26:
~°~
Derek hatte versucht mich von meinen Sorgen abzulenken. Die Atmosphäre war weniger seltsam als ich angenommen hätte, nachdem er mich um ein Date gebeten und ich nicht weiter darauf eingegangen war. Wir übergingen dieses Thema. An Dating war für mich nicht zu denken, auch wenn ich mich geschmeichelt fühlte. Wenn ich daran dachte zog sich mein Magen unangenehm zusammen. Der Gedanke mit jemanden auszugehen machte mir Angst. Bei Jake wäre es etwas anderes gewesen. Er war bereits ein Teil meines Lebens, den ich unter keinen Umständen aufgegeben hätte. Jemand Neuen nah an mich heranzulassen war hingegen furchteinflößend und ich wusste nicht ob Derek dafür der Richtige wäre. Ich glaubte nicht daran, dass ich für ihn das Selbe empfinden, oder auch nur annährend vergleichbare Gefühle entwickeln könnte die ich für Jake hegte.
Er war nett, er war witzig und gutaussehend, aber er war nicht die Person die ich wollte. Es war grausam, aber wahr. Ich wollte keinen von uns beiden in die Situation bringen am Ende festzustellen, dass miteinander auszugehen eine schlechte Idee war.
Die Sonne war bereits vor über einer Stunde hinterm Horizont verschwunden, als wir gemeinsam den Laden verließen. Atemwölkchen verließen in der Sekunde unsere Münder in der wir nach draußen traten. Die Straßenlatern, welche den kleinen Parkplatz erleuchtete flackerte. Wir lachten noch immer über das Paar, welches unsere letzten Kunden für diesen Tag gewesen waren. Die Frau hatte definitiv die Hosen an, während ihr Gatte äußerst verpeilt gewirkt hatte. Derek hatte ihnen sicherlich eine halbe Stunde zu erklären versucht, dass sie sich nichts anschreiben lassen könnten, sondern bar, oder mit Karte bezahlen müssten. Letzlich waren sie gegangen ohne etwas zu kaufen, doch trotz ihrer zusammengestellten Ausrüstung hätten sie ihre geplante Bärenjagt sicherlich in den Wind schießen können. Wer kam schon als Tourist in eine Kleinstadt um gegen das Gesetz zu verstoßen und wildgewordene Bären zu jagen? Die armen Tiere...
Ich wickelte den Schal enger um meinen Hals, zog den Reißverschluss meiner Jacke so hoch wie es eben ging und zog meine Motorradhandschuhe an, an die ich zur Abwechslung gedacht hatte, während Derek abschloss.
Er brachte mich unnötiger Weise bis zu meinem Motorrad und blieb auch an Ort und Stelle stehen, als ich mich beteits aufgesetzt hatte. Mit einem letzten Lächeln verabschiedete ich mich, setzte den Helm auf und fuhr davon. Im Rückspiegel sah ich wie er noch kurz eine Hand aus den Jackentaschen gezogen und mir nachgewunken hatte.
~°~
In der Einfahrt parkte ich neben Bellas Pick up. Ehrlich gesagt überraschte es mich, dass sie bereits von den Blacks zurück war. Es war erst kurz nach achtzehn Uhr. Schnell deckte ich meine Maschiene ab und eilte aus der Kälte ins Warme. Dad war noch nicht Zuhause. Im Erdgeschoss war er still. Zum Glück brauchte ich kein Licht um den Weg zur Treppe zu finden. Bei den Stufen angekommen zählte ich jeden Schritt, sodass ich genau wusste wann ich oben angekommen war. Erst in meinem Zimmer betätigte ich den Lichtschalter. Seufzend ließ ich mich auf mein Bett fallen. Für eine Weile starrte ich, noch immer vollkommen bekleidet, an die Decke. Ich musste an die kleinen Klebesterne denken, die früher in meinem Zimmer in Arizona an der Decke geklebt hatten. Ich hatte diese Sterne geliebt. Auch vom Dach aus, auf das ich vom Dachbodenfenster aus klettern konnte, konnte ich damals den echten Sternenhimmel sehen. Das vermisste ich, die Abende an denen ich einfach auf den Ziegel liegen und nach oben in die Galaxie sehen konnte.
Mit einem Kloß im Hals fiel mein Blick auf meinen Schreibtischstuhl über dem ein großer, roter Pullover hing.
