02 - februar
Februar 2016
London || Weitere zwei Wochen hat Niall seinen Lebensstil inzwischen beibehalten und damit insgesamt fast zwei Monate auf dem Sofa seines Hauses campiert, ohne auch nur einen Schritt zu viel vor die Haustür zu machen. Zwar hat er sich an jedem dieser Tage eingeredet, dass er sich ja lediglich erholen würde, doch stattdessen wurde er nur frustrierter und unzufriedener.
Die weiche Decke kratzt, das Dunkel ist zu hell, jedes Kissen zu hart. Die Augen halb geöffnet, glasig und dumpf, starrt Niall auf den Fernseher in seinem Wohnzimmer, dessen Gardinen schon seit Wochen nicht mehr geöffnet wurden.
Es sind Momente wie diese, in denen sich Niall in seinen Gedanken verliert und sich fragt, wie er an diesem Punkt angelangt war und vorallem immernoch sein kann.
Jede Veränderung liegt nur eine Entscheidung entfernt, er muss sich nur endlich aufraffen.
Zwar sitzt er weiterhin in seinem Haus und liegt ausgestreckt auf seinem gemütlichen grauen Sofa, das in den letzten Wochen längst nicht mehr bequem gewesen war, aber zumindest greift Niall entschlossen zum Telefon.
Er braucht Beschäftigung, eine vertraute Stimme, irgendetwas anderes als das eintönige Leben in seinen vier Wänden, die immer enger werden.
Es gibt eine ganze Menge Menschen in Nialls Leben, doch als Erstes kommt ihm
selbstverständlich seine Mutter in den Sinn.
»Hi, Mum«, begrüßt er erleichtert Maura Gallagher, als diese am anderen Ende der Leitung den Anruf entgegennimmt.
»Niall?«
»Ja, Niall hier. Tut mir leid, dass ich so lange nichts hab hören lassen«, seufzt er ehrlich ins Telefon.
Seine Entschuldigung kommt von Herzen, aber in den letzten Wochen hatte er zunächst abwarten müssen, bis die Wut auf seine Familie verraucht ist.
»Schon gut, Schatz«, ist die Irin hörbar glücklich über ein Lebenszeichen ihres jüngsten Sohnes. »Ich freue mich immer von dir zu hören, das weißt du. Aber meinst du nicht, du solltest dich auch mal bei Greg melden?«
Zähneknirschend sitzt Niall in seinem Wohnzimmer und starrt gegen den Wandschrank.
Seine Mutter ist noch keine Minute am Hörer und schon kommt sie auf den Streit zwischen ihm und seinem großen Bruder zu sprechen. Genau deshalb hatte er sich eine ganze Weile nicht mehr gemeldet.
»Nein, eher nicht«, gibt Niall trocken zurück und sofort ist die anfängliche Freude darüber, die Stimme seiner Mutter zu hören, wieder verflogen.
Trotzdem ist Niall fest entschlossen, dieses Thema einfach so stehen zu lassen und nicht länger darauf herumzureiten.
Er hatte angerufen, weil er seine Mutter sprechen wollte und nicht, um seine Differenzen mit Greg zu bereden.
»Wie geht's dir denn, Mum? Ich hab' überlegt, dich in Mullingar zu besuchen, wenn ich dich nicht störe«, versucht Niall galant das Thema zu wechseln.
Ein tiefes Seufzen seitens Maura ist durch die Leitung zu hören.
»Ich mache mir Sorgen, Niall«, klagt sie zögerlich, aber ehrlich leidend. »Natürlich bist du hier immer willkommen, aber zuhause ist gerade schrecklich viel los.«
»Nämlich?«
»Greg geht's nicht gut. Er und Denise haben Probleme und du weißt ja, wie er ist«, fängt Maura direkt an zu erzählen. In ihrer Stimme erkennt Niall aber die aufrichtige, tiefe Sorge, die nur eine Mutter spüren kann.
»Er hat in den letzten Tagen öfter bei mir geschlafen, er macht keinen guten Eindruck.«
Schweigend lässt sich Niall rücklings auf die Couch fallen und starrt an die Decke des Wohnzimmers, das Handy nach wie vor am Ohr.
