35:
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Erst am späten Nachmittag, die Helligkeit des Tages verabschiedete sich bereits, trat ich meinen Heimweg. Vor Dereks Haus verabschiedeten wir uns. Er bot an mich noch rasch Zuhause abzusetzen, doch ich lehnte ab. Ich wollte mir nach dem Herumgeliege ein wenig die Beine vertreten, die kühle Luft auf meinen Wangen spüren. Auch wenn die Temperaturen es kaum vermuten ließen wurde deutlich, dass es bald Frühling werden würde. An den Büschen und Bäumen bildeten sich bereits erste Knospen und aus dem Beet im Vorgarten der Newtons lugten erste, noch geschlossene Schneeglöckchen hervor. Spätestens nächsten Monat, im März, würde der Frühling vollends ausbrechen.
Mir kam es vor, als sei die Zeit seit Anfang diesen Jahres anders vergangen. Gleichzeitig langestreckt und doch blitzschnell. 2006 hatte für mich keinen guten Anfang genommen. Wann hatte ich zuletzt mit Devery und Hamish gesprochen? Das musste mindestens zwei Wochen her sein.
In Gedanken versunken schlenderte ich durch die Straßen, als die Straßenbeleuchtung plötzlich ansprang. Kurz zuckte ich zusammen. Aus dem Augenwinkel meinte ich etwas zwischen den Häusern der Mallorys und der Yorkies gesehen zu haben. Eine Art kupferroten Schleier, der sich blitzartig bewegt hatte. Als ich jedoch meinen Kopf drehte und erneut hinsah war zwischen ihnen nur der weiß gestrichene, hohe Gartenzaun zu erkennen. Dahinter lag der Wald still wie eh und je. Mein Herz raste. Meine Albträume schienen mich in den Wachzustand zu verfolgen. Dies war nicht das erste Mal, dass ich meinte diesen kupferfarbenden Schleier gesehen zu haben. War es ein Streich des Lichts? Das musste er wohl sein, denn die Straße war bis auch mich und dem älteren Mann, der gerade auf der anderen Seite seinen Müll rausbrachte leer.
Nun eiligen Schrittes beeilte ich mich nach Hause zu kommen.
Kaum das ich die Tür hinter mir geschlossen hatte drehte ich den Schlüssel im Schloss herum. Der Klickende Geräusch ließ meine Schultern sich entspannen. Dennoch wünschte ich mir wir hätten zusätzlich einen Riegel vor der Tür wie in unserem Haus in Phoenix.
Aus der Küche drangen Stimmen in den Flur. Ich erstarrte, sobald ich genauer hinhörte. Unachtsam kickte ich meine Schuhe von meinen Füßen. Meine Jacke hing ich an den erstbesten Harken, nachdem ich Mütze und Schal in einen Ärmel gestopft hatte. Meine Finger fühlten sich von der Kälte klamm an. Auch war ich mir sicher, dass meine Nase, sowie meine Wangen gerötet waren wie meine Fingerspitzen. Meine Haare mussten mir in alle Richtungen abstehen. Mit meinen Fingen fuhr ich durch sie hindurch im Versuch sie in Ordnung zu bringen. Vermutlich half es nicht viel das Chaos zu beseitigen. Natülich trug ich heute eine einfache, lockere Jeans und einen Pullover, den ich lediglich aufgrund seiner Bequemlichkeit ausgewählt hatte. Ich hätte gerne etwas getragen in dem ich mich selbstsicherer gefühlt hätte. Trotz des unbeeindruckenden Outfits straffte ich meine Schultern ehe ich die Küche betrat. Um den Tisch herum saß zwischen Bella und Dad kein geringerer als Jacob, der sich eine Pizza reinstopfte. Ich konnte meinen Augen nicht glauben. Wie selbstverständlich saß er da, als sei es nie anders gewesen und schob sich ein Stück Pepperonipizza in den Mund. Ich kniff die Augen zusammen. Dad bemerkte mein Heimkommen. Ein wenig ungelenk drehte er sich auf dem Stuhl zu mir um.
"Hallo Schätzchen! Willst du mit uns essen?", erkundigte er sich, doch mein Blick lag weiterhin auf Jake, der mich nichtmal ansah.
Er seinem Essen mehr Aufmerksamkeit schenkte als mir und das obwohl wir uns seit Tagen nicht mehr gesehen hatten. Die gestrige Verfolgung zählte in meinen Augen nicht.
Schon seit einer Weile war mir klar, dass ihm Bella wichtiger war als jeder Andere. Er war durch und durch vernarrt in sie, doch das ich ihm, das unsere Freundschaft ihm, scheinbar so wenig bedeutete, dass er es geschafft hatte auf Bella zuzugehen und nicht auf mich verletzte mich. Ich rang mit mir selbst. Ein großer Teil drängte mich dazu nach oben zu laufen und die Tür hinter mir zuzuschlagen, doch ich zwang mich dem nicht nachzugeben. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen setzte ich mich neben Dad. Leider saß ich so direkt Jacob gegenüber. Mir entging nicht wie er aktiv versuchte meinen Blick zu meiden.
Schweigend, da weder ich, noch Jake ein Wort sagten und wir für gewöhnlich die waren, die eine Unterhaltung in Gang brachten, aßen wir. Es war gut, dass Dad zwei Pizzen mitgebracht hatte, denn eine verschlang Jake ganz alleine. Ich hatte sowieso keinen Hunger. Mein Verdauungstrakt fühlte sich verknotet an. Leider befürchtete ich, dass es sich dieses Mal nicht um die Vorboten einer Grippe handelte.
Jake wand sich mit ernster Miene an Bella.
"Ich sollte jetzt besser gehen.", behauptete er, wobei er ihr so einen vielsagenden zuwarf, die ich von ihm nur allzu gut kannte.
Sie nickte hektisch. Mir war nicht entgangen wie Dad die Beiden das gesamte Essen über mit Aderaugen misstrauisch beobachtet hatte. So tat er es auch jetzt.
Ich räusperte mich. Meine Stimme schien mir im Hals festzustecken.
"Jake?", fiebste ich und räusperte mich erneut.
Zum ersten Mal sah er schüchtern zu mir auf. Er hob den Blick gerade soweit, dass er mich sehen konnte. Mehr nicht. Es war eindeutig, dass er mir aus dem Weg gehen wollte, doch das kam für mich nicht in Frage.
"Ja?", seine Stimme klang seltsam rau, als würde er die Worte herauspressen müssen.
"Könnte ich noch kurz mit dir reden bevor du gehst? Bitte!"
Sein Blick glitt zu Bella. Sie schüttelte kaum merklich den Kopf. Was sollte das denn jetzt bitte? War er ihr Hund?
"Ich sollte jetzt wirklich gehen. Tut mir leid.", entschuldigte er sich halbherzig.
"Dann begleite ich dich zur Tür.", meinte ich mit vor der Brust verschränkten Armen.
Bella sprang auf.
"Das kann ich machen!"
Mein rechtes Auge zuckte unwillkürlich. Ich knirschte mit den Zähnen.
"Ich denke das schaffe ich noch. Vielen Dank, Bella!", gab ich spitz zurück.
Sie schrumpfte bei meiner harschen Erwiederung ein Stück in sich zusammen. Ich deutete Jake mit einer ausladenden Handbewegung an vorzugehen. Er kam meiner Aufforderung nach. An der Tür angekommen, weiter abseits von den neugierigen Ohren, war ihm anzusehen wie unwohl er sich in dieser Situation fühlte. Seine Hände glitten in seinen Nacken, um die langen Haare zusammenzubinden, die längst nicht mehr da waren. Als er dies bemerkte ließ er seine Arme fallen. Stattdessen vergrub er seine Hände in den Hosentaschen seiner Dreiviertelhose.
"Weswegen wolltest du mit mir sprechen?", fragte er kleinlaut. Sein Blick war an die Wand hinter meinem Kopf geheftet.
Ungläubig stieß ich die Luft aus meinen Lungen. Meine Zungenspitze glitt zu meinem rechten Eckzahn.
