Oktober 2016
Doncaster || Wäre Louis in letzter Zeit nach seiner Heimatadresse gefragt worden, hätte er keine genaue Auskunft geben können. Er hat längst nicht mehr das Gefühl, im Norden Londons Zuhause zu sein, so wenig Zeit verbringt er dort. Allerdings weiß er genauso wenig, wo er stattdessen lebt.
Vielleicht in der Klinik, in der seine Mutter um ihr Leben kämpft, vielleicht bei seinen Geschwistern in Doncaster oder womöglich doch in dem Appartement, das er für Briana und Freddie angemietet hat. Louis Tomlinson weiß inzwischen kaum mehr, wo ihm der Kopf steht.
Dass ihm nun zumindest die Zeit nicht mehr im Nacken sitzt und er im Dezember nicht wieder zurück auf die Bühne muss, ist eine Sorge weniger, doch das war längst nicht seine Größte. Auch die kriselnde Beziehung zu seiner Freundin Danielle tangiert ihn im Moment kaum. Was ihn derzeit am meisten beschäftigt, ist der Gesundheitszustand seiner Mutter.
Niedergeschlagen sitzt Louis auf dem Sofa seines Elternhauses, den Blick auf seine beiden jüngsten Geschwister gerichtet, und spürt wieder einmal diesen stechenden Schmerz in der Brust. Louis weiß, dass er der Älteste dieser Familie ist und er seine Mutter damit am Längsten bei sich haben durfte. Und trotzdem fühlt er sich nicht bereit, ohne sie zu sein.
Das wird er niemals.
Gerade als sich Louis seinen Gefühlen geschlagen geben will und es beinahe wagt, eine Träne über sein Gesicht wandern zu lassen, zuckt er irritiert zusammen und horcht auf.
»Komm doch rein, Liebes!«, hört Louis seine Großmutter noch sagen.
»Danke, aber ich warte nur.«
»Achwas, Kind, komm schon rein. Jeder hier freut sich, dich mal wiederzusehen«, bleibt Louis' Oma standhaft.
Der Sänger weiß sofort, mit wem sie spricht und er weiß auch, wieviel die Stimme, die er viel zu lange nicht mehr in diesem Haus gehört hat, in ihm auslösen kann.
»Oh, hi.«
Überrumpelt steht Eleanor Calder im Wohnzimmer, in das sie regelrecht geschoben wurde und erkennt dort auf den ersten Blick Louis.
»Ich wusste nicht, dass du hier bist«, murmelt Eleanor verlegen. »Ich hab' nur Fizzy kurz hergefahren, sie wollte irgendetwas holen. Und dann fahr ich sie wieder zu Johannah in die Klinik.«
Eleanor und Louis waren lange genug ein Paar, um die Familien des jeweils anderen sehr gut zu kennen. Und nachdem die Tomlinsons eine ausgesprochen aufgeschlossene Familie sind, war Eleanor stets mit offenen Armen empfangen worden. Inzwischen hat sie einen solch guten Draht zu Louis' Familie, dass auch die Trennung der beiden nichts daran geändert hat.
Seinem Ex-Partner zu begegnen ist jedes Mal befremdlich. Paradoxerweise ausgerechnet aus dem Grund, dass man sich eigentlich so unheimlich vertraut war.
In Louis' Fall gesellt sich dabei auch noch das schlechte Gewissen an seine Seite. Dafür, dass er Eleanor in all den Jahren Beziehung so viel zugemutet hat und nun ein Kind mit einer anderen Frau in die Welt gesetzt hat. Sie muss durch die Hölle gegangen sein und doch ist sie immernoch hier, wenn seine Familie ins Schleudern gerät.
»Schon okay«, winkt Louis ab, als Eleanor gerade wieder einen Schritt aus dem Zimmer gehen will. »Komm ruhig rein.«
Zögerlich, aber prüfend, mustert Eleanor ihn.
Selbst wenn man sagt, man trennt sich im Guten und möchte sogar befreundet bleiben, herrscht plötzlich eine enorme Distanz zwischen einem getrennten Paar. Nicht umsonst nennt es sich Trennung.
Dass Louis inzwischen sogar nicht nur einen Sohn, sondern auch eine neue Partnerin hat, macht es nicht unbedingt leichter für Eleanor.
Aber trotzdem springt sie über ihren Schatten und geht einen Schritt auf Louis zu - im übertragenen, als auch im wahrsten Sinne.
