47:
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"Was ist mit deiner Hand passiert?", war das Erste was er fragte, als er mir die Tür öffnete.
Ich wusste, dass Mike an diesem Dienstagmorgen Jessica abholen und zur Schule fahren würde, wie er es bereits seit Anfang der letzten Woche tat und die Newtons gingen Dienstags früher in den Laden, da sie zwei Mal im Monat neue Lieferungen annehmen mussten. Manchmal war es ganz gut, wenn man die Gewohnheiten der Familie seines Freundes kannte..., oder möglicherweise Ex-Freundes. Derek stand in einer schwarzen Jogginghose und in einem schwarzen T-Shirt vor mir. Seine braunen Haare waren vollkommen durcheinander, weswegen es nahe lag, dass er erst aufgestanden war. Automatisch glitt mein Blick zu meiner ledierten Hand.
"War ein kleiner Unfall. Schlag niemals gegen etwas das härter ist als deine Knochen. In Zukunft werde ich wohl wieder Kissen als Boxsäcke wählen.", milde lächelte ich.
Diese Antwort war nicht nur ein Versuch die Stimmung zu lockern, ich wollte auch weitere Fragen zu meiner Verletzung vermeiden. Unser Gespräch sollte nicht bereits mit einer Lüge beginnen. Er nickte stumm, doch ich sah die Besorgnis hinter seinen grünen Augen aufflackern. Da ich zu ihm gekommen war lag es wohl an mir zu beginnen.
"Ich bin hergekommen, um mich zu entschuldigen.", meine Stimme war ruhig. Die Nervosität hörte man mir nicht an. "Ich kann vollkommen nachvollziehen wieso du wütend auf mich bist."
"Aber?", er zog eine seiner schön geschwungenen Augenbrauen hoch.
Ich zuckte leicht mit den Schultern.
"Kein aber."
Abwartend sah ich ihn an. Mit einer Hand fuhr er sich über sein Gesicht, dann vergrub er sie in einer seiner Hosentaschen.
"Wir sollten vielleicht nicht an der Haustür darüber sprechen. Möchtest du reinkommen? Es ist kalt."
Dankbar nickte ich und schob mich an ihm vorbei. Hinter mir schloss er die Tür. Ohne Umwege begab ich mich in das geräumige, modern eingerichtete Esszimmer. Dieser Ort schien mir angemessen und weniger intim als sein Zimmer. Derek setzte sich mir gegenüber, nachdem ich auf einem der sechs Stühle Platz genommen hatte. Ansonsten hatten wir immer nebeneinander gesessen, doch für eine klärende Unterhaltung war diese Verteilung vermutlich besser. Lautstark seufzte er und fuhr sich durch die Haare. Einige Strähnen fielen daraufhin in seine Stirn.
"Ich bin nicht wütend auf dich. Naja, nicht mehr. Du- Dein Verhalten hat mich gestern viel mehr frustriert und... Du hast mich verletzt, Adriana.", gab er offen zu.
Schuldbewusst zog sich mein Herz zusammen. Verstehend nickte ich.
"Ich weiß. Es tut mir aufrichtig leid. Das hattest du- das hast du nicht verdient gehabt. Ich weiß, dass du mich nur beschützen willst."
Nun war es an ihm zu nicken. Wir beide nahmen uns Zeit, um die richtigen Worte zu finden.
"Mir ist klar wie wichtig dir deine Freunde sind und das du deinen Freiraum brauchst. Ich habe das immer akzeptiert. Allerdings... Ich kann nicht verstehen wieso du ihnen verziehen hast. Quil ist ein netter Kerl, auch wenn er sich gestern ebenfalls seltsam aufgeführt hat, doch dieser Embry? Ihr habt monatelang nicht miteinander gesprochen und plötzlich kommt er wieder an? Und, bitte das soll jetzt keine Beleidigung sein, deine Freunde aus dem Reservat wirken doch sehr... besitzergreifend. Sie nehmen dich und deine Zeit regelrecht ein. Manchmal bin ich mir...", er zögerte. "Manchmal bin ich mir nicht sicher in welcher Beziehung du zu ihnen stehst. Bitte sei ganz ehrlich, Adriana! Ich möchte versuchen es zu verstehen.", bat er flehend.
"Sie sind wie Familie für mich. Sie gehören zu meiner Familie. Ich kenne die drei schon seit wir Kleinkinder waren. Damals haben Bella und ich Dad noch regelmäßig jeden Sommer besucht. Währenddessen haben wir immer mit ihnen gespielt. Meistens waren wir am Strand und-", ich grinste bei dem Gedanken. "Quil und ich haben uns immer wieder in die Haare bekommen. Nachdem ich wieder herzog haben sie mich mit offenen Armen aufgenommen und- ich weiß auch nicht. Ich fühle mich unglaublich wohl, wenn ich mit ihnen zusammen bin. Während wir uns wieder neu angefreundet haben haben Bella und ich uns irgendwie auseinander gelebt, sodass sie noch wichtiger für mich wurden. Würdest du dich nicht auch wieder mit Mike vertragen wollen, auch wenn er Mist gebaut hätte?", versuchte ich es.
Der Ausdruck auf seinem Gesicht veränderte sich. Mike und er standen sich nah. Wenn auch widerwillig begann er nachzuvollziehen was meine Motive für die Versöhnung waren.
"Na schön, ja. Könntest du mir dennoch erklären was mit ihnen los war? Wieso meintest du gestern ich würde es nicht verstehen können? Weshalb dachtest du du könntest nicht mit mir reden so wie wir es jetzt gerade tun?"
"Das hatte rein gar nichts mit dir zu tun. Der gestrige Tag war nervenaufreibend und ich... ich habe nicht die richtigen Worte gefunden. Ich kann dir nicht genau sagen worum es geht, nicht weil ich dir nicht vertraue, sondern weil ich es ihnen versprochen habe. Es geht um etwas sehr persönliches. Ihre Leben wurden auf den Kopf gestellt und sie mussten erstmal damit klarkommen. Embry und Jake wollten mich nicht mit hineinziehen und sind mir deswegen aus dem Weg gegangen. Quil ist hingegen auf mich zugekommen. Ich hatte auch gestern nicht geplant einfach so zu verschwinden. Ursprünglich wollte ich nur ein wenig im Wald spazieren gehen und kam dann in einem Regenschauer.", ich traute mich meine Hand nach seinem Arm auszustrecken. Unsere Körper hatten fast die gleiche Temperatur. Wieso fühlte sich das für mich plötzlich dermaßen seltsam an? "Alles ist zusammengekommen. Ich war bei... Freunden der Familie und sie waren auch dort."
"Ist dieser Pullover auch von diesen Freunden der Familie?", schnaubte er.
Ich sah an mir herab. Alberner Weise hatte ich den Pullover angezogen, als ich aufgebrochen war. Auch wenn der Wolfduft vermutlich kaum noch an ihm haftete hallte in meinem Kopf Embrys Behauptung wieder er würde es Victoria schwerer machen mich zu finden. Insgeheim hoffte ich Derek somit zu beschützen.
"Ja, er gehört Emily. Ich sollte ihn ihr wieder zurückgeben. Sie hat ihn mir geliehen, da meine Kleidung durchnässt gewesen war."
"Emily?", wieder hob er eine Braue.
"Ja, Emily Young. Sie ist mit den Clearwaters verwandt.", ich betrachtete sein ratloses Gesicht. "Das sagt dir nichts, stimmt's?"
"Nein, sorry. Ich habe nicht wirklich Kontakte im Reservat."
"Schon gut."
"Hör zu, nach gestern- Ich denke ich verstehe wieso du zu ihnen stehst wie du es tust.", er pausierte.
Jetzt war ich es, die ihn eindringlich ansah.
"Aber?"
"Auch wenn ich unglaublich viel für dich empfinde, das tue ich wirklich... Ich weiß nicht ob es zwischen uns weiterhin funktionieren kann."
Autsch.
"Verstehe.", presste ich mit einem Kloß im Hals heraus. Ich zog meine Hand zurück.
"Adriana, du bist fantastisch. Ich könnte und würde nie von dir verlangen dich zwischen deinen Freunden und mir zu entscheiden, aber ich bin mir nicht sicher, ob es mir reicht so wie es jetzt ist. Wir sehen uns nicht so oft wie ich dich gerne sehen würde, da wir beide andauernd beschäftigt sind. Ich kann meine Praktikumsstunden nicht verringern, du musst in die Schule und was passiert, wenn ich Ende nächsten Monat wieder zurück an nach San Francisco fahre?"
"Wenn wir uns jetzt trennen gehen wir immerhin im Guten auseinander.", murmelte ich gedankenverloren.
"Ja."
"Ja..."
Betretene Stille kehrte ein.
"Allerdings denke ich, dass wir-"
Ein Klingeln unterbrach ihn. Entschuldigend blickte ich ihn an, während ich mein Handy aus meiner Tasche kramte. Es war Dad. Verwirrt zog ich die Brauen zusammen.
Charlie rief mich so gut wie nie an, vorallem nicht auf meinem Handy. Seit wir hergezogen waren hatte es den ein, oder anderen Anruf über das Haustelefon gegeben, wenn er uns bescheid geben wollte, dass er später von der Wache Heim kommen würde. Das war es. Ich hatte ihm gesagt wohin ich gehen würde. Er wusste wo ich war. Es bestand kein Grund für ihn sich Sorgen um mich zu machen.
"Mein Dad ruft mich an.", ließ ich ihn wissen. Die Besorgnis in meiner Stimme war kaum zu überhören.
"Dann solltest du rangehen."
Mit einem Nicken nahm ich das Gespräch an.
"Dad? Was ist los?", meldete ich mich.
Die kurze Stille am anderen Ende der Leitung sprach Bände. Ich konnte förmlich vor meinem inneren Auge sehen wie er sich mit einer Hand über sein Gesicht fuhr. Was auch immer er mir sagen wollte würde mir nicht gefallen.
"Bist du schon in der Schule?", er klang erschöpft, obwohl es ihm vor kaum mehr als einer halben Stunde, als ich das Haus verlassen hatte noch gut gegangen war.
"Nein, ich bin noch bei Derek. Ich wollte gleich bei Ruby vorbeisehen und sie fragen, ob sie mich mitnimmt."
Ruby fuhr jeden Morgen auf die letzte Minute los. Sie kam sonderbarer Weise dennoch pünktlich zur ersten Stunde.
"Verstehe. Tu das! Ich kann Bella Zuhause nicht erreichen. Könntest du ihr bitte mitteilen, dass ich nicht weiß wann ich heute nach Hause komme?", ein tiefes Seufzen kam über seine Lippen. "Wir wissen noch nichts genaues, aber das Krankenhaus meinte-"
"Krankenhaus?!", aufgeregt presste ich das Telefon an mein Ohr. Meine Stimme überschlug sich. Ich drehte mich von Derek weg in Richtung Flur bereit jederzeit aufzuspringen. "Du bist im Krankenhaus? Bist du verletzt? Wie geht es dir? Was ist passiert?"
Hatte er einen Autounfall gehabt? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er um diese frühe Uhrzeit bereits einen Fall hatte. Abgesehen davon war er der Sheriff. In seinem Beruf saß er meistens hinter einem Schreibtisch. Hatte... Was wenn Victoria ihn angegriffen hatte? Nein. Nein, das hätte weder Embry, noch Jake, Quil, oder eines der anderen Rudelmitglieder zugelassen. Sie hatten versprochen uns zu beschützen. Abgesehen sprach ich in diesem Augenblick mit Dad. Wäre er einem der Kalten Wesen zum Opfer gefallen,... dann würde ich wohl kaum noch in der Lage dazu sein.
"Mir geht es gut.", obwohl er das sagte klang es nur nach der halben Wahrheit.
"Hört sich nicht danach an.", sprach ich meinen Gedanken laut aus.
Ich hörte ihn schwer schlucken.
"Es geht um Harry Clearwater. Er hatte einen Herzinfarkt. Ich habe seine Frau und seine Kinder in die Klinik gefahren. Sie durften aufgrund der Erste-Hilfe-Maßnahmen nicht in dem Krankenwagen mitfahren."
Diese Nachricht traf mich unvorbereitet. Ich kannte Harry nicht so gut wie Billy, doch ich wusste, dass Charlie ihn zu seinen engsten Freunden zählte. Als wir jünger waren hatte er uns am Lagerfeuer Geschichten erzählt, er hatte mir versucht das Angeln beizubringen, doch nach dem ersten Mal war ich nie wieder mit auf einen Ausflug gegangen, da ich es nicht übers Herz gebracht hatte den gefangenen Fisch zu erschlagen. Harry hatte damals gelacht, mir väterlich auf den Rücken geklopft und mir versichert es wäre in Ordnung. Er sagte mir ein Herz voller Mitgefühl, selbst für die kleinsten Lebewesen, sei eine von den Geistern geschenkte Gabe. An diesem Tag hatten wir jeden gefangenen Fisch wieder in die Freiheit entlassen.
Einige Male war ich bei ihnen zu Besuch gewesen, wenn Dad länger hatte arbeiten müssen. Seth war noch ein Kleinkind gewesen und Leah hatte mit uns gespielt, obwohl sie zwei Jahre älter als ich war. Ich erinnerte mich an das Spaghettiessen bei den Blacks einige Monate nachdem wir hergezogen waren. Mir fiel es schwer mir diesen lebenslustigen Mann in einem Krankenbett vorzustellen.
"Es sieht nicht gut aus.", Dads Stimme brach. Mein Magen zog sich zusammen.
"Ich komme zu euch!", bestimmte ich entschlossen.
"Nein! Du wirst in die Schule gehen!"
"Aber, Dad-"
"Bitte, Adriana! Lass uns nicht darüber diskutieren.", dass er meinen vollen Vornamen benutzte gab mir zu denken. Ich hatte nicht vor mit ihm zu diskutieren, wenn für mich bereits klar war was das einzig Richtige wäre.
"Ich melde mich bei euch, wenn wir mehr Informationen vom Doktor bekommen haben.", versicherte er mir.
"Okay. Ich hab dich lieb, Dad.", er war kein Mensch der gut darin war seine Gefühle in Worte zu fassen, allerdings war ich der Meinung es würde ihm gut tun meine zu hören.
"Ich dich auch, Schatz."
Niedergeschlagen senkte ich meine Hand, nachdem das Telefonat beendet war. Die Traurigkeit kam unerwartet. Harry und ich standen uns nicht nah genug als das es mir angemessen vorkam in Tränen auszubrechen, doch genau danach war mir zumute. Dad litt, seine Familie musste am Boden zerstört sein. Seth war erst fünfzehn. Er durfte seinen Vater noch nicht verlieren. Wenn meinem Vater etwas derartiges zustoßen würde wäre ich am durchdrehen. Für Harry konnte ich nichts tun, aber für seine Familie konnte ich da sein insofern sie meine Unterstützung zulassen würden.
"Geht es deinem Dad gut?"
Erst als er fragte sickerte Dereks Anwesenheit wieder langsam in mein Gedächtnis. Ich war immernoch bei den Newtons. Meine Probleme kamen mir mit einem Schlag unglaublich nichtig vor. Das hier war wie ein Auszug aus einem Teenagerdrama. Ich hatte um unsere Beziehung geweint, als würde die Welt durch ihr Ende untergehen. Jetzt lag tatsächlich jemand im sterben und ich kam mir außerordentlich dumm vor. Ich biss mir auf die Unterlippe.
"Einer seiner besten Freunde hatte einen Herzinfarkt. Es scheint nicht gut um ihn zu stehen.", ich nickte gedankenverloren, als müsste ich mir selbst die Zustimmung geben. "Tut mir leid, aber ich muss zu ihm ins Krankenhaus."
Ich wollte Derek nicht abwürgen zumal ich es war, die das Gespräch gesucht hatte. Andererseits hatten sich meine Prioritäten verschoben. Immerhin ging es hier gewissermaßen um meinen Vater. In einer solchen Situation wollte ich ihn nicht alleine lassen. Er würde versuchen Sue Beistand zu leisten, doch wer würde ihn trösten? Er war nicht so taff wie er gerne vorgab zu sein. Seine Freunde lagen ihm am Herzen. Sie waren die Familie gewesen, die für ihn da gewesen war nachdem wir uns aus seinem Leben zurückgezogen hatten. Eine Welle der Schuldgefühle überrollte mich. Ich liebte meine Eltern über alles. Ich liebte meine Mom, Bella und auch Phil. Damals war ich noch ein Kleinkind gewesen, doch vielleicht hätte ich darauf bestehen sollen Dad öfter zu besuchen. Was wenn ich mich entschieden hätte bei ihm zu leben? Wie wäre unser Leben verlaufen, wenn ich bei ihm in Forks aufgewachsen wäre?
"Ich fahre dich.", bot Derek sofort ohne zu zögern an.