Sein Bruder Greg und er hatten in ihrer Kindheit immer ein fabelhaftes Verhältnis zueinander gehabt. Greg ist sechs Jahre älter als Niall und in seiner Jugend war er oft als leuchtendes Beispiel vorangegangen - aber eben nicht immer.
Greg hatte schon immer mit seinen Stimmungsschwankungen zu kämpfen, die ihn bereits einige Male durch verdammt dunkle Monate geschickt hatten. Teilweise hatten nur minimale Rückschläge oder Problemchen genügt, um ihn in eine seiner depressiven Phasen zu katapultieren.
Auch wenn es seinen Eltern nie bewusst war, hatte Niall schnell gelernt zurückzustecken, wenn es seinem Bruder schlecht ging und er mit Samthandschuhen angepackt werden musste.
Offiziell wurde diese Seite seines Bruders vor Niall lange unter den Teppich gekehrt, doch als sich mit One Directions Erfolg plötzlich alles in seinem Leben verändert hat, hatte sich auch das Verhältnis der Brüder geändert.
So gut sie sich oft auch verstanden hatten, war in Greg doch immer wieder der Neid hochgekocht, gepaart mit der nervenzerrenden Öffentlichkeit, die selbst vor den Familien der Boybandstars keinen Halt gemacht hat.
Kleine Reibereien wurden immer größer, die Differenzen häuften sich und so herzlos und gemein es auch klingen mag, hat Niall langsam das Gefühl, keine Kraft mehr dafür aufbringen zu können, sich ständig mit seinem Bruder auseinanderzusetzen.
»Ich weiß nicht, was ich dazu noch sagen soll, Mum«, gesteht er schließlich ehrlich, obwohl er es selbst schrecklich findet, so zu reagieren. »Natürlich hoffe ich für ihn, dass sich das wieder einrenkt, aber ich glaube, ich bin da gerade der falsche Ansprechpartner.«
»Ihr seid erwachsen, Niall!«, schlägt Maura auf der Stelle harschere Töne an. »Und er ist dein Bruder, er braucht seine Familie jetzt. Sei doch nicht so stur!«
Knurrend schluckt Niall schwer.
Er hatte seine Mutter aus vielen Gründen angerufen, aber nicht um sich belehren zu lassen und sich wieder einmal anzuhören, dass er einen Schritt auf Greg zumachen soll.
Er ist immer derjenige, der nachgibt, weil er irgendwann das Gefühl hat, mit seiner Karriere diese Familie so durcheinandergeworfen zu haben. Aber sein Bruder entzieht ihm so viel Kraft und Energie, dass selbst der Familiengedanke irgendwann kein Grund mehr sein kann, sich immer wieder zusammenzuraufen.
»Das hat nichts mit Sturheit zu tun, Mum«, seufzt Niall resigniert. »Und ich muss jetzt auch los. Mach's gut. Ich liebe dich.«
Abrupt legt Niall wieder auf, ohne eine Antwort seiner Mutter abzuwarten. Dieses Gespräch hätte heute keine gute Schwingung mehr aufgenommen, dazu ist Maura in Gedanken zu sehr bei Greg.
Insgeheim wünscht sich Niall, sie würde zurückrufen und zumindest kurz nachfragen, wie es ihm in seiner Band-Auszeit ergeht, doch das Telefon bleibt ruhig.
Wie so oft verfällt Nialls Geist in Hektik, als kurz Ruhe einkehrt. Er hasst Ruhe, sie ist beängstigend.
Schnell scrollt er durch die Kontakte seines Handys.
Wenn seine richtige Familie schon keine Zeit, Nerven und Verständnis für ihn hat, dann vielleicht seine Ersatzfamilie.
Nur weil sie als Band eine Pause eingelegt haben, ist ihre Freundschaft nicht auf Eis gelegt.
»Hey, was geht?«, nimmt Louis endlich Nialls Anruf entgegen und befreit den Iren aus der unerträglichen Stille. »Lange nichts gehört! Wo steckst du?«
»Hey Lou«, lächelt Niall erleichtert.
Dass er sich je so freuen würde, die Stimme seines oft recht nervtötenden Freundes zu hören, hatte Niall nicht erwartet. Doch seit knapp zwei Monaten hatte er Louis, genau wie die anderen Jungs, nicht mehr gesehen und auch der Kontakt in ihrem Gruppenchat ist schleppender geworden.