»Was hast du da?«, fragt sie, den Blick auf Louis' Hände gerichtet, als würde sie wissen, dass ihm genau dieses Stück Papier gerade in emotionale Tiefen stürzt, wie er sie nicht einmal seinem ärgsten Feind wünscht.
Traurig sieht Louis zu Eleanor auf. Vielleicht liegt es an ihrem vertrauten Gesicht, vielleicht an ihrer einfühlsamen Art - jedenfalls kann sich Louis im Moment niemand anderen vorstellen, mit dem er jetzt lieber hätte reden wollen.
»Es steht nicht gut um Mum, wie du weißt«, sagt er leise, mit erstickter Stimme. Sich so zu zeigen kostet ihn eine Menge Überwindung, aber niemand kennt ihn so gut wie Eleanor. »Sie sagen, ihr Körper wird vermutlich keine neue Therapiemethode ertragen und wir... wir sollten uns über die nächsten Schritte Gedanken machen.«
Das waren die Worte, die Louis' komplette Welt bis in ihre Grundmauern erschütterten.
Schon seit der Diagnose seiner Mutter weiß Louis kaum mehr, wie es ihm geht. In ihm warteten so viele Emotionen darauf, gelebt zu werden, doch er hatte bisher weder die Zeit, noch die Kraft dazu.
In diesem Moment aber überrollen sie ihn und die einzige Hand, die er in einem solch intimen Moment nicht wegschlägt, ist Eleanors.
Seufzend lässt sie sich neben ihm auf dem Sofa nieder und schließt mitfühlend die Augen.
Sie gibt Louis die Zeit, die er braucht, bis er endlich unter erlösenden Tränen weiterspricht.
»Sie will raus aus dieser Fremde, in ein schönes Hospiz, damit wir dort die letzte Zeit in Ruhe mit ihr verbringen können. Merkst du, wie diese Worte überhaupt keinen Sinn ergeben? Kein Hospiz ist schön. Und die letzte Zeit werden wir auf keinen Fall in Ruhe verbringen können.«
Ruhig nimmt Eleanor das Papier, das Louis immer noch verkrampft in seiner Hand hält, an sich.
»Und das sind die Prospekte?«
»Ja. Prospekte von Orten, aus denen sich meine Mutter aussuchen soll, wo sie sterben will. Markaberer geht es kaum«, antwortet Louis zischend und wirft einen seitlichen Blick auf Eleanor.
So ruhig und besonnen sie hier auch sitzen mag, weiß Louis, dass er im Moment nicht alleine leidet. In diesem ganz neuen Level an Hilflosigkeit Eleanor an seiner Seite zu wissen, ist ein beruhigendes Gefühl.
»Bestimmt will sie nach Hause«, sagt Eleanor schließlich sanft und bleibt am Flyer eines Hospiz ohne Mauern hängen. »Hier, bei ihren Kindern sein, in vertrauter Umgebung.«
Louis kann nur darüber staunen, wie gut seine Ex-Freundin seine Mutter kennt.
»Tatsächlich ist das ihr Plan«, nickt er apathisch. »Aber es ist eine Menge Verantwortung für alle hier. Natürlich spielt Geld keine Rolle und ich werde die besten Pfleger der Welt hierher holen, aber trotzdem muss jeder in der Familie verdammt viel Verantwortung übernehmen.«
Während Louis zwar mit starker Stimme spricht, fließen die Tränen dennoch unaufhörlich über sein Gesicht. Es fühlt sich an, als hätte Eleanor allein durch ihre Anwesenheit ein Ventil in ihm geöffnet.
»Das stimmt. Aber ich glaube, dass jeder diese Verantwortung gerne übernehmen wird, wenn es das ist, was Johannah will. Am Ende ist es ihre Entscheidung, wo sie sein will und bestimmt kann sie spüren, was das Richtige ist.«
Seufzend wischt sich Louis mit den Handflächen über sein Gesicht, ehe er Eleanor durch verquollene Augen ansieht.
»Ich muss mich bei dir bedanken«, platzt es plötzlich aus ihm heraus. »Dafür, dass du nach allem, was passiert ist, immernoch hier bist und auch so für die Mädchen da bist.«
Eleanor hatte schon immer einen guten Draht zu Louis' Schwestern und in solch schweren Zeiten ist diese Unterstützung besonders gefragt.
»Das ist doch selbstverständlich, Lou«, winkt Eleanor ab. »Egal, was war. Gerade in solchen Zeiten wird einem doch wieder bewusst, wie irrelevant all unsere vergleichsweise kleinen Problemchen doch sind.«
Unwillkürlich denkt Louis an Danielle, die ihm in »solchen Zeiten« sogar noch Vorwürfe macht, zu wenig Zeit mit ihr und zu viel Zeit mit Freddie zu verbringen. Er kann nicht behaupten, besonders viel Unterstützung von ihr bekommen zu haben, aber andererseits hatte er sich ihr auch nie ehrlich gezeigt - anders als bei Eleanor im Moment.