"Kannst du dir das nicht denken? Du gehst mir seit über einer Woche aus dem Weg! Erst benimmst du dich vollkommen merkwürdig, scheinst dann kurz vorm Sterben zu sein und dann meldest du dich nicht mehr bei mir. Jetzt tauchst du hier urplötzlich bei mir Zuhause auf, als sei nie etwas geschehen. Oder nein, du versuchst mich seit ich angekommen bin nichtmal anzusehen. Könntest du mir das bitte erklären? Was ist hier los, Jake?"
Er antwortete mir nicht. Lediglich seine Kieferpartie spannte sich an. Ich seufzte und versuchte es mit einem anderen Ansatz. Aufgrund meines Zorns war ich wohl etwas zu rabiat an die Sache herangegangen. Ich fuhr mir durch meine sowieso bereits wirren Haare. Eine rote Strähne fiel mir zusammen mit einem Strang brauner Haare ins Gesicht.
"Hör zu! Ich freue mich für dich, wenn du dich wieder mit Bella versöhnt hast. Sie hat dich wirklich vermisst. Aber ich verstehe nicht wieso... wieso du das scheinbar nicht mit mir möchtest. Wir sind seit Jahren Freunde! Was sind deine Gründe dafür? Ich- Ich würde dich nur einfach gerne verstehen."
"Es tut-"
"Jetzt komm mir nicht mit es tut dir leid! Das kann ich nicht mehr hören! Sag mir einfach wieso! Wieso kannst du auf Bella zukommen, aber nicht auch mich? Bedeute ich dir wirklich so wenig? Und was ist mit Quil?"
"Adi, es... es liegt nicht an dir, sondern an mir!"
Ich zog spöttisch eine Augenbraue hoch.
"Ernsthaft? Diese alte es liegt nicht an dir, es liegt an mir Leier? Ich hatte eindeutig mehr von dir erwartet."
"Aber es ist wahr! Ich bin nicht gut für dich! Ich- Wir versuchen nur dich zu beschützen!"
"Wovor denn? Vor dir? Ich bitte dich!"
"Genau das meine ich. Ich bin ein M-!"
Er verzog schmerzverzerrt das Gesicht. Es sah aus als würden die Worte, die er nicht im Stande zu sein schien auszusprechen, ihm unsagbare Qualen bereiten.
"Jake?", sein sich plötzlich verschlechternder Zustand beunruhigte mich. "Geht es dir nicht gut? Was ist los? Brauchst du etwas? Ein Glas Wasser vielleicht?"
Ich wollte meine Hand automatisch auf seinen Rücken legen, doch kaum hatte ich ihn gestreift zuckte er zusammen.
"Es geht schon! Ich muss jetzt gehen!"
"Was? Nein, warte!"
Er stürmte durch die Haustür, doch ich sprintete ihm hinterher. Jake lief um unser Haus herum schon wieder Richtung Wald. Seit wann fuhr er nicht mehr mit dem Motorrad, sondern rannte andauernd durch den Wald?
Ich wusste, dass er schneller war als ich, aber ich folgte ihm dennoch.
"JACOB EPHRAIM BLACK! JETZT BLEIB VERDAMMT NOCHMAL STEHEN!", kreischte ich.
Und er tat es. Wir waren erst wenige Schritte in das Dickicht hineingegangen.
Mit einem gequälten verbissenen Gesichtsausdruck drehte er sich um. Jedoch blieb er stumm.
Außer Atem hoben und senkten sich meine Schultern im Rhythmus des Heben und Senkens meines Brustkorbs. Meine Konditionen ließ im Gegensatz zu der von Jake zu wünschen übrig.
"Ich weiß nicht was mit dir los ist , oder... oder mit Embry, aber ich mache das nicht mehr mit! Du willst nichts mehr mit mir zu tun haben? Fein! Dann sei es so. Ich habe nur gedacht, dass ich dir wichtig wäre und auch Quil. Er hat morgen Geburtstag, erinnerst du dich daran? Wenn dir doch noch irgendwas an uns liegen sollte gebe ich dir und auch Embry eine letzte Chance. Wir feiern morgen Quils Geburtstag in einer Bar, dem 54 in Port Angeles. Um 19 Uhr geht es los. Ihr seid herzlich eingeladen. Ich bin mir sicher Quil hätte euch gerne dabei. Wenn ihr allerdings nicht kommt... Ich werde nicht zulassen, dass ihr Quil weiterhin mit eurem Verhalten verletzt. Also dann... Letzte Chance!"
