49:
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Ich hatte mir meinen Gaumen verbrannt. Ein abgebissenes Stück des dampfenden Pizzabröchtchens auf der Zunge saß ich mit offenem Mund und vorgehaltener Hand da im Versuch das Brennen zu lindern.
"Alter, lässt du noch etwas für alle Anderen übrig?", wies Embry Quil zurecht, der innerhalb der letzten fünf Minuten fast das gesamte Blech alleine verputzt hatte. Unsere Stimme der Vernunft wandte sich mit einen entschuldigenden Blick an uns.
"Ich entschuldige mich in aller Form für ihn. Sein Magen ist wie ein schwarzes Loch."
Ich hätte beinah mein Essen über den Tisch gespuckt. Seth lachte. Es tat unglaublich gut ihn lachen zu hören.
"Ey, deiner doch auch!", pfefferte er zurück.
"Siehst du mich alles verschlingen?"
Schmunzelnd beobachtete ich die Kabbelleien der Beiden. Embry hatte wirklich versucht sich in Mäßigung zu üben, doch aufgrund von Quils unbändigen Appetit, dem er sich vollkommen hingab, war es umsonst gewesen. Vielleicht nicht ganz. Hätte Embry ebenso zugeschlagen hätten wir Menschen nichts abbekommen. Er musste nach wie vor einen gewaltigen Hunger haben.
Eine Tür knallte lautstark zu. Seth sprang auf, doch seine große Schwester machte im Wohnzimmer keinen Halt. Vom Eingangsbereich lief sie die Treppe hinauf. Eine weitere Tür fiel krachend ins Schloss. Sie hatte nichtmal in unsere Richtung geblickt. Mit hängenden Schultern stand der Junge vor dem Sofa. Er schien mit sich zu ringen, ob er ihr in ihr Zimmer folgen sollte.
"Sollte ich- Wäre es eine gute Idee mit ihr zu reden?", fragte er zögerlich.
Quil und Embry sahen sich an.
"Vielleicht solltest du zuerst Adi zu ihr gehen lassen. Ihr seid beide sehr aufgewühlt. Ein ruhiges Frauengespräch täte ihr möglicherweise gut.", schlug Quil mit überraschend sanfter Stimmlage vor.
Sie wussten von meinem Gespräch mit Sam im Krankenhaus. Also wüsste Leah auch davon. Diese Gedankenübertragung machte einen wahnsinnig. Bei genauerem nachdenken wurde mir bewusst, dass mich das gesamte Rundel in und auswendig kannte auch wenn ich nicht viel von ihnen wusste, weil meine Freunde mich manchmal besser kannten als ich mich selbst. Zweifelnd musterte Seth mich, bis er schließlich augenscheinlich mit leichtem Widerwillen zustimmte. Angesichts von Leahs, verständlicherweise schlechten Laune, stand ich mit einem mulmigen Gefühl in Magen auf. Bevor ich die Treppe in die obere Etage nahm blickte ich über meine Schulter zurück zu den Jungs. Sie sahen mir entgegen. Quil machte eine scheuchende Handbewegung. Ich verdrehte angesichts dessen die Augen. Sicherlich wäre er ebenso wenig scharf darauf sich mit einer emotional instabilen Werwölfin zu unterhalten, aber andererseits wollte ich Leah helfen. Leicht würde sie es mir nicht machen.
Zaghaft klopfte ich an die Holztür.
"Nicht jetzt, Seth!", knurrte es von der anderen Seite.
Zunächst unsicher drückte ich die Klinke herunter und spähte durch einen Spalt in das kleine Zimmer. Leah kauerte auf dem Boden, die Knie an ihre Brust gezogen und die Hände gegen ihren Kopf gepresst. Sie hatte der Tür den Rücken zugekehrt.
"Ich sagte nicht jetzt... ", presste sie zwischen den Zähnen hervor.
Sie wiegte sich hin und her.
"Ich bin nicht Seth."
Unglaublich schnell fuhr sie herum. In einer hockenden Position war sie innerhalb von Sekunden ans andere Ende des beengten Raums geflüchtet. Mit der Wand der Fensterseite im Rücken starrte sie mir entgegen. Wütend funkelte sie mich an, doch darunter, in ihrem verzerrten Gesicht und an den noch nicht getrockneten Tränenspuren unter ihren geröteten, verquollenen Augen erkannte ich ihre Verzweifelung. Ich hob die Hände in die Luft, als sei ich hier diejenige, die sie zerfetzen könnte.
"Verschwinde!", fuhr sie mich an. "Ich brauche dein Mitleid nicht."
Langsam setzte ich mich neben der angelehnten Tür auf den Boden. Der gesamte Raum lag zwischen uns.
"Gut. Denn ich bemitleide dich nicht. Deswegen bin ich nicht hier."
"Ach nein?", spottete sie. "Toter Vater. Seit einigen Stunden ein verdammter Werwolf. Wer könnte dabei nur annehmen du wärst deswegen hier? Ich weiß was Sam und du besprochen habt. Ich höre seine Gedanken. Ich höre all ihre Gedanken. Du verfolgst mich, weißt du das? Die Swans sind scheinbar sehr beliebt. Dein Gesicht muss ich jetzt nicht auch noch vor mir sehen."
Es hätte mich nicht freuen sollen, dass sie sagte ich wäre in ihren Gedanken. Es bedeutete, dass meine Freunde an mich dachten. Vielleicht war es nur Quil, oder vielleicht waren es auch ebenfalls Jake und Embry. Wie dem auch sein sollte musste ich das innere Triumphgefühl unterdrücken. Auch wenn ich mich zumindest mit 2/3 von ihnen wieder halbwegs ausgesöhnt hatte war es schön eine Bestätigung einer unbeteiligten dritten Person zu bekommen. Wenn sie an mich dachten war ich ihnen nie vollkommen egal gewesen. Das war nicht möglich.
"Also willst du dich hier lieber alleine in deinem Zimmer einschließen und alle deine Probleme ignorieren, obwohl sie dadurch nicht verschwinden werden? Von mir aus. Dann machen wir das. Ich werde hier einfach eine Weile sitzen bleiben."
Sie verdrehte genervt die Augen.
"Ich will dich nicht hier haben!"
"Sobald ich erfolglos gehe wird dein Bruder versuchen mit dir zu reden und er wird sicherlich nicht so leicht nachgeben. Wenn du dich dann aufregst... Was ist dir lieber? Vor deinem kleinen Bruder Wort wörtlich aus der Haut fahren und ihn dabei wohlmöglich verletzen, oder meine unerwünschte Anwesenheit zu ertragen? Wir müssen uns nicht unterhalten. Du kannst einfach das weitermachen was auch immer du gemacht hast bevor ich reingekommen bin. Ich bin nicht die schlechteste Gesellschaft."
Erneut erklang ein kehliges Knurren. Nach einer Weile schüttelte sie den Kopf und ließ sich wieder auf ihre vier Buchstaben nieder. Sie schlang ihre Arme, um ihre Beine. Ihren Kopf lehnte sie gegen die Wand in ihrem Rücken. Ich tat es ihr auf meiner Seite des Zimmers gleich. Die Minuten verstrichen. Wir schwiegen uns an. Keiner sagte ein Wort. Ich lauschte den Geräuschen aus dem Erdgeschoss so gut ich konnte. Zwischendurch hörte ich die Jungs sogar lachen was mich dazu brachte in mich hinein zu lächeln. In Zeiten wie diesen hätte Seth keine bessere Gesellschaft haben können. Sie würden nicht zulassen, dass er in seiner Trauer versinken würde, ob er wollte, oder nicht.
"Alles ist laut. Überall.", brach Leah unvermittelt die Stille zwischen uns.
Abwartend sah ich sie an.
"Nicht einmal hier ist es ruhig. Ich habe das Gefühl mein Kopf würde platzen. Selbst wenn dieses Wirrwar an Stimmen verstummt sind da Unmengen an anderen Geräuschen. Vogelgezwitscher, der Wind, der Regen, Schritte, der Krach von unten, die Leitungen, das Holz, all die Herzschläge und dann sind da noch die ganzen Gerüche."
"Deine Sinne fühlen sich an als seinen sie überlastet.", stellte ich fest.
"Ja. Ich halte es nicht aus, aber Sam sagte es gäbe keine Möglichkeit es abzustellen. Meine Sinne seien von nun an geschärft und alles was ich tun könnte wäre es mit viel Übung kontrollieren zu lernen, um unwichtiges besser auszublenden."
"Das wird sicherlich nicht leicht, aber zumindest hast du Personen um dich, die dir dabei helfen wollen."
"Ich will es nicht kontrollieren lernen! Ich will das es aufhört!"
"Keiner von ihnen hat sich das ausgesucht."
"Du verstehst das nicht! Ich kann das nicht! Die Schmerzen... Ich habe gedacht ich würde sterben..."
Gerne hätte ich aufmunternd ihre Hand in meine genommen und sie gedrückt, doch ich traute mich nicht mich vom Fleck zu rühren, zumal sie gerade dabei zu sein schien sich mir zu öffnen.
