28:
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Mittwoch
Ich würde lügen, wenn ich sagen würde ich wäre die erste Hälfte der Woche kein Nervenbündel gewesen. Trotz guter Zurede meiner Freundinnen war ich nervös wegen meines Dates am Mittwoch. Ich mochte Derek, doch als er im Begriff gewesen war mich zu Küssen hatte es in meinem Hirn einen Kurzschluss gegeben. Irgendwie fühlte ich mich dazu nicht bereit, aber gehörte das nicht zum Daten dazu? Ich würde mir Zeit lassen, aber was wenn die Zeit es nicht besser machen würde? Was wenn ich ihn auch später nicht küssen wollen würde? Was wenn ich mich nicht in ihn verlieben könnte? Ich würde ihn abweisen müssen nachdem ich ihm Hoffnungen gemacht hätte. Ich wäre eine mega Bitch, wie Kathrine es vielleicht ausdrücken würde. Manchmal war ihre direkte Sprache das beste Mittel um die Dinge auf den Punkt zu bringen.
An meinen Daumennägeln kauend saß ich in Lydias Zimmer. Heute Nachmittag waren zwei Schulstunden entfallen. Wir hatten spontan entschieden zu ihr zu gehen bis ich zur Arbeit musste. Auch meine Schicht heute würde sonderbar werden. Ich würde Stunden lang mit der Mutter des Typen verbringen bei dem ich mir nicht sicher war was ich für ihn empfand. Wo hatte ich mich da nur reingeritten?
"Jetzt hör auf auf deinen Nägeln rumzukauen! Du ruinierst sie noch!", wies mich Lydia zurecht.
Seufend gab ich nach. Sie hatte ja recht.
"Wieso bist du so nervös wegen des Dates mit Derek?"
Frustriert schmiss ich die Arme in die Luft.
"Ich- Ich weiß auch nicht. Er bringt mich vollkommen durcheinander. Ich mag ihn, aber-... "
"Aber?", harkte sie nach.
"Aber ich hatte mir eine Beziehung immer anders vorgestellt.", gab ich zu.
Ich war um Bergriff erneut auf meinen Nägeln zu kauen, doch meine Freundin warf mir einen warnenden Blick zu und ich ließ die Hände sinken. Sie setzte sich zu mir auf einen ihrer hellgrauen Sitzsäcke.
"Was hast du dir vorgestellt?", erkundigte sie sich geduldig.
Dieses Mädchen war ein Engel! Ich wusste nicht wie sie immer so viel Geduld und Verständnis für alles und jeden aufbringen konnte.
"Keine Ahnung... ", murmelte ich. Es war mir peinlich. Die Wahrheit würde mich mir Sicherheit naiv erscheinen lassen.
"Ich denke schon das du es weißt.", ermunterte sie mich zum reden.
"Ich habe einfach immer erwartet, dass ich es wüsste wenn es soweit ist.", gab ich zu. "Ich dachte ich würde jemanden kennenlernen und dann wäre da eine Verbindung. Ich dachte ich würde jemanden kennenlernen bei dem ich mir sicher bin, das es sich richtig anfühlen würde. Stattdessen bin ich hin und hergerissen und habe keine Ahnung was die richtige Entscheidung ist."
"Adi... ", behutsam strich sie mir über den Rücken. "Das ist alles neu für dich. Es ist ganz normal nervös zu sein. Abgesehen davon musst du nicht mit Derek ausgehen, wenn du dich noch nicht dazu bereitfühlst, oder nicht denkst, dass ihr zusammenpassen könntet. Du kannst jederzeit nein sagen."
"Aber ich will ihn nicht verletzten."
"Du kannst dein Leben nicht nach anderen richten, Adi! Du bist der wohl selbstloseste, freundlichste Mensch den ich kenne, aber nur weil du für dich selbst einstehst ändert das nichts daran. Du musst auch an dich denken. Abgesehen davon würde es Derek auf lange Sicht mehr verletzen wenn du nur aus einer Art Pflichtgefühl mit ihm zusammenkommt, denkst du nicht auch?"
Alle ihre Argumente klangen schlüssig, doch mir ging es dennoch nicht besser.
"Ging es dir jemals so? Vielleicht mit Lola?", traute ich mich zu fragen.
Mit einem zaghaften Lächeln schüttelte sie den Kopf.
"Nein. Lola und ich sind schon seit dem Anfang der High School befreundet seit ihre Familie aus New Mexico hergezogen ist. Als ich ihr letztendlich meine Gefühle gestanden haben war ich mir zu hundert Prozent sicher, dass ich mit ihr zusammensein möchte. Vermutlich hätte ich es ansonsten nicht gemacht, um unsere Freundschaft nicht zu gefährenden, aber rückblickend bin ich froh diese Entscheidung getroffen zu haben."
Gedankenverloren nickte ich. Lola kam aus New Mexico? Stimmt. Sie hatte vor einer Ewigkeit erwähnt, dass sie in Santa Fe geboren war.
"Ich wünschte ich hätte eine solche Gewissheit."
"Vielleicht musst du es einfach auf dich zukommen lassen. Du hattest in letzter Zeit viel um die Ohren und ich denke, dass Derek dir gut tun könnte. Du siehst wie es heute Abend läuft und entscheidest dann. Gib ihm eine Chance! Das ist mein Rat."
Verstehend nickte ich.
"Ich werde es versuchen.", versprach ich.
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Mich von der Arbeit abholen zu lassen war vielleicht nicht die beste Idee gewesen. Als Mrs. Newton das Auto ihres Sohnes Vorfahren sah war sie zunächst gelinde gesagt irritiert, doch als ich dann meine Schicht beendete entging mir ihr verschwörerisches Grinsen nicht. Sie wusste definitiv was los war. Eilig joggte ich aus dem Laden zum Auto hinüber, nur um der unangenehmen Situation zu entgehen. Auf der Fahrt in die nächstgelegene größere Stadt quatschten wir über belangloses, hörten Musik und hingen beide unseren Gedanken nach. Obwohl es erst Nachmittag war ging die Sonne bereits unter. Den kurzem Weg vom Parkplatz zum Kino legten wir im Dunkeln zurück. Anstelle von Regen sank Schnee in kleinen, leichten Flocken vom Himmel hinab. Am liebsten wäre ich mit in den Nacken gelegten Kopf durch die Gegend gelaufen und hätte versucht sie mit meiner Zunge zu fangen, doch mich beschlich das Gefühl, dass das zu kindisch wäre.
Mit den Händen tief in den Taschen meiner Winterjacke vergraben hielten wir vor der recht kurzen Kassenschlange. An Wochentagen war hier wenig los. Wir kamen schnell an die Reihe. Derek lud mich ein. Es war eine freundliche Geste. Er war ein Gentelman, doch ich bestand darauf dafür das Popkorn und die Getränke zu bezahlen.
Erst als ich das Popkorn besorgte erschloss sich mir, dass ich ihn hätte fragen sollen wie er sein Popkorn am liebsten aß. Bevorzugte er süßes, oder salziges? Mit Karamel, Schokolade oder etwa mit Käse, was ich persönlich vollkommen widerwärtig fand, doch Quil liebte es sein Popkorn, süß und salzig, in die Käsesoße von den Natchos zu tauchen. Ich wusste wie meine Freunde ihr Popkorn aßen, weswegen ich nicht mehr nachfragen musste, doch von Dereks Geschmack hatte ich keine Ahnung. Ich entschied mich auf die Schnelle für ihn klassisches, süßes Popkorn zu kaufen in der Hoffnung damit nichts falsch gemacht zu haben.
In der Lobby suchte ich die überschaubare Menge nach Derek ab. Er hatte noch kurz auf die Toilette gehen wollen. Neben einem anderen jungen Mann entdeckte ich ihn. Sie unterhielten sich lachend. Zögerlich steuerte ich auf die Zwei zu.
Als ich bei ihnen ankam musterte mich der große Blonde aufmerksam. Seine braunen Augen und auch die schönen Gesichtszüge kamen mir bekannt vor. Nachdenklich runzelte ich die Stirn.
"Habe ich etwas im Gesicht?", lachte er amüsiert.
"Oh, nein! Tut mir leid! Ich wollte dich nicht anstarren. Du kommst mir nur irgendwie bekannt vor. Sind wir uns schon einmal begegnet?"
Mit einem freundlichen Lächeln auf den rosigen Lippen schüttelte er den Kopf.
"Vermutlich ist das die Geschwisterähnlichkeit.", behauptete er und brachte mich damit vollkommen durcheinander.
Hilfesuchend richtete ich meine Aufmerksamkeit auf Derek.
"Adriana darf ich vorstellen? Riley Biers. Wir sind früher zusammen zur Highschool gegangen."
Durch seinen Nachnamen fiel bei mir endlich der Groschen.
"Du bist Lolas Bruder!", stellte ich fest. Mit der Geschwisterähnlichkeit hatte er richtig gelegen. Riley hatte blonde Haare, während Lolas Kopf braune Locken zierten, aber sie hatten die gleichen Augen und ähnelten sich auf erstaunliche Weise in ihren Gesichtszügen. Ihre Verwandtschaft wäre unbestreitbar. Allerdings hatte er wohl die Körpergröße in der Familie abbekommen. Er überragte Derek um einige Zentimeter.
"Wie läuft der Familienbesuch?", erkundigte ich mich.
"Wie ich sehe bist du gut informiert.", grinste er. "Ganz gut. Ich war zwischenzeitlich kurz weg und übermorgen fahre ich wieder zur Uni, doch heute wollte ich mich nochmal mit ein paar Kumpels treffen. Wir haben uns gerade einen Film angesehen und wollten noch in irgendeine Bar. Wollt ihr mitkommen? Je mehr desto besser.", lud er uns ein.
Riley schien ein netter Kerl zu sein, doch ehrlich gesagt hatte ich wenig Lust mit einer Gruppe wildfremder Typen durch Bars zu ziehen. Abgesehen davon verstand ich den Sinn dahinter nicht. Sie waren keine 21. Wollten sie wirklich nur bei einer Cola über alte Zeiten quatschen? Andererseits wollte ich Derek nicht im Weg stehen. Die Chancen standen schlecht, dass die Beiden sich bald wiedertreffen würden. Lola hatte erzählt ihr Bruder würde an der Oregon University studieren. Derek studierte in San Francisco, doch er überraschte mich indem er Rileys Angebot ohne zu zögern ablehnte. Zaghaft legte er einen Arm um mich. Erschrocken fuhr ich leicht zusammen, doch gab danach mein bestes mich zu entspannen.
Wir verabschiedeten uns von Lolas Bruder und betraten den Vorführsaal.
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Ich hatte vollsten Respekt vor Derek, dass er den Kinoabend tatsächlich durchzog. Kein einziges Mal beschwerte er sich über den Film, oder über zu laut kauende Personen. Er hielt ganze 1 1/2 Stunden voller Drama, Eiskunstlauf und einer Teenieromanze durch. Ich für meinen Teil hatte den Film geliebt.
"Es muss fantastisch sein so Schlittschuhfahren zu können.", schwärmte ich.
"Kannst du nicht Eislaufen?"
Mit hochgezogener Augenbraue sah ich ihn an.
"Ich bin in Arizona aufgewachsen. Im Dezember bewegen sich die Temperaturen zwischen 8°C und 17°C. Dort wird die Kunst des Eiskunstlaufs nicht unbedingt großgeschrieben.", erinnerte ich ihn.
"Ja, aber du warst doch auch oft in Forks bei deinem Vater."
"Nicht im Winter."
Er beschleunigte seinen Schritt und blieb vor mir stehen.
"Warte, warte, warte! Du willst mir erzählen, dass du noch nie in deinem Leben auf dem Eis gestanden hast?!", stellte er schockiert sicher, dass er mich richtig verstanden hatte.
"Bingo. Du etwa?"
"Natürlich! Ich bin ein Schlittschuhlauf-Genie!", rühmte er sich.
Vor lachen schnaubend schüttelte ich den Kopf. Wir liefen weiter zum Auto. Die Straßen waren hell erleuchtet. Für mich hatte die Welt bei Nacht schon früher friedlicher gewirkt. Ich mochte es alleine durch die Gegend zu streifen und mir all die, ansonsten von Menschen bevölkerten, leeren Plätze anzusehen.
Dereks Hand streifte meine. Ich wusste nicht ob dies von ihm intendiert war, oder nicht, doch als er nach meiner Hand griff und sie mit seiner umschloss entzog ich sie ihm nicht. Händchen zu halten war ungewohnt, doch es war nicht unangenehm. Nur Händchen halten. Wir hinten es langsam an, Schritt für Schritt.
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Die Woche verging wie im Flug. Ich fuhr ins Reservat, schrieb hin und wieder mit Derek und versuchte weiterhin vergeblich Embry zu erreichen. Hatte es überhaupt noch einen Sinn? Machte ich es uns Beiden nur noch schwerer? Wenn er den Kontakt zu mir abbrechen wollte war das seine Entscheidung. War es egoistisch nicht aufgeben zu wollen? Auch wenn ich es mit jedem Tag den er sich nicht meldete weniger zugeben wollte musste ich mir eingestehen, dass ich ihn schrecklich vermisste. Er fehlte uns allen. Der Januar war nahezu vorrüber. In wenigen Tagen würde der neue Monat beginnen. Die Zeit schritt unaufhaltsam vorran.
Embrys Fehlen wirkte sich auf uns alle aus. Jake war nachdenklicher geworden. Er klammerte sich förmlich an seine Treffen mit Bella. Vielleicht bewirkte sie das Gleiche für ihn wie Derek für mich. Vielleicht ließ sie ihn für ein paar Stunden nicht über seine Sorgen nachgrübeln. Embry war immer in meinem Gedanken, doch wenn ich etwas tat was ich nicht mit ihm verband schien er mir weniger zu fehlen. Quil war nachdenklicher geworden. Er war kein Fan von Derek. Möglicherweise dachte er ich würde mich auch von ihm abwenden, wenn ich mit ihm zusammen käme, doch das stünde nie und nimmer zur Debatte. Die Jungs waren meine zweite Familie. Für mich waren sie unersetzlich. Insgeheim machten Jake und ich uns bereits Gedanken über Quils Geburtstag im Februar. Ich freute mich bereits auf diesen Tag. Insgeheim hoffte ich, dass Embry zu uns stoßen würde. Immerhin ging es um den Geburtstag von einem seiner besten Freunde. Würde er ihn einfach verpassen? Nein, so war er nicht. Ihm waren seine Freunde wichtig. Embry hatte uns immer mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Was könnte einen wieder so gut zusammenbringen wie der Start in ein neues Lebensjahr?
Am Samstag klingelte am frühen Nachmittag mein Handy. Ich hatte nicht mit einem Anruf gerechnet.
"Derek?", fragte ich in den Hörer. Die Anruferkennung hatte seinen Namen angezeigt. "Weswegen rufst du an?"
"Hast du Zeit?"
Ich blickte auf meine frischlackierten Fingernägel. Ganz offensichtlich hatte ich nichts zu tun.
"Ja. Was gibt's?"
"Bist du bereit für einen kleinen Ausflug?"
"Noch eine Überraschung? Das ist dein Ding was?"
"Ist es okay, wenn ich dich in einer Stunde abhole?"
Verwirrt starrte ich auf die Uhr.
"Schätze schon. Sagst du mir trotzdem wo wir hingehen? Ich sollte mich zumindest passend anziehen können.", versuchte ich es ohne Erfolg.
"Zieh dich warm an!", war alles was er sagte, bevor am anderen Ende der Leitung nur noch ein Tuten zu hören war. Er hatte aufgelegt.
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Beim befolgen der Anweisung mir etwas warmes anzuziehen hatte ich möglicherweise ein klein wenig übertrieben. Unter meinen gefütterten Jeans trug ich eine Strupfhose, über meinen Winterschuhen Stulpen. Obenherum sah es nicht besser aus. Über einem Top als Unterhemd kam ein Fleecepullover, darüber meine Winterjacke. Mütze, Schal und Handschuhe rundeten das kuschelig warme Bild ab. Im beheizten Auto schwitzte ich unglaublich, doch auch nachdem ich mich aus meiner Jacke geschellt hatte wurde es nicht besser. Es war mir jedoch unangenehm etwas zu sagen, oder gar bei der Winterkälte draußen das Fenster runterzukurbeln. Meine Devise war es gewesen lieber zu viel zu tragen, als zu wenig. Dieses Ziel hatte ich definitiv erfüllt.
Auf der Suche nach Hinweisen wo es hingehen könnte scannte ich durch das Beifahrerfenster ab. Alles was ich sah war die Straße, vereinzelte Autos, Bäume, Schnee und noch mehr Bäume. Nach einer Halbenstunde hielten wir schließlich mitten im Wald.
"Bist du ein Axtmörder? Willst du mich umbringen und meine Leiche hier im Wald verscharren?", fragte ich unsicher was wir hier mitten im Nirgendwo wollten.
Kopfschüttelnd stellte er den Motor ab und meinte mit tot ernster Miene:
"Deine Leiche hier draußen zu vergraben wäre bei dem gefrorenen Boden viel zu umständlich."
Einen Moment sahen wir uns wortlos an, dann brachen wir beide in Gelächter aus. Der Spruch war so bekloppt, dass er wieder gut war. Ich vertraute Derek zumindest soweit, dass ich daran glaubte, dass er mich nicht hinterrücks umbringen würde. Ansonsten wäre ich wohl kaum mit ihm mitgefahren.
Noch immer lachend stieg er aus und ging um den Wagen herum, um mir die Tür zu öffnen.
Die Gegend kam mir wage bekannt vor. Ich meinte wir müssten in der Nähe des
Lake Pleasant sein. Vor einigen Jahren hatte Dad mit uns im Sommer einen Ausflug hierher gemacht. Wir stapften durch den tiefen Schnee, der hier überall den Boden bedeckte. In Forks und Umgebung war es nicht ansatzweise so zugeschneit. Unglaublich, dass unser Zuhause lediglich einen Steinwurf entfernt war. Ich fragte mich weswegen Derek diesen gigantischen Wanderrucksack mit sich rumschleppte. Dieses Teil war sicherlich so groß wie mein gesamter Oberkörper und müsste auch einige Kilogramm wiegen vorausgesetzt er hatte ihn vollbepackt. Während unseres gesamten Fußmarsches durch den Wald bekam ich nicht aus ihm heraus wohin unsere Wanderung ging.
I
nzwischen war ich froh über die Schichten von Kleidung, die mich wärmten.
Ich mochte es durch die Wälder zu spazieren. Für mich hatte es etwas beruhigendes und zugegebener Weise war es auch gewissermaßen romantisch.
Die kahlen Baumstämme lichteten sich. Sie gaben den Blick auf ein gefrorenes Gewässer frei. Zunächst hielt ich es für den Lake Pleasant, doch beim näherkommen bemerkte ich, dass er es nicht sein konnte. Der See war bei weitem zu klein. Das Ufer kam mir kein bisschen bekannt vor. Abgesehen davon wusste ich nicht, ob ein so großer See wie der Lake Pleasant selbst bei den niedrigen Temperaturen zufrieren könnte. Derek stellte die riesige Tasche auf einem zugeschneiten Baumstumpf ab.
"Machen wir jetzt ein Picknick im Schnee?", scherzte ich.
Selbst wenn wir uns mit einer Plane auf den Boden setzen würden wär eine Blasenentzündung vorprogrammiert.
"Ich dachte an etwas besseres.", schmunzelte er.
Er zog ein paar Schlittschuhe hervor, die er mir überreichte.
Verdaddert nahm ich sie an. Im Inneren des Schuhs laß ich die Größe. Es war meine Schuhgröße.
"Woher wusstest du-?"
"Ich habe Bella nach deiner Schuhgröße gefragt und diese Schlittschuhe von meiner Mom."
Ich war sprachlos. Dann richtete ich meinen Blick auf den zugefroren See.
"Ist das denn sicher? Ich meine kann die Eisschicht uns tragen?"
"Solange wir recht nah am Rand bleiben, ja. Also hast du Lust?"
"Und wie!", begeistert klatschte ich in die Hände. Der Ton wurde von meinen Handschuhen gedämpft während die Atemwölkchen in die Luft stieg.
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Mein Hintern war schon nass vom Schnee bevor ich die Eisfläche betreten hatte, da ich mich zum Anziehen der Schuhe hinsetzten musste. Derek half mir die kurze Strecke bis zum Eis auf den für mich ungewohnten Kufen zu überwinden, jedoch wurde es auf dem Eis nicht unbedingt besser. Schon bei den ersten Schritten rutschte ich mehrfach aus. Ich fiel gegen Dereks Brust. Zum Glück fing er mich auf. Lachend half er mir wieder das Gleichgewicht zu finden.
Zwar noch immer wackelig auf den Beinen schaffte ich es wenig elegant nach einigen Minuten ohne hinzufallen mich vorwärts zu bewegen, wobei ich mich jedoch weiterhin an Dereks Armen festkrallte. Er fuhr sicher rückwärts. Immer wieder brachten ihn meine unbeholfenen Fahrkünste zum lachen.
"Als du behauptet hast du wärst ein Genie im Schnittschuhlaufen habe ich es für einen Scherz gehalten. Wieso bist du so gut darin?", erkundigte ich mich amüsiert.
Ich wagte es mich ein Stückchen von ihm zu lösen, um einen Versuch zu starten auf eigene Faust zu fahren. Da ich nicht sofort nach vorne fiel nahm ich es als Erflog. Derek blieb auf nur einer Armlänge, um mich notfalls auffangen zu können. Langsam fuhr er im Slalom rückwärts.
"Damals, als ich mit meiner Familie noch in Sacramento gelebt habe habe ich im Verein Ice Hockey gespielt."
"Ice Hockey? In Kalifornien?"
"Es gibt etwas das nennt sich Eishallen.", klugscheißerte er.
"Wie lange hast du gespielt?", harkte ich weiter nach.
"Mein Dad hat mich schon zum Training mitgenommen, als ich erst drei Jahre alt war. Mit elf sind wir nach Forks gezogen. Ein Jahr später habe ich aufgehört und bin nur noch hin und wieder gefahren. Ich schätze manche Dinge verlernt man nicht."
"Wieso hast du aufgehört?"
Er schien es gemocht zu haben Ice Hockey zu spielen, wie er darüber sprach. Wieso gab man etwas auf was einem wichtig war.
Er zuckte mit den Schultern.
"Die nächste Eishalle ist in Port Angeles. Es war äußerst umständlich jede Woche andauernd hin und her zu fahren. Abgesehen davon habe ich kurz darauf in der Schule meine Liebe zur Musik entdeckt. Beides intensiv zu praktizieren war auf die Dauer zu anstrengend."
"Hast du jemals bereut aufgehört zu haben?"
Er dachte kurz nach.
"Nein. Ich habe herausgefunden was ich in meinem Leben machen möchte. Vermutlich bin ich auch ein besserer Sänger und Schauspieler, als Hockeyspieler."
Ich lächelte.
"Es ist schön das du dir deiner Sache so sicher bist."
"Bist du es dir nicht? Was willst du nach der Highschool machen?"
Das war die Frage aller Fragen. Schon oft hatte ich mich mit Embry über das Collage unterhalten. Wir hatten darüber spekuliert wo wir hingehen könnten. Jake und Quil träumten davon eine eigene Werkstatt zu eröffnen. Embry und ich hingegen hatten darüber nachgedacht vielleicht in Florida aufs College zu gehen. Meine Mom, Phil, Devery und Hamish lebten dort. Wir würden dort Menschen kennen, doch das war nur eine Fantasie, eine formlose Zukunftsmusik gewesen. Nach den Ereignissen der vergangen Wochen hatte sie sich vermutlich sowieso erledigt.
"Ich weiß es nicht. Ich hatte darüber nachgedacht nach Florida zu gehen. Meine Mom und mein Stiefvater sind dorthin gezogen. Abgesehen davon gehen zwei Freunde von mir dort auf ein Collage, aber ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung wie meine Zukunft aussehen soll."
"Naja, du hast eine fantastische Stimme. Wenn du dich dafür interessierst würdest du bestimmt an meiner Uni angenommen werden."
"In San Francisco?", fragte ich perplex.
"Wieso nicht? Was ich damit sagen will ist, dass du alle Möglichkeiten hast. Dir stehen alle Türen offen, Adriana.", behauptete er eindringlich.
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Schneller als ich dachte hatte ich den Dreh raus. Ich war nicht gerade eine Eisprinzessin, doch es gelang mir eigenständig über das Eis zu gleiten. Derek kreiste in einem blitzartigen Tempo um mich herum und bremste immer wieder abrupt ab. Ich verstanden nicht wie er es dermaßen mühelos aussehen lassen konnte. Zwei Mal landete ich auf dem Boden bei den Versuchen eigenständig zu bremsen. Ich fiel auf die Knie, auf die Hände und auf den Po. Selbst durch meine Lagen an Kleidung sickerte allmählich der geschmolzene Schnee durch. Auch wenn ich nach all den Stunden hier draußen die Kälte zu spüren begann dachte ich nicht daran nach Hause zu wollen. Schnittschuhfahren machte mir Spaß. Schon überraschend wie Derek zu wissen schien was mir gefallen würde schon bevor ich es jemals zuvor ausprobiert hatte. Möglicherweise hatte er dafür einen sechsten Sinn. Er brachte mich dazu neue Dinge auszuprobieren, forderte mich heraus, lockte mich aus meiner Komfortzone.
Vielleicht war es das was ich an ihm mochte, aber unter Umständen war es auch die Tatsache, dass ich es genoss endlich einmal jemandes erste Wahl zu sein. Derek hatte sich für mich entschieden. Er interessierte sich für mich. Er schätzte mich. Er zeigte Interesse daran Zeit mit mir zu verbringen und er plante immer diese wundervollen, wohlüberlegten Dates. Ich verbrachte gerne Zeit mit ihm, da ich mich in seiner Gegenwart geschätzt wurde.
War das keine gute Vorraussetzung?
War das kein guter Grundstein?
Ich müsste ihn ja nicht gleich heiraten, aber ich bemerkte, dass ich ihn gerne besser kennenlernen wollte. Es war keine Gewissheit, doch für mich war es ein Anfang.
Lydia könnte richtig gelegen haben. Eventuell hatte ich ihm bisher keine reelle Chance gegeben.
Durch das Grübeln kam ich aus dem Rhytmus und stolperte. Derek kam nicht rechtzeitig bei mir an, jedoch landete ich lediglich auf den Knien. Nicht angenehm, aber auch nicht super schmerzhaft durch die dutzenden Kleidungsstücke, die meine Kniescheiben beim Fall schützten. Sofort war Derek an meiner Seite.
"Alles in Ordnung? Hast du dir wehgetan?"
Er half mir wieder auf die Beine zu kommen. Mit einer Kufe rutschte ich beim Aufstehen nach hinten. In einer Art Kurzschlussrealtion schloss er seine Arme um mich. Er ließ mich nicht los auch nachdem ich wieder Halt gefunden hatte. Mein Herz begann erneut zu rasen. War das der über alles entscheidende Moment? Meine Gedanken kreisten wie ein Ferrari auf einer Rennstrecke in meinem Kopf. Was sollte ich tun? Sollte ich etwas tun? Ich fühlte mich hilflos, planlos. Das alles war absolutes Neuland für mich. Wir hatten uns schoneinmal umarmt, doch erst jetzt nahm ich seinen Duft war. Er roch nach einem angenehmen Aftershave, oder etwas ähnlichem. Es war kein natürlicher Duft, soviel war sicher, doch er war dennoch angenhem.
Sein Blick fiel auf meine Lippen. Es war wie am Abend unseres ersten Dates und doch ganz anders.
Ehe ich es mir anders überlegen konnte zog ich ihn sanft zu mir herunter und drückte meine Lippen auf seine. Ich wusste nicht recht was genau ich tun sollte, doch als er den Kuss erwiderte ging alles weitere wie von selbst. Ungewohnt war es definitiv, aber ich fühlte mich wohl. Ein Wärmeschauer durchfuhr meinen Körper. Er lächelte in den Kuss hinein.
Als wir uns schließlich voneinander lösten strich er mir eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht. Mein Mut von vorhin war verflogen. Unsicher was jetzt passieren sollte biss ich auf meine Unterlippe. Zaghaft befreite er sie zwischen meinen Zähnen. Das Herzrasen schien nicht nachlassen zu wollen.
"Adriana Swan... würdest du gerne meine Freundin sein?", wisperte er nur Milimeter von meinem Gesicht entfernt.
Kichernd nickte ich. Ich wollte es mit uns versuchen.
Er küsste mich erneut.
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Die Dämmerung setzte bereits ein als wir auf die aspaltierte Straße zurückfuhren. Auf dem Eis und dem Weg zurück war es noch zu einigen weiteren Küssen gekommen. Allmählich fand ich, dass ich mich daran gewöhnen konnte. Auf der Fahrt hielt er meine Hand insofern er nicht abbiegen, oder schalten musste. Mein Freund hielt meine Hand. Es war sonderbar ihn in Gedanken als meinen Freund zu bezeichnen. Derek Newton war mein Freund. Die Aufregung wollte nicht nachlassen. Vermutlich bräuchte ich eine Nacht, um darüber zu schlafen, mich an den Gedanken zu gewöhnen, ehe ich mich wieder wie ich selbst fühlen konnte.
Dieses Mal ließ ich es zu, dass Derek mich zur Tür brachte. Lächelnd bedankte ich mich für den fantastischen Tag. Auf der Veranda stellte ich mich auf die Zehnspitzen für einen letzten, kleinen Kuss. Doch gerade als wir uns küssten öffnete sich urplötzlich die Tür. Wir fuhren erschrocken auseinander. Ein verdutzter Jacob starrte zwischen uns hin und her. Ich warf Derek einen entschuldigenden Blick zu. Er verkniff ich ein Lächeln indem er die Lippen aufeinander presste. Langsam ging er rückwärts bis zu Treppe, wobei er mit dem Daumen über seine Schulter auf sein Auto deutete.
"Ich fahr dann mal! Ich ruf dich morgen an, Adriana!", verabschiedete er sich kurzangebunden.
Kurz winkte ich ihm nach ehe ich an Jake vorbei ins Haus ging.
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Hallo, meine lieben Leser!
So, jetzt sind Derek und Adi offiziell ein Paar. Was wird als nächstes geschehen? Was haltet ihr von dieser Entwicklung?
Dieses Kapiel widme ich als Geburtstagsgeschenk an Kleine-Paffi.
Vielen Dank für all deine lieben Kommentare! ❤ Happy Birthday! 🎂
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