Zur Geburt von Louis' Sohn Freddie ist der Kontakt kurzfristig wieder hochgekocht, doch auch das liegt nun schon wieder über zwei Wochen zurück.
Angerufen hat er ihn bis dato trotzdem noch nicht, um ihn zunächst in aller Ruhe sein Vaterglück genießen zu lassen.
»Alles gut, ich häng' in London rum. Bin viel Zuhause«, erzählt Niall knapp.
Louis typisches, spöttisches Lachen ertönt.
»Dir fällt die Decke auf den Kopf, was?«, ahnt er bereits wissend. »Genau wie Harry, aber der hat Abhilfe geschaffen. Der rennt gerade vom Tonstudio zum Fotoshooting und hetzt zwischendurch noch zum Schauspielcoaching und zu Castings. Der Kerl ist irre«, berichtet Louis von ihrem ehrgeizigsten Bandmitglied.
Bei dieser Vorstellung kann auch Niall nur den Kopf schütteln, obwohl er sich Harrys Elan auch ein Stück weit wünschen würde.
»Tatsächlich? Ich hab schon länger nichts von ihm gehört. Aber das erklärt einiges, offenbar hat er ja auch kaum Freizeit.«
»Ja, die gönnt er sich selten. Ich wüsste vermutlich auch nicht, wo er steckt, hätte er mich nicht wegen Freddies Geburt angerufen. Er arbeitet mehr denn je. Das ist auch 'ne Option, seine Auszeit zu verbringen«, kommentiert Louis mit einer Mischung aus Tadel und Belustigung in seiner Stimme. »Meld dich doch mal bei ihm und brems' ihn aus.«
»Das sollte ich vielleicht wirklich«, nickt Niall, auch wenn Louis ihn nicht sehen kann. »Aber wo wir schon beim Thema sind, von mir natürlich auch nochmal Gratulation. Wie läuft's mit dem Kleinen? Wo steckst du denn eigentlich? Immernoch in LA oder bist du wieder in London?«
»Danke. Ach, alles wunderbar«, seufzt Louis. »Freddie ist ein Engel und Briana ein anderer Mensch, seitdem er geboren ist. Sie ist eine wirklich gute Mutter und ich mach' mich langsam auch als Vater. Ich glaube, wir kriegen das gut hin. Genau wie Danielle, die akzeptiert es auch, dass ich im Moment kaum Zeit habe.«
Niall hatte es geahnt, dass in Louis' Leben ein großer Umbruch stattfinden würde. Immerhin ist er Vater geworden, womit sich alles grundlegend ändert. Noch dazu hatte er mit Briana und Danielle nicht die perfekte Ausgangslage für eine klassische, glückliche Familie, aber es scheint sich alles zum Guten zu wenden.
Niall ist sich sicher, dass in Louis' Leben - ganz im Gegensatz zu seinem - positive Aufregung herrscht und er gönnt es ihm von ganzem Herzen.
»Also bist du bei Briana in LA?«
»Nein, im Moment in Doncaster«, antwortet Louis. »Ich habe gerade gefühlt drei Familien unter einen Hut zu bringen, aber es gibt wohl schlimmeres«, lacht er.
Nachdenklich starrt Niall an die Decke.
Louis hat recht. Mit seiner nun eigenen kleinen Familie, seiner großen Ursprungsfamilie und seiner Beziehung zu Danielle hat Louis tatsächlich eine ganze Menge zu tun, aber kann sich ebenso glücklich schätzen, von allen Seiten geliebt und umsorgt zu werden.
Niall hingegen hat nur eine Familie und selbst diese kann ihm im Moment gestohlen bleiben.
»Na dann will ich dich auch gar nicht länger aufhalten. Ich hoffe natürlich, ich krieg den Kleinen bald zu sehen«, lenkt er das Gespräch langsam auf ein Ende zu. »Grüß mir alle. War schön, dich mal wieder gehört zu haben.«
»Jederzeit«, stimmt Louis mit ein. »Danke für den Anruf. Ich melde mich, wenn ich wieder etwas mehr Zeit habe und alles ruhiger geworden ist. Genieß die freie Zeit, wir sehen uns bestimmt bald. Wir hören voneinander, mein Lieber. Bis dann!«
Schon ist auch dieses Telefonat wieder beendet und Niall tönt das Freizeichen in sein rechtes Ohr.