Auch aus der Entfernung sah ich wie eine einzelne Träne ihre Wange hinabrollte.
"Und Dad... ", sie schluchzte auf. "Es ist alles meine Schuld. Ich habe ihn umgebracht. Es ist meine Schuld."
Sie vergrub ihre Finger in ihren brustlangen, schwarzen Haaren. Ich hielt es nicht aus sie leiden zu sehen. Vorsichtig stieß ich mich von der Wand ab und wollte zu ihr gehen, doch ich war gerade erst auf die Füße gekommen, da riss sie auch schon den Kopf hoch. Sie streckte eine Hand vor sich aus.
"NEIN! Nein, komm nicht näher! Ich will dir nicht weh tun."
Trotz ihrer Warnung und Wissen gegen Sams ausdrückliche Anweisung zu handeln auf Abstand zu bleiben nährte ich mich ihr bedächtig.
"Du willst es nicht, also wirst du mir auch nicht weh tun.", meine Logik hatte ihre Lücken, doch das musste Leah nicht wissen. Wenn ich an sie glaubte würde sie es unter Umständen auch schaffen.
Eine ungefähre Armlänge von ihr entfernt setzte ich mich in den Schneidersitz. Sie krallte ihre Arme in die Ärmel des viel zu großen Männer T-Shirts, welches sie trug. Die Männerkleidung hatte das Rudel wohl bereit gestellt. Die einzige Frau in einem Haufen von riesigen Kerlen zu sein machte die Veränderung sicherlich nicht besser. Unweigerlich fragte ich mich wie es wohl wäre all ihre Gedanken zu hören. Keinerlei Privatsphäre mehr zu haben. Entschlossen suchte ich ihren Blick.
"Du bist nicht Schuld am Tod deines Vaters.", betonte ich langsam und eindringlich. "Er hatte einen Herzinfarkt. Du hättest nichts tun können."
"Er hatte einen Herzinfarkt, weil ich mich vor seinen Augen verwandelt habe! Wie kann es nicht meine Schuld sein?", widersprach sie.
Ich überlegte einen Moment, um meine Worte sorgfältig abzuwägen.
"Seth hat das Gen ebenfalls. Er wird sich ebenfalls verändern.", ihr Gesicht wurde bleich. Daran hatte sie scheinbar noch keinen Gedanken verschwendet. "Harry hatte ein schwaches Herz. Was wenn sich Seth vor dir verwandelt hätte? Was wenn Harry in seiner Gegenwart eine Herzattacke bekommen hätte? Würdest du ihn dafür verantwortlich machen?"
"Natürlich nicht!", ihre Antwort kam unmittelbar. Als sie verstand worauf meine Frage gezielt hatte hielt sie inne.
"Und wieso denkst du es wäre in diesem Fall etwas anderes?"
Sie gab mir keine Antwort. Stattdessen presste sie ihre vollen Lippen aufeinander bis sie zu einer weißen Linie wurden.
"Du hattest recht. Ich fühle mit euch mit. Allerdings gibt es einen Unterschied zwischen bemitleiden und Mitgefühl. Es tut mir leid, was heute passiert ist. Dein Vater war ein toller Mensch. Er hat euch mehr als alles andere geliebt. Es tut mir leid, dass du dich verwandeln musstest, denn mit einem Verlust umzugehen ist emotional mehr als genug zu bewältigen. Ich möchte dir nur anbieten jemanden zum reden zu haben, der die Wahrheit kennt und nicht deine Gedanken lesen kann."
Aus ihren dunklen Augen blickte sie mich an, als versuchte sie aus meinem Gesicht zu lesen. Ich rührte mich nicht, blinzelte lediglich gelegentlich. Die Sekunden verstrichen und ich beobachtete wie sich die Flüssigkeit in ihren Augen ansammelte. Schließlich begann sie schonungslos zu weinen. Ich rutschte zu ihr an die Wand und nahm ihre Hand. Sie lehnte ihren Kopf gegen meine Schulter und auch wenn sie meine rechte Hand zerquetschte hielt ich still. Bei all der Trauer, die sie ausstrahlte konnte ich es nicht verhindern selbst vereinzelte Tränchen zu verdrücken.
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"Könntest du- Es gibt etwas bei dem du mir helfen könntest.", diese Worte rauszubringen fiel ihr schwer. Sie war niemand, der leichtfertig um Hilfe bat.
Erwartungsvoll nickte ich.
"Was kann ich tun?"
Sie zwirbelte eine Haarsträhne um einen ihrer Finger.
"Meine Haare... Sie sind zu lang."
"Sie sehen wunderschön aus, wenn du mich fragst.", teilte ich ihr meine Meinung mit.
Ihre Haare waren samtig, glänzten gesund und hatten Volumen.
"Darum geht es nicht.", ihre zweite Hand fand ihren Weg zu der Haarpracht auf ihrem Kopf. Sie frimelte an ihren Spitzen herum. "Als Wolf... Wenn ich mich... verwandele. Wir alle brauchen kürzere Haare. Hilfst du mir sie abzuschneiden?"
Ich riss die Augen auf.
"Jetzt?"
"Ja, jetzt."
Sie scherzte nicht. Ich hatte mich bereits seit Längerem gefragt was es mit den kurzen Haaren auf sich hatte. Unsicher deutete ich auf meine linke, ramponierte Hand.
"Ich weiß nicht wie gut ich das hinbekomme, wenn man bedenkt, dass ich sowas noch nie versucht habe und zudem leicht eingeschränkt bin. Ich möchte nicht, dass du am Ende aussiehst wie ein gerupftes Hühnchen."
Tatsächlich zuckte einer ihrer Mundwinkel nach oben.
"Du musst nur die Haare an meinem Hinterkopf abschneiden. Dort komme ich selbst nicht gut ran. Es muss auch nicht super akkurat aussehen. Sie sollen einfach nur ab."
Nach wie vor nicht von meiner Kompetenz für diese Aufgabe überzeugt willigte ich ein. Leah half mir mit Schwung auf die Beine. Ich folgte ihr hinaus auf den Flur zum gegenübergelegenen Badezimmer. Sie knipste das Licht an, ehe sie geschäftig begann einen der Schränke zu durchwühlen. Triumphierend holte sie eine rosafarbene Box mit Rosenmuster hervor. Als sie sie auf dem Waschbecken abstellte und den Deckel anhob erkannte ich, dass sie dort Friseurartikel, Haargummis, Haarspangen und weiteres aufbewahrten. Leah legte eine Bürste, einen Kamm und eine Frisuerschere bereit. Ich war froh nicht mit einer Bastelschere an ihren Haaren herumzuschnippeln zu müssen. Das hätte es nicht besser gemacht. Nachdem sie sich ihre Haare ein letztes Mal gründlich durchgebürstet hatte setzte sie zum ersten Schritt an. Ein Büschel schwarzer Haare fiel ins Waschbecken. Mir tat es förmlich weh dabei zuzusehen. Ich berührte meine eignen Haare. Sie waren lang geworden. Das Rot der Strähnen war bereits weiter herausgewachsen. Das dunkle Braun ließ meine Haut noch blasser erscheinen. Trotz der dunklen Augenringe erkannte ich heute eine gewisse Ähnlichkeit zwischen meiner Schwester und mir. Hatte ich abgenommen? Meine Wangenknochen stachen mehr als sonst hervor. Bis auf die Strähnen hatten wir sogar die selbe Frisur. In diesem Moment überraschte es mich nicht mehr, dass Victoria mich zunächst für Bella gehalten hatte.
Leah riss mich aus meinen Gedanken, als sie mir die Schere reichte. Überall um sie herum auf dem Boden lagen ihre Haare. Die Schnittstellen waren unsauber. Ich verzog das Gesicht. Gedanklich nahm ich mir vor mein Bestes zu versuchen, um ihren Haarschnitt ordentlicher hinzubekommen. Da Leah bedeutend größer war als ich bat ich sie sich hinzusetzen. Gefügsam nahm sie ritrlinks auf der geschlossenen Toilettenbrille Platz. Behutsam kämmte ich vor jedem Schnitt ihre Haare durch, bevor ich die Schere ansetzte.
Letzten Endes war ich mit dem Ergebnis meiner Arbeit recht zufrieden. Leahs Haare waren nun kinnlang. Die Frisur wirkte verwegen, doch sie stand ihr. Mit ihren Fingern fuhr sie sich durch ihre kurze Haarpracht.
"Daran werde ich mich noch gewöhnen müssen.", lachte sie leise.
Durch den Spiegel sah sie mich an.
"Vielen Dank."
Ich lächelte.
"Habe ich gern getan."
Geschäftig begann ich alle Utensilien zurück in die kleine, rosa Box zu packen. Wir bräuchten dringend einen Besen, oder einen Staubsauer.
"Weißt du was das Schlimmste ist?"
Verwirrt hob ich den Kopf. Ich wusste nicht genau wovon sie sprach also schüttelte ich den Kopf. Vermutlich war es jedoch sowieso eine rhetorische Frage gewesen.
"Ihn zu hören."
Fragend legte ich den Kopf schief.
"Wen? Sam?", riet ich. Ihre Beziehung zueinander war mir ein Rätsel. Im Krankenhaus hatte er angedeutet, dass die Beziehung zwischen Emily, Leah und ihm schwierig war.
"Ja."
"Ich möchte dir nicht zu nahe treten, aber... was ist zwischen euch passiert, wenn ich fragen darf?"
Sie seufzte, wobei sie den Blick senkte.
"Wir sind zusammen gewesen. In der High School. Hast du das gewusst?"
"Nein. Nein, ich hatte keine Ahnung.", erneut scheute ich mich davor weiter nachzuhaken. Allerdings würde ich lügen, wenn ich behaupten würde ich sei nach ihrer Offenbarung nicht neugierig auf weitere Einzelheiten. Ich wollte alles verstehen. "Wenn ihr eine Beziehung hattet... wie... wie ist er dann mit Emily zusammengekommen? Ist sie nicht deine Cousine?"
"Das ist sie.", sie legte eine kurze Pause ein. "Weißt du was das Wort 'Prägung' bedeutet?"
"Die Jungs haben versucht es mir zu erklären. Sie meinten es sei sowas wie eine Seelenverwandtschaft."
Bedingungslose Liebe hatten sie es genannt.
"Ja, sowas in der Art.", bestätigte sie. "Er hat sich auf meine Cousine geprägt, als wir noch ein Paar waren. Zu der Zeit standen Emily und ich uns noch sehr nah. Sie war meine beste Freundin. Was tut man, wenn dein Freund mit dir Schluss macht, um sich an deine beste Freundin ranzumachen?", sie schnaufte verächtlich.
Das wollte ich mir nicht einmal im Traum vorstellen. An einer Trennung bei der keine andere Frau im Spiel war hatte bereits genug zu knabbern. Die unerwiederten Gefühle für Jake waren ebenfalls kein Zuckerschlecken gewesen. Aber es gab einen Unterschied. Was auch immer ich für Jake empfunden hatte war nicht die große Liebe gewesen. Ich war verknallt gewesen und dann hatte ich Derek kennengelernt. Mit ihm hatte ich einen Abschluss für die Gefühle für Jake gefunden. Unerwartet zog sich mein Herz zusammen. Der Schlag, der auf den Gedanken an Derek folgte trieb mir die Tränen in die Augen.
"Wie lange ist das her?", erkundigte ich mich.
"Eine Weile.", gestand sie.
"Aber du hast es nie verwunden. Du liebst ihn nach wie vor, nicht wahr."
"Ich wünschte ich würde es nicht tun. Und jetzt höre ich immerzu seine Gedanken, die sich fast ausschließlich um Emily drehen."
"Das muss schmerzhaft sein."
"Sollte man annehmen. Doch jetzt wo ich fühle was er für sie empfindet und auch weiß wie sehr er dagegen angekämpft hat... Sie hat ihn abgewiesen. Zunächst. Er hätte sich beinah das Leben genommen. Ich kann ihn nicht dafür hassen nicht mit mir zusammengeblieben zu sein, wenn er solche starken Gefühle für eine Andere hat. Das ist es was mich stört."
"Deine Wut nicht mehr auf ihn lenken zu können."
"Genau! Kein Mensch kann verstehen wie sich das anfühlt. Diese Prägung ist wie... wie eine eigene Anziehungskraft. Wie soll jemand dagegen ankommen?", ein freudloses, beinah hysterisches Lachen entkam ihren Lippen.
Ich stellte mich neben sie. Neben ihr, einer beinah schon exotischen Schönheit, sah ich winzig und blass aus.
"Aber wenn du es positiv zu sehen versuchst hast du jetzt ebenfalls die Chance dich auf jemanden zu prägen. Wie viele Menschen können schon von sich behaupten eine solch allumfassende Liebe empfunden zu haben?"
"Ja, noch eine unerwiederte Liebe tut mir sicher gut.", bemerkte sie sarkastisch.
"Wieso glaubst du nicht, dass deine Gefühle erwiedert werden könnten?"
Mit einem traurigen Lächeln blickte sie zu mir herunter.
"Wie heißt es so schön? Ein gebranntes Kind scheut das Feuer."
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Wie vom Teufel persönlich gerufen stand die Person über die ich noch vor kurzem mit Leah gesprochen hatte im Wohnzimmer, als wir gemeinsam die Treppen nach unten kamen. Er beobachtete uns mit Adleraugen.
"Sam.", ich nickte ihm zu.
Er erwiderte den Gruß wortlos. Seth stand auf und ging auf seine große Schwester zu. Sie schloss ihn in ihre Arme. Die Geschwister waren beinah gleich groß. Von hinten lehnte ich mich gegen die Lehne des Sofa an die Stelle auf der Quil es sich gemütlich gemacht hatte. Bedauerlicherweise hatte ich nicht an Quil mangelndes Taktgefühl gedacht und ich ruinierte den rührseeligen Moment durch meinen Aufschrei, als der Bruder, den ich nie hatte einen seiner Arme um meinen Oberkörper schlang und mich zu sich aus Sofa zog. Rückwärts fiel ich vollkommen unvorbereitet über die Lehne in das Polster. Meine Beine hingen für einige Sekunden in der Luft. Im nächsten Augenblick prustete Quil bereits los. Als Reaktion darauf griff ich nach dem erste Kissen, das ich zu fassen bekam und schleuderte es ihm ins Gesicht. Sein Lachen verklang durch die Überraschung meines Angriffs. Stattdessen stimmten Embry und Seth in meines mit ein. Nachdem ich mich schwerfällig aufgerichtet hatte durfte ich zumindest ein mildes Grinsen auf den Gesichtern von Leah und Sam feststellen. Das war mir mein unfreiwilliger, peinlicher Auftritt wert.
Leider war der Moment der Sorglosigkeit flüchtig. Er verblasste ebenso schnell wie er gekommen war. Sam verschränkte die Arme vor seiner Brust über die sich ein dunkelrotes T-Shirt spannte.
"Ich möchte ungern die Stimmung verderben, doch wir müssen einiges miteinander besprechen. Vorhin war ich bei der Reservatsleitung. Die Mitglieder des Rats haben angeboten die Organisation der Beerdigung zu übernehmen. Wenn sie auf keine unvorhergesehenen Schwierigkeiten stoßen könnte die Beisetzung vermutlich bereits morgen stattfinden. Habt ihr bestimmte Wünsche?", die Frage richtete er an Harrys Kinder.
Das Lachen verstummte. Harrys Beerdigung sollte bereits morgen sein? Mir war bewusst, dass bestimmte Dinge geklärt werden mussten, jedoch wurden allein durch diese eine Frage die Mühen zerstört, die wir in den vergangenen Stunden geleistet hatten, um sie aufzumuntern. Leah und Seth tauschten einen Blick aus. Sie wussten nicht was sie sagen sollten.
"Können wir darüber mit Mom sprechen, wenn sie zurück ist?", bat Seth unsicher.
Sam nickte.
"Natürlich. Allerdings werden uns aufgrund der Kurzfristigkeit nur begrenzte Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Er wird dennoch eine würdevolle, angemessene Beisetzung erhalten.", versprach er.
Die Geschwister nickten stumm.
Mir gefiel die Atmosphäre nicht. Sam schien mit seiner Ansprache noch nicht fertig zu sein. Ich sollte nicht hier sein. Embry und Quil teilten meinen Eindruck.
"Ich denke wir sollten euch alles in Ruhe besprechen lassen. Wir gehen kurz vor die Tür.", bestimmte Embry.
Dankbar für die Chance rauszukommen hieften Quil und ich uns von der Couch. Wortlos folgten wir ihm durch die Terrassentür, die er hinter uns zu schob. In einer Jeans und Emilys Pullover stand ich nun neben zwei kälteresistenen Riesen in der kühlen Märzluft. Der frische Wind ließ mich frösteln auch wenn das Unwetter sich vorerst verzogen hatte. Der Himmel war nach wie vor dunkelgrau. Das Gras war nass. Auch das Holz der Terasse hatte sich vollgesogen. Wie üblich lag der Duft des Waldes in der Luft, den ich gierig in mich aufnahm. Selbst nach den vergangenen Stunden bei den Clearwaters hatte ich den Eindruck der Gestank des Krankenhauses würde noch an mir haften. Ich hatte ihn noch immer in der Nase.
"Nicht das ich mich beschweren will, aber was machen wir solange wir hier draußen rumstehen? Schere, Stein, Papier spielen?", warf Quil fragend ein.
Embry verdrehte die Augen.
"Es geht nicht um uns! Wir geben ihnen lediglich ein wenig Raum für Privatsphäre."
Nachdenklich zog ich die Stirn kraus.
"Könnt ihr sie nicht dennoch hören? Selbst wenn nicht wisst ihr spätestens von allem, wenn ihr euch das nächste Mal verwandelt."
Ertappt blickten beide Richtung Himmel, während sie beinah zeitgleich die Köpfe schieflegten und jeweils einen Mundwinkel nach oben zogen. Ihre Reaktionen verliefen derartig synchron, dass es mich zum kichern brachte. Gespielt empört stemmte ich die Hände in die Hüften.
