07 - how it develops
wie es sich entwickelt
Ich stehe am Fenster meines Zimmers und schaue hinaus auf die Terrasse. Nico sitzt eingemummelt auf einem der Liegestühle, sein Bein auf einem Kissen abgelegt und mein Bruder erzählt ihm von seinem letzten Besuch bei den Bienenstöcken. Angespannt beobachte ich, wie Nico mit Zach flirtet und wie mein Bruder darauf reagiert. Es ist das erste Mal, dass ich die beiden dabei beobachten kann, obwohl Nico schon seit Wochen hier ist. Als Zach sich zu Nico herunterbeugt, um ihm einen kurzen aber zärtlichen Kuss auf die Lippen zu drücken, ziehe ich mich vom Fenster zurück. Ich will nicht, dass sie mich bemerken und die unweigerliche Reaktion darauf. Es reicht, so wird mir klar. Etwas muss sich ändern, so geht es nicht weiter. Nicos Heilung schreitet nur teilweise gut voran, aber früher oder später wird sich der Grund für sein Hiersein erledigt haben. Bis dahin müssen wir uns der Unausgeglichenheit in unseren Beziehungen stellen.
⏮️⏰🔙
Ich wusste seit dem Tag, als ich mit Nico aus dem Krankenhaus kam, dass wir es mit Drama und einigem Spektakel zu tun bekommen würden. Nach seinen Geständnissen war es ein Fehler, ihn bei uns aufzunehmen. Da er etwas von mir und Zach will, wird er sich unweigerlich zwischen uns drängen. Er wird mehr Aufmerksamkeit von jedem von uns fordern und auch eifersüchtig auf die innige Beziehung zwischen uns Brüdern reagieren. Definitiv ein Fehler, so dachte ich damals, aber er war unvermeidlich, da er unsere Hilfe brauchte. Diese haben wir ihm nicht nur zugesagt, wir sind sie ihm auch schuldig. Deshalb habe ich ihn nicht einfach bei seinem Haus abgeladen, sondern stattdessen dabei unterstützt, einen Koffer mit den notwendigsten Dingen zu packen.
Im Waldhaus angekommen, haben wir ihm geholfen, sich in seinem Zimmer und dem dazugehörigen Bad einzurichten. Danach haben wir uns zusammengesetzt und über alles geredet, was er in seiner Situation benötigt und wie wir mit den Gefühlen, die er uns gestanden hat, umgehen. So bekam ich auch eine Antwort auf die Frage, wieso er Zach zuerst informiert hat und den Beweis, dass er uns besser kennt, als wir erwartet haben.
Natürlich konnte er nicht hundertprozentig sicher sein, dass wir direkt miteinander reden würden, doch er hatte es nicht nur vermutet, sondern auch erhofft. Er will keine Lügen und Geheimnisse, zwischen niemandem von uns. Gut so. Dennoch war er sich sicher, wenn er zuerst mit mir geredet und ich dann Zach davon erzählt hätte, dass dieser augenblicklich abgetaucht und für ihn nicht mehr erreichbar gewesen wäre.
"Arian, du bist mir nicht weniger wichtig als dein Bruder, aber ich musste sicherstellen, dass ich mit jedem von Euch reden kann und mir war klar, dass du mich eher zur Rede stellen als abhauen würdest."
Uns zusammen zu informieren, so musste ich nach seinen Erklärungen zugeben, wäre auch nicht richtig gewesen. Das hätte zum Einen den Eindruck verstärkt, dass er eine Dreierbeziehung will; zum Anderen hätten wir anders auf ihn reagiert, aus Rücksicht auf den jeweiligen Bruder. Wie ich sagte, er kennt uns besser als erwartet.
Nico schlug schon am ersten Tag einige Grundregeln vor, mit denen wir schnell einverstanden waren. Er will uns das Leben mit seiner Anwesenheit nicht schwerer machen als notwendig. Daher mussten wir schwören, uns in unserem eigenen Haus weiterhin ganz normal zu verhalten und keine unnötige Rücksicht auf ihn zu nehmen.
"Ich finde schon meinen Platz bei euch", erklärte er selbstbewusst und ich habe ihm nicht geglaubt, es aber abgenickt.
"Wie stellst du dir das überhaupt vor?" Zachs skeptische Frage sprach mir direkt aus dem Herzen, doch Nico hatte seine Antwort mit einem Augenzwinkern parat.
"Ich möchte, dass ihr mich genauso seht und behandelt, wie bisher, besonders wenn wir zu dritt zusammen sind. In diesen Zeiten werde ich mich ebenfalls mit Liebesbekundungen zurückhalten!"
Ich hatte schon genug Sorgen darüber, wie unser generelles Zusammenleben durch einen Langzeitbesucher beeinträchtigt wird. Seine offenbarten Gefühle haben diese Sorgen nur noch verstärkt. Daher hielt ich es für eine gute Idee, die Flirtereien auf die Momente zu beschränken, wenn er mit einem von uns allein war.