Ohne auf eine Erwiederung seinerseits zu warten machte ich auf dem Absatz kehrt. Ich hatte gesagt was ich zu sagen hatte.
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Am gestrigen Abend hatte Derek mir noch in einer SMS mitgeteilt, dass unsere Reservierung geklappt hatte.
Sonntagmorgen war ich früh aufgestanden, um rechtzeitig für heute Abend den Kuchen zu backen. Bella griff mir unter die Arme. Sie schien mit ihren Gedanken woanders zu sein. Sie sagte nichts und ich fragte nicht. Wir sprachen auch nicht über Jake. Da sie momentan keine Musik mehr hören konnte blieb das Radio aus. Ich konnte mir jedoch nicht verkneifen fröhlich sämtliche Lieder, die mir in den Kopf kamen zu summen. Dad mied die Küche. Stattdessen fuhr er ins Reservat zu Harry. Sue und er hatten ihn wohl zu sich zum Kaffee eingeladen. Ein wenig soziale Interaktion würde ihm gut tun.
Zwischen meiner Schwester und mir stand etwas. Keiner von uns sprach es an, aber es war nicht zu leugnen. Es war eine beinah greifbare Spannung in der Luft. Keiner von uns sagte ein Wort. Ihre Absicht schien es zu sein sich mit dem Backen von etwas abzulenken worüber sie nicht sprach. Ich hingegen war noch immer eingeschnappt. Jake zog Bella mir vor und das nicht nur auf seine romantische Gefühle ihr gegenüber bezogen. Er zog sie mir selbst als platonische Freundin vor. Was immer er mir scheinbar nicht sagen wollte, oder konnte, er hatte einen Weg gefunden es ihr zu erzählen. Diese Tatsache kränkte mich. Auch wenn Bella streng genommen nichts dafür konnte war ich deswegen auch auf sie sauer. Besser gesagt, ich war verletzt von Beiden. Worum auch immer es ging, selbst wenn Jake nicht mit mir darüber sprach Bella könnte es. Sie sollte es tun immerhin war sie meine Schwester und wusste wie sehr mich die momentane Situation belastete. Doch sie schwieg.
Das Spiel konnte ich auch spielen. Leider störte sie strafendes Schweigen augenscheinlich nicht. Mir war nicht nach reden, ansonsten hätte ich es vielleicht mit strafendem Dauerbrabbeln versucht. Das hätte sie sicherlich in den Wahnsinn getrieben. Es kribbelte mir in den Fingern zum Radio zu gehen, es anzuschalten und den Riegel auf volle Lautstärke zu drehen einfach nur um sie zu ärgern.
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Bella lieh mir für den Abend ihr Auto unter der Bedingung, dass ich sie im Reservat absetzte, sobald ich Quil abholte. Zähne knischend stimmte ich zu. Ich brauche den Wagen.
Anstatt zum Haus der Blacks zu fahren ließ ich Bella kurz vorher an der Hauptstraße raus. Dieser Straße folgte ich, bog hinterm Laden nach rechts und parkte vor dem Holzhaus der Atearas. Ich sah bereits Joy hinter dem Küchenfenster. Lachend winkte sie mir zu. Ihre Lippen bewegten sich. Vermutlich rief sie Quil, um ihm Bescheid zu geben, dass ich gerade angekommen war. Zur Feier des Tages stieg ich jedoch aus, damit ich ihn an der Haustür in Empfang nehmen konnte. Mit ausgebreiteten Armen stand ich strahlend vor ihm, als er die Tür öffnete. Er verdrehte die Augen, doch ich umarmte ihn dennoch quiekend. Worauf er sich bei unserer Freundschaft eingelassen hatte wusste er. Eine Umarmung dann und wann musste er hinnehmen.