"Man kann also sagen, dass ich die Einzige bin, die ihnen tatsächlich Privatsphäre lässt.", stellte ich fest.
"Wenn man es genau nimmt...", gab Quil zu.
"Wir suchen uns das nicht aus.", rückte Embry ihre telepathischen Fähigkeiten, sowie das Supergehör ins richtige Licht. "Glaub mir... Es gibt Dinge von denen du lieber nichts wissen willst."
Wie von einer spontanen Kältewelle getroffen, oder als würden tausende von Insekten auf ihm herumkrabbeln schüttelte er sich. Quil lachte.
"Wo er recht hat, hat er recht."
Wie vollkommene Idioten standen wir unter dem kleinen Dachvorsprung von dessen Rand es auf den Boden tropfte.
"Wir könnten spazieren gehen.", schlug ich schulterzuckend vor.
Quil zog die Nase kraus.
"Kannst du vergessen. Gleich kommt wieder was runter. Ich kann es riechen. Uns macht das nicht viel aus, aber du würdest dir den Arsch abfrieren und morgen mit einer Erkältung im Bett liegen."
"Durch's rumstehen wird mir auch nicht wärmer."
"Ist dir kalt?", Embry klang besorgt, als hätte er bisher keinen Gedanken an die für März frostigen Außentemperaturen verschwendet.
Schulterzuckend verschränkte ich die Arme vor der Brust.
"Wie Sommer fühlt es sich nicht an. Meine eingebaute Heizung funktioniert nicht so gut wie eure."
Mittlerweile begann ich zu hoffen, dass wir demnächst wieder ins Haus könnten. Meine Finger wurden allmählich taub, ebenso wie meine Beine, meine Nase und mein Po. Meinen Füßen, die in zu großen Hausschuhen steckten erging es nur geringfügig besser. Immerhin wurde meine linke Hand, bis auf die Fingerspitzen, unter dem Gips warmgehalten. Ein großes Hurra für diesen kleinen Silberstreif am Horizont.
"Warum sagst du das nicht gleich?", grinsend breitete Quil seine Arme aus.
Gleich darauf schnürte seine wahrscheinlich absichtlich kräftige Umarmung mir die Luft ab, doch zugleich umging mich seine Wärme.
"Quil! Luft!", keuchte ich.
Lachend, was eindeutig bestätigte, dass er vorsätzlich mehr Kraft aufgewendet hatte, lockerte er seinen Griff. Ich nutze die Chance und schlang meine Arme um seine Taile. Es war als würde ich einen lebenden, atmenden Heizkörper umarmen. Wohlig schmiegte ich mich an seine Seite.
"Eure Körperwärme ist der Wahnsinn!", schwärmte ich. "Im Sommer halte ich mich von euch fern, aber wenn es kalt ist werde ich euch nicht mehr von der Seite weichen."
"Kein Problem. Ich trage dich Huckepack. Dafür verlange ich allerdings Verpflegung."
"So viel Essen wie du willst.", versprach ich kichernd, wohl wissend auf welche Umkosten ich mich einließ.
"Hey, was ist mit mir?", schmollte Embry.
Mit zusammengekniffen Augen sah ich ihn an.
"Was ist dein Preis?", erkundigte ich mich verschwörerisch.
"Ich mag deine Umarmungen."
Schmunzelnd blickte ich in Quils Gesicht.
"Tja, mein Freund! Sieht aus als hätte ich ein besseres Angebot.", scherzte ich.
Ihm auf die Schulter klopfend trat ich einen Schritt zurück, wodurch die Kälte, vorallem an den Stellen an denen mein Körper zuvor seinen berührt hatte, wie eine Welle über mich spühlte. Quil setzte bereits zu einem scherzhaft gemeinten Protest an, als sein Kopf urplötzlich zum Wald herumfuhr. Embry tat es ihm gleich. Verwirrt starrte ich den Waldrand an und versuchte zu erkennen was sie wahrnahmen. Sahen sie etwas das ich nicht sah? Hörten sie ein Geräusch das ich nicht hörte? Nahmen sie einen Geruch wahr, den ich nicht riechen konnte?
Meine Freunde tauschten einen Blick aus. Dann rannten sie unvermittelt los. Weit abgeschlagen folgte ich ihnen. Sie riefen sich im Laufen Anweisungen zu. Ihre Handlungen wirkten routiniert. Kurz vor der ersten Baumreihe kam Embry zum stehen. Ich brauche noch eine halbe Minute mehr, ehe ich neben ihm ankam. Augenblicklich schob er mich hinter sich. Es bestand keine Chance über seine Schulter hinweg zu sehen, weswegen ich versuchte an seinem Körper vorbei zu spähen, doch alles was ich war war der Wald. In einiger Entfernung meinte ich knackende Geräusche zu hören. Ängstlich vergrub ich eine Hand in Embrys Shirt. Leicht zog ich an dem Stoff, um seine Aufmerksamkeit zu erringen.
"Embry? Was ist hier los?"
"Jake kommt. Etwas hat ihn aufgewühlt."
"Ich dachte ihr könntet die Gedanken des Anderen nur hören, wenn ihr euch verwandelt habt."
"Das stimmt auch, aber wir können ihn riechen. Wenn eine Person unter Stress steht sondert der Körper Stresshormone ab. Quil ist los, um die Lage zu checken."
"Warum bist du ihm nicht hinterher? Jake könnte Hilfe brauchen."
Er drehte sich zu mir um und sah mir eindringlich in die Augen.
"Nachdem was heute mit deiner Schwester passiert ist lasse ich dich nicht alleine! Der Blutsauger könnte noch immer in der Nähe sein und nur auf eine solche Gelegenheit warten. Wenn Jake wirklich Hilfe braucht geben sie mir ein Zeichen."
Mein Gesichtsausdruck fiel in sich zusammen.
"Wovon redest du bitte?", forderte ich zu wissen.
Er zog die Augenbrauen zusammen, während er mich irritiert musterte.
"Du... Du weißt es nicht?"
"Was weiß ich nicht?", meine Stimme wurde lauter. "Was ist mit Bella? Embry, was ist heute mit meiner Schwester passiert?"
Mein Herzschlag spielte verrückt. Eine Übelkeit, die absolut unvorhergesehen kam, stieg meinen Magen hinauf in meine Kehle. Blutsauger... Hatte dieses Monster mit den feuerroten Haaren sie erwischt? War sie...? Mir stiegen die Tränen in die Augen. Das Letzte was ich zu ihr gesagt hatte hatte ich ihr im Streit an den Kopf geworfen. Wir hatten uns noch nicht vertragen. So durfte es nicht zwischen uns enden. Wie in alten Zeiten schien Embry mir meine Gedanken vom Gesicht ablesen zu können.
"Hey! Alles ist gut! Sie ist am Leben.", er umschloss mein Gesicht mit seinen Händen, das zwischen seinen Handflächen beinah verschwand. "Du kannst durchatmen."
Ich hatte nicht bemerkt wie ich begonnen hatte den Atem anzuhalten, bis er es sagte. Im Versuch wieder runterzukommen nahm ich einige tiefe Atemzüge. Mit meinen Fingern umschloss ich Embrys Hände, um sie zaghaft zu lösen. Er leistete keinen Widerstand, allerdings hielt er meine Hände auch weiterhin fest. Seine Wärme war beruhigend.
"Okay... Sie ist am Leben. Gut.", fasste ich erleichtert zusammen. "Kannst du mir bitte sagen was genau geschehen ist?"
"Sie ist heute Morgen von den Klippen gesprungen. Die Strömung war zu stark für sie und sie wäre um ein Haar ertrunken. Jake hat sie aus dem Wasser gefischt und wiederbelebt. Als es ihr besser ging behauptete sie den Blutsauger gesehen zu haben. Wir waren auf der Suche nach ihr, als wir plötzlich Leahs Stimme hörten."
"Als sie sich das erste Mal verwandelt hat."
"Genau.", bestätigte er seufzend. "Wir sahen wie Harry in sich zusammensackte. Sam gab uns Anweisungen und wir teilten uns auf. Jake blieb bei Bella, wir patrolierten auf unserem Territorium, während Sam zu den Clearwaters ging. Nachdem Leah sich erneut verwandelte und Sam ihr hinterher musste baten Quil und ich darum auf ihre Familie und dich aufpassen zu dürfen. Es war gut, dass du ins Krankenhaus gefahren bist. Dich bei Derek zu bewachen wäre schwerer gewesen."
Ich trat einen Schritt zurück, wobei ich die Arme vor der Brust verschränkte.
"Woher weißt du, dass ich bei Derek war?", fragend hob ich eine Augenbraue.
Seine rechte Hand wanderte in seinen Nacken. Er sah an mir vorbei.
"Ich habe dich... Okay!", er warf die Hände in die Luft. "Ich habe dich beobachtet. Du dachtest doch nicht, dass wir nicht ein Auge auf dich haben würden, oder?"
"Dein Unterricht fängt zur selben Zeit an wie meiner. Wie konntest du überhaupt dort sein und dennoch rechtzeitig in deiner ersten Stunde sitzen?"
