6
„Himmel-. Wie viele Umdrehungen hat denn der verdammte Wein?! Das gibt’s ja nicht!“
Derya fasste sich mit zusammengekniffenen Augen an den Nasenrücken. Massierte ihn und seufzte. Dem ein in die Länge gezogenes Ein- und wieder Ausatmen folgte.
Ein leises, warmes, dunkles Lachen erreichte seine Ohren. Das ein angenehmes Kribbeln durch seinen Körper sandte und ihn dazu veranlasste, mit einem schiefen Grinsen zu dem Verursacher zu schielen. „Du willst mich wohl abfüllen!“
„Gott bewahre-.“
Deryas Blick ruckte zu Li, der ihm ein erheitertes Lächeln schenkte und hinterher einen weiteren Schluck aus seinem eigenen Glas trank.
„Was hätte ich davon. Ich denke, du bist alt genug, um deine Grenzen zu kennen und selbst zu entscheiden.“
„Seid ihr eigentlich immer so tiefenentspannt?! Selbst als ihr uns gegenüber standet-!“, die Augenbrauen Deryas zuckten nach oben. „Was würde dich denn aus der Fassung bringen?“
Eine Aussage, die der Dämon mit einem amüsierten Summen beantwortete. „Muss am Alter liegen.“, dann verschwand der erheiterte Zug um seine Lippen, ebenso wie die Wärme aus seinen Augen. Was Derya einen Schauer die Wirbelsäule hinunterjagte.
„Ich befürchte, wenn mein Gefährte bedroht wäre, würde meine Selbstkontrolle am seidenen Faden hängen. Ansonsten denke ich nicht, dass viel passieren kann, was mich meine Beherrschung kostet.“
„So-.“, der Jüngere schmunzelte. Leerte sein Glas, woraufhin ihm seine Gesichtszüge entgleisten. Schauderte und stellte das Weinglas mit einem ablehnenden Geräusch wieder auf dem Tisch ab. „Okay - ich glaube, ich habe genug für heute“, erhob sich ächzend und richtete seinen Blick im Anschluss daran auf Li. Der nur überrascht seine Brauen gehoben hatte und ihn nicht aus den Augen ließ.
„Ich gehe mal fix wohin-.“ Deryas Mundwinkel zuckte nach oben, „- Bin sofort wieder da. Und dann will ich wissen, was Tarasch und Kirana bedeuten.“
Ohne auf eine Antwort zu warten, wandte sich Derya ab und verschwand in Richtung der Toiletten.
„Ich befürchte, der Kleine wird dich noch ganz schön auf Trab halten.“
Livians Blick schoss zu Mian. Der die gesamte Zeit über etwas abseits gestanden und alles um sie herum im Auge behalten hatte. Ebenso wie die anderen seiner Leute. Doch nun etwas nähertrat. Seinen Blick dabei weiterhin in die Richtung gerichtet, in der Derya Sekunden zuvor verschwunden war.
Dieselbe, in welche auch Livian seinen Blick nach wenigen Augenblicken wieder richtete und lächelte.
„Das befürchte ich ebenso. Aber ganz ehrlich, mein alter Freund, ... es stört mich nicht im Geringsten. Er ist perfekt. Zum ersten Mal seit langem kann ich es kaum erwarten, zu sehen, was die Zukunft bringt. Ich hoffe nur, er gibt dem Ganzen – mir - eine Chance, sobald er begreift.“
*
„Na, wen haben wir denn da! Haben mich meine Augen also tatsächlich nicht im Stich gelassen. Wenn das mal kein Zufall ist-!“
Deryas Kopf ruckte nach oben und starrte in den Spiegel über dem Waschbecken. Ließ seinen Blick von einem der drei Männer hinter sich im Vorraum der Herrentoilette zum anderen schießen. Beobachtete sie angespannt und zugleich etwas irritiert.
Bis von einer Sekunde auf die andere der Groschen fiel, als die Erkenntnis einschlug wie ein Vorschlaghammer. Fühlte regelrecht, wie die Farbe aus seinem Gesicht wich, ebenso wie das warme, angenehme Gefühl aus einem Körper. Ohne sein Zutun wurde der unbekümmerte Ausdruck in seinem Gesicht von einer starren, kalten Maske ersetzt.
Währenddessen er sich langsam umdrehte und simultan die Papierhandtücher wegwarf, die er zum Abtrocknen seiner Hände benutzt hatte.
Er kannte den Kerl, der gesprochen hatte. Und es waren keine angenehmen Erinnerungen. Er war ein Lugaru. Und zudem einer der drei Wolfswandler, die vor geraumer Zeit meinten, es bliebe ohne Konsequenzen, in einem Wald zwei Menschen anstelle von Hasen zu jagen. Ein junges Pärchen. Das den Angriff nicht überlebt hatte. Zwei der Wölfe jedoch ebenso wenig.
Nachdem die drei Bastarde es auf einen Kampf mit Jax, seinem ehemaligen besten Kumpel, ihm, und John Wilson, ebenfalls ein Jäger, anlegten. Der Dritte hatte sich während des Kampfes klammheimlich aus dem Staub gemacht. Hatte einen unbeobachteten Augenblick genutzt, in dem Derya und seine Kumpels mit den anderen beschäftig waren. Doch nun stand er hier - vor ihm. In Shanghai. Was ein paar tausend Meilen entfernt von dem Ort ihres Aufeinandertreffens lag. Ein wahrhaft beschissener Zufall war das. So eine verdammte Scheiße!
Deryas Kiefer war so feste zusammengepresst, dass es beinahe schmerzte. Derweil er unauffällig und völlig automatisch nach seinen Waffen tastete, die er normalerweise versteckt am Körper trug. Natürlich waren da keine. Und dieser Drecksack war nicht allein. Klasse Erfolgsaussichten.
Ein amüsiertes, kaltes Lachen durchbrach die Stille. „Allein wohl nicht mehr so stark, was?!“, der Lugaru machte einen Schritt auf Derya zu. „Da besucht man spontan einen alten Freund, etwas über 6000 Meilen entfernt ... und dann das. Herrlich! Einfach herrlich!“
Noch während sich zu dem erheiterten Laut ein dunkles, gefährlich klingendes Knurren tief aus der Kehle seines Kumpels gesellte. Setzte der Dritte im Bunde bereits zum Angriff an. Zur selben Zeit wie Derya sich mit Herzklopfen bis zum Hals in Verteidigungsposition begab. Er steckte ... in der Scheiße. Knietief!
Derya schnaubte genervt und warf der Tür einen schnellen Blick zu. Er hatte definitiv keine Chance gegen drei Wandler, ohne Waffen, da heil wieder herauszukommen. Und mit dem Lärm da draußen bekam noch nicht mal jemand etwas mit. Er musste hier raus. Sonst war es gut möglich, dass er den nächsten Tag nicht mehr erlebte. Was schade wäre. Er mochte sein Leben ... auch wenn es derzeit etwas aus den Fugen geraten war.
All das schoss ihm durch den Kopf, noch während der Typ auf ihn zurannte. Zum Glück war Deryas Körper so anständig, für ihn zu reagieren. Drehschritt, ducken. Tritt.
Dummerweise verfehlte er den Scheißkerl um Haaresbreite. Der war ohne Zweifel schnell. Doch der nächste Schlag saß. Mitten in die dämliche Fresse des zähnefletschenden Idioten. Was diesen einige Meter zurücktaumeln ließ und ihm damit einen Moment zum Durchatmen verschaffte.
„Du musst also in der Überzahl sein, damit du deinen jämmerlichen kleinen Schwanz nicht zwischen deine Hinterläufe klemmst und wie ein feiger Hund davonläufst. Drei gegen einen, echt ehrenhaft - muss ich schon sagen. Sonst hast du nicht genug Eier in der Hose, was?!“, Derya grinste dreckig. Provozieren war immer gut. Okay, ... ab und zu. Ließ die Gegner leichtsinnig werden. Unvorsichtig. Ob es dieses Mal allerdings eine gute Idee war, würde er gleich am eigenen Leib feststellen.
Nun war es dieser Scheißkerl, dem ein dunkles Knurren aus der Kehle rollte, das Lächeln verblasste. Derweil Leben in seinen Kumpanen Nummer zwei kam. Der flog jetzt regelrecht auf Derya zu, unterdessen sich Nummer drei immer noch das Blut aus dem Gesicht wischte. Vermutlich hatte er ihm die Nase gebrochen. Schade, dass ihm keine Zähne zu fehlen schienen.
Derya wich einem Fausthieb aus. Wehrte eine Sekunde später einen Hieb von diesem scheiß Wolf ab, der voll seinen Magen getroffen hätte. Und gleich darauf den nächsten Schlag. Verdammter Mist - er musste hier raus, ... aber schleunigst. Bevor einer dieser Typen noch auf die kluge Idee kam, alle Vorsicht in den Wind schoss und sich wandelte.
Adrenalin jagte durch Deryas Adern. Seine Umgebung verblasste, als jetzt alle drei auf ihn losgingen. Brachte seinen Körper zum Kribbeln und ließ ihn zu Höchstleistungen auflaufen. Was auch nötig war, wenn es hieß, Werwolf gegen Jäger - ohne Waffen. Für einen seiner Art ziemlich unklug, egal, mit welchen Mystischen man es zu tun hatte. Er durfte sich jetzt keinen Fehler erlauben.
Ducken, drehen-. Derya wich zurück. Parierte einen Schlag und trat nur einen Wimpernschlag später dem anderen in die Kniekehle, was diesen mit einem wütenden, schmerzerfüllten Schrei zu Boden schickte.
Dann war endlich der richtige Moment gekommen. Schnell tauchte er unter dem nächsten Faustschlag hindurch und hastete zur Tür. Riss sie mit Schwung auf und hetzte in den Gang.
Allerdings wurde er schon erwartet, wie es aussah. Ein weiterer Typ stand mitten im Flur und blockierte ihn. Ein Schrank. Einsame Spitze.
Stolpernd kam Derya zum Stehen. Schluckte, mit starrem Blick auf den riesigen Mann, hinter dem sich mit Sicherheit zwei seiner eigenen Statur hätten verstecken können, und der ihn nun dämlich grinsend den Weg versperrte.
Jetzt war eine Flucht gänzlich unmöglich. Vor ihm der Hüne - und in seinem Rücken, mit schnellen unüberhörbaren Schritten, die anderen Lugaru.
Jetzt saß er wirklich in der Tinte. Hatte Li nicht gesagt, überall standen diese Security-Typen und passten auf. - Der Gang zum Klo war da wohl nicht mit inbegriffen.
Die Zeit schien ein paar Sekunden lang langsamer zu vergehen. Als geschehe das alles im Zeitraffer. Doch noch bevor die Wölfe ihn erreicht hatten, ertönte mit einem Mal, aus heiterem Himmel, ein solch tiefes Knurren. Ein Geräusch, das all seine Haare dazu brachte, zu Berge zu stehen. Sein Herz raste. Pochte wild in seiner Brust, als hätte er soeben ein Wettrennen hinter sich. Sein Blick ging an dem Schrank vorbei und traf auf Livians. Was die Zeit nun gänzlich zum Stillstehen brachte.
Pures Glück und Erleichterung fluteten Deryas Körper. Ein so intensives Gefühl, welches er nie zuvor in seinem Leben gefühlt hatte. Und das nur, weil der Dämon hier war.
Nur ein paar Meter entfernt. Aus unerfindlichen Gründen wusste er, dass jetzt alles gut werden würde. Ließ ihn sich beruhigen. Sich entspannen. Nicht in der Lage, seine Augen abzuwenden.
Einen Moment lang hielten sich ihre Blicke fest. In dem Deryas Herz nur noch wilder anfing, vor Freude zu hüpfen. Seine kleine, innere Stimme sagte ihm, dass er dem Dämon vertrauen konnte. Dass dieser ihn verteidigen würde. Warum, das wusste er nicht. Dennoch war er sich sicher. Der Gedanke, dass er nun wirklich nicht in der Haut seiner Gegner stecken wollte, brachte seine Lippen dazu, sich zu einem kleinen Lächeln zu verziehen, unterdessen seine kalte Maske bröckelte und schließlich ganz verschwand.
Erneut ertönte ein tiefes, dunkles Knurren aus Lis Richtung. Der Dämon schien wahrhaftig wütend zu sein. Und das nicht zu knapp. Er kannte den Mann zwar erst seit kurzem, doch dieser kalte Ausdruck in dessen Gesicht war ihm neu. Den er, auf die geringe Distanz, in der Lage war, deutlich zu erkennen.
Und drängte damit eine Aussage in den Vordergrund seiner Gedanken, welche sein Herz den Bruchteil einer Sekunde vor Schreck stillstehen ließ. Jetzt ergab das ganze seltsame zurückhaltende Verhalten dieses gefährlichen Mannes mit einem Mal einen Sinn. Ebenso wie seine verwirrenden Gefühle. Konnte das sein? War es das? Oder- …
Derya schluckte und beobachtete den Dämon, der in diesem Augenblick die letzte Distanz zu dem Hünen vor ihm überbrückte.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro