Kapitel 31 - Edda
Ich könnte dieses Kapitel, noch eine Woche lang überarbeitet aber ich komme sonst nicht voran.
„Die Seelenlose?", hinterfragte Edda misstrauisch und näherte sich mir.
Ihr gekräuseltes graues Haar fegte dabei über den glatten Stein. Immer noch konnte ich kein Blick auf das Gesicht, der kleinwüchsigen Frau erhaschen, denn ein Kranz auf ihrem Haupt, aus getrockneten Blättern und Wildblumen, verwehrte mir die Sicht darauf. Woraufhin meine Aufmerksamkeit sofort auf ihre Ohren gelenkt wurde.
Spitze Ohren, wie bei einer Elfe!
Ich staunte beim Betrachten der außergewöhnlich geformten Ohren, die selbst durch das lange Haar, welches ihr ins Gesicht fiel, gut zu sehen waren. Diverse Ohrstecker, schlichte, kleine Creolen und sogar Kettchen prangten an ihren etwas abstehenden Ohren und brachten Eddas Andersartigkeit noch mehr zur Geltung.
Fasziniert von der Fremden begutachtete ich auch den Rest ihrer Erscheinung, solange sich die Gelegenheit dazu bot. Ein bodenlanges, langärmliges Leinengewand in Grau kleidete ihren kleinen, kindlich wirkenden Körper und unter den weiten Ärmeln blitzten bei jeder Bewegung ihre Hände hervor, samt im Takt ihrer Bewegung klimpernden Armreifen. Eddas Hände wiesen eher die Größe von normal wüchsigen auf und wirkten im Vergleich zum Rest ihrer Erscheinung unpassend groß. Außerdem zierten kleine, mystische Symbole ihre Hände, in einem dunklen Blau, welche sich vom Handrücken über jeden einzelnen Finger zogen. Gold glänzte an ihren Ringfingern. Der zarte Schmuck steckte, bis hinauf zu den gelblichen, kurzgeschnittenen Nägeln, an ihren schmalen Fingern.
Das Klimpern der Armreife verstummte, als die Alte ganz unerwartet meine Hand packte.
Ich erstarrte erschrocken, mit zu ihr gesenkten Augenlidern. Immer noch war ihr Gesicht hinter dem Kranz im Verborgenen. Kraftvoll zerrte mich die Alte zu Boden, wobei ich unsanft mit den Knien auf den harten Boden aufschlug. Eh ich mich versah, hatte Edda bereits auf eine ruppige Art und Weise, mein Gesicht gefasst. Ich fühlte den Druck der kalten Ringe auf meiner Haut und war wie gelähmt beim Blick in ihr Gesicht.
Das Erste, was ich erblickte, war ihre Nase, die mich für einen Moment aus der Fassung brachte, denn diese war außerordentlich breit und platt, als würde ihrer Nase das Nasenbein fehlen. Und auch die Nasenlöcher, aus welchen weiße Haare wucherten, waren außerordentlich groß und passten sogar nicht zu ihrem kleinen ovalen Gesicht. Meine Augen senkten sich nervös auf ihren Mund. Tiefe Falten lagen um ihre dünnen Lippen, welche ernst zu einem schmalen Strich gezogen und blau unterlaufen waren, als wären sie blutleer, als wären es die Lippen einer Toten. Ich schluckte gebannt, während mein Blick langsam und unsicher zu ihren Augen hoch wanderte. Fliederfarbene Augen stierten durchdringend zurück.
Etwas daran irritierte mich sogleich. Eddas Gesicht war blass und faltig. Blaue Adern, haarige Warzen und Krähenfüße durchzogen ihre markanten Wangenknochen. Dicke Schlupflider hingen schlaff über ihren Augen und unter ihren Augen waren dunkle Augenringe, welche die aufgequollenen Tränensäcke nur noch mehr zur Geltung brachten. Doch das war nicht das, was mich in dem Augenblick in Verwirrung brachte. Nein. Es waren ihre Augen. Ihr klarer Blick.
Ihre sanften, violetten Augen, ließen mich all das Alte und Vergängliche einen Augenblick lang vergessen. Ich sah Anmut, sah Stolz und Kraft in ihrem Blick sich spiegeln. Doch nicht nur das, denn als sich ihre Augen zu zwei misstrauischen Schlitzen verzogen, sah ich Hass darin aufblitzen. Ihr Blick verfinsterte sich immer mehr und ihre schmalen, bläulichen Lippen verformten sich griesgrämig.
„Dieses Mädchen ... dieses Häufchen Elend", schimpfte sie und löste rabiat ihre Hände von mir. „Das ist nicht der Blick einer Vollblütigen. Denkst du, ich bin blind, Alexander? Sie ist noch nicht erwacht. Das ist nicht die Seelenlose. "
„Du hast recht", gestand er.
„Was willst du dann hier?", schnauzte sie zornig in an.
„Bitte ... Ich wollte mich bedanken. Deswegen ist er hier", erklärte ich kleinlaut, bevor Alex auch nur ein Laut von sich geben konnte. Ich versuchte, die Angst in mir vor dieser Frau zu überspielen.
„So, so, bedanken willst du dich also? Bedanken! Weißt du denn nicht, dass ein Dank in Taurius nichts wert ist?", brauste sie auf.
Irritiert sah ich sie an.
„Die Seelenlose wüsste das! Nur ein Mensch kann solch einen Unsinn von sich geben", jammerte Edda.
Alex verteidigte mich: „Soweit ich weiß, sind wir aber nicht in Taurius. "
„Nur zu, Schwager. Streu nur noch mehr Salz in meine eitrigen, alten Wunden", fauchte Edda zurück.
„Schwager?", fragte ich überrascht.
Alex verschränkte die Arme hinter dem Kopf, verdrehte die Augen und stieß einen beklagenden Seufzer aus.
„Ich weiß. Beschämend, nicht wahr!", funkte Edda dazwischen. "Ein Mensch, mein Schwager." Sie schüttelte theatralisch den Kopf.
„Glaub mir, Edda, es gibt Schlimmeres", konterte Alex.
„Du hast recht: wenn dich das eigene Fleisch und Blut bestiehlt und ohne Abschied, ohne ein Wort geht. Das ist viel schlimmer. Du hast ihn gegen mich gehetzt, Alexander!"
„Geht das schon wieder los! Du glaubst doch selbst nicht, was du da von dir gibst! Du hast ihn vergrault, schon viele Jahre vorher. Mit deiner Wut auf alles und jeden. Du weißt, ich hätte Elvar nie gehen lassen."
Elvar?
„Gibst du jetzt mir die Schuld? Ich vergraule doch nicht meinen eigenen Neffen?! ", beschwerte sich die Alte empört.
„Ich gebe niemandem die Schuld! Lass es doch endlich gut sein, Edda."
„Du hast leicht reden, Alexander. "
Sie wollte gerade weiter meckern, als ich die Streithähne unterbrach, denn eine Frage zischte mir verdammt heiß auf der Zunge: „Elvar ist ihr Neffe?"
„Wieso? Sieht man die Ähnlichkeit etwa nicht?", fauchte Edda und rückte mir auf die Pelle.
Ich wusste nicht, wie mir geschah, als sie mir so nah und aufgebracht gegenüberstand. Mit großen Augen fixierte ich sie, ohne etwas Vernünftiges von mir geben zu können. Ihr Äußeres verunsicherte mich nach wie vor. Sie hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit Liam.
„Starr mich nicht so an, Mädchen! Denkst du, ich sah immer so aus? Kummervoll verzog sie ihr Gesicht.
Ich wandte den Blick beschämt von ihr ab.
„Natürlich denkst du es! Aber ich verrate dir etwas. Ich war mit einer Schönheit gesegnet, von der du nur träumen kannst. Sie hob arrogant ihr Kinn etwas an und sah mich mit bebenden Nasenflügeln an. "Alles war gut, bis dieser Mensch meinen Weg kreuzte", beschwerte sich Edda und richtete vorwurfsvoll ihren Zeigefinger auf Alex.
Erneut konnte ich den Zorn in ihren Augen aufflammen sehen. Alex sagte nichts, sah Edda nur schweigend an.
„Du weißt, ich habe recht, Alexander ", zischte sie in seine Richtung. „Mit dir kam das Unglück!"
Alex blieb stumm, wand nur sein Gesicht von ihr ab.
Was meint sie nur? Warum ist sie so wütend auf ihn?
Ich hatte mir die Begegnung mit Edda anders vorgestellt. Nun wollte ich das Ganze so schnell es ging hinter mich bringen und diesen negativ geladenen Ort, so schnell wie möglich hinter mir lassen. Ich zog aus Alex Rucksack, welchen er neben sich abgestellt hatte, die Pralinenschachtel heraus.
„Sie haben... sie haben mein Leben gerettet", stotterte ich verunsichert und reichte ihr die hübsch verzierte Schachtel. Ich traute mich nicht mehr, das Wort „Danke" in ihrer Gegenwart auszusprechen, also sagte ich stattdessen, ihr immer noch die Pralinen entgegenhaltend: „Sie haben mich von dem Fluch erlöst."
Als ich merkte, dass Edda die süße Aufmerksamkeit nicht annehmen wollte, zog ich meinen Arm enttäuscht zurück.
„Es ist schön, nicht an innerem Leid zu zerfallen, nicht wahr?", fragte sie stattdessen. Ihre dünnen, bläulichen Lippen formten sich zu einem schwachen Lächeln.
Ich nickte zaghaft und warf Alex einen unsicheren Blick zu.
Er wiederum erwiderte es mit nach oben gezogenen Schultern und Brauen, als wollte er mir sagen: Ich habe dich gewarnt.
Edda fuhr fort: „Es ist nicht von ewiger Dauer, Mädchen. Der Fluch wird zurückkehren, in ganzer Kraft. Schon bald werden die dunklen Gedanken dich heimsuchen und dich beherrschen. Du wirst dir wünschen..."
„Was ... was kann ich dagegen tun?", unterbrach ich sie, sah das Unglück schon vor mir. "
„Du? Du kannst gar nichts tun."
„Aber ... aber Sie ... Sie können es?! ", stammelte ich hoffnungsvoll und drückte die Schachtel Pralinen an meinen Körper.
„Ah! Daher weht der Wind! Aber ja, sicher kann ich was tun. Für einen Gefallen selbstverständlich."
„Einen Gefallen?"
„Ja, ein Gefallen. Oder dachtest du etwa umsonst?", fragte sie mit spöttischem Unterton in der Stimme.
„Nein ... nur ..."
„Ach, es gäbe da so einige verlockende Dinge, die du für mich tun könntest", schwärmte Edda.
„Was für welche?"
„Vielleicht dein Erstgeborenes?"
Mir gefror das Blut in den Adern.
„Edda jetzt reicht es aber! Hör auf ihr Angst zu machen!", mahnte Alex.
„Rache an meinen Feinden", fuhr sie fort, ohne Alex Worten einen Funken Beachtung zu schenken. „Deine Dienste ... vielleicht lasse ich dich auch im Ungewissen und fordere meinen Gefallen irgendwann ein, wenn mir danach ist, wie bei meinem Schwager hier.
Alex verdrehte genervt die Augen.
„Wie meint sie das?", fragte ich ihn verwirrt.
„Ach, hat Alexander dir gar nichts erzählt? Glaubst du, für deine Genesung war ein Dank genug?", antwortete Edda statt seiner in arrogantem Tonfall. „Unser Menschlein hier steht in meiner Schuld. Wohlgemerkt nicht zum ersten Mal."
Irritiert sah ich Alex an. Das hatte er mit keinem Wort erwähnt.
„Du kannst es einfach nicht lassen, oder?", beschwerte sich Alex mit ernster Miene.
Edda spielte die ahnungslose:„Was denn?"
„Du machst ihr Angst. Hör auf! "
„Angst? Sie hat doch keine Angst! Sie ist eine Vollblütige. Vollblütige haben keine Angst! Fürchtest du dich etwa?", erkundigte sie sich, während ihre zu zwei Schlitzen verzogenen, fliederfarbenen Augen mich ins Visier nahmen.
„Nein", log ich angsterfüllt.
Verdammt, wo war ich nur gelandet. Hilfe!
„Sie hat keine Angst, siehst du. "
„Natürlich hat sie Angst", widersprach Alex vorwurfsvoll. „Versuch ausnahmsweise mal, nett zu sein. "
„Nett? Nett!! Oh, ich bin nett! Und wie nett ich bin", schrie sie aufgebracht. „Sieh mich an, Alexander! Siehst du das freudige Lächeln in meinem Gesicht nicht? Ich bin sowas von nett!"
Und tatsächlich zwang sie sich zu einem übertrieben breitem Lächeln, wobei schiefe und etwas vorstehende Oberzähne hervorblitzten. Verdammt, dieses Lächeln war alles, nur nicht nett.
Alex blieb ruhig, ließ sich nicht von ihrer Wut anstecken. Beherrscht kam er auf Edda zu, senkte sich auf ein Knie nieder, um sprach zu ihr auf Augenhöhe mit einer ruhigen Stimme: „Ich weiß, wie du bist, Edda. Und das hier, das bist nicht du. Schon lange nicht mehr. Der Hass und der Zorn, die du mit dir trägst, werden all den Kummer nicht ungeschehen machen. Du willst, dass wir gehen? Gut. Wir gehen."
Die verbitterte alte Frau sah Alex einen tiefen Atemzug lang an und presste verbittert die Lippen aufeinander.
„Wir kommen ein anderes Mal wieder. Wenn du besser gestimmt bist", fügte er beim sich wieder erheben hinzu.
Dann legte er seinen Arm auf meine Schulter und drückte mich an sich. „Jetzt lass uns hier raus, Edda."
Kurz war es still, als suchte Edda nach den richtigen Worten, dann antwortete sie: „Ich wollte dem Mädchen keine Angst machen!", maulte sie unzufrieden. „Bleibt doch zum Tee!"
„Ein anderes Mal", entgegnete Alex abweisend kalt und bat sie nochmals, uns nach draußen zu befördern.
Edda blieb stur. „Möchtest du mir beim Teezubereiten helfen?", erkundigte sich Edda bei mir und ignorierte Alex mal wieder.
„Ähhh ... Ich Ihnen? " Dabei zeigte ich zweifelnd auf mich selbst.
„Wer sonst? Und lass dieses Förmliche. Nenn mich einfach Edda!", brummte sie noch eingeschnappt.
Überfordert blickte ich zu Alex. Was sollte ich antworten? Ich wollte sie mit meiner ablehnenden Antwort, nicht noch mehr erzürnen. Doch eh Alex was sagen konnte, maulte Edda dazwischen: „Ich bestehe darauf, dass ihr bleibt. Ich lasse es doch nicht zu, dass dieses Kind deinetwegen Alexander, einen schlechten Eindruck von mir bekommt. Oder willst du, dass ich... ", überlegte sie ohne ihren Satz zu vollenden.
„Dass du was?", fragte Alex nach und verschränkte die Arme ineinander.
„Dass ich euch hierbehalte", drohte sie fordernd.
Sorgenvoll sah ich zu Alex und dann zu Edda: „Aber er muss doch zur Pforte, weil... ", versuchte ich ihr zu erklären.
Sie grinste listig und unterbrach mich: „Ich weiß."
„Alex? " Ich sah ihn Hilfesuchend an. Tu doch was!
Aber er unternahm nichts, stattdessen schmunzelte er höchst vergnügt.
„Was ist so witzig?", erkundigte sich Edda.
„Meine liebe Edda, ich frage mich nur, wenn du damit mehr strafen würdest? Nur zu. Du würdest es doch keinen halben Tag mit mir aushalten."
„Das Lachen wird dir schon bald vergehen, geliebter Schwager", prophezeite sie ihm und schnaubte ihren Frust durch die Nase aus.
Alex schmunzelte weiter vor sich hin und provozierte Edda dadurch nur noch weiter. Hatte er nichts Besseres zu tun? Ich musste was unternehmen, bevor es außer Kontrolle geriet, sagte ich: „Das wäre wirklich unhöflich, wenn wir einfach gehen. Natürlich bleiben wir zum Tee. Ich hätte sogar welchen dabei." Ich zückte die Thermoskanne mit schwarzem, süßem Tee aus dem Rucksack.
„Willst du mich vergiften, Mädchen?"
Sprachlos leugnete ich es mit einem langsamen Nicken.
„Herzallerliebst, aber dieses Gesöff ist eher was für den da, nicht für mich", brummte sie in Alex seine Richtung und verzog das Gesicht angewidert.
„Diese Frau ist hoffnungslos verloren", meinte Alex weiterhin beherrscht.
Es stimmte. Langsam begriff auch ich. Wie konnte er sie all die Zeit aushalten? Ich kochte innerlich vor Wut. Sie war unhöflich und gemein. Blöde, alte Hexe!
Ich sammelte mich, ließ meine Wut auf Edda bei mir, schließlich wollte ich hier raus. Alex hatte recht, es war eine schlechte Idee, hier herzukommen. Ich verstaute die Kanne zurück in den Rucksack und sagte dabei die höflich Spielende: „Ich würde furchtbar gerne, von deinem Tee kosten. Du sagtest, ich kann dir beim Tee zubereiten helfen?"
Edda grunzte daraufhin zufrieden und ergriff mein Handgelenk. Dann passierte alles sehr schnell.
„Edda", hörte ich Alex rufen.
Sie schnipste mit der freien Hand zweimal und die Wand vor uns, die gerade eben noch dastand, war wie weggeblasen. Eilig zerrte mich die Alte hinter sich in einen anderen Raum.
Ich blickte Alex verdutzt nach.
„Edda!", rief er besorgt. „Lass mich mitgehen."
Etwas hinderte ihn hindurchzugehen. Vergebens trafen seine Fäuste gegen die unsichtbare Barriere, dort wo eben die Wand noch stand.
„Und wer lacht jetzt?", quietschte Edda vor höchster Genugtuung vergnügt.
„Edda!", rief er wieder ihren Namen und schlug weiter gegen die unsichtbare Wand dagegen. „Das ist nicht mehr witzig."
„Keine Sorge, Schwager, wir beeilen uns", sprach sie listig, ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen.
Unbeholfen sah ich Alex nach, als plötzlich die Wand wieder sichtbar erschien und uns nun ganz voneinander trennte.
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