Schwerfällig richtete ich mich auf. Ich steuerte auf das Kleidungsstück zu. Als ich es schließlich in den Händen hielt fuhren meine Finger über den weichen Stoff, als hätte ich ihn zum ersten Mal in der Hand, dabei hatte ich den Pullover in den letzten Tagen andauernd angestarrt als könnte er mir Antworten auf all meine Fragen geben. Ich schlüpfte in meinen Pyjama und zog mir schließlich den roten Pullover über den Kopf. Meine Hände versteckte ich in den langen Ärmeln, während ich die Heizung ein wenig hochdrehte. Nachdem ich zurück auf mein Bett geklettert war kam mir die Erinnerungsbox in meinem Schrank in den Sinn dessen Türen offen standen. Anstatt aufzustehen krabbelte ich ans Fußende und versuchte mich soweit zu strecken, dass ich an die weiße Box herankommen würde. Letzten Endes befanden sich lediglich noch meine Füße auf der Mattratze, während meine Arme und Hände den Rest meines Körpers stützten. Schnaufend zog ich meinen Schatz hervor, ehe ich auf den Händen zurückkroch. Aufgrund meiner Faulheit war die Aktion umständlicher gewesen als es notwendig gewesen wäre. Welch Ironie! In der Kiste befanden sich neben Bildern auch Karten, die ich zu Feiertagen bekommen hatte, witzige Sprüche, sowie Erinnerungsstücke. Ich kramte alles hervor was ich von Embry bekommen hatte. Die kleine Sammlung bildete einen heranwachsenden Haufen auf meiner geblümten Bettdecke. Vorsichtig strich ich mit den Fingern über die Bilder auf denen er zu sehen war in dem Wissen, dass er nun nicht mehr so aussah wie auf den Fotos. Ich versuchte mir unsere letzte Begegnung in Erinnerung zu rufen, doch ich bekam es nicht hin sein damaliges Verhalten mit dem Verhalten von dem Embry den ich kannte in Verbindung zu bringen. Eine ganze Weile lang grübelte ich, doch kam auf keinen grünen Zweig. Ich spürte wie erneut eine Mischung aus Traurigkeit, Ratlosigkeit und Resignation in mit breit machte.
Kurz rang ich mit mir, doch tapste dann über den dunklen Flur. Zaghaft klopfte ich gegen die Tür meiner Schwester. Als ein leises 'Herrein!' ertönte schob ich sie einen Spalt auf. Bella lag auf ihrem Bett, nur ihre Nachttischlampe war an. Sie erhellte den kleinen Raum. Bella laß ein Buch, welches ich ihr empfohlen hatte. Der Anblick des Covers ließ mich leicht schmunzeln.
"Darf ich dich stören?", fragte ich vorsichtig.
Bella legte das Buch aufgeschlagen auf ihrem Schoß ab.
"Du stört doch nicht! Komm rein!"
Ich schon mich durch den kleinen Spalt. Die Tür schloss ich hinter mir, um die warme Luft nicht aus dem Raum entweichen zu lassen. Sie klopfte neben sich aufs Bett. Ich kroch zu ihr unter die Decke und mummelte mich ein. Bella merkte sofort auch ohne Worte, dass etwas nicht stimmte.
"Was ist los, Sternchen?"
Sternchen hatte sie mich schon seit Jahren nicht mehr genannt. Früher war das ihr Kosename für mich gewesen, als ich meine ausgeprägte Astronomiephase hatte. Nachdem ich in der zweiten Klasse ein Buch über die Sternenbilder anlässlich eines Referats gelesen hatte war ich wie versessen darauf alles darüber zu lernen. Ich frimelte an meinen Fingernägeln herum.
"Ich habe mich mit Embry gestritten.", begann ich zögerlich.
"Jake hat erwähnt, dass er sich seit einer Weile nicht mehr gemeldet hat."
Natürlich hatte er das.
"Wie geht es dir damit?", erkundigte sie sich.
"Ich mache mir Sorgen um ihn.", antwortere ich ehrlich. "Und-... Ich zermatere mir das Hirn darüber wieso er sich dermaßen verändert hat, aber die Wahrheit ist ich habe keine Ahnung! Ich komme nicht dahinter! Ich weiß nicht mehr was ich tun soll, Bella! Ich habe versucht auf ihn zuzugehen, aber... ", meine Stimme versagte.
Meine große Schwester nahm mich in den Arm. Ich schlurzte an ihrer Schulter in ihre dunkelbraunen Haare, die nach ihrem Shampoo durfteten. Beruhigend strich sie mir über den Rücken. Sie hielt mich einfach fest.
"Ich vermisse ihn!"
"Ssshhh... Ich weiß... Das wird schon wieder! Alles wird gut!"
Meine Augen fühlten sich bereits geschwollen an. Bestimmt waren sie rot geworden.
"Und- und was wenn- wenn nicht?", fragte ich mit zitternden Lippen, während ich einen kurzen Atemzug in meine Lungen sog.
Sie strich mit einem liebevollen Lächeln auf den Lippen über meine Haare wie Mom es immer bei uns gemacht hatte.
"Auch wenn er einer deiner besten Freunde ist wäre er dann ein Idiot. Niemand würde dich jemals wieder nicht mehr in seinem Leben haben wollen, wenn er dich erstmal kennengelernt hat. DU bist nicht nur die fantastischste, kleine Schwester die man sich wünschen kann, sonden auch ein durch und durch guter, selbstloser Mensch. Und egal was passieren wird, ich habe dich auf alle Fälle lieb. Ich werde dich immer lieb haben, Sternchen!"
Erneut brach ich in Tränen aus.
"Ich habe dich auch lieb.", nuschelte ich an ihrer Brust.
Zusammen lagen wir in ihrem Bett und redeten für eine Weile über alles mögliche. Irgendwann gingen wir dazu über, dass sie mir aus dem Buch vorlas. Sie war fast an meiner Lieblingsstelle.
"Bella?", wisperte ich unvermittelt.
"Hmm?"
"Wie hast du es geschafft?"
"Was meinst du?"
"Über...", ich überlegte, ob ich meine Frage stellen, ob ich seinen Namen sagen sollte, doch entschied mich dafür. "Wie hast du es geschafft über... Edward hinwegzukommen?"
Kurz spürte ich wie sie sich versteifte. Vielleicht hätte ich doch nicht fragen sollen.
"Nun ja... Vermutlich bin ich das immernoch nicht.", gestand sie, als ich bereits dachte sie würde mir nicht mehr antworten. "Aber... ", hängte sie hinten an. "mir geht es besser, wenn ich bei Jake bin. Seit ich Zeit mit ihm verbringe scheint mich diese.... diese Leere in meinem Inneren nicht mehr zu verzerren."
"Das habe ich gemerkt. Er tut dir gut."
Sie lächelte.
"Ja."
"Magst du ihn?", wagte ich nachzuhaken. Ich musste es wissen.
"Natürlich mag ich Jake! Wie könnte man ihn nicht mögen?"
Ja, es war unmöglich Jacob nicht in sein Herz zu schließen.
"Das meinte ich nicht. Magst du ihn... auf die gleiche Weise auf die du Edward gemocht hast?"
Kurz zögerte sie. Sie schluckte.
"Ich denke nicht, dass ich jemals für jemanden das Gleiche empfinden werde wie für ihn.", antwortete sie mit rauer Stimme.
"Jake mag dich, weißt du... "
"Er ist mehrere Jahre jünger als ich!", protestierte sie.
"Macht das einen Unterschied?"
Daraufhin schwieg sie.
"Derek Newton hat mich nach einem Date gefragt.", wechselte ich das Thema.
Überrascht sah Bella mich an.
"Wirklich? Davon hat Mike gar nichts erzählt."
"Vermutlich hat sein Bruder ihm nichts davon gesagt. Ich habe die Einladung bisher nicht angenommen.", gestand ich.
"Bisher, hmm?", kam es amüsiert von ihr. "Er ist süß."
"Mike?", provozierte ich sie.
Ich konnte förmlich anhand ihres Schnaufens sehen wie sie die Augen verdrehte.
"Derek! Ich rede von Derek! Ich bin ihm bisher nur ein Mal begegnet, aber seit er wieder in der Stadt ist ist er in meinem Jahrgang das Gesprächsthema. Alle schmachten ihn an!"
"Denkst du ich sollte zusagen?", ich zögerte.
"Das musst du wissen, aber vielleicht würde es dir gut tun. Ich meine es gibt schlimmeres als mit einem heißen Typen auszugehen."
Mir klappte die Kinnlade runter. Ich konnte mich nicht daran erinnern Bella jemals das Wort 'heiß' im Zusammenhang mit einem Jungen, oder einem Mann gehört zu haben. Sie kicherte. Schließlich stimmte ich mit ein.
~°~
Am Donnerstag hatte ich früher Schulschluss, da meine letzten beiden Stunden entfielen. In der Mittagspause hatte ich mit meinen Freundinnen gequatscht. Naja, meinen Freundinnen und Jason. Er tat mir schon ein wenig Leid aufgrund des Östrogenüberschusses an unserem Tisch. Seit Hamish seinen Abschluss gemacht hatte war er der einzige Junge in unserer Gruppe. Bei den Themen nahmen wir kein Blatt vor den Mund, womit er glücklicherweise kein Problem zu haben schien. Heute war das große Thema Derek. Nachdem mich Bella gestern darin bestärkt hatte seine Einladung anzunehmen war ich mir immernoch unsicher gewesen. Ich hatte ewig vor dem Einschlafen darüber nachgedacht ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Die Mädels waren beinah ausgeflippt und hatten die halbe Cafeteria zusammengeschrien mit ihrem freudig aufgeregten Gekreische ehe ich sie zur Ruhe bringen konnte. Sie waren hin und weg von den Neuigkeiten. Ruby begann bereits sich uns als das neue Traumpaar vorzustellen, obwohl wir nichteinmal miteinander ausgingen. Sie verstanden mein 'vielleicht sollte ich mit ihm auf ein Date gehen' als ein 'ich gehe definitiv'. Meine Zweifel fegten sie bei Seite. Lediglich Lola ging auf diese ein. Scheinbar war ihr großer Bruder mit Derek in die Schule gegangen. Sie versicherte mir, dass er ein guter, freundlicher Kerl war. Selbst Kathrine war voll auf begeistert. Sie schwärmte davon wie 'heiß' und 'rattenscharf' er wäre, wobei Jason ihr besitzergreifend einen Arm um die Schultern legte. Ich konnte es verstehen. Hätte ich einen Freund würde ich es auch nicht unbedingt genial finden, wenn er so von einer anderen Frau schwärmen würde. Er flüsterte ihr irgendetwas, was ich nicht verstand, ins Ohr. Da sie am Ende der Mittagspause leidenschaftlich rumknutschten nahm ich an, dass zwischen ihnen alles in Ordnung war.
Nach der letzten Stunde Biologie hatte ich entschieden Dereks Einladung anzunehmen, natürlich nur falls er noch mit mir ausgehen wollte. Ich hatte mir viel Zeit gelassen. Vielleicht war das Angebot bereits wieder vom Tisch.
Mit schwitzigen Handflächen kramte ich mein Handy aus meinem Rucksack hervor. Nervös kaute ich abwechselnt auf meiner Unterlippe und meinem Daumennagel herm. Letzeres war etwas was ich für gewöhnlich nicht tat. Gott, das mit diesen schlechten Angewohnheiten summierte ich allmählich. Ich hielt angespannt die Luft an während es klingelte. Als das Gespräch plötzlich angenommen wurde vergaß ich auf einen Schlag die Sätze, welche ich mir zuvor zurechtgelegt hatte. Mein Hirn war wie leer gefegt.
"Hallo? Adriana?"
"Ja, hi. Hier Adriana."
Gedanklich schlug ich mir mit der Hand vor die Stirn, doch tatsächlich kniff ich nur kopfschüttelnd die Augen zusammen. Das hatte er eben gesagt. Wie doof war war ich bitte? Am anderen Ende der Leitung hörte ich ihn Lachen.
"Weswegen rufst du an?"
"Ich-", ich räusperte mich. "Ich hoffe ich störe dich nicht. Du bist vermutlich gerade auf der Arbeit."
"Schon gut. Du störst mich nicht. Hier ist gerade nicht sonderlich viel los. Die Meisten haben Mittagspause."
"Im Theater macht ihr Mittagspausen?"
Natürlich hatten sie das. War mein Hirn abgeschaltet? Wieso kam nichts sinnvolles aus meinem Mund? Es war als hätte ich keine Kontrolle mehr über die Worte, die meine Lippen verließen.
"Natürlich. Die Bühnenbildner sind gerade weg. Ich sitze noch in der Maske. Für Freitag wollten sie noch einige Sachen ausprobieren."
Derek war ein angehender Musicaldarsteller. Seine Mutter sagte er habe schon als Kind seine Leidenschaft für das Theater und den Gesang entdeckt. Um ehrlich zu sein war ich neugierig wie talentiert er tatsächlich war.