Und schon in der nächsten Sekunde denkt Louis an seine Mutter. Daran, wie sie strahlen würde, würde sie im Moment sehen, dass er gemeinsam mit Eleanor auf ihrem Sofa sitzt und sich geborgener fühlt als in all den vergangenen Monaten.
»Das ist nicht selbstverständlich und genau deshalb danke ich dir«, schüttelt Louis leicht den Kopf und schenkt Eleanor ein schwaches, aber ehrliches Lächeln.
Verlegen weicht sie seinem Blick aus.
»Wie willst du das eigentlich ab Dezember hinbekommen, wenn du wieder arbeitest?«, fragt sie stattdessen.
»Das wird nicht passieren. One Direction bleibt erstmal getrennt.«
Eleanor ist die Erste, der Louis diese Nachricht verkündet. Er weiß, dass seine Entscheidungen und vertraulichen Informationen nirgends besser aufgehoben sind.
»Das war bestimmt die beste Entscheidung, die du hättest treffen können«, lächelt Eleanor ihn zuversichtlich und noch nicht einmal besonders überrascht an.
Am Liebsten hätte Louis ihr nun im Schnelldurchlauf berichtet, was ihn in den letzten Monaten bewegt hat. Dass Liam Vater wird, wie sehr er selbst in seiner Vaterrolle aufblüht, dass seine Abmachungen mit Briana einwandfrei klappen und ihm Danielles Eifersucht auf Freddie und die Kindsmutter zu schaffen macht.
Und welch schreckliche Angst er vor der Zukunft und vor all dem Schmerz, den diese für ihn bereithalten wird, hat.
Aber stattdessen ist lautes Gepolter zu hören und Fizzy stürmt überstürzt wieder die Treppe nach unten.
»Ich bin fertig, wir können wieder fahren!«, verkündet sie, was eindeutig an Eleanor gerichtet ist.
»Das war wohl mein Stichwort«, zuckt sie entschuldigend mit den Schultern und sieht Louis an. In ihren Augen kann er klar erkennen, dass sie gerne noch geblieben wäre und seine Gegenwart ebenso vermisst hat wie er selbst.
Langsam erhebt sie sich wieder, richtete das Wort aber noch einmal an Louis.
»Melde dich jederzeit, Louis. Das mein' ich ernst. Wenn irgendetwas ist, bin ich jederzeit da. Nicht nur für die Mädels, auch für dich.«
Dankbar nickt er. »Das weiß ich.«
London || »Also dann, Liam«, wimmelt Niall den Anruf seines Bandkollegens langsam wieder ab. Er weiß, dass es lieb gemeint war, dass er sich überhaupt bei ihm gemeldet hat, aber Niall hat wenig Lust, dessen Babyglück vorgetragen zu bekommen. Insbesondere, weil Niall weiß, dass er dieses Baby niemals kennenlernen wird.
»Klar, ich lass dich schon wieder in Ruhe«, lacht Liam herzlich. »Du klingst übrigens richtig gut, das freut mich!«
Liam hat Recht, Niall hat nie fröhlicher und erleichterter geklungen als im Moment. Er hat eine erlösende Entscheidung getroffen, die ihm Hoffnung gibt und endlich ein Ende in Aussicht stellt. Seither ist er erfasst von einer Euphorie, die seinesgleichen sucht.
Bloß der Schmerz, den er in seinem Umfeld hinterlassen wird, macht ihm zu schaffen.
Deshalb fällt es ihm auch denkbar schwer, mit Liam zu sprechen oder sich bei seinen Eltern zu melden.
Doch selbst diese Bedenken sind nicht stark genug, um ihn von seinem Plan abzubringen. Stattdessen hat er eine andere Methode, für die er zuvor aber erst einmal Liam aus der Leitung werfen muss, gefunden.
»Mir geht's auch gut«, gesteht Niall erschreckend ehrlich und hofft, dass sich Liam in Kürze an genau diese Worte erinnern wird.
»Das freut mich. Ich glaube, dass von uns allen eine Menge Druck abgefallen ist, als wir uns entschieden haben, im Dezember nicht wieder durchzustarten.«
»Mhm«, murmelt Niall, dieses Mal weniger ehrlich. Allerdings kann er Liam auch nicht gestehen, dass seine Freude viel mehr darin besteht, dass er glaubt, die Sinnlosigkeit des Lebens erkannt zu haben und beschlossen hat, einen Schlussstrich zu ziehen.