Diese grausame, leere Stille hat einmal mehr ihren Weg zu ihm gesucht.
Er konnte laufen, rennen, springen, fliehen, schreien, schleichen, egal, denn sie würde ihn immer wieder finden, ihn dazu zwingen, sich sich selbst zu stellen und irgendwann in die Knie zwingen.
Doncaster || Nachdenklich starrt Louis auf das Handy in seiner Hand. Niall hatte seltsam geklungen, irgendwie müde - ganz anderes als er es von einem jungen Kerl, der seinen langersehnten Urlaub genießen kann, erwartet hätte.
Allerdings ist Louis selbst auch ein solch junger Kerl und auch er sieht vollkommen anders aus als er sollte.
Tiefe dunkle Schatten stehen unter seinen Augen und zeichnen sein Gesicht. Er kann nicht leugnen, dass er in den letzten Wochen kaum ein Auge zugetan hat und sich am Rande seiner Kräfte bewegt.
Augenringe gehören für frischgebackenen Eltern zur Normalität, doch unter dem Strahlen, das ihre neue Rolle in ihnen auslöst, kommen sie kaum zur Geltung - anders als bei Louis Tomlinson.
In seinem Fall ist es nicht nur das fahle Gesicht, sondern auch seine verquollenen, geröteten Augen, die zeigen, wie sehr er Niall am Telefon gerade eben belogen hatte.
In seinem Leben ist überhaupt nichts Bestens. Genau genommen schwankt er zwischen zwei Extremen, wie er sie bisher nicht gekannt hat.
Während er gerade noch die Vatergefühle verarbeitet und die neue große Liebe für seinen Sohn entdeckt, muss er sich gleichzeitig dem Gedanken annähern, die andere, die erste Liebe seines Leben, zu verlieren.
Dieses Mal ist es kein freudiger Grund wie Freddies Geburt, aus dem er auf einem trostlosen Krankenhausflur sitzt und versucht, nicht den Verstand zu verlieren. Stattdessen wartet er wieder einmal unruhig darauf, dass seine Mutter diverse Tests hinter sich bringt und einer der vielen Ärzte vielleicht doch etwas Hoffnung bringen kann.
»War das Niall?«, fragt Louis Schwester Lottie, nachdem ihr großer Bruder wieder aufgelegt hat und seither schweigt.
Mit überschlagenen Beinen sitzt sie neben Louis auf den tristen Gang.
»Ja.«
»Wieso hast du ihm nicht erzählt, was los ist?«, hakt sie weiter nach und mustert Louis mit gerunzelter Stirn.
»Dass Mum vermutlich die wohl aggressivste Form von Leukämie hat, ich Freddie bisher kaum kenne und Danielle es fast nicht mehr wagt, überhaupt noch mit mir zu sprechen?«, raunt Louis emotionslos vor sich hin, ohne Lottie anzusehen.
Sein Leben ist im Moment ein Scherbenhaufen, obwohl es die glücklichste Zeit seines Lebens hätte werde sollen. Aber anstatt die Kennenlernzeit mir Freddie zu genießen, ist Louis die Stütze für seine Mutter, seine Geschwister und auch für seinen Stiefvater Daniel. Er kann nicht bei seinem Sohn in Los Angeles sein, während seine Familie in England durch die Hölle geht.
»Das wäre zumindest die Wahrheit gewesen«, murmelt Lottie leise zurück und guckt selbst bedrückt auf den Krankenhausboden.
Niall den gutgelaunten Louis vorzuspielen, hatte gerade eben höllisch an seinen Nerven gezerrt, obwohl es nur wenige Minuten waren, die sie telefoniert hatten. Und doch schien es ihm die einfachere Lösung gewesen zu sein, als ihm offen seine Situation zu schildern.
»Es ist schon beschissen genug, dass wir uns gerade so fühlen und uns damit auseinandersetzen müssen. Da muss ich das nicht auch noch auf Niall oder andere abladen«, rechtfertigt sich Louis dafür, dass er sich immer schon schwergetan hat, seine Gefühle zu zeigen - selbst bei so engen Freunden wie den Jungs.