"Alles Gute zum Sechtzehnten, du Jüngling!", gratulierte ich ihm kichernd.
Amüsiert schnaubte er.
"Danke, Grandma!"
Lachend schlug ich ihm gegen den Arm, ehe ich ihm meinen anbot, damit er sich unterharken konnte.
"Wollen wir?"
"Ich schätze wir wollen."
Erneut Augenverdrehend harkte er sich bei mir unter, wobei er eine unnatürliche, gebückte Haltung einnehmen musste. So schlenderten wir zum Auto. Ich hielt ihm die Beifahrertür auf.
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Die Fahrt über beschallte ich uns unablässig mit Musik, achtete darauf bei welchem Quil besonders laut mitgröhlte. Bei unserem Überraschungskaraokeabend musste ich ihn immerhin zwingen zumindest einen Song zum Besten zu geben. Ich würde es so anstellen wie Derek bei mir bei unserem ersten Date. Quil würde ins kalte Wasser geschmissen werden. Im Gegensatz zu mir war Schüchternheit für ihn ein Fremdwort.
Den Wagen parkte ich auf einem kleinen Parkplatz an den Docks. Die Parkplätze überall in der Innenstadt waren belegt. Ich überlegte, ob heute irgendein Event stattfand, doch mir wollte keines einfallen. Misstrauisch sah sich Quil beim Aussteigen um. Das gelbliche Licht der Straßenlaternen schimmerte auf der Wasseroberfläche des Hafenbeckens, welches in der Nacht aussah wie flüssiger Obsidian. Die Lichtverhältnisse waren schummerig. Ein engumschlungenes Paar schlenderte den Steg entlang. Weiter hinten stand eine Gruppe Männer vor einer Spelunke und rauchte. Die nikotinversetzten Rauchschwaden stiegen in den bewölkten Himmel hinauf.
Ohne Quil hätte ich mich in dieser Gegend ungemein unwohl gefühlt. Dad hatte mit seinen Warnungen und Ermahnungen zum Thema Sicherheit und Schutz vor Überfällen ganze Arbeit geleistet. Ich war unglaublich misstrauisch gegenüber allen Menschen, wenn ich in solchen Gegenden um diese Uhrzeit unterwegs war.
Trotz seiner großen, breitschultrigen Statur, wegen der allein sich nur Idioten mit ihm anlegen würden, schien auch er diesen Ort skeptisch zu betrachten.
"Okay, ich bin mitgekommen ohne zu wissen wohin es geht, aber jetzt bin ich doch ein wenig überrascht. Was wollen wir hier? Ein Abend in einer Hafenspelunke bei einigen Gläsern warmen Bier?"
"Du bist heute erst sechtzehn geworden, keine einundzwanzig. Abgesehen davon bin ich auch nicht volljährig. Keiner von uns würde irgendwo Alkohol bekommen."
Er zuckte mit den Schultern.
"Du mit Sicherheit nicht, aber ich sehe doch recht erwachsen aus, findest du nicht?", stolz streckte er die Brust heraus.
Zugegebenermaßen hatte er recht. Für sein Alter sah er erstaunlich erwachsen aus. Vorallem in den letzten Wochen hatte er sich äußerlich verändert. Seine kindlichen Züge waren verschwunden und hatten einer definierten Kieferpartie und drahtigen Muskeln, die sich noch entwickelten Platz gemacht. Wenn man uns beide nebeneinander sah würde man denken er sei der Ältere. Bei ihm war die Veränderung nicht dermaßen extrem wie bei Jake und Embry, die mit ihrem Aussehen locker als neunzehn, oder zwanzig, vielleicht sogar als einundzwanzig durchgehen könnten, doch zwei Bonus Jahre könnte man auch Quil zugestehen. Ja, optisch müsste achtzehn für sein Alter hinkommen.
Ihm dies zugestehen würde ich jedoch nicht. Er bräuchte nicht noch einen größeren Buster für sein gigantisches Ego. Selbst an seinem Geburtstag nicht.
Kopfschüttelnd lachte ich.
Nebeneinander schlenderten wir durch einige Gassen zurück zur gut beleuchteten, gut besuchten Hauptstraße, die links und rechts von Geschäften gesäumt war. Augenblicklich entspannten sich meine angespannten Schultern. Unauffällig checkte ich mein Handy. Derek hatte mir geschrieben, dass sie bereits in der Bar auf uns warteten. Am Ende seiner Nachricht war ein Smile. Ruby war zusammen mit Lola und Lydia hergekommen. Derek war so nett gewesen Kathrine und Jason mitzunehmen. Somit wären wir eine beschaubare Gruppe von acht Personen. Zehn, sollten Embry und Jake sich entscheiden zu kommen. Ich hatte Quil nichts von der Einladung erzählt, die ich den Zweien gemacht hatte. Sollten sie kommen wäre es eine schöne Überraschung, doch wäre dies nicht der Fall, was ich befürchtete, wäre er nicht enttäuscht an seinem Geburtstag. Mit meinen Freunden Quils Geburtstag zu feiern war nicht ideal, doch ich dachte trotzdem, dass wir heute Abend Spaß haben könnten.
Jeder mochte Quil. Wenn man ihn kannte war es unmöglich ihn mit seiner witzigen, offenen Art nicht zu mögen.
Als ich vor dem 54 stehenblieb rannte Quil beinah in mich hinein. Mit gehobener Augenbraue sah er auf das Schild.
"Doch eine Bar? Ich dachte wir seien zu jung um etwas zu trinken."
"Softdrinks sind in Ordnung. Bars servieren nicht nur Alkohol. Also! Gentelman first!", ich machte eine ausladende Handbewegung.
"Heißt es nicht Layds first?"
"Das ist nur ein Geschlechterklischee. Es sei denn ich soll dich Lady nennen. Das kann ich natürlich auch."
"Nee, passt schon."
Die Bar war proppenvoll. Warme, ein wenig abgestandene Luft schlug uns entgegen. Die schummrige Beleuchtung sorgte für eine kuschelige Atmosphäre in dem Laden. Mit den Augen scannte ich die Menge nach meinen Freunden ab. Die Erste, die ich ausmachte war Ruby mit ihrem leuchtend rotem Haarschopf. Sie saß neben Derek, der bei weitem der Größte in der Runde war. Jason war einen knappen Kopf kleiner als er, hatte einen kürzeren Oberkörper, dafür aber lange Beine, die einiges an Körpergröße hinzufügten. Seine langen Beine und die athletische Begabung waren die Gründe weswegen er der Star im Laufteam der Schule war.
Quil hatte sie noch nicht gesehen. Ich legte ihm meine Hände auf den Rücken und schob ihn sanft durch das Getümmel. Sein Gesichtsausdruck, als er die kleine Gruppe an einem der runden Tische entdeckte und seinen Kopf zu mir drehte war Gold wert. Er sah aus wie ein überraschtes Kind, das gerade seinen Lieblingsuperhelden auf der Straße getroffen hat, freudig überrascht, aber auch ungläubig. Ich grinste ihn an. Sobald wir näher kamen konnte ich über Dereks und Rubys Rücken hinweg den Kuchen sehen, den Bella und ich gebacken hatten. Ruby hatte ihn netterweise hierher gebracht, nachdem ich ihn bei ihr vorbeigebracht hatte. Lydia erspähte uns. Mit ihrem perfekten, strahlenden Lächeln auf dem von goldenen Wellen umrahmten Gesicht stand sie auf und zündete über den Tisch gebeugt die Kerzen auf dem Kuchen an. Mit den sechtzehn Kerzen und der mit Zuckerguss geschriebenen Sechtzehn in der Mitte war der Kuchen ein wenig überladen, doch ich hatte alles richtig machen wollen. Die Köpfe der Anderen am Tisch drehten sich zu uns um. Sie lächelten. Schelmisch grinsend begann ich 'Happy Birthday' zu singen kurz bevor wir an unserem Platz ankamen. Meine Freunde stiegen ein. Kurz darauf taten dies auch einige umstehende fremde Menschen und schließlich sang beinah jeder in der Bar. Ich meinte zu sehen wie eine leichte Scharmesröte Quils Wangen überzog. Selbst er, der Aufmerksamkeit liebte, hatte wohl seine Wohlfühlzone verlassen. Hoffentlich freute er sich trotzdem.