»Ich merk's schon, du bist in Gedanken schon weg«, lacht Liam erneut. »Also dann, mach's gut, mit deinem geheimnisvollen Projekt!«
»Sorry, Liam«, lacht Niall ebenfalls, aber weitaus geistesabwesender. »Mach's gut.«
Und schon hat der Ire den Anruf beendet, um sich stattdessen wieder dem Papier vor sich zu widmen.
Den seperaten Brief an die Jungs als Band hat er bereits säuberlich in ein weißes Kuvert verpackt. Nun liegen noch mehrere kleine Blätter vor ihm.
Er könnte ganze Bücher schreiben und den Menschen in seinem Leben seitenweise beteuern, dass sie nicht um ihn trauern müssen. Aber Niall hat sich dafür entschieden, sich kurz zu fassen und ihnen das mitzuteilen, was ihm auf dem Herzen liegt, anstatt große, emotionale Oden zu schreiben.
Mama, Papa, macht euch keine Vorwürfe, ihr hattet nicht die geringste Schuld. Ich wollte es nicht anders, also seid bitte nicht euer Leben lang traurig. Ich danke euch für die wundervolle Kindheit und entschuldige mich für alles, was ich euch jetzt antue. Aber bitte bleibt weiterhin stark für Greg, kümmert euch um Theo und haltet die Familie zusammen. Ich habe nie jemanden mehr geliebt als euch und ich weiß, dass ihr immer alles für mich getan hättet. Es tut mir leid, dass ich das Leben nicht wollte, das ihr mir geschenkt habt.
Greg, bitte lass' es nie so weit kommen. Falls du dir je denken solltest, du hättest nicht im Streit mit mir auseinandergehen sollen - hör auf damit, denn das sind wir nicht. Du bist mein Bruder und ich verstehe deine Hürden besser, als du vielleicht je gedacht hast.
Wir hatten herrliche Jahre zusammen und diese Erinnerung nehme ich mit. Halte durch für Theo, erzähl' ihm von mir und glaub mir, wenn ich dir versichere, dass ich mich nie aus egoistischen Gründen von dir ferngehalten habe. Du bist mutiger als ich, du hast dich gezeigt und stehst zu dir und deinen Dämonen. Ich habe dich darum immer beneidet.
Bleib stark, Bruderherz
Louis, ich hoffe und wünsche dir nur das Beste - von ganzem Herzen. Du hast so viel zu ertragen und es tut mir leid, dass ich dir den nächsten Schmerz liefere. Bitte halte dich nicht lange mit Trauer auf. Sei da für deine Mutter, deine Geschwister, deine ganze Familie.
Es wird irgendwann wieder besser werden und alles hat sich beruhigt - zumindest in deinem Leben. Du wirst ein wundervoller Vater sein, dich für die richtige Frau entscheiden und ein glückliches Leben führen. Du hast es so sehr verdient und ich wünschte, ich hätte dir ein besserer Freund sein können.
Harry, ich danke dir für alle die Jahre deiner Freundschaft. Du warst so oft so ehrlich zu mir. Ich wünschte, das hätte ich auch sein können. Ich hoffe sehr, du nutzt dein unglaubliches Talent und vielleicht kannst du deine Gefühle jetzt in Inspiration verwandeln.
Du hast Großes vor dir. Das haben wir alle immer gewusst. Und ich gönne es dir von ganzem Herzen.
Liam, du bist der wohl hingebungsvollste Mensch, den ich kenne. Ich hoffe sehr, dass sich das mit der Trauer anders verhält. Bleib genau so wie du bist und stürz' dich weiterhin zu hundert Prozent in die Liebe. Diese Furchtlosigkeit habe ich mir immer gewünscht, also halt sie gut fest.
Ich habe keine Zweifel, dass du das auch bei deinem Kind tun wirst und du schon bald völlig erfüllt sein wirst. Du hast es verdient und ich hatte großes Glück, dass wir einander begegnet sind.
Kurz hält Niall inne. Es gäbe einige weitere Menschen, denen er ebenfalls einen kurzen Brief hinterlassen will, doch die relevantesten waren diese sechs Menschen.
Sie haben ihn am meisten und am intensivsten durch sein Leben begleitet. Sie hat er am gekonntesten angelogen.
Und sie wird er mit seinem Abschied für immer am meisten verletzen.
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