"Ich will nicht, dass sich etwas Grundlegendes an unserer Freundschaft ändert und hoffe, dass sie am Ende bestehen bleibt, egal wie sich alles andere entwickelt. Ich will meine Gefühle für euch nur nicht mehr verbergen und geheimhalten müssen und ich will auch nicht, dass ihr Geheimnisse voreinander haben müsst."
Auch dem konnte ich vorbehaltlos zustimmen. Zach und ich würden über alles reden, was zwischen uns und Nico geschieht und wir waren uns einig, dass auch Nico offen mit jedem von uns über den jeweiligen Bruder reden können soll.
"Solange es keine Sexgeschichten sind", habe ich die Themen aber sofort eingeschränkt. Mein Bruder hat darin natürlich weniger ein Problem gesehen, aber es war sowieso eine leere Forderung, denn mit Nicos Gesundheitszustand war Sex bisher kein Thema. Und es war auch nicht ganz oben auf Nicos Prioritätenliste, wie er uns gestand. "Ich möchte bei diesem Gefühls-Chaos nicht auch noch Sex ins Spiel bringen, wenn das in Ordnung ist!" Damit war ich nicht nur einverstanden, sondern auch sehr darüber erleichtert.
Seitdem sind bereits einige Wochen vergangen.
➡️⏰⏯️
Ich verlasse mein Zimmer, um in der Küche das Mittagessen vorzubereiten. Zach kommt irgendwann mit Nico, der wieder in seinem Rollstuhl sitzt, dazu und fährt ihn an den Küchentisch, dann gesellt er sich wie gewohnt zu mir und hilft mir da, wo er kann und mir nicht im Weg steht. Unweigerlich denke ich an die Dramen zurück, die ich erwartet hatte, und wie Recht ich damit behalten sollte.
Nämlich gar nicht.
Stattdessen war es von Anfang an so, wie jetzt.
Nico beschränkt sich darauf, uns in unserem natürlichen Lebensraum, wie er es einmal im Scherz nannte, zu beobachten. Dank seines Gesundheitszustandes kann er sowieso nur wenig tun, aber er versucht auch nicht, uns in die Quere zu kommen oder unnötige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Statt Eifersucht funkelt Humor in seinen Augen, aus denen er uns nicht lässt. Natürlich schließen wir ihn im Gegenzug soweit möglich in unsere Aktivitäten ein. So lassen wir ihn alles, was wir kochen und zubereiten, probieren und uns beim Abschmecken helfen. Zach holt das Geschirr aus den Schränken und Nico verteilt es auf dem Tisch, dann fülle ich die Teller auf und wir beginnen mit dem Essen.
Nico bekommt seines noch immer in mundgerechte Stücke vorgeschnitten, aber er ist dankbar dafür. Mittlerweile schafft er es ganz gut, mit einer Gabel oder einem Löffel in der linken Hand alleine zu essen, auch wenn ihn die Bewegung immer etwas schmerzt. Es ist lang nicht mehr so schlimm, wie am Anfang.
In unseren Austausch über unseren beruflichen Tagesplan für heute mischt er sich nur ein, als Zach ihn um seine Meinung wegen der Bienen fragt und einmal, mit einer auflockernden Bemerkung, die er in einer natürlich entstandenen Pause einwirft. Anschließend starten wir zu dritt eine ausgiebige Diskussion über alle möglichen und unmöglichen Pläne fürs Wochenende und amüsieren uns dabei köstlich.
Wir alle freuen uns schon auf den nächsten Sofa-Sonntag, in den sich Nico integriert hat, als hätte er schon immer dazu gehört. Zach und ich haben noch immer Zeiten für uns, aber wir brauchen sie nicht wirklich. Ja, es ist Zeit, dass sich was ändert und es ist meine Aufgabe, dafür zu sorgen.
Wir räumen gemeinsam die Küche auf, bevor sich Zach auf den Weg in den Wald macht, um eine Stelle zu inspizieren, die wir dem Besitzer als nächstes für die Abholzung empfehlen wollen. Anschließend helfe ich Nico aufs Sofa im Wohnzimmer und kuschele mich selbst dazu, sobald er bequem liegt. Sein rechtes Bein ist überraschenderweise nicht das größte Problem, denn es heilt gut. Er könnte sich längst wieder auf Krücken bewegen, wenn nicht auch beide Arme mehr oder weniger schwer in Mitleidenschaft gezogen wären. Der rechte Arm wurde beim Ausweichmanöver ebenfalls vom Auto erwischt, bevor er darauf gefallen ist. Ein komplizierter Bruch und eine Entzündung nach der Operation sind schuld daran, dass er noch immer in einer Schiene steckt und nur langsam heilt. Der andere Arm ist im Grunde in Ordnung, muss aber, dank der Behandlung der Rippen mit einer Brechstange, möglichst ruhig gestellt bleiben, um Schmerzen zu vermeiden und die Heilung zu fördern. Mittlerweile ist zumindest an der Front auch Besserung in Sicht, sodass ich es wagen kann, mich an seine linke Seite zu kuscheln, solange ich mich relativ ruhig halte, während er seinen Arm locker um mich legt.