Harry und Liam hatten ihn vor ein paar Wochen angerufen und zur Geburt seines Sohnes gratuliert, aber auch ihnen hatte er den gutgelaunten, wenn auch müden frischgebackenen Vater vorgegaukelt, obwohl er bereits geahnt hat, dass es um Johannahs Gesundheit nicht gut steht.
Wie ernst es ist, hat sich jedoch erst in den letzten Tagen gezeigt und auch die heutigen Test sollen nochmal Klarheit schaffen.
»Wie lang kann man denn bitte verflucht nochmal brauchen?«, wird Louis plötzlich wieder von seiner Unruhe erfasst und springt ungeduldig vom Stuhl.
Durch müde Augen beobachtete ihn Lottie. Sie ist ganze sieben Jahre jünger als er und doch die zweitälteste der Familie. Nachdem Louis mit seiner Band viel unterwegs war, hatte Lottie schnell Louis' Rolle als Älteste übernommen. Insbesondere seit der Geburt der jüngsten Zwillinge ist Lottie schnell erwachsen geworden.
»Sie besprechen ihr Blutbild und die Chemotherapien. Es ist doch gut, dass sich die Ärzte so viel Zeit nehmen«, sagt Lottie ruhig.
Im Gegensatz zu ihrem Bruder, der nicht mehr weiß, wo ihm der Kopf steht, versucht sie die Fassung zu wahren.
Louis befindet sich auch ohne Johannahs Krankheit in einer Ausnahmesituation.
Lottie ist bewusst, wie blank seine Nerven liegen und hat sich entsprechend vorgenommen, ihm die Möglichkeit zu geben, ausflippen zu können, während sie für alle Anwesenden der Ruhepol ist.
»Reden kann jeder, sie müssen schon auch was tun«, bleibt Louis uneinsichtig, obwohl er weiß, dass seine Ungeduld und Frustration im Moment niemanden weiterbringt. »Mum wird auf keinen Fall länger als nötig in diesem Loch hier behandelt werden.«
In den seltensten Fällen ist Louis dazu bereit, seinen Prominentenstatus einzusetzen, um Vorzüge zu bekommen, doch wenn es um die gesundheitliche Versorgung seiner Mutter geht, ist ihm keine Behandlung zu teuer und wenn es um rare Therapieplätze geht, ist er auch bereit, seinen Namen mehrmals fallen zu lassen, um Dinge zu beschleunigen.
Er wird keine Kosten und Mühen scheuen, um ihr die bestmögliche Versorgung zu bieten, das steht für Louis fest.
»Du musst auch nicht die ganze Zeit hier warten, Louis«, spricht ihn seine Schwester wieder mit ruhiger Stimme an.
Von außen halten die Menschen Lottie oft für oberflächlich und denken, hinter ihrer hübschen, künstlichen Hülle steckt kaum etwas, aber tatsächlich verbirgt sich dort ein Herz aus Gold.
Dank Louis musste sie unter außergewöhnlichen Umständen erwachsen werden, aber sie hat dieselbe Erziehung wie auch Louis genossen und Johannah hat bodenständige, empathische und herzliche Kinder großgezogen.
»Du kannst gerne nach Hause fahren. Oder zu Danielle, ganz wie du willst«, bietet sie ihrem großen Bruder an, doch dieser schüttelt vehement mit dem Kopf.
»Auf gar keinen Fall«, ist er sich sicher und lässt sich wieder zurück auf den eisernen Stuhl sinken, den Blick auf den Flur gerichtet.
Ruhig versucht er dazusitzen und zu atmen. Er spürt seinen Körper arbeiten, leben.
Louis blinzelt nicht, seine Augen brennen.
Es ist eine ganze Weile her, dass er geweint hat, hatte er während seiner Karriere doch gelernt, die Tränen hinunterzuschlucken.
Mit unsichtbaren Tränen, jedoch mit laut heulendem Herzen sitzt er nun in dem Krankenhaus, in dem er vor vierundzwanzig Jahren von der Frau, die er am meisten liebt, geboren wurde, ohne Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Er ist nicht bereit, ebendiese Frau gehen zu lassen. Das wird er nie sein.
