hat genug einstecken müssen", antwortet Odin. So stark hätte Tyler Jorkin niemals eingeschätzt.
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