138.Kapitel
Matteos Sicht
Es war als würden die ganzen Stimmen nur von weiter Entfernung aus zu mir dringen. Menschen, die wild durcheinander redeten und schluchzten. Ich konnte nichts sagen. In meinem Kopf wiederholten sich diese Worte unendlich oft und trotzdem war es als könnte mein Gehirn die Information nicht verarbeiten. Es konnte einfach nicht wahr sein.
"Matteo! Matteo, komm zu dir?" Ich kapierte nicht wer mit mir sprach bis mein Bruder mich an den Schultern packte und mich ein Stück von den anderen wegschob.
Mir war schwindelig. Und schlecht. Oh mein Gott mir war so schlecht. Ich hielt es nicht mehr aus. In diesem Moment, dachte ich ich würde sterben. Keine Ahnung wie mein Gehirn realisierte, dass die Toiletten im Raum nebenan waren und meine Beine mich dorthin trugen doch auf einmal stütze ich mich schwer atmend am Waschbecken ab. Mein Bauch verkrampfte sich und kalter Schweiß rannte mir übers Gesicht.
Ich nahm einen tiefen Atemzug und versuchte mich zu beruhigen bevor ich plötzlich kotzen musste. Es kam so abrupt dass ich nur kurz Zeit hatte mich über das Waschbecken zu beugen, bevor ich meinen kompletten Mageninhalt erbrach. Ich fühlte mich so erbärmlich. Eine gefühlte Ewigkeit stand ich dort und kotzte mir die Seele aus dem Leib, bis mein Hals brannte und ich heiße Tränen über mein Gesicht laufen spürte. Ich rang nach Luft, als ich endlich aufhören konnte mich zu übergeben. Einen Moment lang starrte ich nach vorne, wie um zu überprüfen ob es auch wirklich vorbei war, bis meine Beine einknickten und ich auf den Boden sank. Mir war so schwindelig, dass sich alles um mich herum drehte. Ich hörte nichts mehr und nahm alles merkwürdig verzerrt wahr, während mir immer heißer wurden und die Tränen über mein Gesicht liefen.
Das konnte nicht sein. Luna...im künstlichen Koma an der Schwelle des Todes. Es war ein so schrecklicher Albtraum. Ich hatte doch noch im Auto mit ihr darüber gesprochen, wie ich mein Leben mit ihr verbringen wollte und wie sehr ich mich auf unsere gemeinsame Zukunft freute. Wir waren beide so emotional geworden und so glücklich, dass alle Hürden endlich besiegt wurden. Mein Vater, Mr Hanson all unsere Kriege. Ich war fest davon überzeugt gewesen, dass seit meinem Geburtstagt alles gut und wir nach all dem Leid endlich unseren Frieden bekämen. Ich hätte sie niemals gehen lassen dürfen.
"Matteo!", hörte ich panische Schreie und blickte hoch, wo verschwommen mein Bruder stand. Seine Worte hallten in meinen Ohren nach. Ich konnte nicht anders als ihn benommen anzusehen und einfach weiter zu heulen, wie das letzte Stückchen Elend. Fede war eine dieser Person, die so bleich und geschockt wurden, dass sie gar nicht anfangen konnten zu weinen. Dahingegen war ich komplett am Ende, doch ich konnte mich in diesem Moment noch nicht einmal schämen.
"Kannst du aufstehen?", fragte er und seine Stimme wurde langsam, lauter. Ich schüttelte den Kopf und sah wie er sich zu mir kniete und mir eine Flasche Wasser in die Hand gab. "Hier, du musst unbedingt was trinken." Ich nickte und nahm das Wasser vorsichtig. Zum Glück erbrach ich mich nicht schon wieder. Das alles war einfach zu viel für meinen Kreislauf gewesen. Ich meine, wie könnte es das auch nicht? Ich stand kurz davor Luna für immer zu verlieren.