Seine Augen hafteten am Boden. Ich Begriff was los war.
"Embry?! Wie lange warst du nicht mehr in der Schule?", empörte ich mich.
"Seit du angegriffen wurdest.", gab er kleinlaut zu.
"Zwei Tage nicht zum Unterricht zu gehen ist doch nicht deine Art. Du musst mich nicht rund um die Uhr beschützen."
"Genau das dachte Jake auch von Bella und im nächsten Moment stürzt sie sich von einer Klippe. Es ist gut, dass ich auf dich aufgepasst habe.
"Das nennt sich Stalking, mein Lieber.", klärte ich ihn auf.
"Nenn es wie du willst. Ich bin gerne der Buhmann, wenn das bedeutet, dass du nicht das Mittagessen von einem dreckigen Vampir wirst."
Ich verdrehte die Augen. Seine Sorge um mich war rührend. Ich fand es süß, dass er sich um mich kümmern wollte, mich beschützen wollte. Allerdings gefielen mir seine Methoden nicht. Mich auf Schritt und Tritt zu verfolgen durfte keine Lösung sein.
"Du wirst mich nicht mehr heimlich beobachten!", befahl ich entschlossen. "Das ist absolut gruselig und unangemessen. Wir sind Freunde. Du kannst ganz einfach direkt zu mir kommen. Allerdings setzte ich auch Grenzen fest! Du wirst versuchen mit deinem Supergehör keine privaten Gespräche zu belauschen, ebenso hörst du bitte weg, wenn ich im Badezimmer bin. Mir wäre es sehr lieb in Ruhe auf die Toilette gehen und unter der Dusche singen zu können. Und, jetzt kommt das Wichtigste, du wirst dir ab und an frei nehmen. Schlaf Nachts! Ruh dich aus! Geh zur Schule! Ich komme klar und ich weiß, dass ihr für mich da seid, wenn ich Hilfe brauchen sollte. Deal?"
Er grummelte.
"Habe ich denn eine andere Wahl?"
"Nein."
Er hatte keine Gelegenheit mehr noch etwas diesbezüglich zu sagen, ich hätte auch nicht mit mir verhandeln lassen. Jake und Quil kamen aus dem Wald gejoggt. Quils trug sein Shirt nicht mehr. Diese Jungs hatten einen Kleiderverschleiß, der ungeheuerlich war. Ich fragte mich unwillkürlich, ob sie in den Wäldern Hosen versteckt hatten. Könnten sie sich nicht die Zeit nehmen sich vor der Verwandlungs auszuziehen? Was sagten ihre Eltern dazu, wenn sie andauernd ihren gesamten Kleiderschrank zerfetzten?
Mir war bewusst, dass dieser banale Gedanke mich nur von der Sorge ablenken sollte und von der Enttäuschung, als ich Jake sah. Er hatte meine Schwester gerettet, wofür ich ihm dankbar war, doch er hatte es nicht für nötig gehalten mir Bescheid zu sagen. Embry war davon ausgegangen ich wüsste es. Hätte Jake es mir sagen sollen, oder vielleicht Sam, oder Leah? Weswegen hatte mich niemand eingeweiht?
Der Ausdruck auf Jacobs Gesicht jagte mir Angst ein. Nichts ließ mehr auf sein zartes Alter von sechzehn Jahren schließen. Auf seiner Stirn zog der Zorn eine tiefe Falte. Sein gesamter Körper bebte. Nach allem was ich wusste waren dies eindeutige Anzeichen von Gefahr, die von ihm ausging. Instinktiv hielt ich mich hinter Embry.
"Was ist los?", rief er den Zweien entgegen ohne sich von der Stelle zu rühren.
Kaum einen Meter von uns entfernt hielten sie schließlich an. Quil warf Jake einen Blick zu, als wollte er sicher gehen, dass dieser sich unter Kontrolle hatte. Sobald er mich erblickte verringerte sich das Beben, das ihn schüttelte. Er atemte tief und deutlich hörbar aus.
"Sie sind zurück. Es ist mindestens einer von ihnen."
"Wenn das so ist können wir die Menschen in Forks nicht mehr beschützen. Wir dürfen nur innerhalb des Reservats jagen.", bemerkte Embry schockiert.
Fassungslos sah ich zwischen den drei Jungs hin und her.
"Wollt ihr damit sagen Victoria ist zurück und ihr habt vor ihr all diese Menschen zum Fraß vorzuwerfen? Die Menschen zu beschützen war doch bisher kein Problem für euch. Was ist mit meinem Dad? Was ist mit Bella? Was ist mit meinen Freunden und all den anderen Unschuldigen? Wenn ihr sie nicht aufhaltet, wer soll es dann tun?", empörte ich mich.
Jake biss die Zähne zusammen.
"Nicht diese Rothaarige... Die Cullens. Bella hat Carlisle Wagen in ihrer Einfahrt erkannt, als ich sie nach Hause bringen wollte.", er stoppte. Bedauernd, mit einem ängstlichen Ausdruck in den Augen suchte sein Blick den meinen. "Sie haben sie. Es tut mir so leid. Ich wollte sie wegbringen, aber sie hat sich geweigert. Sie hat mich so wütend gemacht und dann bin ich... weggerannt."
"Du hast sie alleine gelassen?!", entsetzt klappte mir die Kinnlade auf.
Zerknirscht drehte sich Quil zu mir.
"Die Quileute haben mit den Cullens einen Vertrag. Sie dürfen kein Fuß auf unser Land setzten und keine Menschen verwandeln. Dafür haben wir geschworen sie nicht zu jagen, oder uns innerhalb ihres Gebiets zu verwandeln. Wäre Jake geblieben und hätte sich verwandelt, oder hätte sie angegriffen wäre das ein Vertragsbruch gewesen. Er hat das Richtige getan."
"Wenn es einer der Cullens ist... Sie werden ihr doch nicht weh tun, oder?", krächtzte ich.
Auf meine Frage folgte ein kollektives Schweigen.
Ich schüttelte den Kopf.
"Ich muss zu ihr!", beschloss ich.
"Um was zu tun? Nein! Kommt nicht in Frage!", Jake schien bereit mich Notfalls über seine Schulter zu werden und in einem der Häuser einzusperren.
"Ich weiß, dass ich nichts gegen einen Vampir ausrichten kann, aber vielleicht kann ich Dad und sie überzeugen hier her zu kommen."
"Super Idee!", bemerkte er sarkastische. "Bringen wir dich gleich auch noch in Gefahr! Du bleibst hier!"
"Du hast nicht das Recht mir Befehle zu erteilen!", pfefferte ich zurück.
"Da lebensmüde Entscheidung in der Familie zu liegen scheinen habe ich das sehr wohl!"
"Ach, du kannst mich Mal, Jake!"
Wann war er ein solcher Arsch geworden? Quil ging dazwischen, während Embry mich versuchte davon abzuhalten auf Jake loszugehen. Er hatte einen Arm um meine Taile geschlungen, wodurch für mich keine Chance bestand dem kommandierenden Idioten vor mir die Augen auszukratzen, oder ihm eine zu fassen. Seine Selbstgefälligkeit war zum kotzen, doch nach einigen Sekunden und einem Blick auf meine eingegipste Linke erkannte ich, dass Embry mir einen Gefallen tat indem er nicht zuließ, das ich mich erneut verletzte. Mir würde ein Angriff bei weitem mehr Schaden als dem den ich angriff. Nachdem ich aufhörte wie wild zu zappeln ließ Embry mich zögerlich los. Schnaubend stemmte ich die Hände in die Hüften.
"Du redest seit Ewigkeiten nicht mehr mit mir und jetzt machst du dir urplötzlich Sorgen um mich? Also bitte! Wenn dir wirklich etwas an mir liegen würde hättest du dich mit mir aussprechen können nachdem ich hinter euer großes Geheimnis genommen bin. Ich bin nicht die stellvertretende Jungfrau in Nöten, wenn du Bella gerade nicht retten kannst. Ich werde Dad anrufen und versuchen heute Nacht hier zu bleiben, aber ganz sicher nicht deinetwegen."
Vielleicht könnte ich zumindest Dad und mich in Sicherheit bringen.
~°~
Müde rollte ich mich auf die Seite. Bereits seit Stunden hätte ich Schlafen sollen, doch ich fand keine Ruhe. Ich lag auf deinem Futon in Leahs Zimmer. Dad schnarchte unten auf der Couch im Wohnzimmer vor sich hin. Ich fühlte mich fürchterlich. Charlie hatte Sue nach Hause gefahren, wodurch ein Anruf unnötig geworden war. Ich hatte den Tod von Harry als Vorwand genutzt, um bleiben zu dürfen. Ich war ein fürchterlicher Mensch. Morgen früh würde bereits die Beisetzung stattfinden, weswegen ich nichtmal in die Schule müsste. Hatte ich Harry überhaupt nah genug gestanden, um das Privileg zu haben um ihn zu trauern? Machte mich sein Tod traurig? Definitiv. Allerdings war das Schlimmste für mich zu sehen was der Verlust mit meinem Vater und seiner Familie anrichtete. Mir drehte sich bei dem Gedanken an all die schwarz gekleideten Menschen, die bedrückte Stimmung und den leisen, genurmelten Beileidsbekundungen, die ausgetauscht werden würden der Magen um.
