Kapitel 61 - Zwei Monde, an einem Himmel
Schweißgebadet richtete ich meinen Oberkörper auf. Atmete schwerfällig. Wirr blickte ich um mich, sah Jack und Areas auf dem Boden neben mir liegen.
„Schlechter Traum?" Roan musterte mich eindringlich, saß immer noch an die Wand gelehnt, während Mickey, neben ihm, wachsam den Kopf hob.
„Hast du die Zunge verschluckt?"
Mein Brustkorb bewegte sich immer noch aufgeregt auf und ab. Ich richtete mich auf, konnte spüren wie mein ganzer Körper aufgeregt pulsierte. „Wir müssen weiter", keuchte ich und griff mich nervös an den Kopf.
„Wir sind gut in der Zeit."
Ich schüttelte verneinend den Kopf. Tränen stiegen mir in die Augen. „Nein. Wir haben keine Zeit."
Roans Blick verfinsterte sich schlagartig.
„Eins dieser Träume von ihm?"
„Ich glaube, er liegt im Sterben."
„Sicher, dass es kein gewöhnlicher Traum war?"
Ich schluckte: „Das bin ich."
„Was ist los?", murmelte Jack verschlafen.
„Wir brechen auf." Roan richte sich auf und streifte sich seine Stiefel über.
„Jetzt schon?", fragte Areas noch nicht ganz wach.
Ich nickte entschlossen: „Ich erkläre es euch auf dem Weg."
Die Jungs machten sich ohne Widerwort fertig, während Roan die Flamme der Kerze zwischen seinen Fingern erstickte und die Dunkelheit uns empfing.
Viele weitere Stunden waren wir danach unterwegs. Jack blieb, solang er sich in Bewegung befand, derweil von den Mücken verschont. Trotzdem suchten wir nebenbei nach den Kräutern gegen die lästigen Insekten, welche Roan auf dem Weg zum Schattenhof uns zeigte. Die Pflanzen hatten länglich, gesägte Blätter und kleine purpurrote Blumenköpfe, die an blühenden Löwenzahn erinnerten.
Einmal hatten wir uns zwischen Dickicht verstecken müssen. Etwas schlich um uns und Roan wollte kein Risiko eingehen. Jack meinte, dass es nach einer weiblichen Person roch aber auch nach einem Tier. Die Schritte, welche er hörte, gingen aber nur von einer Person aus. Was es wohl war? Die Zeit lief uns davon. Als wir keine Geräusche mehr wahrnahmen und auch Jacks scharfe Sinne es bestätigten, machten wir uns wieder auf den Weg.
Nach einer Weile führte uns Roan an einer kleinen Wasserstelle vorbei. Es war eine Quelle, die auch aus meiner Welt hätte sein können. Dort verweilten wir kurz, füllten unsere Wasserflaschen auf, wuschen unsere Gesichter und machten uns etwas frisch. Wie Roan es uns erklärt hatte, drückte Areas die gesammelten Kräuter mit einem Stein zu einer breiigen Masse und Jack rieb sich damit den Nacken ein. Zur Sicherheit machten wir es ihm gleich. Roan meinte, die Wirkung würde mehrere Monde anhalten, was auch immer es bedeutete. Noch eine Weile waren wir dann unterwegs, bis es sichtbar heller wurde. Zwar war es immer noch Nacht, doch die Bäume schwanden und mit ihnen ihre Schatten. Ein Pflasterweg dehnte sich vor uns aus, ganz vom Mondlicht erhellt.
„Seht nur", Jack reckte verblüfft den Zeigefinger in den Himmel. Seine Augen glänzten vor purem Staunen.
Beeindruckt legte ich den Kopf in den Nacken. Zwei riesige, Kugeln strahlten im Sternen bespicktem Himmel auf uns herab. Die eine blau wie der Neptun. Die andere weiß, wie der Mond selbst. Nie zuvor hatte ich eine derartig schöne Nacht gesehen. Zwei Monde, an einem Himmel. Und diese Sterne? So nah, als könnte man nach ihnen greifen. Und so viele und so groß und so strahlend.