"Hey, es wird alles gut Matteo.", hörte ich Fede mit ruhiger Stimme sagen, doch ich schrie auf und stieß ihn von mir weg. "Nein verdammt!", schrie ich, "Nichts wird gut, gar nichts! Luna ist im künstlichen Koma hörst du! Sie könnte verdammt noch mal sterben! Fede, weißt du denn gar nicht was das heißt, ich...oh mein Gott, ich kann nicht....ich halt das nicht aus verdammt. Ich bring Sharon um verdammte Scheiße! Ich pack das nicht mehr Fede!" Ich brüllte wie ein Verrückter und es war mir in diesem Moment so egal wer das hören könnte. Anstatt mich wieder zu beruhigen, begann ich noch stärker zu weinen und spürte wie Fede mich in den Arm nahm. So benommen wie ich war, ließ ich alles zu und schaffe es nicht, mich selbst zu beruhigen. Noch nie in meinem ganzen Leben hatte ich so eine Angst gehabt. Es zerquetschte mir förmlich den Magen. Ich schrie auf und wollte vor Frust gegen die Wand schlagen doch Fede hielt mich auf. Ich merkte nur verschwommen, dass meine Fingerknöchel blutig waren. Ich hatte also doch getroffen...
"Matteo.", Fede klang ernst und bestimmt, "noch ist nicht alles vorbei. Sie kriegt die beste medizinische Behandlung. Die lassen sie nicht einfach sterben. Du wirst Luna nicht verlieren, das weiß ich. Wir müssen warten, aber sie wird aufwachen. Luna ist eine Kämpfernatur, wann hat sie je einfach so aufgegeben?"
Ich wusste nicht wie viel Zeit vergangen war doch irgendwie waren keine der Tränen mehr übrig. Stattdessen war ich einfach nur fertig. Mein Kopf dröhnte von beiden Seiten, es tat durch das Weinen so weh und meine Augen brannte wie Hölle. Erst jetzt bemerkte ich wie fertig auch Fede war. Seine Hautfarbe war wie die einer Leiche mit tiefen Augenringen und ungekämmtem Haar. Ich hatte vollkommen vergessen, dass er komplett aus dem Schaf gerissen wurde. Mein Magen zog sich zusammen, als ich begriff wie sehr mein Bruder sich bemühte der Stärkere zu sein, weil ich es nicht konnte, obwohl er selbst kurz vorm durchdrehen war. "Komm mit, du musst was essen und der Geruch hier drin ist ja kaum auszuhalten."
Ich weigerte mich rauszugehen. Irgendwo gesehen zu werden wo viele Menschen waren schien für mich in dem Moment unerträglich. Ich wollte nicht, dass die Menschen sahen was für ein Wrack ich war. Erst als Fede mir versprochen hatte an einen Ort zu gehen wo wenige Leute waren traute ich mich nach draußen. Ich wollte beim Vorbeigehen nicht mal in den Spiegel sehen. Kraftlos ließ ich mich auf eine Bank sinken, während mein Bruder essen kaufen ging. Es war paradox, aber obwohl unter Leuten zu sein unerträglich für mich schien, war allein zu sein noch schlimmer. Es war als kämen die Wände immer näher und ich entwickelte eine Paranoia die kaum auszuhalten war. Konnte nicht endlich ein Arzt kommen, sagen dass Luna aufgewacht war und diesen Albtraum beenden? Ich besaß kein Zeitgefühl mehr, es hätten zwei Minuten oder eine halbe Stunde vergangen sein können, bis Fede sich mit den Worten: "Sorry, die Schlange im Café war recht lang.", neben mich fallen ließ und mir ein Baguette in die Hand drückte. Angeekelt sah ich es an. Mir war so schlecht, dass ich nicht das Gefühl hatte irgendetwas runter zu bekommen. "Iss es. Auch wenn du keinen Hunger hast, dein Körper braucht Nahrung." Bei Fedes strengem Blick kapitulierte ich schließlich und zwang mich dazu einen Bissen zu nehmen. Es schmeckte nicht schlecht, doch irgendwie kam ich taub vor, sodass ich das gar nicht richtig wahr nehmen konnte.
"Hey. Ich glaube wirklich das alles gut wird, das ist nicht so daher gesagt.", betonte Fede und legte seine Hand auf meine Schulter, "irgendwie hab ich das im Gefühl." Ich schnaubte und zuckte mit den Schultern. So ein "Gefühl" half mir aber nicht wenn die Liebe meines Lebens im künstlichen Koma lag und in den nächsten Tagen sterben könnte. "Hier für deine Hand. Zum Kühlen." Fede gab mir einen Kühlbeutel den er wohl auch geholt hatte. Ich nickte und packte ihn auf meine blutigen Fingerknöcheln. Ich hatte die Schmerzen gar nicht bemerkt.