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Der Abend war fantastisch. Quil schien zum ersten Mal seit langem wieder aufzublühen und Spaß zu haben. So viel, so befreit wie heute Abend hatte ich ihn schon lange nicht mehr lachen sehen. Das Lachen erreichte seine dunkeln Augen, die in dem matten Licht aufzuleuchten schien. Der Anblick ließ mein Herz aufgehen.
Zunächst sahen wir einigen Gästen zu, die auf der Bühne performten. Ruby und ich waren schließlich die Ersten aus unserer Runde, die kichernd zusammen auf die Bühne liefen. Begeistert tanzten wir auf der Bühne rum, während wir einen rockigen Song von Avril Lavigne zum Besten gaben. Rubys rote Haare flogen bei jedem Sprung wild in der Luft herum, ebenso wie meine braunen Haare mit den roten Strähnen. Während ich singend und springend auf der Bühne stand, das Gejohle unserer Freunde aus dem Publikum genoss, wurde mir klar, dass ich mich verändert hatte.
Als ich von der Bühne kam zog mich Derek an sich. Innig küsste er mich. Ich grinste in den Kuss hinein. Ich fühlte mich lebendig.
Quil stürzte sein Cola hinunter. Gemeinsam mit Ruby, die gerade erst mit mir zurückgekommen war bahnte er sich seinen Weg zur Bühne. Nach einem älteren Mann, den ich bereits bei meinem ersten Besuch hier gesehen hatte, legten die Beiden los. Mit meinen Händen formte ich einen Trichter vor meinem Mund. Jubelnd feuerte ich sie an. Unsere Freunde taten es mir gleich. Jason brüllte am lautesten. Quil war kein geborener Sänger, manche Töne wurden ein bisschen schief, doch das machte er mit seiner raumeinnehmenden Ausstrahlung wieder weg. Die Rocknummer passte zu ihm. Begeistert regten sie am Ende ihres Auftritts die Fäuste in die Luft und verneugten sich. Lachend applaudierten wir.
Mit einem spitzbübischen Grinsen tätschelte ich Dereks Schulter, als Ruby und Quil zurückkamen.
"So, mein Lieber! Willst du uns nicht zeigen wie ein waschechter Profi das macht?", neckte ich ihn.
Natürlich ließ er sich das nicht zweimal sagen. Und was soll ich sagen? Er war fantastisch. Derek mit seiner vollen, tiefen, samtigen Stimme nahm den Raum für sich ein.
Im 54 dominierten wir an diesem Abend das Karaokeprogramm. Natürlich traten außer uns auch noch andere Besucher auf, doch unser achtköpfiges Grüppchen bildete wohl den Hauptanteil. Nachdem wir auf den Geschmack gekommen waren gab es kein Halten mehr. Wir aßen Kuchen, tranken ein Softdrink nach dem Anderen, während wir dem zusahen, der gerade die Bühne rockte. Kathrine und Jason, Lydia und Lola, sowie auch Derek und ich sagen mindesten einmal zu zweit. Ich trat mit jedem meiner Freunde auf. Kurz bevor die Zeit gekommen war nach Hause zu fahren standen wir allen Ernstes alle zusammen auf der Bühne. Wir mussten die drei Mikrofone, die das Etabliment zur Verfügung unter uns aufteilen. Die Jungs gröhlen in ein Mikro, Ruby, Kathrine und ich teilten uns eines, ebenso wie das Traumpaar Lydia und Lola. Am Ende standen wir alle Arm in Arm vor unserem Publikum und verbeugten uns ein letztes Mal. Wenn ich ehrlich war würde ich am liebsten bis zum Morgengrauen hier bleiben. Ich wünschte mir die Zeit einfrieren und den Moment festhalten zu können.
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