Kapitel 26 - Die Rettung
So ihr Lieben, hier wäre das nächste Kapitel. Da kommt ein sensibles Thema vor, zu dem ich persönlich keine persönlichen Erfahrungen habe. Und heute kommt ein neuer Charakter dazu, denn ich sehr mag. Es ist zwar nur ein kurzer Augenblick, aber man erfährt später mehr :)
14 Monate später. Minnie.
Der in Gold gekleidete Wald rauschte friedvoll, als eine, nach Laub riechende, Brise sanft mein Gesicht streifte. Reglos ruhte mein Blick auf dem Wasser, während das welke Laub, bereits beim geringsten Windstoß, sich von den Ästen riss und herab zu der Wasseroberfläche des Sees glitt. Liam war gern hier gewesen, hier am Steg hinter unserem Haus.
Ich habe ihn vertrieben...
Schwer, wie zwei Klötze hingen meine Beine über dem Wasser, während meine Gedanken um ihn kreisten.
Erschöpft ließ ich meine Augen zu der Sonne hinauf wandern, welche sich noch nicht ganz ergeben hatte. Immer wieder kam sie zwischen den dichten, trüben Wolken zum Vorschein und streckte sich hell über den See aus. Warm schmiegten sich dann ihre Strahlen an mein Gesicht und brachten mich zum Blinzeln. Doch schon beim nächsten Windstoß drängten sich die Wolken wieder in den Vordergrund und das Helle schwand und damit die Wärme.
Er wusste, was ich für ihn empfinde, ging mir durch den Kopf.
Seitdem hatte sich nicht das Geringste an meinen Gefühlen für ihn verändert und dafür hasste ich mich jeden Tag ein Stückchen mehr. Ich war wie besessen von ihm, ohne dagegen etwas ausrichten zu können. Es war, als hätte sich tief in meinem Inneren jemand eingenistet. Jemand, der mir meinen Frieden raubte und mein Denken steuerte. Jemand, der meine Gefühle beeinflusste und sich an meinem Leid näherte. Es klang komisch, aber so fühlte es sich an. Keiner würde es verstehen oder gar glauben. Wie auch. Ich konnte es ja selbst nicht begreifen, was mit mir da geschah. Ich hasste es auf diese Weise mich zu verlieren, sowie es jetzt gerade geschah.
Angespannt krempelte ich den Ärmel meines dicken, grauen Pullovers hoch und ließ meine müden Augen über die Arminnenseite meines linken Unterarms schweifen. Die Wunden von heute früh waren noch ganz frisch. Ein Schnitt, von etwa fünf Zentimetern, war besonders tief und näselte hellrot.
Es war nicht zum ersten Mal, dass ich mir selbst Schmerz zugefügt hatte, denn zwischen den noch frischen Schnitten, zeichneten sich Narben auf meiner Haut ab, so viele, dass sich kaum noch Fläche für Neue bot. Einige dieser Narben waren am Verheilen, andere wiederum waren schon länger her und bereits verblasst. Ich fuhr mit den Fingerkuppen, die dünnen, zartrosa Hautstellen nach, welche empfindlich unter meiner Berührung kitzelten.
Die Selbstverletzungen begleiteten mich schon länger, fast so lange, wie Liam fort war. Ich wollte damit aufhören, zumindest nahm ich es mir jedes Mal danach vor. Mich selbst verletzen, war so ziemlich das Einzige, was mir Kontrolle verschaffte und mich für eine Weile Liam vergessen ließ. Heute jedoch zeigte meine Methode nicht die gewünschte Wirkung, woraufhin ich aus der Hosentasche ein kleines Cuttermesser zückte. Ich klappte die scharfe Klinge aus und ließ die Metallspitze, mit etwas Druck, langsam über eine alte Narbe ziehen, welche sogleich einen roten Strich nach sich zog. Die Haut riss. Blut trat hervor. Ich schloss die Augen, biss die Zähne zusammen und hieß den Schmerz willkommen. Gleich darauf übte ich nochmals Druck auf die Schneide aus, wollte dieses Mal nichts dem Zufall überlassen. Tränen kamen mir in die Augen geschossen. Mein Körper verkrampfte. Erst als die Schmerzen unerträglich wurden, lockerten sich meine Finger um den Griff des Messers. Schmerzverzerrt öffnete ich meine Augen. Oh Schreck! Die Wunde war so tief, dass die Haut auseinanderklaffte, von selbst würde die Verletzung schlecht heilen, womöglich musste es genäht werden. Blut tropfte von meinem pochenden Arm auf das Holz. Ich versuchte mich auf den Schmerz zu konzentrieren, doch es gelang mir nicht.
Du bist schuld. Du allein. Er ist fort, wegen dir, hörte ich mich sagen.