"Vielleicht komme ich am Freitag zu deinem Auftritt.", kam dann auch sogleich aus meinem Mund.
Konnte ich nicht erst nachdenken?
"Wirklich? Das wäre fantastisch. Ich würde mich freuen. Ich könnte dir Freikarten zurücklegen lassen, wenn du möchtest."
"Das wäre- Das wäre super!"
Eine unangenehme Stille trat zwischen uns ein. Ich atmete tief ein.
"Weswegen ich eigentlich angerufen habe... Ich wollte fragen, ob deine Einladung, das Angebot, noch steht? Und... Und wenn du noch mit mir ausgehen wollen würdest, dann- dann würde ich sehr gerne darauf zurückkommen."
Den letzten Satz steiß ich in einem Atemzug aus. Meine Wangen glühten auch wenn er mich nicht sehen konnte.
"Adriana, ich würde sehr, sehr gerne mit dir ausgehen."
"Oh, wirklich? Super! Ähm... Dann am Freitag? Wir könnten etwas Essen gehen nachdem du frei hast.", schlug ich zögerlich vor.
"Wenn du nichts dagegen hast hätte ich eine andere Idee. Hast du am Samstag schon etwas vor?"
"Nein?", ich war unsicher. "Was erwartet mich dann am Samstag?"
"Eine Überraschung.", an seiner Stimme konnte ich hören, dass er lächelte. "Ist es okay, wenn ich dich um 17 Uhr bei dir Zuhause abhole?"
"Ja, ist es. Weißt du denn wo ich wohne?"
Er lachte.
"Das ist eine sehr kleine Stadt. Ich weiß wo das Swan-Haus steht. Also dann, wir sehen uns Freitag. Bring mit wen du möchtest. Schreib mir nur heute Abend wie viele Karten du brauchst."
"Alles klar. Mache ich! Danke."
"Bis Freitag, Adriana!", verabschiedete er sich.
"Bis Freitag!", erwiederte ich.
~°~
"Ich kann nicht fassen, dass du mich in ein Musical schleppst!", beschwerte sich Quil nun zum bestimmt eintausendsten Mal seit er mich von Zuhause abgeholt hatte.
"Ich hab dich auch lieb!", nuschelte ich ihm zu, da wir uns bereits dem Einlass nährten.
Der Dresscode für ein Musical war schwammig und reichte von einem Ende der Skala zur anderen wie ich bemerkte. Als ich mich heute für ein Outfit entscheiden musste war ich beinah verzweifelt. Über eine Dreiviertelstunde zog ich mich andauernd um unsicher was angemessen wäre. Casual? Oder doch eher elegant? Letzten Endes hatte ich mich für ein rotes, Midi-Wickelkleid, passend zu meinen roten Haarsträhnen, entschieden, welches ich schon vor einer ganzen Weile von meiner Mutter adoptiert hatte. Dazu trug ich passende Absatzschuhe, was zur Folge hätte, dass ich mich beim Hinauf- und Hinabsteigen jeder Treppe an Quils Arm festkrallen würde. Ich hatte fürchterlichen Schiss davor geradewegs die Stufen hinunterzusegeln. Die silbernen Ohringe brachten meine Ohrläppchen zum jucken. Ein solcher Anblick im Spiegel war inzwischen beinah ungewohnt. Früher hatte ich mich viel mehr, viel öfter aufgedonnert, doch seitdem ich in Forks lebte war mein Kleidungsstil immer praktischer geworden. Vermutlich hing ich zu oft mit den Jungs ab. Das Make up hatte ich dezent gehalten. Lediglich der rote Gloss lenkte die Aufmerksamkeit auf meine Lippen. Meine Winterjacke zerstörte das Bild ein wenig, doch obwohl meine Füße bereits abfroren war ich nicht bereit auch an anderen Stellen zu unterkühlen. Im Gegensatz zu mir hatte Quil es sich leicht gemacht. Er trug ein weißes Hemd, welches sich über seine Brust spannte, mit dunklen Jeans und schickeren Schuhen, die vermutlich um Lichtjahre bequemer waren als meine. Nur gut das er fuhr und nicht ich. In seinem Aufzug wäre er überall rein gekommen. Er sah gut aus.
Da Derek uns einen kostenlosen Eintritt ermöglichte wollte ich seine Großzügigkeit nicht ausnutzen, weswegen ich beschlossen hatte nur eine Person als Begleiter mitzunehmen. Quil war meine erste Wahl gewesen. Auch wenn er nur minder begeistert war hatte er nachdem ich einige Überredungskunst bei ihm angewendet hatte zugesagt. Bella ging nicht gerne unter Menschen, wenn es sich vermeiden ließ. Dabei ging sie ganz nach Dad. Hätte ich Lydia, Lola, oder Ruby gefragt hätte ich es den Anderen gegenüber unfair gefunden, die ich nicht mit nahm und mit Jake zu gehen kam nicht in Frage. Ich war hier, um über ihn hinwegzukommen. Ich versuchte ein neues Kapitel aufzuschlagen, da war das Letzte was ich bräuchte ein Abend mit ihm der sich wie ein Date anfühlte und mir verdeutlichen würde wie es niemals sein würde.
Dankbar als sich die Schlange vor der Kasse endlich weiter voran bewegte und wir die nächsten am Schalter wären tippelte ich auf tauben Füßen vorwärts. Die Haut an meinen Füßen und Händen war inzwischen vor Kälte beinah so rot wie mein Kleid. Vermutlich galt das Selbe für meine Nase. Fröstelnd schlang ich meine Arme enger um mich. Die ältere Dame auf der anderen Seite der Plexiglasscheibe sah mich abwartend an.
"Guten Abend! Ähm... Es müssten Karten für mich hinterlegt worden sein von...", ich überlegte kurz, suchte nach den richtigen Worten. "von einem Freund. Sein Name ist Derek Newton. Möglicherweise hat er sie auch auf den Namen Adriana Swan bestellt."
Das faltige Gesicht der Frau hellte sich auf.
"Ach sie sind Dereks Freundin? Wie schön! So ein schmucker, junger Mann. Sie haben Glück so einen abbekommen zu haben, Liebes!"
Ich lächelte peinlich berührt.
Hatte Derek mich wirklich seine Freundin genannt, oder hatte die Lady etwas falsch verstanden?
Sie kramte in einer Schublade herum und schob mir zwei Karten zu.
"Hier! Adriana Swan und Begleitung."
Lächelnd nahm ich sie an.
"Vielen Dank!"
Ich wollte mich schon abwenden und endlich rein gehen, da fiel ihr Blick auf Quil neben mir. Mit gerunzelter Stirn musterte sie ihn.
"Ist das ihr Bruder?", fragte sie spitz, wobei sie die Lippen schürzte.
'Ganz schön neugierig', dachte ich. Abgesehen davon war bei unserem äußeren Erscheinungsbild die Wahrscheinlichkeit, dass wir Geschwister waren recht gering. Halbgeschwister vielleicht.
Quil legte mir einen Arm um die Schultern, während er der Frau frech entgegengrinste.
"Andere Mutter.", sagte er nur und dirigierte mich zum Eingang.
Kaum das wir durch die Tür waren brachen wir in Gelächter aus. Von einigen Besuchern wurden wir schräg angesehen, doch das kümmerte mich nicht im mindesten.
Theoretisch hatte Quil nicht gelogen.
~°~
Die Aufführung war der Wahnsinn! Ich hatte es geliebt, jede Minute genossen. Das einzige und letzte Musical hatte ich mit Mom und Bella gesehen, als ich sechs, oder sieben Jahre alt gewesen war. Ich denke wir hatten 'Grease' gesehen, doch ich konnte mich nur wage an den Nachmittag erinnern. Umso mehr war ich von den Darbietungen auf der riesigen Bühne gefangen. Während Quil jedes Mal seufzend die Augen verdrehte, wenn ein neuer Song angestimmt wurde war ich durch und durch begeistert. Was die Schauspieler dort leisteten war unglaublich, ebenso wie die Bühnenkulissen. Wie es wohl war dort unten zu stehen und in eine vollkommen neue Rolle zu schlüpfen, für wenige Stunden jemand Anderes sein zu können? Ich würde Derek fragen, sobald sich die Gelegenheit ergab. Ihn spielen zu sehen war faszinierend anzusehen gewesen. Er hatte eine wundervolle Gesangsstimme. Seine Mutter hatte nicht übertrieben. Wenn er dort unten auf der Bühne stand füllte seine Präsenz den Raum aus. Er schien mir dafür geboren worden zu sein.
Schwärmend trat ich aus den Zuschauerrängen in den Eingangsbereich. Quil und ich debatierten heftig, da wir über den Abend geteilte Meinungen hatten. Ihm hatte die Geschichte an Aktion gefehlt. Nun war es an mir die Augen zu verdrehen.
"Es kann nicht alles unterhaltsame immer nur aus Rumgeballere bestehen!", beharrte ich.
"'Rumgeballere' wie du es nennst hätte dem Ganzen viel mehr Spannung eingehaucht. Die Welt ist keine rosa Zuckerwolke auf der alle friedlich in Harmonie leben."
"Darum ging es doch auch gar nicht! Wie kommst du jetzt darauf? Was hast du gegen Happy Ends?"
"Sie sind unrealistisch!"
Ich schnaubte.
"Für einen Stinkstiefel für dich mit Sicherheit."
"Kann ja nicht jeder ein hoffnungsloser Romantiker sein wie du. Deine Einstellung zur Liebe ist schon recht naiv.", stichelte er.
"Das war ein Schauspiel! Mir ist sehr wohl bewusst, dass nicht plötzlich der Blitz einschlägt und von der einen auf die andere Minute ist man jemandes ganze Welt."
Trotzig streckte ich das Kinn in die Höhe.
Schmunzelnd hob er eine Augenbraue.
"Ach, wirklich? So viel Vernunft hätte ich dir gar nicht zugetraut."
Unsanft boxte ich ihm in die Seite. Er stöhne leise auf und presste seinen Arm gegen die Stelle.
"Wofür war das denn?", keuchte er leise.
"Du bist ein Holzkopf. Dafür!"
"Du hast eindeutig ein Agressionsproblem. Man sollte doch Dispute nicht mit den Fäusten lösen."
"Disput, ein ziemlich schlaues Wort für einen Holzkopf wie dich. Bist du sicher, dass du weißt was es bedeutet?"
"Fragts du mich, weil du es selbst nicht weißt?", zog er mich weiter auf. Ihm machte es Spaß mir von Zeit zu Zeit auf die Nerven zu gehen.
Warnend kniff ich die Augen zusammen.
"Treib es nicht zu weit, Freundchen!", warnte ich ihn.
Quil kicherte.
"Sonst was? Wir sind mit meinem Auto hier."
Mist. Punkt für ihn. Dennoch hob ich warnden den Zeigefinger. Kapitulierend hob er die Hände.
In den Moment entdeckte ich am anderen Ende des Raumes wie Derek um eine Ecke bog. Mit den Augen suchte er die Menge ab. Als er mich entdecke legte sich ein strahlendes Lächeln auf sein Gesicht, welches seine Grübchen auch von Weitem zum Vorschein brachte. Die Nervosität traf mich mit einem Schlag was auch Quil nicht entging. Er drehte sich in seine Richtung. Mit dem Ellbogen stieß er mich grinsend an.
"Uuuuuu, ist er das? Ist er das?"
"Ja, ist er."
Er kicherte wie ein kleines Schulmädchen.
"Ist er nicht süß? So süß!", zog er mich spielerisch auf.
"Haha, sehr witzig. Mach dich nur lustig."
"Oh, glaub mir! Das werde ich!"
Ich ahnte schlimmes. Mit einem ermahnenden Blick wand ich mich an meinen Freund.
"Quil", gegann ich betont langsam. "Ich warne dich! Benimm dich!"
Er salutierte vor mir.
"Ja, Mam! Sehr wohl, Mam!"
Unbeeindruckt verschränkte ich die Arme vor der Brust.
"Ich meine es ernst, Quil! Es mag dir schwerfallen, aber sag einfach nichts seltsames."
"Ja, Mama."
"Gut, mein Sohn. Dann haben wir das geklärt.", spielte ich mit.
Derek kam auf uns zu. Möglichst unauffällig versuchte ich meine schweißnassen Handflächen an meinem Kleid abzuwischen. Was sollte ich tun? Ihm die Hand geben? Ihn umarmen? Ein freundliches Hallo? Oder doch eher guten Abend? Ein Lob wäre angebracht, oder?
Quil beugte sich zu mir hinunter, wobei wir beide in Dereks Richtung sahen, der auf dem Weg zu uns aufgehalten wurde, da er noch einige Hände schütteln musste.
"Er sieht aus wie ein Spießer.", meinte er. "Hast du seine Haare gesehen? Wer gelt die schon so zurück?"
"Das war für seine Rolle!"
"Ach ja? Vielleicht trägt er sie immer so und versucht nur in deiner Gegenwart cool rüberzukommen. Männer sind komische Geschöpfe."
"Du musst es ja wissen.", murmelte ich.
"Autsch!", gespielt beleidigt legte er sich eine Hand an die Brust. "Ganz schön kratzbürstig heute."
"Vielleicht färbst du auf mich ab.", lächelte ich ihm gekünselt entgegen.
"Ich bin nicht kratzbürstig! Schlagfertig und wortgewand vielleicht."
Ich schnaubte.
"Is klar!"
"IST! IST klar, heißt das, meine Liebe."
Ich rollte mit meinen Augen.
"Diese Geste machst du heute ziemlich häufig."
"Dann denk mal scharf nach warum.", pfefferte ich zurück.
Immer weiter in einen Flüsterton verfallend, da Derek uns näher kam lieferten wir uns ein Wortgefecht. Hin und wieder waren wir tatsächlich wie kleine Kinder. Hätte uns die Ältere Dame von der Kasse gesehen hätte sie keine Zweifel daran gehabt, dass wir Geschwister wären so wie wir uns krabbelten. Ich hatte Quil lieb, aber manchmal raubte er mir den letzten Nerv.
Schließlich stand Derek vor uns. Zum Glück nahm er mir die Entscheidung was ich tun sollte ab. Er beugte sie hinunter und umarmte mich. Seine Umarmung fühlte sich sonderbar an, nicht unangenehm, lediglich sonderbar. Vielleicht weil es für mich ungewohnt war.
"Schön das du hier bist!", begrüßte er mich.
"Es freut mich hier zu sein.", ich lächelte. Er ließ mich wieder los. "Das war ein fantastischer Auftritt!", lobte ich ihn.
"Es hat dir gefallen?", fragte er sichtlich erfreut.
"Ich habe es geliebt. Ich denke durch dich habe ich meine Liebe zu Musicals endeckt."
Er lächelte mich an, ich lächelte zurück.
Seine Aufmerksamkeit galt im nächsten Moment Quil. Er reichte ihm höflich die Hand.
"Du musst einer von Adrianas Freunden aus dem Reservat sein.", stellte er fest. "Ich bin Derek Newton."
Quil schlug mit einem festen Händedruck ein. Das sah ich daran wie sich seine Muskeln im Arm anspannten und eine kurze Regung über Dereks Mimik zuckte, die sein freundliches Lächeln zum verrutschen brachte.
"Derek, das ist Quil Ateara. Er ist einer meiner besten Freunde."
"Freut mich sehr.", kam es von Derek.
"Oh, die Freude ist ganz meinerseites..., Derek."
Die Art und Weise wie Quil Dereks Namen aussprach brachte mich dazu die Situation so schnell wie möglich entschärfen zu wollen. Es gelang mir weitesgehend. Leider konnten Derek und ich uns nicht allzulange unterhalten. Irgendwann stießen seine Eltern zu uns, die ich zuvor vollkommen übersehen hatte und nahmen ihren Sohn in Beschlag. Vermutlich war es besser so, da Quil nicht aufhörte Derek prüfend anzustarren. Ich konnte sein Misstrauen ihm gegenüber förmlich spüren. Mit einer letzten flüchtigen Umarmung verabschiedete sich und erinnerte mich an unser Date morgen. Seine Eltern staunten nicht schlecht. Überrascht sahen sie zwischen uns hin und her. Schüchtern lächelnd presste ich die Lippen zusammen, während ich mein Gewicht von einem Bein auf das Andere verlagerte.
Kaum das wir das Theater verlassen hatten und zum Auto liefen tat Quil sein Misstrauen kund. Einerseits war es süß, dass er mich beschützen wollte, doch andererseits war das eine Entscheidung, die nur ich zu treffen hatte.
~°~
Das wurde jetzt ein längeres Kapitel. Eigentlich wollte ich noch mehr hier reinbekommen, doch ich denke es ist besser einen kleinen Cut einzubauen und umso früher konntet ihr das hier lesen;)
Was haltet ihr von den neusten Ereignissen in Adis Leben? Wie findet ihr Quil und Derek? Wie wird es weiter gehen? Habt ihr Ideen wo es auf ihrem ersten Date hingeht? Welche Überraschung hat Derek geplant?
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