"Du bist so ein guter Koch", flötet er und grinst schläfrig. "Ich wünschte nur, das gute Essen würde mich nicht immer so ausknocken." Ich lache vorsichtig, um ihn dabei nicht durchzurütteln. Vor allem an den Rippen ist der Schmerz, so erklärte er mir noch heute morgen, nicht mehr so scharf, eher dumpf, aber immer noch da. Eine Weile liegen wir einfach nur da, doch wie immer spürt er, dass mich etwas plagt und er fordert: "Heraus damit!"
Ich seufze und ergebe mich dem Schicksal, denn zu einer offenen und ehrlichen Beziehung passt es nicht, sich jetzt dumm zu stellen.
"Ich habe euch vorhin auf der Terrasse gesehen", gestehe ich leise und spüre, wie er sich unter mir anspannt. "Oh, tut mir ...", fängt er an, doch ich unterbreche ihn sofort. "Nein!" Dass es passieren kann, dass wir in etwas reinrennen, was wir vielleicht nicht sehen wollen, darüber haben wir schon mehrfach gesprochen und entschieden, dass es da keine Entschuldigung benötigt. Lediglich ein Ende der Zärtlichkeiten, bis der Zwilling wieder weg ist. Aber so wie ich es jetzt sehe funktioniert das nicht mehr.
"Um ehrlich zu sein, ich musste das sehen. Es war wichtig", erkläre ich, während meine Hand unter sein T-Shirt schlüpft und sanfte Kreise über seine Brust- und Bauchmuskeln fährt.
"Mir ist dadurch klar geworden, dass es so nicht weitergehen kann."
"Arian", flüstert er traurig und sackt unter meinen sanften Berührungen und der angedrohten Veränderung sichtlich in sich zusammen. Ob er schon länger damit rechnet?
"Du musst zugeben, dass unsere Vereinbarung nicht auf Dauer so weitergehen kann. Sie sollte ein Anfang sein, eine Testphase, aber nie die Endlösung. Und nachdem ich euch beide da draußen gesehen habe weiß ich, dass es Zeit ist, etwas zu ändern."
"Was genau ist dir klar geworden?" Nicos vorsichtige Frage zaubert mir ein Lächeln aufs Gesicht. Genau deshalb mag ich ihn so sehr. Er ist so aufmerksam und stellt die richtigen Fragen und ich zögere nicht, sie ihm zu beantworten.
"Zum Einen, dass ich meinen Bruder noch nie so glücklich gesehen habe. Wir waren immer zufrieden mit unserem Leben, aber so wie er dich jetzt ansieht?"
Es wundert mich nicht, dass Zach diese Gefühle vor mir entdeckt, obwohl er normalerweise zurückhaltender ist. Aber er ist auch derjenige, für den Sex eine eher untergeordnete Rolle spielt und so konnte er die Beziehung zu Nico viel leichter erkunden als ich. Für mich spielt am Ende definitiv auch die sexuelle Komponente eine Rolle. Bisher ist er für mich weiterhin mehr Freund als Liebhaber, auch wenn wir weitere Schritte in Richtung Lebenspartner gegangen sind und uns längst näher stehen, als je zuvor. Oder liegen, jedenfalls im Moment.
"Das ist etwas Gutes, oder?" Nico ist noch immer unsicher, wofür ich mich entschieden habe und ich nicke deshalb nur und fahre fort, um ihn aus seinem Dilemma zu erlösen. Ich wusste immer, dass diese Entscheidung von mir kommen muss. Nico würde auf keinen Fall mehr fordern als das, was er bereits bekommen hat und Zach hat, wie gesagt, mit dem ganzen Thema weniger Probleme als ich. Daher überlässt er mir das Tempo, in dem wir voranschreiten.
"Ich habe mich so sehr für ihn gefreut. Da war nur ein Gefühl von Begeisterung und nicht die geringste Eifersucht, geschweige denn Ekel." Ich lache, als er tief aufseufzt und dann leise wimmert, weil seine Lungen unter den heilenden Rippen dafür noch zu angeschlagen sind.
"Ich hätte gerne länger zugesehen, aber ich musste verschwinden, bevor ihr mich bemerkt und deshalb aufhört. Verstehst du? Ich will das nicht mehr. Wir müssen das ändern. Ich will euch noch immer nicht beim Sex zusehen, aber ich denke, wir brauchen die gegenseitigen Zuneigungsbekundungen nicht mehr voreinander zu verstecken."
"Oh Ari, du willst es wirklich versuchen oder? Eine echte Beziehung zwischen dir und mir sowie mir und Zach zulassen?" Er fragt nicht danach, wie Zach wohl dazu stehen würde, und das zeigt mir wieder einmal, wie gut er uns kennt. Mein Bruder hatte von Anfang an wenig eigene Bedenken zu diesem Thema. Seine Sorge war eher, dass er Nico als Freund verliert, doch nach dem Blick und dem Kuss vorhin? Keine Frage, wohin er gehen will.
"Ja, ich denke, es ist Zeit für den nächsten Schritt."
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