Das, was da in meinem Inneren sich eingenistet hatte, nagte weiter an mir und trieb mich in den Wahnsinn: Er hatte nicht einmal den Anstand sich zu melden. Wenn nicht bei mir, dann zumindest bei Dad. Kein Brief, kein Anruf, keine Nachricht. Egoist!
Wut, Trauer und Angst, alles prallte zeitgleich auf mich ein.
„Ich hoffe, du bist tot", schrie ich hinaus und drückte mir sogleich die Hände auf den Mund. Wie konnte ich so etwas nur denken, geschweige über die Lippen bringen? Nervös zog ich meine Knie an die Brust ran und umklammerte diese mit zittrigen Händen. Abgestumpft beobachtete ich das Blut, welches sich in den Stoff meiner Hose saugte. Liam, wo bist du? Ich musste mich ablenken, versuchte, die Blätter im Wasser zu zählen. Versuchte, Liam aus meinem Kopf zu verdrängen. Vierzehn ... zwanzig, einundzwanzig ... Doch alles in mir wehrte sich weiter.
Ich vergrub mein Gesicht in den Knien und wiegte mich hektisch hin und her, wobei mir das Messer aus der Hand rutschte und durch einen Spalt zwischen den Holzbrettern, mit einem Plumps Geräusch, im Wasser landete.
„Wenn ich doch auch verschwinden könnte", flüsterte ich zu mir selbst.
Ich will nicht mehr. Alles wäre einfacher, wenn ich einfach verschwinde.
Denn Gedanken kaum zu Ende gedacht, ließ ich mich mit immer noch eingezogenen Knien seitwärts ins Wasser fallen. Ich rang nicht nach Luft, als das Nasse mich kalt eindeckte. Nein, ich war bereit. Ich ging.
***
„Atme! Komm Kleines, atme!", hörte ich fernab eine Stimme, welche immer wieder von einem Bellen übertönt wurde.
Ich verspürte einen Druck auf der Brust, welcher im selben Abstand kam und ging.
„Komm schon ", hörte ich wieder. „Atme."
Erschrocken riss ich die Augen auf und rang nach Luft. Kribbelnd stieg mir etwas die Luftröhre hinauf. Ich musste husten und spuckte Wasser, während meine Lungen unter dem Druck pulsierten und meine Kehle brannte. Jemand zog meinen Oberkörper hoch und schlug mit kalten Händen mir kraftvoll gegen den Rücken. Geräuschvoll nahm ich einen tiefen Atemzug und dann einen weiteren.
„So ist gut", hörte ich verzehrt. Mein Oberkörper wurde wieder gesenkt. Ich verspürte feste Fläche unter meinen Schulterblättern. Ich lag. In meinen Ohren rauschte weiter das Blut, nichtsdestotrotz hörte ich mein Herz, wie es wild pochte.
Mühselig versuchte ich, die Augenlider offenzulassen, musterte das Gesicht, das verschwommen über mir schwebte. Dann erkannte ich. Es war Dad. Aufgeregt sah er mich an, während sein Brustkorb sich angestrengt auf und ab senkte. Wasser perlte von seinem Haar auf mich herab. Er versuchte, mir etwas zu sagen, sah dabei so ernst aus. Ich verstand ihn nicht. Seine Stimme klang weiterhin verzerrt und fern ab von mir.
Was habe ich nur angerichtet?, dachte ich und schloss entkräftet die Augen.
***
Eigenartige Düfte nahmen meinen Geruchssinn ein. Es roch nach Weihrauch und Holz, aber auch harziger Kräutergeruch schwebte in der Luft.
Bin ich tot?
Ein weißer Rauch verschleierte mir die Sicht, als ich angestrengt meine Augenlider hob und sich mir die Umrisse einer unbekannten Gestalt darboten.
Meine Arme und Beine fühlten sich schwer wie Blei an. Ich fühlte mich wie betäubt, selbst meine Stimme konnte ich nicht dazu bringen, sich zu erheben. Geschwächt schloss ich wieder meine Augen.
Die unbekannte Person legte eine Hand auf meine Stirn und eine auf meine Brust, dann sprach sie etwas in einer mir unbekannten Sprache. Der matten, rauen Stimme nach zu urteilen handelte es sich um eine Frau. Eine alte Frau. Es schien, als ob sie immer und immer wieder ein und denselben Satz von sich gab.
Dann sagte sie langsamer:„Sie hat sich länger geschlagen, als ich gedacht hätte. Wahrlich eine Vollblütige", hörte ich sie in ihrer Sprache sagen und begriff, dass auch ich ihre Sprache verstand. Vielleicht war ich wirklich tot....
„Ich habe nicht geahnt, wie schlecht es ihr geht", hörte ich Dads Stimme. Er konnte sie auch verstehen. "Was sollen wir jetzt machen?"Er klang sehr mitgenommen.
„Sperre Sie ein!"
„Nein! Kommt nicht infrage. "
„Was dann? Soll ich sie vergessen lassen? Oder sie eine Weile ins Traumland befördern?" Ihre Stimme klang belegt und brüchig. Hatte etwas Unzufriedenes im Unterton.
„Würde es ihre Qualen mildern?"
„Was weiß ich! Seh' ich aus wie ein Orakel? Vermutlich nicht. "
„Gibt es denn keine andere Möglichkeit?"
„Der Fluch ist stark. Ich hatte noch nie mit derartigen Kräften zu tun."
„Was soll das heißen?", fragte Dad daraufhin.
„Das, was ich sage! Vielleicht ist es gar kein Abhängigkeitszauber", meinte sie mit rauer Kehle. "Sonst hätte der Trank schon damals seine Wirkung gezeigt."
„Du sagtest, es wirkt nicht, weil sie sich nicht erinnern kann."
„Ich sag' so manches, wenn der Tag lang ist. Wir werden sehen, ob es sich bewahrheitet, falls sie sich jäh wieder erinnert. Was ich arg bezweifle. "
Dad seufzte frustriert auf.
Kurz war es still, dann erklang die fremde Stimme grübelnd: "Mmmmh. Ich könnte noch etwas anderes versuchen. Aber du weißt, der Fluch verbindet sie, wenn er verletzt ist, ich meine schwer verletzt, könnte das Mädchen es vielleicht nicht spüren. Nicht so wie sonst. Du wirst nicht wissen, ob es Elvar gut geht."
"Sie hatte gerade versucht sich das Leben zu nehmen und damit auch Elvars Leben gefährdet. Wenn Mickey mich nicht geholt hätte, dann wären jetzt beide tot. Tu etwas dagegen. Das darf nicht nocheinmal geschehen."
"Also schön, ich schau was ich tun kann." Kleine, pfiffige Schritte entfernten sich sogleich und eilten so schnell wie sie gingen zurück. Daraufhin wurde mir etwas Kleines, aber schweres auf die Stirn und Brust platziert. Es fühlte sich warm an und roch nach Lavendel und noch etwas, was ich aber nicht definieren konnte. Dann verspürte ich eine Hitze, welche sich wellenartig durch meinen ganzen Körper, bis in die Zehen, zog. Die Hitzewallungen brachten ein wohliges Gefühl mit sich.
„Das hätte ich jetzt nicht erwartet, aber es wirkt. Es wird sie auf die Beine bringen und ihren Geist stärken."
„Wie lange? "
„Was weiß ich schon! Vielleicht bis zum nächsten Vollmond, vielleicht ein paar Tage."
„Das ist nicht lange", hörte ich Dad sagen.
„Was hast du erwartet, dass ich ein Wunder vollbringen kann? Komm wieder, wenn es nicht mehr wirkt."
„Immerhin etwas. Ich danke dir für deine Mühen."
„Dankbarkeit?", lachte sie gehässig. „Spar dir deine Dankbarkeit für jemand anderen auf. Ein Gefallen reicht völlig. Und jetzt verschwindet!"
Wage nahm ich noch wahr, wie mein Körper hochgehoben wurde. Knisterndes Laub und rauschende Bäume vereinnahmten meine Sinne. Mich umgab erdige, frische Luft, welche ich in meine Lungen sog.
„Dad, ich ...", murmelte ich benommen. Doch bevor ich den Satz zu Ende bringen konnte, war meine Zunge wie gelähmt. Willenlos schloss ich meine Augen.
***
Mit einem stark dröhnenden Kopf kam ich zum Bewusstsein. Ich war zu Hause in meinem Zimmer, in meinem Bett.
Was ist geschehen?
Meine Zunge fühlte sich taub und pelzig an. Starkes Durstgefühl überkam mich. Am Nachtschränkchen neben mir stand ein großes Glas Wasser. Mit zittrigen Händen nahm ich es und trank dessen Inhalt hastig leer. Etwas wackelig erhob ich mich vom Bett und sah an mir herunter. Ich trug ein graues, kurzärmliges Shirt und eine schwarze Jogginghose. Entgeistert lag mein Blick auf dem linken Unterarm, welcher mit weißer Mullbinde umwickelt war. Ein Bild von Dad rauschte sofort durch meinen Kopf, wie er klitschnass und panisch immer wieder auf mich einredete. Was habe ich nur angerichtet!
Ich hatte mich ins Wasser gestürzt, wollte meinen Leben ein Ende setzen. Dad! Ich musste sofort zu ihm.