»Solltest du aber, Louis«, rät ihm Lottie einmal mehr. »Und wenn du schon mit keinem aus der Familie offen reden willst, dann tu das doch bitte wenigstens mit deinen Freunden, anstatt Niall anzulügen. Was du hier betreibst, ist bestimmt nicht gesund, also friss' bitte nicht alles in dich rein.«
Im Gegensatz zu Louis hat der Rest der Familie gelernt, offen mit jeglichen Emotionen umzugehen – sei es Liebe, Wut oder Trauer. Louis hingegen hat in seinem Business oftmals gelehrt bekommen, dass auf dem Weg nach oben für Gefühlsduseleien keine Zeit bleibt und bloß Schwache dafür anhalten.
Obwohl er es inzwischen besser weiß und gerne so direkt gewesen wäre wie Lottie und seine anderen Schwestern, die Johannah in den letzten Tagen oft weinend in den Armen gelegen und ihre Ängste mit ihr geteilt haben, hat sich Louis davor gehütet, seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen.
Es ist verdammt anstrengend, seine Beherrschung nicht gänzlich zu verlieren und für andere die Fassade aufrecht zu erhalten, alles wäre in Ordnung und man selbst mit der Situation abgeklärt.
Louis weiß, dass er sich am Abgrund bewegt und von dort aus ist er niemandem eine Hilfe – weder seiner Mutter, noch seinen Geschwistern, noch Freddie.
»Ich geh' eine Rauchen«, raunt Louis, ohne auf Lotties wahre Worte zu reagieren und hievt sich wieder auf die Beine, ehe er eilig auf den nächstgelegenen Raucherbalkon verschwindet.
Bewusst zieht er sich sein Cap ins Gesicht und vermeidet um jeden Preis Blickkontakt. Zum einen, weil in den Blicken der Menschen in Krankenhäusern oft viel mehr steckt, als er im Moment zu verkraften in der Lage ist, zum anderen, weil es ihm nun gerade noch fehlen würde, hier erkannt zu werden. Die Öffentlichkeit darf auf gar keinen Fall erfahren, was in seiner Familie aktuell passiert.
Draußen ist es bitterkalt, aber die eisige Luft ist zumindest belebend.
Schweigend sieht Louis in den Himmel, als er seufzend den Rauch der Zigarette ausstößt. Es ist verrückt, wie die Welt an dem einen Tag noch so aufregend und bunt sein kann und von einer Sekunde auf die andere, nach nur einer einzigen Nachricht, plötzlich all ihre Farben verlieren kann.
Der Wind treibt einsam ein Blatt vorüber, hellgraue Wolken gleiten langsam vorbei - wattig und wunderschön, trotz dass sie den sonst vermutlich blauen Himmel, der sich ängstlich hinter den Wolkenbergen versteckt, verschmutzen. Fast, als fürchte er die Blicke der Menschen.
Vor nicht allzu langer Zeit hätte Louis in leeren Momenten wie diesen getrunken.
Alkoholisiert hatte er immer das Gefühl, als wäre er ermächtigt über Klarsicht und Vergegenwärtigung, über die Wahrnehmung seiner Erkenntnisse - etwas zu kreieren und zu realisieren.
Betäubt konnte er stark bleiben und sich dem Willen, etwas gegen sich selbst zu unternehmen, hingeben. Mithilfe des Alkohols konnte er sich bislang immer von dem fehlerhaften ramponierten Gefühlshauen wegschleifen. Aber eine neue Zeit war angebrochen, selbst wenn sich in Louis bisher nichts verändert hat.
Nun ist da Freddie, für den er Verantwortung hat und eine Familie, die um das Leben seiner Mutter fürchtet.
Er kann seinen Frust nicht mehr ertränken und in Alkohol auflösen, so wie es Liam nach wie vor jeden verfluchten Abend zu tun scheint.
Dieses Mal muss sich Louis seinem Leben nüchtern, bei vollem Bewusstsein, stellen.
Louis hatte gedacht, es wäre leichter, insbesondere unter der Prämisse, seine Herausforderungen und Ängste ganz mit sich selbst auszumachen – ganz ohne Freunde, ohne vertraute Gesichter.
Aber er hatte sich überschätzt, das wird ihm spätestens jetzt klar. Nun liegt es an ihm, das auch zuzugeben und sich der Kunst, um Hilfe zu bitten und diese auch anzunehmen, hinzugeben.
Seine Freunde sind da, er muss sie nur darum beten. Oder noch nicht einmal das, er muss ihnen nur ehrlich erzählen, was passiert ist.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro