Minchan
"...woran zweifelst du? Du sitzt nicht ohne Grund hier auf dem Berg und starrst in den Himmel, so als würde dieser die Antwort darauf geben können.", ertönt es von Chan, schaut zu seinem besten Freund runter, welcher ihm nicht einen Blick würdigt, aber zu seiner Überraschung bekommt er tatsächlich eine ehrliche Antwort.
Eine Seltenheit bei Minho. Sonst ist er verschlossener als ein Safe hinter dem Wandbild versteckt. Niemand kommt so wirklich an ihm ran. Wenn er sich mal öffnen sollte, dann so richtig random und dann macht er noch Witze darüber.
Nicht einmal Chan weiß alles. Zur Zeit weiß dieser sogar am allerwenigsten...so glaubt Minho es zumindest. Dabei hat er wohl vergessen, was für eine gute Beobachtungsgabe der ältere doch hat. Eine sehr gute sogar.
"Daran ob ich ihn noch liebe oder nicht", sagt Minho, schaut nachdenklich auf sein Handy, welches kein Akku mehr hat.
"Wie kann man nicht wissen ob man jemanden liebt oder nicht?", fragt Chan verwirrt, setzt sich neben ihm auf den Berg, blickt in den Himmel, wo sich endlich wieder das Sternbild des Orions zu erkennen gibt.
Wie sehr er es doch liebt, dieses Sternbild zu sehen. Irgendwie gibt es ihm Komfort. Klingt total bescheuert, nicht wahr?
"Außerdem, warum solltest du ihn noch lieben? Es ist ewig her..."
"Ich liebe ihn ja nicht mehr, glaube ich. Es sind sicherlich eher die Erinnerungen die ich liebe...ach keine Ahnung. Ich weiß ja nicht einmal, wieso ich überhaupt darüber nachdenke. Es ist Schwachsinn. Es war nur ein dummer random Gedanke, welcher mir gekommen ist. Vergiss es einfach wieder.", murmelt Minho, zieht die Beine an sich, umarmt diese.
"Sicher das du nicht weiter darüber reden möchtest? Es schaut so aus als würde dich dieser Gedanke schon ziemlich belasten.", sagt Chan, mustert den jüngeren etwas besorgt, möchte ihn umarmen, aber weiß er wie Minho dazu steht.
Chan beobachtet Minho noch einen Moment länger, bevor er seinen Blick wieder zum Himmel hebt. Die Stille um sie herum ist fast überwältigend, nur das leise Rascheln der Blätter und das gelegentliche Zirpen der Grillen brechen die Ruhe. Der Wind streicht sanft über den Berg, als ob die Natur selbst ihnen Raum geben möchte.
Minho sitzt starr da, die Beine an die Brust gezogen, die Arme fest um sie geschlungen. Sein Kopf ist ein einziges Durcheinander. Die Frage, die er Chan eben gestellt hat, hallt immer wieder in ihm nach, als hätte er sie nicht nur laut ausgesprochen, sondern auch für sich selbst. Liebe ich ihn noch?
Er weiß es einfach nicht.
Seine Gedanken drehen sich im Kreis, und je mehr er versucht, Klarheit zu finden, desto verschwommener wird alles.
Erinnerungen drängen sich auf, ungebeten und unwillkommen, wie alte Wunden, die nie ganz geheilt sind.
Es sind diese Momente, in denen er glaubt, die Antwort zu kennen, nur um dann doch wieder zu zweifeln.
Er kann Chan nicht einmal in die Augen sehen, so sehr schämt er sich für seine Verwirrung, für seine Unsicherheit...
Warum muss er jetzt überhaupt darüber nachdenken?
Es ist doch absoluter abfuck.
Warum ist das so schwer?, fragt er sich.
Warum kann ich nicht einfach wissen, was ich fühle?
Minho blickt auf sein Handy, das in seinen Händen ruht, schwarz und leblos, der Akku schon vor Stunden leer. Es ist ironisch, denkt er, dass selbst dieses kleine Ding mehr Klarheit bietet als seine eigenen Gefühle. Wenn es an ist, zeigt es ihm die Uhrzeit, Nachrichten, sogar Erinnerungen, aber seine eigenen Gedanken? Die bleiben ein undurchdringliches Labyrinth.
"Weißt du..", beginnt Chan leise, fast zögerlich, "..es ist okay, wenn man nicht sofort auf alles eine Antwort hat. Gefühle... sie sind nicht immer klar. Manchmal fühlt es sich an, als wäre man in einem Nebel gefangen, und egal, wie sehr man sich anstrengt, man sieht den Weg nicht."
Minho hört zu, aber er sagt nichts. In ihm tobt ein Kampf. Ein Teil von ihm will Chans Worte aufnehmen, will glauben, dass es okay ist, nicht immer alles sofort zu wissen. Aber ein anderer Teil – der lautere Teil – schreit ihm ins Gesicht, dass er es wissen muss.
Dass er es Chan, Jisung und vor allem sich selbst schuldig ist, es zu wissen. Denn wie kann man durch das Leben gehen, ohne die eigenen Gefühle zu verstehen?
Er denkt heute dauerhaft an ihn.
An die Person, die so lange Teil seines Lebens war.
Die Person, die ihn zum Lachen gebracht hat, die ihn verstanden hat, ohne dass er ein Wort sagen musste.
Es waren schöne Zeiten, ja.
Aber waren sie wirklich echt?
War das alles nicht nur eine Illusion, genährt von der Vorstellung, dass Liebe immer einfach sein muss?
Dass Liebe immer bedeuten muss, dass man sich nie verliert?
War es überhaupt so wirklich liebe?
Ja..ja das war es..aber wann hat es aufgehört?
Wann hat er aufgehört Jisung zu lieben?
Es war urplötzlich einfach nicht mehr da.
Dieses Gefühl der Liebe.
Nach mehr als einem Jahr hat es urplötzlich einfach aufgehört.
Wie lange hat es wohl bei Jisung selbst gedauert?
Hat es da auch so lange gedauert?
Oder war es kürzer?
Minho seufzt leise, beinahe unmerklich, aber Chan hört es. Sein bester Freund war schon immer aufmerksam, vor allem, wenn es um Minho geht. Er möchte ihn trösten, ihm die Hand auf die Schulter legen oder ihn einfach umarmen, aber er weiß auch, dass Minho nicht gut mit solchen Gesten umgehen kann. Also bleibt er still, wartet, gibt ihm Raum.
"Vielleicht sind es wirklich die Erinnerungen, die ich liebe", murmelt Minho schließlich, seine Stimme leise und brüchig. "Vielleicht ist es das. Nicht mehr die Person, sondern das, was wir waren. Was wir hätten sein können...diese ganzen Ideen die wir Mal hatten, welche einfach zerplatzt sind..also als Partner."
Chan nickt langsam, seine Augen nachdenklich auf die Sterne gerichtet. "Erinnerungen haben eine seltsame Art, uns festzuhalten", sagt er sanft. "Manchmal vermissen wir gar nicht die Person, sondern die Momente. Die Versionen von ihnen, die wir in unseren Köpfen geschaffen haben."
Minho starrt weiter auf das schwarze Display seines Handys, als würde es ihm die Antworten geben, die er verzweifelt sucht.
Aber was, wenn es mehr ist?
Was, wenn es nicht nur die Erinnerungen sind, die ihn so festhalten?
Was, wenn da immer noch ein Teil von ihm ist, der ihn liebt – nicht als Erinnerung, sondern als echte, lebendige Person?
Oder ist das alles nur ein Hirngespinst, eine Fantasie, die er nicht loslassen kann?
"Ich weiß nicht einmal, warum ich überhaupt darüber nachdenke", sagt Minho schließlich, und seine Stimme klingt müde, als wäre er es leid, diese Gedanken in seinem Kopf hin und her zu wälzen...und er ist unglaublich müde.
"Es ist sinnlos. Ein dummer Gedanke. Vergiss es einfach wieder."
Aber Chan vergisst nicht.
Er sieht den Schmerz, die Verwirrung in Minhos Augen, auch wenn er versucht, es zu verbergen. Er kennt Minho besser, als dieser sich selbst kennt.
"Es ist nicht sinnlos", sagt er sanft, ohne Minho anzusehen. "Man denkt nicht einfach so über solche Dinge nach. Vielleicht belastet es dich einfach mehr, als du dir selbst eingestehen willst."
Es ist das erste Mal seit einem Jahr das ich überhaupt darüber nachdenke. Es ist total bescheuert.
Meine Gedanken sind bescheuert.
Diese Frage ob ich ihn noch liebe oder nicht ist absolut bescheuert.
Alles daran ist bescheuert!
Minho will widersprechen, aber die Worte bleiben ihm im Hals stecken.
Es ist zu schwer, all das auszusprechen, was in ihm brodelt. Zu schwer, sich einzugestehen, dass Chan vielleicht recht hat. Dass dieser Gedanke, so "random" er auch scheint, doch etwas viel Tieferes in ihm auslöst.
Chan lehnt sich zurück, stützt sich auf seine Hände und blickt erneut in den Himmel. "Orion ist wieder zu sehen", sagt er nach einer Weile, als ob er das Thema wechseln will, aber Minho weiß, dass das nicht stimmt. "Es gibt mir irgendwie immer Trost, dieses Sternbild zu sehen. Keine Ahnung, warum. Aber es ist beruhigend. Vielleicht, weil es immer da ist, egal was passiert."
Minho schaut ebenfalls in den Himmel, versucht, in den Sternen eine Ablenkung zu finden. Doch seine Gedanken sind immer noch bei ihm. Bei den Gefühlen, die er nicht einordnen kann. Er fragt sich, ob er jemals wirklich eine Antwort finden wird – oder ob er für immer in diesem Nebel aus Erinnerungen und Gefühlen gefangen bleiben wird.
Aber vielleicht, denkt er leise zu, ist das auch okay. Vielleicht muss er nicht alles sofort verstehen. Vielleicht ist es genug, dass er hier sitzt, neben Chan, und einfach für einen Moment loslässt. Auch wenn nur für diesen einen Moment...
Aber gerade ist er mehr als nur froh das sein bester Freund neben ihm ist, ihm sagt das es okay ist.
Das diese Gedanken okay sind, ganz gleich wie wenig Chan Jisung leiden kann.
"Danke", flüstert er, weshalb Chan ihm sanft auf die Schulter klopft. "Bedanke dich nicht für etwas was selbstverständlich ist, MinMin. Ich bin immer bei dir...ganz gleich was los ist."
Minho lächelt sanft, legt seinen Kopf auf Chan seine Schulter und atmet tief durch.
"Wenn ich könnte würde ich mich in dich verlieben."
"Vielleicht kannst du es ja, wenn du es zu lassen würdest", sagt Chan leise, streicht durch Minho seine Haare. "...aber wenn du jemals wieder in der Verfassung sein solltest jemanden zu lieben, dann verliebe dich bitte in mich und nicht wieder in einen vollkommen Vollpfosten wie Jisung."
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro