32:
~°~
Ich hatte die Diskussion gewonnen.
Embry saß hinter mir auf meinem Motorrad mit einem von Jakes Helmen auf dem Kopf und hatte seine Arme locker um meine Taile geschlungen. Es war ein seltsames Gefühl. Irgendwie fühlte es sich anders an als früher. Er war oft bei mir mitgefahren, doch scheinbar hatte sich nicht nur unsere Beziehung zueinander verändert. Embry war ein anderer Mensch geworden. Nicht nur sah er anders aus, er verhielt sich auch so. Seine schüchterne Zurückhaltung war gewichen. Sie wurde ersetzt von... Ja, von was eigentlich? Ich konnte es nicht konkret benennen. Ich verstand ihn nicht mehr. Früher wusste ich immer was er dachte. Wir hatten uns beinah ohne Worte verstanden. Ein Blick hatte gereicht und ich wusste was in ihm vorging. Nun war er undurchschaubar. Seine schokoladenbraunen Augen verrieten mir nichts mehr. Alles was ich sah war ihre wunderschöne, vertraute Farbe. Sein Verhalten war unberechenbar für mich geworden. Erst ignorierte er mich, schickte mich fort, dann wendete er sich von seinen besten Freunden ab, rief mich gestern urplötzlich an und nun schien er in meiner Gegenwart aufzublühen. Über sein Lächeln, welches ich schmerzlich vermisst hatte, hinweg hätte ich beinah vergessen mir einen Plan zu überlegen Informationen aus ihm rauszukommen. Embry war vielleicht meine beste Chance Antworten auf meine tausenden Fragen zu erhalten.
Der eiskalte Fahrtwind schlug uns entgegen, doch brachte er Embry, der nur in kurzen Hosen und T-Shirt hinter mir saß, nicht zum schlottern. Stattdessen schien er mir als persönlicher Heizkörper zu dienen. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich diese wohlige Wärme nicht genießen würde. Zum ersten Mal dieses Jahr fror ich während des Motorradfahrens nicht. Es glich einem Wunder, dass seine langen Beine einen Platz an meiner kleinen Maschine gefunden hatten. Er hätte sie nur schwerlich fahren können wie mir erst auf halben Weg nach einigen Überlegungen klar wurde. Vermutlich könnte er sich locker breitbeinig über sie stellen und sein Hintern würde dem Sattel nichtmal nah sein. Sie hatte einfach nicht mehr die richtige Größe für ihn. Möglicherweise hätte ich doch sein Angebot annehmen und ihn mich mit dem Auto nach Hause bringen lassen sollen. Auf diesem Wege hätte ich ihn auf dem Weg ausfragen können, doch dieser Einfall war mir zu spät gekommen.
Das Embrys, nun muskulös gewordene, Arme um mich geschlungen waren kam mir ungewohnt vor. Noch am Ende des letzten Jahres war er um einiges schmächtiger gewesen.
Mir war diese körperliche Veränderung egal. Ich hätte gerne meinen Freund wieder. Könnte es jemals so sein wie zuvor?
Nach allem was vorgefallen war war ich mir inzwischen nicht mehr sicher ob das möglich wäre. Ganz hinten in meinem Kopf war da diese Stimme, die mir sagte, dass ich noch wütend auf ihn sein sollte, doch wenn ich von ihm hörte schien ich dazu tendieren diese Stimme zu ignorieren.
Ich war an einem Punkt angekommen an dem ich mir nicht mehr sicher war, ob Embry mir gut tat.
Ich hielt vor Dads Haus. Der röhrende Motor verstummte. Mein Beifahrer stieg mit einer erstaunlichen und beneidenswerten Eleganz vor mir ab. In einer fließenden Bewegung zog er sich den Helm vom Kopf. An seine kurzen Haare würde ich mich wohl nie gewöhnen. Er hatte schon vorher gut ausgesehen. Wieso hatte er sie sich abgeschnitten?
"Wie willst du jetzt überhaupt kontrollieren, dass ich nicht zurück zu Jake fahre sobald du weg bist?", erkundigte ich mich.
Er richtete seinen Blick Richtung Himmel, der zur Abwechslung nicht vollkommen wolkenverhangen war. An einigen Stellen lichtete sich die hellgraue Wolkendecke und ließ einen Blick auf das babyblaue Himmelszelt zu. Die Farbe strahlte mir geradezu entgegen. Seit ich hier lebte sah ich sie für meinen Geschmack viel zu selten, dabei würde das naheliegende Meer wunderschön aussehen, wenn es dieses Blau reflektieren würde. Der Anblick wäre himmlisch.
"Ich könnte auf deinen gesunden Menschenverstand vertrauen, hier campieren und dich Tag und Nacht überwachen, ODER-!", er brach mitten im Satz ab und sah mich ernst an, während er sich zu mir herunterbeugte.
Ich hob fragend eine Augenbraue.
"Oder?"
"Oder du versprichst es mir."
Ich kniff die Augen zusammen. Das war unfair! Im Gegensatz zu Embry hatte ich mich kein Stück verändert. Versprechen waren mir heilig und das wusste er. Er wusste welche Knöpfe er bei mir drücken musste. Verbissen schüttelte ich den Kopf.
"Du musst wohl im Garten campieren. Könnte kalt werden."
Er zuckte mit den Schultern.
"Ich friere nicht so schnell."
"Ach wirklich? Muss ich dich an die Male erinnern in denen du bibbernd aus dem Wasser gekommen bist nachdem wir surfen waren? Das war im Sommer."
Er rümpfte die Nase.
"Seitdem bin ich kältefester geworden.", mit seinem linken Zeigefinger deutete er auf seinen rechten Oberarm. "Mehr Muskelmasse. Produziert mehr Wärme."
Kopfschüttelnd stand ich vor meinem geliebten Motorrad.
"Ich verstehe dich nicht mehr, Embry.", stieß ich unvermittelt aus. Ich hätte selbst nicht gedacht, dass ich die Worte herausbekommen würde. "Ich weiß nicht mehr wo wir stehen. Sind wir Freunde? Sind wir keine Freunde mehr?"
"Adriana...-"
"Nein! Nein, du verwirrst mich! Du bringst mich vollkommen durcheinander. Mal ganz vorne angefangen bei diesem 'Adriana'-Ding. Seit wann nennst du mich so?"
"Das ist nunmal dein Name. Wo ist dabei das Problem?"
"Das Problem ist, dass du mich vorher nie so genannt hast. Für dich hieß ich immer Adi. Die Einzigen, die mich Adriana nennen sind meine Lehrer, Derek und meine Eltern, wenn sie wütend auf mich sind.", seufzte ich.
Verstand er es wirklich nicht, oder tat er wieder nur so? Ich wusste nicht woran ich bei ihm war. Das hier könnte eine einmalige Gelegenheit sein alles zwischen und ins Reine zu bringen, oder zumindest zu erfahren weswegen er sich von uns distanziert hatte.
"Derek... Ist das dein Freund? Dieser braunhaarige Typ mit dem du andauernd herumhängst?", fragte er leise, wobei er plötzlich seine Schuhspitzen unglaublich interessant zu finden schien. Seine Kiefermuskeln spannten sich an.
Verwirrt legte ich meine Stirn in Falten.
"Woher weißt du von Derek?", ich klang genauso überrascht wie ich es war.
Ich hatte schon nicht mehr mit Embry geredet, als Derek und ich zusammengekommen waren.
"Jacob... Er hat ihn erwähnt.", zog er sich eilig aus der Affäre.
Nun war ich noch verdutzter. Ich blinzelte einige Male hintereinander.
"Jake redet mit dir über meinen Freund?"
"Es war mehr beiläufig. Er hatte es nicht vor, aber... naja, manche Sachen schlüpfen einfach durch."
"Schlüpfen durch? Was? Okay, ja. Derek ist mein Freund. Wir sind vor einigen Wochen zusammengekommen.", kurz pausierte ich. "Ich hätte dir davon erzählt, wenn du einen meiner Anrufe angenommen hättest.", hing ich wispernd hinten dran.
"Tut mir leid.", entschuldigte er sich.
Ich presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen.
"Das sagtest du vor einer Weile schon einmal, aber ich sehe an deinen Handlungen kein Anzeichen dafür, dass es dir wirklich leid tut. Du hattest die Wahl, Embry, und du hast dich dazu entschieden uns links liegen zu lassen. Egal was deine Beweggründe dafür gewesen sein mögen, das war nicht in Ordnung! Du hast mir damit weh getan. Wir hätten zumindest eine Erklärung verdient gehabt."
"Ich weiß. Das hättet ihr, aber die Dinge sind... "
Verärgert stieß ich die Luft aus.
"Lass mich raten: kompliziert?"
"Unglaublich kompliziert. Ich wollte dich nicht- Ich will dich nicht in diese Sache mit reinziehen. Das hast du nicht verdient. Du verdienst besseres."
"Aber wieso verdammt lässt mich das nicht selbst entscheiden? Vielleicht steh ich ja auf kompliziert! Denkst du etwa ich könnte damit nicht umgehen? Offenbar betrifft es jetzt auch Jake, also mach bitte den Mund auf! Sag mir was hier los ist!"
"Das-Das kann ich nicht!", er klang vollkommen verzweifelt.
"Wieso nicht? Ist es wegen Sam? Hat er euch in irgendetwas mit reingezogen? Ich wollte es nicht glauben, aber Bella hat schon öfter etwas angedeutet und auch Jake schien Angst vor ihm zu haben. Jetzt steht der Kerl im seinem Haus! Embry, wenn das irgendetwas mit Sam zu tun hat, dann schwöre ich-!"
"Nein! Nein! Sam... Er hilft uns! Er hilft uns so gut er kann."
"Wobei denn? Wobei hilft er dir wobei ich dir- wir dir nicht helfen können?"
"Ich wünschte ich könnte es dir sagen..."
"Wieso in Gottes Namen tust du es dann nicht?", schrie ich schon fast heraus.
Gut, dass Dad noch auf der Arbeit war. Da Bella vermutlich immernoch über der Toilette hing würde sie wahrscheinlich auch nicht rauskommen.
Allmählich fühlte ich mich unwohl. Ein schwerer Knoten lag wie ein Stein in meinem Magen.
Embry ballte die Finger zu Fäusten zusammen. Die angespannte Haltung passte nicht zu seiner weichen, traurigen Mimik.
"Weil ich mir geschworen habe es nicht zu tun."
Mit einem Schlag wirkte er wie ein Kind im Körper eines Erwachsenen. Vollkommen verzweifelt, als stecke er in einem unmöglich zu lösenden Zwiespalt. Erst jetzt erkannte ich die Qual, die ihm ins Gesicht geschrieben stand. Es war als hätte er die Schutzmauer, die zwischen uns stand niedergerissen.
"Glaub mir, ich möchte wieder dein Freund sein! Ich möchte mit dir Zeit verbringen, aber ich bin nicht gut für dich, Adi!"
Ich verstand die Welt nicht mehr.
"Was meinst du damit?", fragte ich sanft.
"Ich meine damit, dass meine eigenen Wünsche dem im Weg stehen was ich mir für dich wünsche."
"Ich- Ich verstehe das nicht..."
"Das kannst du auch nicht. Ich habe schon viel zu viel gesagt."
Und plötzlich zog er die Mauern wieder hoch.
"Nein! Embry! Wir können- Wir können darüber reden! Du kannst mir vertrauen! Alles was ich will ist- ist... "
...
Ja.
Was wollte ich wirklich?
Ich ließ die Schultern hängen.
"Ich will dir nicht mehr hinterherrennen. Das habe ich so, so satt. Wenn wir weiterhin Freunde sein wollen, dann musst du mir entgegenkommen. Bitte, komm mir ein Stück entgegen!"
"Tut mir leid."
Wieso sagte er das immer wieder? Diese leeren Entschuldigungen taten mir mehr weh als es ein Machetenhieb vermocht hätte.
Er sah Richtung Wald und dann wieder zu mir.
"Bitte bleib Zuhause! Ich kümmere mich um Jake.", er sah mir tief in die Augen. "Versprochen!"
Und dann lief er in den Wald davon.
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Was hatten Männer mit Wäldern?
Ich hatte nicht viel Zeit diese Frage in meinem Kopf mit mir selbst auszudiskutieren, da bei mir kaum zwei Stunden nachdem ich wieder Zuhause war eine quälende Übelkeit einsetzte. Da Bella im Badezimmer vor der Toilette eingeschlafen war ging der erste Schwall meines recht überschaubaren Mageninhalts in meinen Mülleimer in dem zum Glück eine Mülltüte steckte.
Mir war sofort klar, dass ich mich entweder bei Bella, oder bei Derek angesteckt hatte. Es war als hätte Embry mich mit einem Fluch belegt, damit ich ja Zuhause blieb. Sein Ziel war erreicht. Ich würde das Haus in den nächsten Stunden nicht mehr verlassen. Hoffentlich hatte ich ihn nicht angesteckt.
Ich traute mich nicht mich allzuweit von meinem Mülleimer zu entfernen, weswegen ich Kathrine mit dem Handy anrief, um unseren Mädelsabend abzusagen. Das Gespräch hatte ich kurz halten müssen, denn keine drei Minuten später hing ich erneut über dem Eimer. Da ich seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte war alles was sich noch in meinem Magen befunden hatte bereits beim ersten Mal herausgekommen. Der bittere Geschmack von Galle breitete sich in meinem Mund aus. Ich würgte.
Als Dad nach Hause kam und seine beiden Töchter krank vorfand war er eindeutig überfordert mit der Situation. Bella schien erst bei seiner Heimkehr erwacht zu sein. Ich hörte ihre Stimmen aus dem Badezimmer, während ich den Eimer umarmend auf meinem Bett saß.
"Lebst du noch?", fragte er.
"Halbwegs.", antwortete sie.
"Brauchst du irgendwas?"
"Nein, danke.", wies sie ihn dankend ab.
Er nahm es mit einem flapsigen "Na dann." hin.
Gott, ich kam wirklich nach Mom. Das Konversationstalent kam definitiv nicht von meiner Familie väterlicher Seits. Ohne mich wären die Beiden aufgeschmissen. Vermutlich würden sie sich nie miteinander unterhalten.
Dad kam in mein Zimmer.
"Wie geht es dir, Kleine?"
Er stellte eine Flasche Wasser, die er mir gerade auf meine Bitte holen gegangen war auf meinem Nachttisch ab.
"Elendig. Ich fühle mich ending. Wenn ich es nicht besser wüsste würde ich glauben ich sterbe.", beschwerte ich mich.
Mein Vater strich mir liebevoll über den Kopf.
"Du siehst auch sehr blass aus. Bist du sicher, dass du nichts essen willst? Salzkracker vielleicht? Wir haben noch welche in der Küche glaube ich."
Allein bei dem Wort Essen drehte sich mir der Magen um.
"Ganz sicher.", bestätigte ich.
"Nun denn... ", er klopfte sich mit den Händen auf die Oberschenkel. "Kann ich dir noch irgendwie helfen?"
"Wenn du eine zweite Toilette herzaubern könntest wäre ich dir sehr verbunden. Haben wir nicht noch diesen Toliettenstuhl, den du mitgebracht hast, als Bella ihr Bein gebrochen hat?"
Er schmunzelte.
"Ich denke den haben wir schon vor Monaten zurückgegeben."
Ich grummelte. Eine Stunde gäbe ich ihr noch, dann würde ich Bella aus dem Bad werfen und es für mich beanspruchen. Mir ging es gerade eindeutig schlechter. Sie hatte das Schlimmste bereits hinter sich. Über einen Schichtplan ließe sich verhandeln.
"Geht es Mike bereits besser?", erkundigte ich mich.
"Ich kann gleich mal anrufen, wenn du möchtest. Ich wusste nicht, dass ihr auch befreundet seit."
"Sind wir nicht.", verneinte ich. "Ich will nur wissen wie viele Stunden dieses Horrortrips ich noch vor mir habe.", klärte ich ihn auf.
Ich brachte ihn erneut zum schmunzeln.
"Ich rufe gleich an und erkundige mich. Ruh dich aus, Adi!"
"Ich versuch's. Danke, Daddy."
~°~
Dad rief kurz darauf hoch, dass es Mike besser ginge. Aus dem Badezimmer ertönten Würgelaute. Bella sprach mir aus der Seele. Sie hatte... noch ungefähr acht Stunden Übelkeit vor sich, wenn ich mich nicht verrechnet hatte, während ich hingegen wahrscheinlich den gesamten nächsten Tag und vermutlich auch am Montag K.O. wäre.
Nach knappen zwei Stunden, die ich noch gewartet hatte, dass Bella von allein das Badezimmer verließ, hielt ich es nicht mehr aus. Zu dem Brechreiz hatten sich bestialische Magenschmerzen gesellt, die mich glauben ließen mein Darm würde jede Sekunde explodieren. Die Schmerzen waren barbarisch. Ich musste auf die Toilette! Bella war vor der Toilette auf dem Boden in einen tiefen Schlaf gefallen, sodass sie nichtmal aufwachte, als Dad sie in ihr Zimmer trug. Ich ließ ihn noch kurz selbst sein Geschäft verrichten ehe ich mich in dem kleinen Raum verbarrikadierte. Die Nacht war ein einziger Höllentripp. Es war fast Mitternacht als ich mir zutraute das Badezimmer zu verlassen. Mehrere Stunden war mir sowohl oben als auch unten alles rausgekommen. Ich fühlte mich ausgezerrt, da mein Körper rein gar nichts bei sich behielt. Fünf Minuten hatte ich Wasser aus dem Hahn getrunken. Mein Flüssigkeits- und Elektrolytehaushalt musste komplett im Keller sein. Mir tat alles weh. Unter Umständen hatte Jake doch nur die Grippe. Zwar fühlte es sich nicht an als würden alle meine Knochen brechen, doch schmerzhaft war es dennoch. Leise fluchend hatte ich mir in der Küche in der Mikrowelle ein Körnerkissen warm gemacht in Hoffnung es würde gegen die Magenkrämpfe helfen, doch was ich dabei nicht bedacht hatte waren die Hitzewellen, die mich kurz darauf heimsuchten, als ich versuchte endlich Schlaf zu finden. Weinend hatte ich einen verzweifelten Schrei unterdrückt. Ich wollte doch nur schlafen! Nur schlafen! War das zu viel verlangt? So kam es, dass ich das Fenster aufgerissen hatte. In meine Decke eingewickelt bekam ich kaum noch mit wie die kalte Winterluft mein Zimmer in Beschlag nahm. Ich glitt in einen unruhigen Schlaf hinab.
In der Nacht quälte mich ein Albtraum. Als ich in den frühen Morgenstunden aufwachte erinnerte ich mich bloß noch an Bruchstücke. In dem Traum war ich in einer mond- und sternenlosen Nacht im Wald gewesen. Er hatte sich sonderbar gewellt, wie ein Papier, das man zusammenrollt. Wo ich auch hinsah, oben, unten, rechts, links, vorne, hinten, nichts als ein dunkler Wald. Der hellgraue Wolf mit den schwarzen Flecken war dagewesen, sowie Quil, Jake und Embry. Quil hatte mich nicht finden können. Lediglich seine Stimme war durch die Schwärze der Nacht gehallt. Sie kam immer aus einer anderen Richtung, sodass ich nicht herausfinden konnte wo er war. Egal welche Richtung ich einschlug, es war die Falsche. Ich hatte versucht einen wimmernden Jake zu stützen, der immerwieder zusammenbrach und mich mit seinem Gewicht mit runter gezogen hatte. Embry war hin und wieder zwischen den Bäumen aufgetaucht, doch wenn ich versucht hatte zu ihm zu laufen verschwand er im Nichts, löste sich auf, oder rannte davon bevor ich ihn erreichen konnte. Ich konnte rennen wie ich wollte, die Welt um mich herum bewegte sich, doch ich kam nicht vom Fleck. Es war als würde ich auf einem Laufband laufen. Meine verzweifelten Rufe verklangen, wurden von der dröhnenden Stille verschluckt. Schweißgebadet war ich aufgewacht. Meine Nase war eiskalt. Mein Atem stand in der frostigen Luft.
Sobald ich meine Decke zur Seite schlug, um das Fenster zu schließen begann ich zu zittern.
Ein erneuter Versuch zu schlafen kam nicht in Frage. Der Fiebertraum verfolgte mich. Ich hatte das Gefühl mein Körper würde glühen. So kam es, dass ich mich um vier Uhr morgens unter die Dusche stellte. Das prasselnde Wasser beruhigte mich und spülte den klebenden Schweiß von meiner Haut. Ein verschlafener Charlie stand in der Tür zum Badezimmer, als ich meine Haare trocknete. Ich rechnete schon mit einem Donnerwetter, doch er wollte nur wissen, ob alles in Ordnung sei. Ich bejahte. Nach der Dusche ging es mir tatsächlich besser.
Da ich nicht zurück in mein Zimmer wollte kugelte ich mich auf dem Badezimmerteppich zusammen und starrte vor mich hin.
Ich hatte nicht gemerkt wie ich eingeschlafen war. Von Dereks Stimme wurde ich wach. Durcheinander und verschlafen blinzelte ich gegen das schummrige Tageslicht an. Vor mir hockte mein Freund in einer grauen Jogginghose und einem dunkelblauen Kapuzenpullover. Ein ungewohnter Anblick, doch er war schön wie eh und je. Zärtlich fuhr er mir mit seinen Fingern durch die Haare, die vermutlich vollkommen wirr von meinem Kopf abstanden.
"Guten Morgen, Sonnenschein.", murmelte er leicht lächelnd.
"Mhm...", grummelte ich lediglich.
Mein Hirn funktionierte noch nicht. Desto mehr ich vom schlafenden in den wachen Zustand überging, desto mehr bereute ich es. Meine Glieder taten mir noch immer weh, mein Magen krampfte sich nach wie vor zusammen und ich war mir sicher auch immernoch Fieber zu haben.
"Wie geht es dir heute?", erkundigte er sich.
"Ich will nicht mehr... "
"Was? Krank sein?"
"Leben... ", knurrte ich.
"Das ist aber ziemlich düster.", meinte er lediglich und setzte sich neben mich auf den Boden.
Vorsichtig hob er meinen Kopf an und legte ihn auf seinem Oberschenkel ab. Er kraulte weiterhin meinen Kopf.
Ich schloss die Augen und ehe ich mich versah versank ich in einem traumlosen Schlaf.
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Der Sonntag war für mich gelaufen. Ich wachte erst einige Stunden später in meinem Bett auf. Derek saß neben mir auf meiner Matratze und laß eines meiner Bücher. Ich hätte nicht damit gerechnet ihn zu sehen und auch wenn es unglaublich süß war, dass er nach mir hatte sehen wollen, nachdem er gestern durch meinen Dad erfahren hatte, dass ich nun auch krank war, konnte ich mich nicht wirklich über seine Gesellschaft freuen. Ich fühlte mich einfach nur fürchterlich. Das es Derek bereits wieder besser ging war ein Silberstreif am Horizont, da es bedeutete, dass ich vermutlich auch keinen allzu langen Leidensweg mehr vor mir hatte. Nachdem wir uns unten im Wohnzimmer gemeinsam mit Bella zwei Filme angesehen hatte schickte ich ihn wieder nach Hause, da ich erneut merkte wie sich mein Magen meldete. In dem kommenden Stunden wäre die Toilette wieder mein bester Freund und ich wollte nicht wirklich, dass er das hautnah mitbekam. Er sollte sich selbst noch ausruhen. Auch er war noch ein wenig blass um die Nase.
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Am Mittwoch ging ich und ich konnte nicht fassen das ich das sagte, endlich wieder zur Schule. Ich war so erleichtert gewesen, als ich am Montag Abend Salzbrezel gegessen und sie danach tatsächlich drinn behalten hatte. Innerhalb von vier Tagen hatte ich fast zwei Kilogramm abgenommen.
Dad war besorgt, da Harry Clearwater wohl wegen einer Herzuntersuchung ins Krankenhaus musste. Sue, seine Frau, hatte sich schon länger um seine Gesundheit gesorgt. Ich hatte bei den Clearwaters angerufen, um Harry eine gute Besserung zu wünschen. In den nächsten Tagen könnten wir sicherlich etwas größere Portionen frisch kochen und ihnen vorbeibringen. Ich wollte Sue zumindest ein wenig entlasten. Neben Billy waren die Clearwaters Dads älteste Freunde.
Bella hingegen sorgte sich im Jake. Inzwischen glaube ich tatsächlich, dass ihre Sorgen wohlmöglich nicht übertreiben waren. Wir beide hatten die Grippe in einer recht kurzen Zeit überstanden, doch Jake schien es nicht besser zu gehen. Misstrauisch wurde ich vorallem als Harry, den Dad auf Bellas Bitte hin anrief, um sich nach Jake zu erkundigen, der nicht mehr ans Telefon ging, da dieser behauptete es gäbe Probleme mit den Telefonleitungen. Allerdings telefonierte ich andauernd mit Quil. Der Anschluss der Atearas schien zu funktionieren. Seltsam. Doch wieso sollte Harry lügen? Da ich heute Nachmittag arbeiten musste wollte Quil bei den Blacks vorbeischauen und mich dann anrufen.
Während meiner Schicht kamen kaum Kunden vorbei. Seit diese Bärensichtungen angefangen hatten war hier kaum noch etwas los. Mike fragte mich die ganze Zeit über Bella und ihre Beziehung zu Jacob aus. Irgendwann war ich dermaßen genervt davon, dass ich mich mit einem freundlichen Lächeln ins Lager aufmachte und mit Kopfhörern in den Ohren die neuen Waren durchging. Gegen Ende meiner Schicht bekam ich schließlich einen Anruf. Scheinbar hatte Billy Quil an der Haustür abgewimmelt und behauptet Jake hätte Pfeiffersches Drüsenfieber. Ich konnte diese Worte nicht mehr hören. Jetzt war es klar. Ich glaubte Billy kein Wort. Was immer Jake hatte es war mit Sicherheit nicht das Pfeiffersche Drüsenfieber. Wenn wir nicht sofort etwas unternehmen würden würden wir ihn wohlmöglich auch als Freund verlieren. Ich versicherte Quil, dass ich mich gleich auf den Weg machen würde. Wir wollten beratschlagen was wir tun könnten, um an ihn heranzukommen.
Als ich vor Quils Haus ankam saß er bereits auf der Veranda. Er sah blass aus unter seiner Bräune. Seine Schultern ließ er hängen wie ein Stückchen Elend. Rasch stieg ich von meinem Motorrad ab.
"Quil, was ist los?"
"Ich habe ihn heute gesehen. Sie standen vor dem Laden."
Quils Zuhause war kurz hinter dem Laden. Ich wusste sofort von wem er sprach.
"Also hat Billy ganz eindeutig gelogen. Was ist nur mit Jake los? Was hast du gesehen?"
Quil zuckte mit den Schultern, wobei er betreten zu Boden blickte. Von seiner üblichen guten Laune war keine Spur.
"Er stand mit Sams Leuten vor dem Laden und schien sich mit ihnen zu streiten. Dann ist er weggelaufen und Embry ist ihm gefolgt."
"Embry ist ihm gefolgt?"
Er lachte freudlos.
"Ich weiß. Das überrascht mich genauso wie dich. Scheinbar ist er ihm plötzlich nicht mehr gleichgültig."
Ich musste an Embrys Versprechen denken. Er hatte mir versprochen sich um Jake zu kümmern. Er tat es tatsächlich. Er hielt sein Versprechen.
~°~
Mehrere Tage vergingen. Wir, Quil, Bella und ich hatten versucht Jake zu erreichen, doch es war wie bei Embry. Wir trafen ihn einfach nirgendwo an. Ich rang mit mir, ob ich wieder bei Sam Zuhause aufkreuzen konnte. Sie wären sicherlich irgendwann dort. So war es schonmal gewesen. Abgesehen davon meinte Embry Sam würde ihnen helfen auch wenn ich keine Ahnung hatte wobei. Etwas geschah mit meinen Freunden und ich konnte mir nicht erklären was, doch ich hatte begonnen Nachforschungen anzustellen. Alles hatte bereits letztes Jahr angefangen. Weder Paul, noch Jared waren zuvor mit Sam, der älter war als sie, befreundet gewesen, doch urplötzlich folgten sie ihm wie Entenküken ihrer Mutter. Es kam mir tatsächlich vor wie eine Sekte. Wie war das auch sonst zu erklären? Bella tat mir leid. Schon nach einer Woche ohne Jake schien sich ihre Verfassung wieder zu verschlechtern. Ihre Albträume begannen von neuem. Oft erwachte ich mitten in der Nacht durch ihre Schreie. Ich legte mich dann zu ihr und sie schlief wieder ein.
Sie rief Jake jeden Tag mehrfach an, doch kam nicht durch. Am Samstag schließlich änderte sich dies. Scheinbar sprach sie mit Billy. Das Gespräch war kurz. Für mich war das keine Überraschung. Ich kam aus meinem Zimmer heraus, traf im Flur auf Dad und ging mit ihm zusammen die Treppe hinunter.
"Ist irgendwas?", fragte Charlie.
"Nein, nein.", es war eindeutig, dass Bella log. Ihre Stimme ging dabei hoch. "Billy hat gesagt, Jacob geht es besser. Es war doch nicht das Pfeiffersche Drüsenfieber. Ein Glück."
Was auch immer es war, Jake schien sich davon schneller zu erholen als Embry es getan hatte.
"Kommt er her, oder fährst du hin?", fragte Dad zerstreut, während er den Kühlschrank durchforstete.
"Weder noch.", gestand sie. "Er ist mit anderen Freunden unterwegs."
Mit anderen Freunden? Das bedeutete wohl mit Sam und Co. Dad sah sie plötzlich beunruhigt an.
"Ist es nicht noch ein bisschen früh fürs Mittagessen?", erkundigte sich Bella und deutete auf die Packung Käsescheiben in seiner Hand. Es war klar, dass sie nur das Thema wechseln wollte.
"Nein, ich packe mir nur was ein, was ich mit zum Fluss nehmen kann."
An Bellas Gesichtsausdruck war abzulesen, dass sie Dads Angelausflug mit Harry vergessen hatte. Dabei hatte er uns extra davon erzählt.
"Ach so, gehst du angeln?"
Nein, er wollte im Winter im Fluss plantschen.
"Naja, Harry hat angerufen... und es regnet nicht... ", während er sprach, legte er Lebensmittel auf den Tisch.
Er musste sich doch nicht rechtfertigen, wenn er seinen Hobbys nachging. Wie ich fand ging er viel zu selten abseits der Arbeit aus dem Haus. Es tat ihm gut Zeit mit seinen Freunden zu verbringen.
"Wär's dir vielleicht lieber, wenn ich hierbleibe, jetzt, wo Jake keine Zeit hat?"
Ich verdrehte die Augen. Er fasste Bella immernoch mit Samthandschuhen an.
"Dad, ich bin auch noch hier!"
Bella warf mir einen Blick zu.
"Ist schon in Ordnung, Dad. Bei schönem Wetter beißen die Fische doch besser."
Er starrte sie unschlüssig an. Wir alle wussten, dass er sich Sorgen machte und Angst hatte Bella alleine zu lassen, falls sie wieder Trübsal blasen sollte.
"Nein, wirklich, Dad, ich glaub, ich rufe Jessica an. Wir schreiben eine Matheklausur, für die wir lernen müssen. Da könnte ich ihre Hilfe bebrauchen."
Autsch. Das war wohl eine Abfuhr für mich. Allerdings wusste ich nicht, ob sie die Wahrheit sagte. Ihre Stimme ging wieder so in die Höhe.
"Das ist eine gute Idee. Du warst so viel mit Jacob zusammen, deine anderen Freunde denken bestimmt schon, du hast sie vergessen."
Sie lächelte gekünselt und nickte. Ich bezweifelte, dass sie ihre 'anderen Freunde' auch wirklich als ihre Freunde sah. Sie stand ihnen noch nie nah. Bella war schon immer eine Einzelgängerin gewesen. Jake und die Cullens waren bisher die Einzigen außerhalb der Familie, die ihre Mauern hatten überwinden können.
"Ich möchte, dass ihr euch vom Wald fernhaltet, vergesst das bitte nicht.", ermahnte uns Dad.
"Schon wieder Ärger mit den Bären?", erkundigte ich mich.
Ob es wirklich Bären waren, oder die Menschen einen der riesen großen Wölfe gesehen hatten? Ich hoffte ihnen würde es gut gehen. Der Anblick dieses Wolfes hatte sich in mein Gedächtnis gebrannt.
Dad nickte und runzelte gleichzeitig die Stirn.
"Ein Wanderer wird vermisst - die Ranger fanden sein Lager heute Morgen verlassen vor, von ihm selbst keine Spur. Da waren diese Spuren von richtig großen Tieren... die könnten natürlich auch später gekommen sein, weil sie den Proviant gerochen haben... Jedenfalls wollen sie jetzt Fallen aufstellen."
"Das mit dem Verschwinden des Wanderers ist grausam, aber Fallen aufzustellen? Ist das nicht gefährlich? Andere Wanderer können dort hineintreten, oder unschuldige Tiere. Das kann doch nicht die Lösung sein.", empörte ich mich.
Leider hatte Dad es eilig, sodass wir das Thema nicht weiter vertiefen konnten. Bella hatte ihre Bücher zusammengepackt. Ich war überrascht, als sie mir tatsächlich zurief bevor sie das Haus verließ. Ehrlich gesagt hatte ich nicht erwartet, dass sie sich mit Jessica treffen würde. Als ich nach unten kam sah ich allerdings all ihre Bücher auf dem Wohnzimmer in einer Tasche liegen.
Wo war sie bitte hin?
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