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Die Fahrt verbrachten wir schweigend. Selbst das Radio blieb stumm. Lediglich als ich die Fahrzeit nutzte, um im Sekretariat der Schule anzurufen und mich für den heutigen Tag krankzumelden brach ich die Stille. Mit schnellen Daumen tippte ich Nachrichten. Per SMS informierte ich meine Freundinnen über mein Fehlen und bat Lola für mich mitzuschreiben, damit ich mir ihre Aufzeichnungen am Abend abholen könnte. Am Dienstag hatten wir fast alle Kurse gemeinsam. Durch die doch recht frischen Temperaturen fühlte ich mich im Wagen, dessen Heizung auf Hochtouren lief, mehr als wohl. Unter anderen Umständen hätte ich die kurze Fahrt sogar genossen, doch meine Gedanken kreisten ausschließlich um meinen Dad und die Clearwaters. Als ich mich dabei erwischte, wie ich versuchte an meinen Nägeln zu kauen senkte ich eilig meine Hand. Stattdessen griffen meine Finger an mein Handgelenk, das jedoch von keinem Schmuck geschmückt wurde. Ich hatte weder mein Armband um, da es, auch wenn ich die meisten Anhänger von Derek bekommen hatte, ein Geschenk von Bella war, noch mein Lederarmband, dessen Verlust ich nach wie vor betrauerte. Ich vergrub meine Hände in den zu langen Ärmeln des Pullovers. Ein Nieselregen rieselte auf die Frontscheibe nieder. Die Scheibenwischer quitschten leise, als sie über das Glas pendelten. Ich versuchte mich auf dieses gleichmäßige Geräusch zu konzentrieren. Noch bevor wir vor dem großen Gebäude in dem sich die medizinische Einrichtung anhielten war ich bereits kurz davor aus dem noch rollenden Auto zu springen. Derek setzte mich direkt vor dem Haupteingang ab. Nervös wippte ich mit einem Bein auf und ab. Ich gab mir Mühe mich zusammenzureißen. Wenn ich vollkommen durch den Wind aufkreuzen würde würde ich niemandem damit helfen. Ich zog an dem Türgriff und die Beifahrertür schwang einen Spalt auf. Eiskalte Luft traf meine rechte Seite. Sie ließ mich frösteln. Die dünne Regenjacke über dem weiten Pullover war eine schlechte Idee gewesen. Ein Wintermantel wäre angebrachter gewesen. Zum Glück hatte ich es nicht weit. Scheinbar aus einer Gewohnheit heraus griff Derek nach meiner Hand. Lediglich meine Fingspitzen ragten aus den Ärmeln heraus. Bestärkend drückte er sie vorsichtig. Er suchte meinen Blick.
"Hey, das wird schon! Ich wünsche ihm eine gute Besserung.", beteuerte er mir einfühlsam.
Er konnte mir nicht versprechen, dass alles gut werden würde, dennoch war ich für den Aufmunterungsversuch dankbar. Die kurze Berührung gab mir Kraft, doch sie löste auch einen Schub der Traurigkeit in mir aus. Wieder war dort dieser Stich in meiner Brust, der mich daran erinnerte weswegen ich ihn nicht verlieren wollte. Selbst jetzt kümmerte er sich um mich, war für mich da, aber er wollte mich nicht mehr. Ich hatte es geschafft meine erste, ernsthafte Beziehung zu ruinieren. Mühevoll schob ich die Gedanken von mir. Wie so oft schien Derek in der Lage zu sein meine Gedanken zu lesen.
"Wir reden später.", nickte er mir zu.
Flüchtig übte ich Druck auf seine Hand aus.
"Danke."