Auf der Suche nach ihm ging ich in die untere Etage und wurde zu meiner Erleichterung fündig. Dad war gerade dabei, aus dem Haus zu gehen, hielt die Haustür auf. Draußen war es bereits stockdunkel. Er nahm wohl das Knirschen der Treppe wahr, da er sich überrascht zu mir drehte. Reumütig sah ich ihn an.
„Minnie! Gott sei Dank, du bist wach. Du hast mir einen riesigen Schrecken eingejagt."
Ich hörte die Erleichterung in seiner Stimme, sah ihm an, wie sehr er sich gesorgt hatte. Ich hasste mich für mein egoistisches Handeln. Keinen einzigen Gedanken hatte ich an meinen Vater verschwendet. Ich hatte nur an mich gedacht. Furcht überkam mich bei der Erkenntnis, wozu ich fähig war. Hals über Kopf fiel ich Dad in die Arme. Eine ganze Weile hielt er mich einfach nur fest, während ich stumm mich an ihn klammerte.
„Du kannst dir nicht vorstellen, wie erleichtert ich bin, dass es dir gut geht!", flüsterte er.
„Es tut mir leid!", murmelte ich.„Verzeih mir."
„Ich bin der, der um Vergebung bitten sollte. Ich hätte es wissen müssen", erklärte er und warf einen flüchtigen Blick auf meinen verarzten Arm, welchen ich bereits unter einem dicken Pulli versteckt hielt. "Wie fühlst du dich?"
„Gut, ich fühl mich gut", sagte ich. Und tatsächlich ging es mir gut, wie seit langem nicht mehr, wenn man von den dumpfen Kopfschmerz absah.
„Ich bin erleichtert, dass du wohl auf bist." Sorgenvoll musterte er mich, wirkte aber gleichzeitig nervös. Ich war froh, dass er mich nicht auf die Verletzungen am Arm ansprach.
„Wohin wolltest du um die Zeit, Dad?", fragte ich und späte in die dunkle Nacht hinter der offenen Tür, während die kalte Luft von draußen den Flur weiter erfüllte.
„Ich ... ich habe dir eine Hühnersuppe gemacht. Sie bringt dich auf die Beine. Ich bin bald wieder da", sagte er, ohne auf meine Frage einzugehen.
„Danke. Wohin wolltest du denn?", hakte ich nochmal nach.
„Ich ... will mir nur die Beine vertreten", stotterte er verdächtigt.
„Warte auf mich", sagte ich und nahm meine Jacke vom Garderobenhaken. „Ich komme mit."
„Nein!", sagte Dad lauter.
Irritiert hielt ich inne.
„Du musst zu Kräften kommen. Ruh dich aus. Ich bin bald wieder da", sagte er und knetete seine Hände nervös , dann trat er aus dem Haus.
Verdutzt sah ich ihm nach, als er die Tür hinter sich schloss und mich vor eben dieser stehen ließ. Ein merkwürdiges Gefühl überkam mich. Irgendetwas war hier faul. Er würde mich doch in diesem Zustand nie allein lassen, nur um sich die Beine zu vertreten! Dieser Augenblick erinnerte mich an den mit Liam. An damals, als er mir endgültig den Rücken gekehrt hatte.
Stürmisch riss ich die Tür auf und lief barfuß auf die kalte Veranda hinaus.
„Geh nicht!", rief ich Dad nach.
Zögernd hielt er an.
„Irgendetwas passiert mit mir. Dad! Etwas stimmt nicht mit mir. Lass mich jetzt nicht allein", flehte ich.
Ich sah ihm an, wie schwer es ihm fiel, meiner Bitte nachzugehen.
„Dad!", schrie ich erneut.
Endlich reagierte er, sich einen Ruck gebend und kehrte schnellen Schrittes zurück.
„Mit dir ist alles in Ordnung." Er trat auf die Veranda, zu mir. „Hörst du, mit dir ist alles in Ordnung." Seine Hände umklammerten meine Oberarme.
„Was ist es dann?", fragte ich und wusste beim Blick in sein Gesicht - er hatte die Antwort.
„Es zu erklären, ist schwer."
„Bitte Dad! Versuch es."
Dad sah mich mit einem Blick an, der mir den Boden unter den Füßen zog. „Ich weiß nicht, wie."
„Ich bin es. Du kannst mir doch alles sagen!"
Er schüttelte den Kopf. „Du wirst mir nicht glauben."
„Ich versteh nicht. Dad?! Was geht hier vor? "
Er blickte nervös auf seine Armbanduhr.
„Also gut. Zehn Minuten, wir haben zehn Minuten", antwortete er und ging zurück ins Haus.
Okay, hier wären wir:) waren die 4 verschiedenen Perspektiven verwirrend? Gab es was unlogisches? Vielen Dank fürs Lesen ihr Lieben!!! :)
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