Meine Schwester war vielleicht schon tot. Möglicherweise lag sie irgendwo ausgesaugt in unserem Haus, während ich mir Gedanken machte was morgen auf mich zukommen würde. War es wirklich einer der Cullens? War es Edward? Wenn dieser Krümmel von einem Moskito wieder zurück war würde ich einen Weg finden, um ihm die Hölle auf Erden zu bereiten für das was er Bella angetan hatte. Sie wäre seinetwegen beinahe zerbrochen.
Murrend rappelte ich mich auf. So konnte es nicht weiter gehen. Ich brauchte frische Luft. Ich trug nichtmal meine eigene Kleidung. Leahs Schlafsachen waren zu groß für mich und das obwohl sie eine Modelfigur hatte. Unser Größenunterschied war das Problem. Im Erdgeschoss gab ich mir Mühe Dad nicht aufzuwecken. So leise wie möglich schlüpfte ich barfuß in meine Schuhe und schnappte mir seine Jacke vom Garderobenharken. Durch die Terassentür, die ich später leicht wieder würde aufschieben können verließ ich das Haus. Sobald ich das erste Mal ausatmete schwebten weiße Schwaden von meinen Lippen hinauf in die dunkle Nacht. Der Mond stand hell am Himmel, jedoch steuerte bereits eine gewaltige Wolkenmasse auf ihn zu und würde ihn alsbald verdunkeln. Ich zog den Reißverschluss der Jacke bis zum Kinn hoch.
"Kannst du nicht schlafen?"
Die raue, tiefe Stimme erklang vollkommen ohne Vorwarnung. Ich zuckte zusammen. Meine Augen suchten im Dunkeln nach einer Gestalt, die ich schließlich am Rand der Terasse sitzen sah.
"Heilige...! Du hast mich erschreckt."
Ein leises Lachen entkam seinen Lippen. Meine Nackenhaare stellten sich auf. Ich kannte dieses Geräusch nur allzu gut.
"Habe ich gemerkt. Dein Herz schlägt immernoch wie verrückt."
"Wie schön, dass du dich amüsierst. Was machst du überhaupt hier?"
"Naja, du hast Embry doch gesagt er solle sich ausruhen. Ich übernehme für ihn den Wachdienst."
Für einen Moment verharrte ich, dann nährte ich mich ihm. Ich ging sicher, dass die Jacke meinen Po bedeckte, bevor ich mich auf das nasse Holz neben ihn setzte. Gemeinsam starrten wir geradeaus ohne die richtigen Worte zu finden.
"Ich kann immernoch nicht glauben, das ihr nie friert. Es ist eisig hier draußen."
"Pheonix ist es in der Tat nicht, aber es könnte schlimmer sein. Glaub mir, die Sommer werden dich enttäuschen."
"Ich habe bereits einen erlebt. Schon vergessen? Inzwischen ist unser Umzug über ein Jahr her."
Er atmete geräuschvoll aus.
"Es ist verrückt. An manchen Tagen könnte ich schwören wir wären hier zusammen aufgewachsen. Dabei waren wir nicht im selben Bundesstaat."
"Geht mir genauso."
Ich friemelte mit meinen Fingern einen kleinen Kieselstein aus den Rillen zwischen dem Holz, der sich dort festgesetzt hatte. Gedankenverloren warf ich ihn.
"Du kannst nach wie vor nicht werfen.", bemerkte Jake amüsiert.
Gespielt beleidigt knuffte ich ihm in die Seite. Wir lachten.
"Es tut mir leid, Adi. Alles was ich getan habe. Du hattest das- Nein, du hast das nicht verdient und du hast absolut recht, wenn du mich jetzt für ein Arschloch hälst."
"Oh das tue ich!"
Er ließ die Schultern sinken.
"Aber zu deinem Glück vertrete ich die Meinung, das selbst manche Arschlöcher noch eine zweite Chance verdienen."
"Wirklich?", seine scheinbar schwarzen Augen funkelten, als er mich ansah. Für einen Augenblick erkannte ich den Jacob, den ich kannte. Meinen Jake.
Ich nickte.
"Wirklich."
Er schien einen Moment lang unsicher zu sein, doch dann umarmte er mich flüchtig von der Seite. Leise Lachend umschlang ich seinen Arm mit meinen und tätschelte ihn leicht bis er mich wieder los ließ.
"Danke, Adi. Wirklich. Das habe ich nicht verdient."
"Stimmt, aber was soll ich sagen? Ich bin von Natur aus großzügig."
Grinsend verdrehte er die Augen.
Was zwischen uns gewesen war, die ganzen Streitereien, war für mich nach wie vor präsent, doch ich erkannte ebenfalls wie schlecht es ihm ging. Durch die Entschuldigung war er mir entgegen gekommen. Das war ein Anfang.
"Die Sache mit Bella macht dich ziemlich fertig, was?"
"Ja.", seine Stimme brach. Er räusperte sich.
"Willst du mir davon erzählen?"
Zweifelnd sah er mich an.
"Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee wäre. Zwischen euch beiden lief es in letzter Zeit, doch auch nicht unbedingt rosig."
"Jake, wir sind Geschwister. Streitest du dich nie mit Rebecca, oder Rachel?"
"Gutes Argument.", gab er zu.
Schließlich lehnte er sich seufzend zurück.
"Sie macht mich wahnsinnig.", begann er. "In einem Moment denke ich sie könnte mich wohlmöglich wirklich mögen und im nächsten pocht sie wieder auf unseren Altersunterschied und behandelt mich wie ein kleines Kind."
"Sie ist achtzehn, Jake. In einigen Jahren spielen zwei Jahre vielleicht keine Rolle mehr, aber jetzt machen sie für sie vermutlich einen Unterschied. Du kannst keine Gefühle erzwingen. Gib ihr Zeit!"
"Das tue ich bereits seit Monaten!", er warf seine Arme in die Luft. "Dann kam das mit meiner Verwandlung und... Ich weiß nicht. Ich dachte wir hätten etwas. Das da etwas entstanden wäre zwischen uns, doch jetzt klopft einer dieser Blutsauger an ihre Tür und sie fällt ihnen jauchzend um den Hals. Wieso? Wieso kann sie nicht sehen wie gefährlich sie sind?"
"Weil ihr Herz ihr etwas anderes sagt.", ich nästelte an einem nassen Grashalm herum. "Ich bin auch nicht überzeigt davon, dass sie harmlos sind, aber das liegt wahrscheinlich daran, dass mich eure Meinungen bereits geprägt haben. Ihr seid Werwölfe Herr Gott nochmal! Alles was ich gelesen habe, was ich im Fernsehen gesehen habe wollte mich davon überzeugen ihr wärt böse, blutrünstige Wesen, die bei Vollmond Amok laufen würden. Dennoch sitze ich hier in den frühen Morgenstunden neben dir und fürchte mich nicht vor euch. Hätte ich euch vorher nicht gekannt wäre die ganze Sache bestimmt anders gelaufen. Was ich damit sagen will ist, dass sie bereits ihr Vertrauen haben und irgendwas müssen sie ja wohl richtig gemacht haben, um es sich zu verdienen. Vielleicht sind wir im Unrecht und diese ganzen Legenden entsprechen nicht der Wahrheit."
Kopfschüttelnd hob er die Augenbrauen.
"Glaubst du das wirklich?", sein Ton klang abfällig.
Ich zuckte mit den Schultern.
"Ich weiß es nicht, aber kein Mensch ist wie der Andere. Wieso sollte es bei anderen Spezies nicht ebenso der Fall sein? Abgesehen davon, wer im Glashaus sitzt sollte nicht mit Steinen werfen. Ansonsten kreuzen hier bald noch wütende Mobs mit Mistgabeln, Fackeln und mit Silberkugeln geladenen Revolver auf."
"Normale Kugeln würden schon genügen."
Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde ich wäre nicht enttäuscht.
"Ernsthaft?"
"Na klar. Wir sind nicht Superman. Keiner von uns ist kugelsicher."
