30:
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Mit der Taschenlampe und dem Schraubenschlüssel bewaffnet krakselte ich über die matschige, karge Wiese. Ich wünschte mir sehnlichst ich hätte andere Schuhe angezogen. Andererseits, als ich mich für mein Outfit entschieden hatte, hatte ich gedacht wir würden lediglich ins Kino gehen. Mit einer Suchaktion durch die Wälder hätte ich nicht rechnen können. Schon jetzt spürte ich wie meine Zehen allmählich klamm wurden.
Die Kälte umklammerte meinen gesamten Körper, insbesondere meine Hände, sowie mein Gesicht, die nicht von Kleidung geschützt waren. Auf meinem Weg zum Waldrand fiel mir irgendwann auf, dass es nicht nur die Kälte war, die sich auf meine Haut legte. Ein dünner Wasserfilm benetzte sie ebenfalls. Verwirrt strich ich mit den Fingerspitzen über mein Gesicht. Definitiv Wasser. Genervt blickte ich in den düsteren Himmel hinauf.
"Ernsthaft?!", schrie ich hinauf.
Das konnte doch nur ein schlechter Witz sein! Nieselregen?! Wirklich? Konnte nicht wundervoller Pulverschnee auf die Erde niederschweben? Prima! Ganz fantastisch!
Deutlich angepisst, noch mehr als bereits zuvor von Billys Ignoranz und dem Versuch mich von hier zu vertreiben, stapfte ich weiter. In der Dunkelheit waren die Tropfen kaum zu sehen. Lediglich an den stellen an den der Lichtkegel der Taschenlampe sie durchschnitt waren sie zu erahnen. Zunächst ging ich einfach nur gerade aus, tiefer ins Dickickt hinein. Ich hatte erst Parallel zum Waldrand suchen wollen, doch Jake war in dem Tempo, welches er drauf gehabt hatte bestimmt tiefer in den Wald gerannt. Die knochigen, kahlen Äste, welche sich in den nächtlichen Himmel ragten, bildeten kaum einen Kontrast zum dunkelgrau-blauem Firmament. Hier draußen wirkte alles düster und obwohl ich von vollkommer Finsterniss umgeben war wirkte der stern- und mondlose Nachthimmel nun heller als der Rest.
Mein Sichtfeld war stark eingeschränkt. Die Taschenlampe beleuchtete nicht gerade ein weites Gebiet. Bei jedem Knacken, das ich nicht selbst verursachte zuckte ich erschrocken zusammen. Mein Herz setzte jedes Mal aufs Neue zum Sprint an. Ich hatte keine Angst vor der Dunkelheit. Für Gewöhnlich ging ich sogar lieber raus, wenn es bereits dunkel war. Bei Nacht wirkte die Welt aufeinmal so friedlich und still. Ich hatte Angst was sich in der Dunkelheit verstecken könnte. Es müsste sich nichtmal verstecken. Ein Berglöwe könnte direkt vor meiner Nase rumschleichen und ich würde ihn nicht sehen. Ich konnte keine fünf Meter weit sehen! Eine Flucht vor einem Tier war bei diesen Sichtverhältnissen nahezu sinnlos. Ich würde früher, oder später stolpern, über einen Stein, oder eine Wurzel, hinfallen und, TADAAA, das Mahl wäre angerichtet. Ich würde als Tierfutter enden. Wieso war ich allein hergekommen? Jakes Name lag mir auf der Zunge, es kribbelte mich in den Fingern nach ihm zu rufen, doch das kam mir selten dämlich vor. So fingen Horrorfilme an. Wie sollte ich ihn in diesem weiträumigen Gelände finden? Bisher hatte ich mich noch nicht verlaufen. Nach jeder Abbigung hatte ich den Baum markiert und mir in meinem Handy, in einer nicht abgeschickten SMS notiert in welche Richtung ich gegangen war. Noch war ich zuversichtlich, den Weg zurück zu finden, doch wie lange würde das noch so bleiben? Vielleicht würde meine ausgeklügelte Taktik auch nicht funktionieren. Obwohl... Ich war bisher nur geradeaus, links und rechts gegangen. Wenn ich mich jetzt umdrehen und einfach nur vorwärts gehen würde müsste ich doch zurück zur Straßen kommen, oder? Nicht zur selben Stelle wo das Auto stand, aber zur Straße.
Mit ein wenig Glück würde ich bald auf Jake treffen, oder auch auf Sam, Jared, Paul, oder Embry. Sie suchten doch auch nach ihm, oder? Wie es wohl wäre Embry zu treffen? Würde Jake vielleicht mit Absicht vor ihm davonlaufen? Vorzustellen wäre es. Er war sehr wütend auf ihn. Das war ich auch, aber vorallem verletzte uns seine Ablehnung. Dennoch, im Moment wäre ich froh ihn zu sehen, oder einen der anderen Jungs. Immerhin würde ich dann nicht mehr mutterseelen alleine durch den Wald geistern.
Meine Nase lief. In meinen Taschen kramte ich nach einem Taschentuch. Soviel dazu leise zu sein. Ich trompetete durch die Stille wie ein Babyelefant, als ich mir die Nase putzte.
Im Unterholz raschelte es. Mir fiel der Schraubenschlüssel herunter, den ich mich unter den Arm geklemmt hatte, um eine Hand frei zu haben. Der Aufprall verursachte einen dumpfen Laut. Eilig hob ich ihn wieder auf. Ich schloss die Finger meiner rechten Hand krampfhaft um das harte Metall. Es fühlte sich nichteinmal mehr kalt an. Ich spürte allgemein wenig. Das war kein gutes Zeichen. Meine Hände waren bereits abgefroren. Zumindest fühlte es sich so an. Mein hektischer Atem schickte Wölkchen in die Luft. Ich drehte mich um meine eigene Achse, strahlte mit der Lampe ins Dickicht hinein und versuchte irgendetwas zu erkennen. Ein "HALLO?!" lag mir auf den Lippen, doch ein Tier würde mir wohl kaum Antworten. In meinem Kopf versuchte ich mich im Schnelldurchlauf an alles zu erinnern, was mein Dad und meine Freunde mir seit meiner Ankunft in Forks über die hier lebenden Tiere beigebracht hatten. Wie verhielt man sich richtig? Statt hilfreicher Antworten spielte mein Hirn ein vollkommen anderes Programm. Es dachte an Skorpione, Schlangen, Serien in denen solche Tiere, die es hier allesamt nicht gab, von Wildhütern gefangen wurden. Es war wie in Französich damals in der achten Klasse. Wenn ich es brauchte beherrschte ich die Sprache nicht auf Abruf. Die Angst ließ mich nicht klar denken. Und ich hatte Angst. Ich war ein wahnsinniger Angsthase. Inzwischen befand ich mich in eine Teil des Waldes in dem mehr Nadelbäume, als Laubbäume standen. Der Himmel, der mir vorhin heller vorgekommen war war hier kaum zu sehen. Stattdessen schienen die gigantischen Tannen, Fichten und Kiefern Schatten auf mich zu werfen, während sie sich in einer eisigen Windböhe hin und her wiegten. Ein leises Raschelt erklang. Ich fuhr herum. Wenige Meter von mir entfernt meinte ich einen Schatten, eine dunkle Gestalt entlangschleichen gesehen zu haben. Wie angewurzelt blieb ich stehen. Mein Puls beschleunigte sich, die Muskeln in meinem Körper zogen sich zusammen. 'Das ist es wohl was mit Fluchtreflex gemeint ist', dachte ich mir, während das Adrinalin durch meine Adern rauschte. Mit einem Mal verblasste die Empfindung von Kälte, meine Augen schienen besser, klarer in der Dunkelheit sehen zu können und ich war mir sicher eine Meile rennen zu können ohne anzuhalten, oder langsamer zu werden, wenn ich es müsste. Ich war auf alles gefasst, Kampf, oder Flucht.
Obwohl ich es nie für möglich gehalten hatte wünschte ich mir gerade sehnlichst eine der Schusswaffen von Dad herbei. Vor langer Zeit hatte er mir beigebracht wie man sie benutzte. Er war sogar mit mir auf dem Schießstand der Polizei gewesen.
'Nur für den Fall!", hatte er gesagt.
Damals hatte ich angenommen er meinte soetwas wie einen gewaltätigen Einbrecher, oder einen bösen Ganoven, den mein Papa festgenommen hatte und der sich nun an ihm dafür rechen wollte wie in den Filmen, doch ich hatte nie ernsthaft daran gedacht jemals eine Waffe zu benutzen. Ich wollte es nicht. Ich wollte niemanden ernsthaft verletzen müssen. Auch jetzt war mir bei dem Gedanken unwohl, doch ich fürchtete mich. Gegen einen Berglöwen hätte ich keine Chance.
Oh Gott... Mein Herz rutschte mir förmlich in die Hose. Ich versuchte meinen Atmen unter Kontrolle zu bekommen. 'Verstecken!', schrie ein Teil von mir. 'Weglaufen!', rief ein anderer, doch meine Beine waren schwer wie Blei. Wüsste ich es nicht besser, könnte ich es nicht sehen, würde ich denken sie seien wie Wurzeln in der Erde des Waldes verkeilt. Ich würde denken ich sei im wahsten Sinne des Wortes festgewachsen. Doch meine Beine waren frei. Ich stand auf relativ festem Boden. Nichts hinderte mich, keine äußeren Umstände hinderten mich daran wegzulaufen. Nur mein Verstand band mich gundlos an Ort und Stelle fest. Ich wollte mich auf dem Boden zusammenkauern, die Augen schließen und hoffen, dass alles gleich vorbei sein und ich sicher sein würde. Ich würde gerne nach meinen Handy greifen und Dad und Mom anrufen einfach nur um ihre Stimmen zu hören, die mir sagten, dass sie gleich da sein. Ich wollte hören, dass ich in Sicherheit sei und es keinen Grund gäbe, um Angst zu haben. Doch den hatte ich. Ich war allein im dunklen Wald, während ein finsterer, großer Schatten, viel zu groß als das es ein Eichhörnchen, oder Kanninchen sein könnte, um mich herum schlich. Ein Schauben! Ich hörte ein Schnauben! Ein Bär? Wäre möglich. Jetzt sah ich es ganz deutlich. Die schwarze Siluette kam auf mich zu. Fürs weglaufen war es jetzt zu spät. Irgendwo hatte ich gehört, dass man nicht vor Bären weglaufen sollte, da sie einen sonst verfolgten. Obwohl... Ich meinte es würde nur für bestimmte Bärenarten gelten. Bei den Lichtverhältnissen und in meinem momentanen Zustand stetig anwachsener Panik war ich nicht gerade in der besten Position eine Bärenart zu bestimmen. Die Einzige, die ich mit meiner Expertise genau identifizieren könnte wäre ein Panda. Auf einen Panda in Forks, Washington zu treffen war ebenso wahrscheinlich wie einen lebendigen Fisch in der Wüste zu anzutreffen. Die Wahrscheinlichkeit verlief sich im Nichts. Ich versuchte mich groß zu machen, so groß wie es mit meinen 1,60m nunmal ging. Irgendwo hatte ich davon gehört, dass man das tun sollte. Ich glaube das eine Mal als ich mit Mom, Bella und Phil in einem Nationalpark gewesen war. Langsam nährte sich das Tier und mir wurde klar, dass meine Bemühungen keinen Sinn hatten. Dieses Tier war riesig. Es hatte das Stockmaß eines ausgewachsenen, großen Pferdes. Für einen Bär wäre es dennoch recht schmal gebaut. Ich traute mich nicht den Lichtstrahl auf das Tier zu richten, doch es trat von selbst auf ihn zu. Kein Bär, definitiv kein Bär!
Ich erkannte hellgraues Fell mit schwarzen Flecken. Trotz der Größe stimmte die Staur für einen Bären nicht. Als das prächtige Tier schließlich seinen Kopf hob, den es die ganze Zeit über gesenkt gehalten hatte erschien es nicht nur noch gigantischer, ich erkannte auch was es war. Es war ein Wolf. Ein riesiger, grigantischer Wolf. Wölfe konnten doch nicht so groß werden! Und doch stand ein nahezu monströses Exemblar vor mir. Ich schluckte während ich wie von selbst den Kopf in den Nacken legte. Er kam mir immer näher.
"Schon gut! Schon gut! Ich... Ich bin ein Mensch, siehst du? Ich bin keine Gefahr für dich! Ich will dir nichts tun und ich hoffe du mir auch nicht. Wir- Wir können eine Vereinbarung treffen, hmm? Wir beide lassen einander einfach gehen. Was sagst du? Jetzt haben wir uns kennengelernt und du siehst das ich harmlos für dich bin und wir können getrennte Wege gehen.", brabbelte ich einfach los.
Nun war das Bärenhandbuch in meinem Kopf angesprungen und auch wenn vor mir kein Bär stand hielt ich es für keine schlechte Idee ihm zu verklickern, dass ich ein Mensch war. Waren Wölfe nicht für gewöhnlich menschenscheu? Naja, bei seiner Größe war dieser Wolf wohl eine Ausnahme. Er müsste sich vor nichts und niemandem fürchten außer vor Jägern mit Gewehren. Er könnte mich mit einem Haps als Dinner verspeisen. Mich durchlief ein Schauer.
Seltsamerweise kam es mir vor als würde dieser Wolf mich direkt ansehen, mir in die Augen sehen und meine Worte verstehen. Ich hatte Wölfe schon immer für unglaublich schlaue Tiere gehalten. Sie waren gerade wegen ihrer Intelligenz und ihrer Eigenschaft im Rudel, als Familie zu leben, meine Lieblingstiere. Ich begriff das es seine Größe war, die mich am Meisten verunsicherte. So verrückt es auch klang, aber mir kam der Gedanke, dass er mir nichts tun wollte. Warum hätte er mich sonst nicht schon längst angegriffen.
"Wo ist deine Familie? Wo ist dein Rudel?", fragte ich, ohne eine Antwort zu erwarten. Wie hätte er mir auch Antworten sollen?
Noch mehr Riesenwölfe um mich herum den Wald durchkämmend zu wissen machte mir Sorgen. Was wenn Jake, oder auch die Anderen auf sie stießen, oder vielleicht sogar auf sie gestoßen waren?
"Wenn du nicht alleine bist solltest du dein Rudel warnen.", riet ich ihm. "Ich suche nach einem Freund. Nicht nur ich suche nach ihm. Ich werde nichts sagen. Niemand wird von mir erfahren, dass ich dich gesehen habe, aber wenn ihr nicht weiter von der Stadt wegzieht werden euch bald andere Menschen sehen und dann vermutlich beginnen Jagd auf euch zu machen. Neulich wurden schon Bären gejagt. Geh weg von hier, okay? Geht weiter in die Berge, oder in Richtung Norden!", ich wusste nicht, ob er mich verstand, doch seine großen, dunklen Augen sahen mich unverwand an und in ihnen lag ein solches, beinah menschliches Funkeln, dass ich einfach daran glauben wollte, dass er den Sinn hinter meinen Worten erfassen konnte. Plötzlich senkte er seinen Kopf und streckte ihn mir entgegen. Überrumpelt stand ich da unsicher was ich tun sollte. Ein wildes Tier verbeugte sich förmlich vor mir. Seine Schnauze war nun auf Höhe meiner Brust. Sollte ich...? Könnte ich...? Vorsichtig schwebte meine Hand über seinem Fell. Sein heißer Atem verband sich wie meiner mit der kalten Nachtluft. Wie ein Windhauch ließ ich meine Hand über das voluminöse, hellgraue Fell an seinem Kopf gleiten. Mein Herz schlug immernoch wie verrückt aus Angst, dass dieser Wolf doch nicht so lieb wäre und mir gleich die Hand abbeißen würde, doch nichts der gleichen geschah. Ein Geräusch, gefolgt von einer leichten Vibration, die durch seinen ganzen Körper ging ließ mich kurz zusammenzucken. Zunächst hielt ich es für ein Knurren, oder Winseln, doch bei genauerem Hinhören klang es viel mehr wie das Schnurren einer Katze.
"Schnurrst du?", kicherte ich leise. "Können Wölfe schnurren?"
Meine Frage wurde beantwortet in dem er erneut dieses Geräusch von sich gab. Ich wurde mutiger. Ich ließ meine Hand ein wenig mehr in das erstaunlich weiche, samtige Fell gleiten. Für ein wildes Tier schien es erstaunlich gute Fellpflege zu betreiben. Mir kam noch ein weiterer sonderbarer Gedanke. Sein Fell war vollkommen trocken, obwohl es vorhin diesen nervigen Nieselregen gegeben hatte. Da keine Erde an seinem Fell zu finden war schloß ich eine gegrabene Höhle aus, doch ansonsten hätte er hier doch nirgendwo Schutz suchen können. In näherer Entfernung gab es hier unten keine Höhlen, doch der Regen hatte frühstens vor zehn Minuten aufgehört. Wie konnte sein Fell dann trocken sein?
Ein Heulen ertönte in der Ferne, der Ruf eines anderen Wolfs und der Kopf von meinem fuhr hoch. Er spitzte die Ohren auch nachdem das Geräusch verklungen war, als würde er jemandem zuhören, dann sah er wieder mich an. Im nächsten Moment machte er kehrt, trabte los und preschte, sobald er etwas Abstand von mir gewonnen hatt durch das Unterholz davon.
Ich blieb perplex zurück. Nachdem das Geräusch seiner Schritte verklungen war zweifelte ich sogar für einen Moment dran ihn wirklich gesehen zu haben. Mein Verstand hätte mich beinah davon überzeugen können, wenn da nicht die kolossalen Pfotenabdrücke in der feuchten Erde gewesen wären. Mit meinem Handy machte ich ein Foto von ihnen. Ich legte den Schraubenschlüssel neben einen der Abdrücke, um auch tatsächlich eine Vergleichsgröße zu haben. Der Abdruck war bei Weitem größer, als das Werkzeug. Ich wollte einen Beweis, dass ich ihn mir nicht eingebildet hatte.
Für einige Sekunden war der Gedanke an Jake verschwunden, bis ich mich wieder gesammelt hatte.
Ich zog mein Handy aus der Jackentasche. Dieses Mal war die Begegnung mit einem wilden Tier gut gegangen, doch vermutlich hätte ich ein zweites Mal nicht so viel Glück. Ich rief Quil an, der schon nach kurzer Zeit abnahm.
"Jake ist im Wald verschwunden.", ließ ich ihn wissen.
Ich hörte ein Knistern in der Leitung und wusste, dass er das Handy von einer Hand in die Andere nahm.
"Was meinst mit 'im Wald verschwunden'?", erkundigte er sich misstrauisch.
Ich zuckte mit den Schultern, obwohl er es nicht sehen konnte.
"Nach dem Kino wollte ich ihm nach Hause fahren, da es ihm nicht sonderlich gut ging, doch kurz bevor wir da waren sprang er plötzlich aus dem Auto und rannte in den Wald."
"Du verarschst mich gerade, oder? Er ist aus dem fahrenden Auto gesprungen?"
"Naja, ich war gerade dabei an den Straßenrand zu fahren, aber wir haben noch nicht ganz gehalten."
"Wieso ist er in den Wald gerannt?"
"Kein Ahnung."
"Und wo ist er jetzt?"
"Na vermutlich im Wald du Schlaumeier. Ich versuche ihn gerade zu finden. Könntest du mir bitte helfen? Ehrlich gesagt ist es hier alleine verdammt gruselig."
"Warte! Wo bist du?", fragte er, wobei er seine Stimme hob. Ich verdrehte die Augen. An seinem Tonfall konnte ich schon hören, dass er es bereits wusste und alles andere als begeistert war. Manchmal war er beinah so schlimm wie Dad.
"Irgendwo im Wald. Ich bin von der Hauptstraße aus rechts in den Wald gegangen und von dort aus weiter hinein. Ein paar Mal habe ich die Richtung gewechselt. Ich schätze, wenn ich von hier aus weiter nach Osten gehe müsste ich zum Strand kommen."
"Weißt du überhaupt wo Osten ist? Wie kommst du auf die bescheuerte Idee alleine in den Wald zu gehen? Wieso hast du mich nicht schon vorher angerufen? Du und deine Schwester habt den miserabelsten Orientierungssinn in der gesamten Weltgeschichte!", bombadierte er mich.
Angestrengt presste ich die Lippen zusammen.
"Hätte ich eine Standpauke gewollt hätte ich meinen Dad angerufen! Hilfst du mir jetzt, oder was?"
Er seufzte.
"Klar helfe ich dir, aber wie soll ich dich finden?"
"Naja, ich habe den Weg den ich gegangen bin markiert. Wenn du an der selben Stelle anfängst wie ich und die makierten Bäume findest... "
"Das könnte Stunden dauern, Adi! Was siehst du?"
"Dunkelheit und Nadelbäume.", antwortete ich nicht unbedingt spezifisch.
"Toll, sehr hilfreich. Kannst du durch die Bäume irgendwelche Lichter sehen? Siehst du in der Ferne eine Bergspitze? Hörst du irgendeinen Fluss, Bach, oder vielleicht das Meer?"
Sehen konnte ich nichts, also schloss ich die Augen und spitzte die Ohren.
"Ich höre etwas plätschern denke ich."
"Gut! Dann geh darauf zu! Ich ziehe mich an und wenn du einen Bach gefunden hast sagst du mir Bescheid!"
"Okay! Ist es in Ordnung, wenn ich bis dahin kurz auflege? Ich habe nicht mehr allzu viel Akku."
Ich konnte vor meinem inneren Auge förmlich sehen wie es nun an ihm war die Augen zu verdrehen.
"Fein! Aber wenn du mich nicht in fünf Minuten zurück rufst rufe ich dich an und wenn du dann nicht dran gehst kontaktiere ich nicht nur deinen Dad, sondern eine komplette Suchmannschaft! Jetzt müssen wir nach Jake UND nach dir suchen!"
Ich konnte nicht anders als zu lächeln. Mich rührte seine Besorgnis.
"Danke für deine Hilfe, Quil. Hab dich lieb."
"Jaja, ich dich auch. Jetzt schwing die Hufe und sieh zu, dass du zu einem Ort kommst an dem ich dich finden kann!"
Schmunzelnd legte ich auf.
Kurz zögerte ich, doch während ich versuchte in Richtung des leisen Plätscherns zu gehen hielt ich mir das Handy erneut ans Ohr. Dieses Mal nahm niemand das Gespräch an, lediglich der Anrufbeantworter meldete sich. Ein Gefühl trauriger Resignisation machte sich in mir breit, doch ich enschied mich eine Nachricht zu hinterlassen.
"Hi Embry!", ich lächelte traurig.
"Ich weiß, dass wir gerade nicht reden, aber... ich könnte wirklich deine Hilfe gebrauchen. Vermutlich wirst du mir sowieso nicht antworten, vielleicht hörst du meine Nachrichten nichtmal ab, doch ich versuche es trotzem. Jake ist im Wald verschwunden. Ihm ging es heute Abend nicht gut und als ich ihn nach Hause bringen wollte ist er einfach losgehechtet. Ich mache mir wirklich Sorgen um ihn und ich denke... solltest du diese Nachricht hören tust du das auch. Ich weiß nicht was zwischen uns allen passiert ist. Ich kann deine Entscheidung nichts mehr mit uns zutun zu haben nicht ändern auch wenn ich das gerne möchte. Allerdings geht es hier um Jake. Billy wollte euch losschicken und ich hoffe wirklich ihr sucht ihn bereits und das du deswegen nicht ans Handy gehst, aber falls das noch nicht der Fall ist... Bitte versuche ihn zu finden! Ich schätze ich habe mich ein wenig im Wald verirrt und bin keine allzu große Hilfe, aber ich habe gerade Quil angerufen. Er wird mich schon finden und dann suchen wir gemeinsam nach Jake.
...", ich wusste, dass ich nicht mehr viel sagen konnte.
"Ich vermisse dich. Wir vermissen dich. Solltest du es dir vielleicht doch noch irgendwann anders überlegen... solltest du mit jemandem reden wollen... ich bin da. Bye."
Die Nachricht war beendet. Ich steckte mein Handy zurück in meine Tasche und lief weiter. Tatsächlich erreichte ich einen kleinen Bach und die Stelle kam mir sogar vertraut vor. Ich rief Quil zurück. Nach einer kurzen Beschreibung schien er zu wissen wovon ich redete. Wir waren hier früher immer in den Bach gewartet, um im Sommer unsere Füße abzukühlen. Jake hatte sogar ein Mal aus Blättern und Ästen für jeden von uns ein kleines Boot gebastelt und wir hatten Wettrennen mit ihnen veranstaltet. Meines hatte eine kleine lilane Blume am Segel befestigt gehabt.
Jetzt stand ich im Winter vor diesem winzigen Bachlauf, der mir früher viel, viel größer vorgekommen war und starrte auf das schwarz wirkende Wasser auf dessen Oberfläche der Lichtschein meiner Taschenlampe tanzte.
Hinter mir vernahm ich schnelle Schritte. Ich drehte mich um und leuchtete in die Richtung aus der sie kamen. Quil hielt schützend die Hände vor sein Gesicht.
"Willst du das ich erblinde? Das blendet! Nimm die Lampe runter!", motze er.
Ich ließ den Arm sinken. Sehr schnell hintereinander blinzelnd kam er auf mich zu.
"Reife Leistung! Jetzt seh ich nur noch Lichtpunkte vor meinen Augen.", verkündete er.
"Tut mir leid. Es hätte ja auch ein Tier sein können!"
"Oh ja, mit deiner Lampe hättest du jedes Reh vertrieben! Man sieht ja an Autoscheinwerfern wie gut das funktioniert."
Quil konnte einen recht schwarzen Humor haben.
"Hahaha...", sagte ich darum nur. "Also! Wo suchen wir jetzt?"
"Erstmal, Sherlock, werden wir nicht planlos hin und her laufen. Für gewöhnlich sucht man Quadrate ab, aber dafür braucht man mehr als zwei Leute, wenn es schnell gehen soll."
"Ich hatte Billy angerufen und er meint er wollte Sam und seine Jungs losschicken."
Quil schnaubte verächtlich.
"Und was machen wir dann noch hier? Diese Superhelden haben doch bestimmt alles im Griff.", spottete er.
"Wir können jede Hilfe gebrauchen. Also was machen wir?"
"Du hörst erstmal auf andauernd 'also' zu sagen! Das nervt."
"Tut mir leid, dass ich nicht darauf achte abwechlungsreiche Wortanfänge als Aufforderungsbitten zu verwunden. Wie wäre es damit? Nun denn, wohin sollen wir nun gehen, mein Herr?", sprach ich mit verstellter Stimme. "So besser?"
Quil überging diese Frage.
"Ich würde sagen wir suchen erstmal in der Nähe von seinem Haus. Wenn es ihm schlecht ging stehen die Chancen gut, dass es ihn dort hinzieht."
Ich stimmte zu. Zielstrebig maschierte Quil los und ich folgte ihm. Als wir ihn nach über einer Dreiviertelstunde noch immer nicht gefunden und ich bereits vier Anrufe von Dad ignoriert hatte bestimmte Quil, dass es keinen Sinn mehr hatte. Er versprach mir noch einige Leute zusammen zutrommeln sollte Billy keine Neuigkeiten haben, doch das wir mich erstmal zu meinem Dad bringen würden.
Der Streifenwagen stand vor dem Haus der Blacks. Schon von draußen sah ich durch die Verandatür wie mein Vater im hell erleuchteten Wohnzimmer auf und ab tiegerte und sich dabei immer wieder durch das schüttere Haar fuhr. Das würde Ärger geben. Quil gab mir einen kleinen Schubs, damit ich es mir kurz vor der Haustür nicht noch anders überlegen und wie Jake in dem Wald um La Push abhauen würde. Als Dad die Tür öffnete starrte er mich zunächst ungläubig an, als sei ich ein Geist, dann zog er mich in seine Arme. Nach einer Umarmung, die mir die Luft zum atmen nahm, ließ er mich los dirigierte mich ins Haus und stellte sich mit verschränkten Armen vor mich.
"Du hast einiges zu erklären, junge Dame! Hat Billy dir nicht gesagt du sollst nach Hause fahren.", begann er sichtlich aufgebracht. Seine braunen Augen warfen mir vorwurfsvolle Blicke zu.
Ich kopierte seine defensive Haltung und verschränkte ebenfalls die Arme vor der Brust. Trotzig funkelte ich ihn an.
"Hat er! Aber Jake ist mein Freund. Du wärst sicherlich auch nicht einfach fröhlich nach Hause gefahren, wenn ein Freund deine Hilfe brauchen würde."
"Er wäre nicht zurückgelassen worden. Billy hat Leute losgeschickt, die sich in diesen Wäldern auskennt. Du tust das nicht! Du hättest dich verlaufen können und dann hätten wir zwei Personen suchen müssen."
Damit warf er mir genau das vor was auch Quil vorhin gesagt hatte. Gekränkt presste ich die Lippen zusammen und knirschte mit den Zähnen.
"In dem Moment kam es mir richtig vor. Außerdem habe ich Quil angerufen, als ich gemerkt habe, dass ich das nicht alleine schaffe."
Dads wütender Blick schweifte kurz zu Quil, hinter mir reingekommen war und dann wieder zu mir.
"Du hättest nicht Quil anrufen sollen, sondern mich. Du hättest zumindest ans Handy gehen sollen! Ich habe mir Sorgen um dich gemacht, Adriana!"
Adriana... Mein voller Name. Oh oh... Das war gar nicht gut.
"Okay, ja ich-... Ich hätte rangehen sollen. Tut mir leid. Das war falsch. Aber du hättest mich nicht weiter suchen lassen. Ich wollte helfen, Dad! Ich wollte... Ich wollte doch nur Jake finden!"
Mir traten Tränen in die Augen. Teil vor Wut, teils vor Aufregung und ein winziges bisschen davon waren auch Tränen der Traurigkeit.
"Ihm ging es nicht gut. Ihr habt ihn vorhin nicht gesehen. Ich konnte doch nicht einfach wegfahren! Du- Ihr hättet mich doch nie bei der Suche helfen lassen. Ich dachte nicht, dass er so weit gekommen wäre. Ich war mir sicher er wäre ganz in der Nähe und ich könnte ihn zurückbringen."
Dad schien sich angesichts meines weinerlichen Anblicks ein wenig zu beruhigen. Mit einer Hand fuhr er sich über sein Gesicht auf dem sich Sorgenfalten gebildet hatten.
"In Ordung. Hier kommt der Deal: Du bekommst keinen Hausarest. Allerdings versprichst du mir dafür ab sofort anzurufen, wenn irgendetwas und ich meine egal was, los ist. Natürlich sind ab sofort auch nächtliche Waldspaziergänge untersagt! Keine gefährlichen Aktionen mehr. Diese Bären von denen überall die Rede ist wurden immernoch nicht gefasst. Deal?"
Der große Wolf kam mir in den Sinn. Was wenn es gar keine Bären gab? Es lag mir auf der Zunge diese Frage zu stellen, doch dann schien es mir in dieser Situation doch unangemessen. Abgesehen von meinem Versprechen nichts zu sagen wäre es vermutlich auch nicht schlau Dad zu erzählen, dass ich einem kolossalen Wolf begegnet war.
"Deal.", sagte ich darum lediglich.
"Gut. Verabschiede dich! Wir fahren jetzt nach Hause."
Ich übergab Billy die Schlüssel für Jakes Wagen und umarmte Quil flüchtig ehe ich durch die Haustür hinausging, die Dad ungeduldig für mich aufhielt. Ich kletterte auf den Beifahrersitz des Streifenwagens.
~°~
Ich schlief bereits als mein Handy klingelte und mich weckte. Mein Blick fiel auf meinen Wecker. Es war erst kurz nach vier Uhr morgens. Verschlafen tastete ich auf meinem Nachttisch nach meinem Handy. Schließlich fand ich es und riss es vom Ladekabel. Mit meinen Augen noch vom Schlaf verklebten und lichtempfindlich versuchte ich nichteinmal die Buchstaben auf dem Display, die einen Namen ergaben zu entziffern.
"Hallo?", murmelte ich schlaftrunkend.
"Ich bin's.", kam es vom anderen Ende. Eine vertraue Stimme, die sofort jede Müdigkeit vergessen machte. Aufgeregt presste ich mir das kleine Handy ans Ohr.
"Embry?!", meine Stimme überschlug sich förmlich.
"Ich wollte dich nur wissen lassen, dass wir Jake gefunden haben. Es geht ihm soweit gut. Du musst dir keine Sorgen mehr um ihn machen.", sprach er.
Einfach nur seine Stimme zu hören setzte eine ungeahnte Euphorie in mir frei, doch gleichzeitig verursachte sie auch einen Kloß in meinem Hals.
"Und um dich?", wisperte ich.
Ich konnte hören wie er schwer schluckte. Da war etwas! Diese Reaktion zeigte doch, dass ich ihm nicht egal sein konnte, oder?
"Auch um mich musst du dir keine Sorgen machen. Bist du gut Zuhause angekommen?"
"Ja. Mein Dad hat mich abgeholt. Ich bin sogar ohne Hausarrest davon gekommen stell dir vor."
Allein an der Art wie er atmete wusste ich, dass er gerade lächeln musste. So gut kannte ich ihn.
"Gut. Ich muss jetzt los."
"Es ist vier Uhr morgens! Solltest du nicht schlafen?"
"Genau. Deswegen gehe ich jetzt nach Hause."
"Oh okay. Deine Mom fragt sich bestimmt schon wo du bleibst."
Er antwortete daraufhin nichts. Hätte ich ihn micht atmen hören hätte ich gedacht er hätte aufgelegt.
"Vielen Dank, dass du angerufen hast, Embry. Es ist schön deine Stimme zu hören."
Wieder klang es als müsste er schwer schlucken.
"Ja... Deine auch. ... Gute Nacht."
Dann legte er auf. Alles was ich noch hörte war ein Tuten.
~°~
Da ich zurzeit im Homeoffice bin und einige Aufgaben zu bearbeiten habe bin ich leider erst heute Abend zum schreiben gekommen. Ich hoffe das Warten hat sich für euch gelohnt. Über Rückmeldungen und Votes freue ich mich wie immer.
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