Ehe ich es mir anders überlegen konnte stieg ich aus dem Wagen aus. Ich rannte durch den stärker werdenden Regen bis ich in der Eingangshalle Schutz fand. Das Krankenhaus von Forks war wie die Stadt in der es stand nicht besonders groß. Da ich nicht zur Familie gehörte brauchte ich nicht an der Rezeption nachzufragen wo sie Harry hingebracht hatten. Die Krankenschwestern durften mir keine genaue Auskunft darüber geben. Nichtsdestotrotz war ich schlau genug zu kombinieren. Wenn er erst vor weniger als einer Stunde mit dem Rettungswagen eingetroffen war war er aller Wahrscheinlichkeit nach nach wie vor in der Notaufnahme. Diese besaß einen speraten Warteraum in dem ich vermutlich Dad, Sue, Leah und Seth antreffen würde. Nach meiner Eskapade von neulich Nacht hatte ich keine Schwierigkeiten zu den gesuchten Räumen zurückzufinden. Wie sich herausstellte hatte ich mit meiner Vermutung richtig gelegen. Dad saß vornübergebeugt in einem der unbequemen Stühle, das Gesicht in den Händen vergraben. Sue schien auf einem Bienenstock zu sitzen. Ruhelos und in einer beeindruckenden Geschwindigkeit bewegten sich ihre schlanken Beine auf und ab. Leah tiegerte zwischen den Sitzreihen auf und ab, während Seth in sich zusammengesunken neben seiner Mutter saß und vor sich hin starrte, während er seine Hände knetete. Aus ihren gebräunten Gesichtern war jegliche Farbe gewichen. Sue, die ansonsten eine beinah jugendliche Ausstrahlung verströhmte schien innerhalb eines Tages um Jahre gealtert zu sein. Die Sorgenfalten, in denen ihre Stirn gelegt war kerbten ihre glatte Haut ein. Zu meiner großen Überraschung entdeckte ich abseits am Wasserautomaten Sam, der mit seinem Pappbecher in der Hand die Situation mit Adleraugen beobachtete. Er war ein mitfühlender, hilfbereiter Mann, doch ich ahnte bereits, dass seine Anwesenheit noch weitere Gründe haben musste. Etwas war im Busch. Schnellen Schrittes überbrückte ich die letzten Meter Abstand zu den Menschen wegen denen ich gekommen war. Die Schritte meiner robusten Wanderschuhe hallten von den Wänden des karg eingerichteten Raumes wieder.
"Dad!", ich stürmte auf ihn zu. Sein Kopf fuhr zu mir herum, woraufhin dein Körper folgte. Sich auf seine Oberschenkel stützend erhob er sich ächtzend. Ich hörte ein Gelenk knacken.
"Was machst du hier, Adi? Habe ich dir nicht gesagt du sollst zum Unterricht gehen?", um wirklich erzürnt zu klingen war er offenbar zu erschöpft, doch ein anklagender Ton schwang in seiner Stimme mit. Er wischte seine Handflächen an seiner alten Jeanshose ab, die er sicherlich schon vor meiner Geburt besessen hatte. Sein dunkelgrünes Karohemd war über dem grauen T-Shirt falsch zugeknöpft worden.
Anstatt schuldbewusst den Blick zu senken straffte ich selbstbewusst die Schultern. Ich mied seinen Blick nicht. Unter seinen Augen zeichneten sich bereits jetzt dunkle Ringe ab und als ich genauer hinsah konnte ich schwören, dass sie leicht angeschwollen waren. Die Rötung in ihnen gab den entscheidenden Ausschlag, dass er geweint haben musste.
"Du bist es, der immer sagt, dass Harry praktisch zur Familie gehört. Wie könnte ich ihn jetzt wo es ihm schlecht geht im Stich lassen? Abgesehen davon dachte ich du könntest eine emotionale Stütze gebrauchen.", ich versuchte in meine Worte sowohl Bestimmtheit, als auch das von mit empfundene Mitgefühl hineinzugehen.
Er fuhr sich mit einer Hand durch sein schütteres, lockiges Haar, wie er es immerzu tat.
"Hör zu, Kleine! Das ist lieb, aber-"
"Kein 'Aber'! Ich habe alles bereits geregelt. Für heute habe ich mich vom Unterricht angemeldet und Lola schreibt für mich mit. Vielleicht bemerkst du es manchmal nicht, aber ich bin ziemlich schlau. Diesen Stoff hole ich mit Leichtigkeit auf. Bitte lass mich bleiben!", flehte ich, wobei ich meinen besten Hundeblick aufsetzte.
Geschlagen seufzte er auf. Er hielt seine Hände oben, als wollte er sich vor der Polizei geschlagen geben.
"Na gut. Vermutlich kommt es schlechter rüber, wenn du nach einer Abmeldung in die Schule gehst, als wenn du hier bleibst. Aber das wird nicht zur Gewohnheit! Haben wir uns verstanden, junge Dame?"
Eifrig nickte ich.
"Natürlich nicht!"
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Ein Drama jagt das Nächste.
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