~°~
Harrys Beerdigung würde in einer Stunde beginnen. Jacob, Embry und Jared waren vor wenigen Minuten losgefahren, um Bella abzuholen und mir ein angemessenes Kleid von Zuhause zu holen. Ich hatte mitkommen wollen, doch schließlich gegen das Rudel verloren. Keiner von ihnen hielt es für eine gute Idee, zumal sie sich nicht verwandeln durften. Jetzt saß ich auf der geschlossenen Toilettenbrille und ließ mir von Leah die Haare flechten. Nachdem ich heute Morgen zurück in ihr Zimmer gekommen war hatte ich sie weinen hören. Sie hatte einen Albtraum gehabt und den Tod ihres Vaters erneut erlebt. Ich hatte mein Bestes gegeben sie zu trösten, doch keine von uns hatte in dieser Nacht mehr Schlaf gefunden. Sie hatte darauf bestanden sich ablenken zu müssen. Nachdem wir in aller Frühe ein opulentes Frühstück für alle vorbereitet hatten hatte sie noch das Wohnzimmer aufgeräumt und dabei meinen Dad von seinem Schlafplatz verscheucht. Nach dem Essen kümmerten wir uns nun um unser äußeres Erscheinungsbild. Ihr schien es zu Helfen etwas zu tun zu haben, sich abzulenken, weswegen ich nicht widersprach. Erstaunlich geschickt zauberte sie eine Frisur nach der Anderen verwarf ihre Kreationen jedoch sofort wieder. Ich starrte die Kacheln vor mir an, während sie erneut meine Haare flocht, als unten das Telefon klingelte. Ich versuchte dem Geräusch keine weitere Beachtung zu schenken. Bereits in den frühen Morgenstunden hatten Freunde und Bekannte der Familie angerufen. Die Nachricht von Harrys Tod hatte schnell die Runde gemacht. Es würde mich nicht wundern heute sämtlichen Bewohnern von La Push zu begegnen. Ein zaghaftes Klopfen an der Tür riss mich aus meinen Gedanken. Sue, der man ansehen konnte, dass sie sich die ganze Nacht lang die Augen aus dem Kopf geweihnt hatte schob ihren Kopf durch die Tür.
"Tut mir leid euch zu störten, aber hier ist ein Anruf für dich, Adi."
Verwundert sahen Leah und ich uns an.
"Für mich?"
Wer würde bei den Clearwaters anrufen, um mich zu erreichen?
"Ja, es ist Jake. Er meinte du würdest nicht an dein Telefon gehen, aber es sei dringend."
Ungelenk erhob ich mich, um den Hörer entgegen zu nehmen. Leah ließ die Strähnen meiner Haare los, wodurch sich die Frisur teilweise löste. Nach einem abwechselnden Blick auf die Clearwaterfrauen hielt ich mir das Gerät ans Ohr.
"Hallo?"
"Adi?", mein Name klang durch die Leitung wie ein Schlurzen.
Mir rutschte das Herz in die Hose.
"Jake? Weswegen rufst du an?"
Die Unsicherheit packte mich. Ich presste das Telefon gegen mein Ohr.
Ich hörte ein Knistern und etwas das klang wie ein Schniefen.
"Adi?", fragte plötzlich eine andere Stimme. "Hier ist Embry."
"Sagst du mir jetzt bitte was los ist? Wieso bringt Jake keinen geraden Satz heraus?"
Er seufzte und ich wollte ihn anschreien, dass er endlich mit der Sprache rausrücken sollte.
"Bella ist mit Alice Cullen weggefahren. Wir wissen nichts genaueres, aber es klang nicht so als hätte sie vor dieses Mal zurückzukommen."
Mein Herz setzte für einen Schlag aus.
~°~
Jakes und meine Tränen waren bei der Beerdigung niemandem aufgefallen. Viele hatten geweint, lediglich hatten sie es aus einem anderen Grund getan. Bella war fort. Sie hatte Charlie und mich verlassen. Vor der Beerdigung war nicht viel Zeit geblieben mich auf den neusten Stand zu bringen, doch Jake hatte mir die Nachricht überbracht, die sie auf eine Seite des Blocks geschrieben hatte, den wir immer für unsere Telefonnotizen benutzten.
'Dad. Ich bin mit Alice unterwegs. Edward steckt in Schwierigkeiten. Du kannst mir Hausarrest verpassen, wenn ich wiederkomme. Ich weiß, dass es der falache Moment ist. Adi, es tut mir leid, dass wir uns gestritten haben. Du hattest recht. Ich hätte ehrlich zu dir sein sollen. Verzeiht mir. Ich liebe euch. Bella.'
Das war es. Das waren ihre Abschiedsworte gewesen. Hätten die Dinge anders gelegen, wäre sie nur mit ihrer Freundin losgezogen, um ihrem menschlichen Ex hinterherzujagen und zu verhindern, dass dieser irgendwelchen Mist verzapft hätten diese Worte mir unter Umständen genügt, doch weder Edward noch Alice waren Menschen. Sie versuchte ganz andere Probleme zu lösen, Probleme, die zu groß für sie waren. Jake meinte Alice hätte von einer Vampirelite gesprochen, die Edward bitten wollte sein Leben zu beenden, da er dachte Bella sei tot. Das war mir zu viel. Das hier war keine Teenager Tragödie im Fernsehen, sondern mein Leben und das Leben meiner Schwester. Wie konnte er dermaßen dumm sein? Wenn er schon meinte sein Leben beenden zu müssen, da er nicht mit der Frau zusammensein konnte, die er auch so sehr liebte, obwohl er sie verlassen hatte, konnte er sich nicht wenigstens vergewissern, das sie wirklich tot war? Stattdessen brachte er sie erneut in Gefahr, da sie sich ohne nachzudenken ihm nach ins Verderben stützte. Es schien mir als würde diese Familie uns nur Unglück bringen. Diese beiden, liebeskranken Turteltauben waren der Beweis, das manche Menschen tatsächlich so dämlich wie Romeo und Julia sein konnten.
Was würde Dad tun, wenn Bella nicht zurück käme, wie sie es in ihrer Notiz angedeutet hatte? Sie hatte die Zeilen vermutlich geschrieben, ohne groß darüber nachzudenken. Eine Rückkehr war keineswegs garantiert. Ein Clan von Vampiren war bereits tötlich, aber die.... Ich suchte nach dem Wort. Wie hatte Jake sie genannt? Volturi? Die Volturi waren die Oberliega.
Volturi... Dieses Wort spukte in meinem Kopf umher. Das Rudel hatte mir versichert, dass sie nicht wussten wo diese Vampirelite ihren Sitz hatten. Es gab nichts was sie tun konnten und selbst wenn wäre es unverantwortlich das Leben aller Wölfe aufs Spiel zu setzten, um einen Menschen zu retten, der nicht gerettet werden wollte. Die Volturi aufzusuchen war Bellas Entscheidung gewesen.
Jake, der neben mir auf dem Sofa in Sams Haus saß, sah aus wie ein geprügelter Hundewelpe. Er hatte bitterlich geweint. Noch immer tropfte hin und wieder eine Träne seine Wange hinab. Mit ihrem Verschwinden hatte Bella ihm das Herz gebrochen. Sie hatte sich für Edward entschieden. Erneut. Ein Teil von mir wollte deswegen wütend auf sie sein, doch dafür blieb kaum Platz. Mir war nur allzu gut bewusst, dass man keinen Einfluss darauf hatte wen man liebte und wen nicht. Ansonsten hätte ich mich vor einigen Monaten nicht der Folter ausgesetzt Jake zu mögen, wenn er auf meine Schwester stand. Nur weil ich ihn gehen ließ, um meinetwillen und damit sie und er zueinander finden konnten bedeutete nicht, dass beide bei diesem Plan mitspielen würden. Der Teil meiner Gedanken, der sich nicht damit auseinandersetzte machte sich ungemein Sorgen. Die Jungs waren schlau gewesen uns hier her zu verfrachten, um sicherzustellen, dass keiner von ins Mist bauen würde.
Ich hatte Emily ihren Pullover zurückgegeben. Im selben Kleid, das ich zur Beerdigung getragen hatte, lehnte ich an Jakes Schulter, während wir Löcher in die Luft starrten. Ich wusste, dass es spätestens heute Abend an der Zeit wäre Dad von Bellas 'Ausflug' zu erzählen. Er würde ausflippen und ich konnte es ihm nicht verübeln.
"Ich kann nicht glauben, dass es nichts gibt was wir tun können.", murmelte ich gedankenverloren.
Jake fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht.
"Aber so ist es. Sie ist weg."
"Und was machen wir jetzt? Hier sitzen bis sie wiederkommt?"
"Falls sie wiederkommt.", erinnerte ich mich. "Vielleicht ist sie dann auch einer von ihnen."
"Du meinst... "
"Ein Blutsauger."
"Wie wird man eigentlich zu einem? Lykantropie ist genetisch bedingt. Ist das bei Vampiren ebenfalls so, oder kann jeder einer werden?"
Ich musste mich ablenken. Das war nicht das beste Thema, aber es gab mir zu denken.
"Beißt ein Vampir einen Menschen wird dieser auch einer. Das ist alles was ich weiß."
"Aber... Tut das weh? Was können sie überhaupt alles? Sie sind stark, schnell, können anscheinend Sonnenlicht ab auch wenn ihre Haut es reflektiert. Sie sind so schnell wie ihr.-"
"Wir sind schneller.", unterbrach er mich forsch.
Ich verdrehte die Augen.
"Natürlich. Was weißt du noch über sie?"
Ihm gefiel es ganz und gar nicht über seine Erzfeinde zu sprechen. Die Unterbrechung durch Jared, der durch die Haustür gestürmt kam kam ihm gerade recht. Wir sprangen auf.
"Seth hat sich verwandelt. Wir dachten das willst du vielleicht wissen."