Für die nächsten Minuten saßen wir in Stille da. Es war kaum auszuhalten, die Gedanken in meinem Kopf wollten einfach nicht aufhören.
"Erzähl mir von Luna.", kam es auf einmal leise von Fede.
Ich schnaubte: "Du kennst Luna doch."
"Ja, aber so meine ich das nicht. Erzähl mir davon wie du sie erlebt hast."
Ich seufzte. Was sollte ich sagen? "Sie... na ja, sie ist wundervoll, aber das weißt du ja auch.", ich schmunzelte traurig, "weil du als sie das erste Mal in mich hineingerannt ist, haben wir uns fast gestritten. Am Anfang haben wir das sehr oft. Es war irgendwie unsere Art zu kommunizieren. Wir wussten nicht so richtig was wir vom anderen halten sollten. Sie dachte ich wär ein Snob, was ich ja auch irgendwie war....bin. Aber mit der Zeit lernte ich sie immer besser kennen und all ihre Seiten. Sie war so lebensfroh und liebevoll und....gut. Weißt du, ich hatte im Leben nicht viel beständiges. Ich bin ständig umgezogen, kannte alle Menschen in meinem leben nur flüchtig. Durch dieses ganze Chaos, gaben mir die meisten Dinge nichts mehr viel, da ich sowieso wieder weiter ziehen würde. Aber auf einmal war Luna da und war....so rein und gut. Wir waren ein Team, sie hörte sich meine Gedanken an, munterte mich auf und kümmerte sich um mich. Sie konnte es nicht ertragen wenn es mir schlecht ging und setzte alles daran mich irgendwie aufzumuntern. Sei es durch selbstgemachtes Essen, gute Laune oder schlechte Witze und wenn sie es nicht schaffte mich aufzumuntern wurde sie selbst traurig was ich dann im Gegenzug nicht ertragen konnte. Sie war die erste bei der ich mir sicher sein konnte, dass sie nicht ging."
Ich sah mit einem traurigen Lächeln auf den Boden.
"Das mit uns war keine einfach Teenager Beziehung. Wir hatten die letzten Jahre so hart gekämpft. Mr Hanson, mein Vater all die Missverständnisse und Konflikte. Immer wenn einer von uns nicht mehr konnte, hat der andere um ihn gekämpft. Was wir schon alles durchgemacht haben, manchmal erscheint es mir wie ein Delirium. Doch seit meinem Geburtstag, seit die Sache mit meinem Vater geklärt war... war es anders. Alles war so ruhig. Wir machten uns schöne Stunden in meiner Wohnung oder im Park. Es schien als hätten wir nach all den Problemen endlich unseren Seelenfrieden gefunden.
Wir waren nie eine einfache Teenager Beziehung, Fede. Es war von Anfang an anders. Wir wollten unser Leben miteinander verbringen. Heute im Auto als ich sie nach Hause gefahren hab hat sie noch darüber gesprochen wie sehr sich auf unsere gemeinsame Zukunft freut. Ich wollte meine Zukunft mit diesem Mädchen verbringen. Wir wollten reisen, uns etwas aufbauen, zusammenziehen, gemeinsam unabhängig werden und uns bei unseren Karrieren unterstützen, all das. Fede, dieses Mädchen ist meine Zukunft. Ich schaff es nicht wenn sie nicht wieder aufwacht."
Ich blickte starr zu Boden und schloss die Augen. Die Menschen sprachen immer von Schicksalsschlägen, doch die meisten davon mussten ihr persönliches Fegefeuer nie erleben. vor drei Jahren hätte ich nicht mal gewusst wie meine persönliche, maßgeschneiderte Hölle aussah.
Das war sie.
Es geht endlich weiter :)
Dieses Kapitel hat sich überwiegend mit Matteos Emotionen befasst und ich hoffe dass ich sie gut rüberbringen konnte. Wie schätzt ihr die anderen Charaktere ein und wie sie damit umgehen?
Keep Reading😇
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