Ich öffnete mehrmals den Mund und schloss ihn wieder, konnte es immer noch nicht fassen, was da über mir war. „Sind es zwei Monde?"
Ja, sind es, bestätigte Areas. „Zweifellos sind wir in Taurius", murmelte er leise vor sich hin.
„Wollt ihr da Wurzeln schlagen?" Unbeeindruckt entfernte Roan sich immer mehr von uns.
Nur schwer lösten wir uns von dem atemberaubenden Anblick und sputeten ihm nach.
„Wie lang ist es noch?", wollte ich von Roan wissen.
„Siehst du den Hügel da in der Ferne?" Er streckte den Arm aus.
„Ja."
„Dorthin müssen wir."
„Verrätst du uns jetzt endlich deinen Plan?", wollte Areas wissen.
„Ihr kennt den Plan bereits. Ich überzeuge König Tarvo davon, dass das hier die Seelenlose ist", erklärte er arrogant aufseufzend und zeigte dabei auf mich. „Dann versuche ich es mit dem Tauschgeschäft und wir werden sehen, ob die Götter uns wohlgesonnen sind."
„Toller Plan", schnalzte Jack mit der Zunge und verdrehte die Augen. „Was ist unsere Aufgabe dabei?"
„Dein Freund hier kommt mit uns." Er nickte zu Areas.
„Und ich? Was ist mit mir?"
„Du bist ein Blauer."
„Fängst du wieder damit an, Spitzohr?" Jack stellte sich Roan in den Weg und verschränkte unzufrieden die Arme vor der Brust.
Roans Augen durchbohrten ihn herausfordernd. „Noch bevor wir die Mauern des Schattenhofes erreichen, nehmen sie dich bis auf das letzte Hautschüppchen auseinander. Sie werden Zaubertränke aus deinen Eiern brauen. Und deinen Schwanz bieten sie auf dem Markt der Wünsche einem reichen, kinderlosen Weib zum Abendmahl."
Jacks sah zur Seite, um nichts von Roans Spucke abzubekommen. Seine Mundwinkel verzogen sich angewidert: „Dazu müssten sie mich erst kriegen."
Roan lachte hetzend: „Die Götter wissen, das würden sie. Wenn du mir nicht glaubst, versuch dein Glück aber bleib uns fern dabei und durchkreuz meine Pläne nicht."
„Vielleicht hat er recht." Areas schien sichtlich besorgt deshalb. „Vermutlich bist du der einzige Blaue, der in Taurius lebend noch weilt. „Früher hat man deinesgleichen gejagt. Oder hast du es vergessen? Was, wenn sie es immer noch tun? Was, wenn, sie durch einen Zauber das Blaublut in dir erkennen? Oder du dich nicht beherrscht und es ihnen selbst auf dem Silbertablett präsentierst?"
„Verdammt, warum bin ich dann überhaupt hier?" Der Blaue tobte.
„Ich hatte dir gesagt, dass wir dich hier nicht brauchen. Es gäbe aber etwas, wobei du uns vielleicht doch nützen könntest", überlegte Roan.
„Spuck aus?"
„Falls mein Plan nicht aufgeht, was er zwar bestimmt wird. Aber falls doch nicht, müssen wir von dort irgendwie weg. Jemand muss die Königliche Garde ablenken", offenbarte Roan, während er seinen Kopf nach links neigte und seine rechte Schulter massierte.
„Und das ist dann meine Aufgabe?" Verdutzt zeigte Jack auf sich selbst.
„Deine und Mickeys."
„Als ob der da, auf mich hört!" Jack zog eine Grimasse und streckte beim Blick auf Mickey seine Zunge heraus.
Mickey gähnte nur gelangweilt, was Jack missfiel.
„Auf Mickey ist Verlass. Was dich angeht, werden wir noch sehen."
Jacks Augen verengten sich zornig.
„Wieso Fliehen? Warum sollten sie nicht auf das Tauschgeschäft eingehen? Sie wollen doch Zaria?", mischte ich mich ein. „Ist es nicht das Schwert, was sie am meisten wollen? Oder nicht?"
„Ich halte mir alle Optionen offen", meinte Roan monoton, während er seinen Blick über mich eigenartig gleiten ließ.
Areas kratzte sich am Hinterkopf. „Hast du vielleicht weitere Pläne oder Gedanken, welche du uns mitteilen möchtest?"
„Tut einfach, was ich sage", meinte Roan im befehlshaberischem Ton. „Aber eins sollten wir wohl doch noch besprechen." Seine Jade farbigen Augen lagen streng auf mir.
„Was denn?", stammelte ich verunsichert, als er sich mir plötzlich näherte.
Er sah auf mich kalt herab und ich spürte seinen Atem auf mir. „Du musst sie überzeugen."
„Sie überzeugen?"
„Den König und seine engsten Vertrauten." Herablassend wanderte sein Blick über mich weiter. Vielleicht war es aber auch Abscheu, was ich da sah. „Du bist die Seelenlose."
„Worauf willst du hinaus?"
„Du siehst aber nicht so aus."
„Ich dachte, wir hätten es geklärt. Ich werde Zaria ihnen einfach zeigen."
„Das wird nicht reichen, um den König zu überzeugen. Was, wenn ihn deine menschliche Erscheinung kränkt?"
„Bin ich unter seiner königlichen Würde, nur weil ich ein Mensch bin?" Dass es mich auch kränkte, interessierte ihn wohl kaum.
„Das Halbblut hat schon vor ewigen Monden seine Rechte im Schattenreich verloren. Es ist einem Halbblut nicht gestattet den König anzusprechen oder gar anzusehen. Von Menschen brauchen wir da gar nicht erst anfangen."
„Und, wenn ich es doch tue?"
„Es wird mit dem Tod bestraft. Doch wenn ich ihm alles erkläre, dann wird er es hoffentlich verstehen und mir Glauben schenken, dass hinter dem, was du jetzt bist, wirklich ein Vollblut steckt. Und nicht irgendein Vollblut. Sondern die Seelenlose. Es ist wichtig, das er es weiß. Deshalb musst du auch versuchen dich wie die Seelenlose zu benehmen. Das würde mir einiges an Überzeugungskraft ersparen."
Ich legte den Kopf schief und stemmte die Arme in die Hüften. „Wie benimmt sich denn die Seelenlose?"
„Fürs Erste, sie stellt keine dummen Fragen. Sie flennt nicht, wie eine hysterische Jungfer, oder schaut um sich, wie ein scheues Jungreh." Er ließ mich stehen und machte sich wieder in Bewegung. „Ah und noch etwas."
Ich konnte mir ein Schnauben nicht verkneifen: „Was?!"
„Rede nicht so viel! Behalte deine kindischen, menschlichen Gedanken bei dir. Das Gleiche gilt für all deine Weiberstimmungen."
Kindisch? Weiberstimmungen?
Schnellen Schrittes blieb ich ihm auf den Fersen. „Noch etwas?", erkundigte ich mich mit immer finsterer werdendem Gesicht.
„Sei nicht so lästig und höre endlich auf mit dieser liebreizenden Heuchelei. Da wird ja einem schlecht."
„Was soll das jetzt heißen?" Meine Wangen glühten vor aufkommendem Zorn.
„Schon vergessen? Keine dummen Fragen."
In Rage blieb ich versteift stehen, während er, als wäre nichts, weiter in Bewegung blieb. Was fiel diesem Mistkerl ein, mich so bloßzustellen. Ich plusterte mich auf und holte tief Luft, während meine Nasenflügel wie die eines Stieres, welches rot sieht, sich aufblähten. „Sag doch gleich, ich soll mich wie ein Kaltschnäuziger, frauenfeindlicher, selbstsüchtiger, arroganter, unsympathischer und mit sich selbst unzufriedener Lackaffe, benehmen. So wie du!"
Roan hob provokant beide Arme in die Luft und zeigte mir den Mittelfinger.
„Du mich auch!", brüllten ich und Jack im selben Augenblick ihm hinterher.
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