Jetzt war bereits Seth an der Reihe. Ich hatte gedacht ihm wäre noch ein wenig mehr Zeit geblieben. Der Stress durch den Tod seines Vaters hatte mit Sicherheit nicht weitergeholfen.
"Soll ich zu euch stoßen?", erkundigte er sich pflichtbewusst.
Er suchte nur nach Zerstreuung, um nicht an Bella und sein gebrochenes Herz denken zu müssen. Jared sah ebenfalls nicht überzeugt aus.
"Nichts für ungut, Mann, aber der Kleine braucht nicht noch deine sehnsüchtigen Gedanken an Bella. Die haben uns in den ersten Wochen schon wahnsinnig gemacht. Gib ihm zumindest ein paar Stunden, um mit allem klarzukommen."
Mit diesen Worten verschwand er auch schon wieder und ließ uns zurück.
~°~
Es sollte nicht bei einem Tag bleiben. Das Gespräch mit Dad war die Hölle gewesen. Er war durchgedreht und hätte beinahe Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um seinen kleinen Schatz zu finden. Ich hatte alle Hände damit zu tun gehabt ihm klarzumachen, dass er ebensowenig wie ich etwas ausrichten konnte. Bella war inzwischen volljährig was bedeutet, dass sie rein rechtlich gesehen hingehen konnte wohin sie wollte. Inzwischen war ich mir recht sicher, dass sie sich nicht mehr in den Vereinigten Staaten von Amerika befand. Bei meiner Recherche nach den Volturi stieß ich lediglich auf ein vielversprechendes Suchergebnis. Online gab es eine Website für Touristen über die Stadt Volterra in Italien, welche Vampire in ihrer Stadtgeschichte erwähnte. Ironischerweise feierten die Bürger ausgerechnet in diesen Tagen die Befreiung der Stadt von den Vampiren. Das waren mir zu viele Zufälle. Zwischenzeitlich war ich kurz davor gewesen mein Sparbuch zu plündern und einen Flug zu buchen. Hätten Jake, Embry, oder Quil nicht andauernd in meinem Zimmer gesessen und mir über die Schulter gesehen hätte ich der Versuchung wahrscheinlich nachgegeben.
Dad zwang mich tatsächlich weiterhin zur Schule zu gehen. Die Schulstunden flogen an mir vorbei und ich war jedes Mal überrascht, wenn ich nach Stundenende auf meinen Block schaute und Notizen entdeckte.
Auch wenn ich mir vorgenommen hatte erst nach einer Woche durchzudrehen befürchtete ich bereits nach zwei Tagen das Schlimmste. Seine Sorge um Bella projezierte Jake unnötigerweise auf mich. Ich musste nicht mehr selbst zur Schule fahren, da ich jeden Tag hingefahren und abgeholt wurde. Zunächst hatte ich protestiert, doch er hatte nicht nachgegeben und schließlich wollte ich nicht der Grund dafür sein, dass wir Beide zu spät kämen. Meine Mitschüler zerrissen sich bereits die Mäuler. Kaum war ich nicht mehr mit Derek zusammen hing ich mit einem mysteriösen, gutaussehenden Riesen zusammen, der nicht auf unsere Schule ging. Ich zog den Kopf ein, versuchte das Gemurmel auszublenden, während ich mir sagte, dass die Gerüchte aufhören würden sobald Bella zurückkehren würde. Meine verschwunde Schwester, die aus der Versenkung auftauchte wäre viel spannender für sie, als mein nun nicht mehr vorhandenes Liebesleben.
Derek hatte ich nicht mehr gesehen seit er mich zum Krankenhaus gefahren hatte. Selbst sein Bruder ging mir aus dem Weg, obwohl er absolut scharf darauf zu sein schien mich wegen Bella auzufragen. Ein einziges Mal erkundigte sich Angela nach meiner Schwester woraufhin ich behauptete sie hätte wegen einem familiären Problem zu unserer Mutter fliegen müssen. Angela hatte genug Abstand, um nicht weiter nachzuharken. Von all ihren Freunden mochte ich sie am liebsten. Jessica blühte in Bellas Abwesenheit richtig auf. Sie genoss die Aufmerksamkeit, die ihr nun zu Teil wurde und sie schien auch die treibende Kraft hinter allen möglichen Gerüchten zu sein. Wieso sich Bella jemals mit dieser Schnäpfe abgegeben hatte war mir ein Rätsel. Ich bemerkte die besorgten Blicke meiner Freunde beim Essen. An Tag drei hielt Jason es schließlich nicht mehr aus und stellte sich die Frage, die sich sicherlich nicht nur er stellte.
"Sag mal, wieso ist Jacob plötzlich dein persönlicher Fahrdienst? Läuft da etwas zwischen euch?"
Seine Freundin stieß ihm ihren Ellbogen in die Seite.
"Was? Ist doch eine berechtigte Frage.", verteidigte er sich.
"Seit wann redet ihr überhaupt wieder miteinander?", warf Lola ein.
Seufzend strich ich mir die Haare hinters Ohr.
"Wir haben uns kurz vor Harry Clearwaters Beerdigung unterhalten. Das ganze hat mich ziemlich mitgenommen und jetzt ist auch noch Bella weg. Da ich mit meiner Hand nicht Motorrad fahren kann hat er mir angeboten mich zu fahren. Ich denke es ist ein erster Schritt der Versöhnung."
Ich fühlte mich schlecht nur Halbwahrheiten zu erzählen.
Lydia griff nach meiner Hand und drückte sie mit einem Lächeln.
"Schön, wenn ihr euch wieder annährt. Aber vergib ihm nicht zu schnell!", sie zwinkerte mir zu. "Er soll wissen was er an dir hat."
"Ich kann dich vollkommen verstehen.", Ruby schob sich eine Pommes in den Mund. "Deine Reservatsfreunde sind heiß."
"Ruby!", lachend warf ich meine Servierte nach ihr.
Ihr Kommentar hatte die Stimmung aufgelockert. Es tat mir gut mich mit meinen Freunden zu halten. Sie halfen mir mich gut zu fühlen, mich normal zu fühlen.
Nachdem mich Jake abgeholt hatte erledigten wir in der Küche unsere Hausaufgaben. Auch wenn ich es nicht zugab hatte ich gerne Gesellschaft, wenn Dad arbeiten war. Mit ihm fühlte sich das Haus weniger leer an. Jedes Mal, wenn das Telefon klingelte spang er auf. Die Enttäuschung auf seinem Gesicht zu sehen, wenn er den Hörer abnahm und nicht Bellas Stimme hörte, übertraf beinah meine eigene. Kurz nach acht hatte Dad ihn schließlich offiziell nach Hause geschickt, doch kaum war er durch die Haustür gegangen stand er auch schon wieder in meinem Zimmer. Da wir nicht laut sein durften spielten wir auf dem Boden sitzend Karten. Endlich hatte ich etwas gefunden in dem Jake abgrundtief versagte und ich triumphierte. Es tat gut, dass er nicht versuchte mir positive Gedanken einzubläuen. Wir teilten einfach nur in aller Stille unsere Sorgen. Auch ohne es gesagt zu haben war uns inzwischen klar, dass wir sie beiden liebten, wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise. Jemanden zu haben, der sich ebenfalls aufrichtig um sie sorgte und den ich, anders als Charlie, nicht belügen musste half mir die Sache durchzustehen.
Es war bereits spät in der Nacht, wir hätten schon lange Schlafen müssen, als er plötzlich seinen Kopf von seinem Kartenstapel hob. Zunächst verstand ich seine Aufregung nicht.
"Bella...", entkam es seinen Lippen.
Unvermittelt sprang er auf und zog mich kurz darauf auf die Beine. Er war drauf und dran aus meinem Zimmer hinauszustürmen, als ich ihn aufhielt. An seiner Hand hielt ich ihn zurück.
"Warte! Du kannst jetzt nicht runterstürmen. Insofern es meinen Vater betrifft solltes du nicht mal mehr hier sein.", erinnerte ich ihn.
"Aber sie ist hier!"
Und dann hörte ich es. Charlies aufgebrachtes Gebrüll. Er rief Bellas Namen und fuhr jemanden an.
"Der Cullen.", knurrte Jake, womit er nur meine Vermutung bestätigte.
Nicht irgendein Cullen. Der Cullen. Edward.
Die Cullens waren zurück.
~°~
Nach diesem Kapitel sind wir mit New Moon durch 🎉!
Dieses Kapitel ist sehr lang geworden (9530 Wörter meine Freunde) und unter anderen Umständen hätte ich es sicherlich in zwei, oder vielleicht sogar drei Kapitel gesplittet. Allerdings hatte ich mir fest vorgenommen mit dem Fanfiction Teil, der sich auf Eclipse beziehen wird ab dem 50. Kapitel anzufangen;).
An dieser Stelle möchte ich allen Lesern danken, die diese Geschichte bereits bis hier her verfolgt haben. Ich hoffe natürlich, dass noch mehr Leser für die Kapitel stimmen werden.
Das war jetzt sehr viel Lesestoff.
Wie immer freue ich mich unglaublich über eure Kommentare!
Alles Liebe und lest fleißig weiter! 💗
~°~
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