25:
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Ich hatte Recht gehabt. Ich kam nicht damit klar, dass Embry mich abgewiesen UND siebzehn Tage lang gewissentlich ignoriert hatte. Er war nach draußen gerannt, nachdem er sich zum letzten Mal entschuldigt hatte. Er hatte mich in mitten dieser praktisch Fremden zurückgelassen. Wohin er gegangen war wusste ich nicht. Emily hatte bemerkt wie sehr mich dieses Streitgespräch mitgenommen hatte und mir angeboten bei ihnen zu bleiben, doch ich wollte nur noch weg. Ich krakselte den Weg zurück zum Strand, den ich gekommen war. Meine Schuhe waren mittlerweile mehr braun als weiß. Als ich am Strand ankam blieb ich für eine Weile stehen und starrte auf das Meer hinaus. Heute war es relativ ruhig. Nur kleine Wellen wölbten sich auf seiner Oberfläche. Die kalte Luft kühlte meine erhitzten Wangen. Ich vergrub meine Hände in den Jackentaschen. Mir war schlecht. Emotionale Aufregung schlug mir immer auf den Magen. Zwischenzeitlich überlegte ich zurück zu gehen, allerdings entschied ich mich dagegen. Embry war nicht mehr bei Sam. Was für einen Sinn hätte es ihn zu belagern?
Wollte Embry mich wirklich nicht sehen? Hatte ich etwas falsch gemacht? Aber wann sollte das passiert sein? Seit Wochen hatte ich unsere letzte Begegnung in meinem Kopf Revue passieren lassen, doch ich wurde nicht schlau daraus. Er war vorbeigekommen, hatte mir Sachen von sich geschenkt, hatte sich nicht gut gefühlt und war gegangen. Was übersah ich? Was war passiert von dem ich nichts wusste?
Nachdem ich bei meiner Grübellei nicht weiter kam rief ich sowohl Quil, als auch Jake an und bestellte sie zum Strand. Eine knappe Viertelstunde später kamen sie nur minimal zeitversetzt nacheinander an. Quil war als Erster da. Kein Wunder, sein Haus lag näher am Strand. Dennoch wartete ich mit dem Breathing bis Jake zu uns stieß. Quil bemerkte wie aufgewühlt ich war. Aufgrunddessen vermutete ich, dass ich meine Emotionen schlechter verbergen konnte als gedacht, da er für gewöhnlich kein Gespür für solche Sachen hatte. Embry hingegen schon.
...
Ich wollte ihn nicht verlieren. Mit wem sollte ich sonst über alles mögliche reden? Mit wem sollte ich im Frühjahr und im Sommer surfen gehen? Wessen Aufsätze sollte ich Probe lesen? Wem sollte ich sonst die Rosinen aus der Nussmischung wegessen, da er sie nicht leiden konnte? Über wessen schlechte Witze sollte ich lächelnd die Augenverdrehen? Gegen wen sollte ich alberne Wetten verlieren wie bei dem Mal, als wir gewettet hatten wer mehr Marshmellows in seinen Mund stopfen konnte und ich am Ende acht Marshmellows hinter Embry lag?
Was auch immer es war das zwischen uns stand ich musste es herausfinden. Wenn ich es täte würde ich unsere Beziehung vielleicht wieder ins Reine bringen können.
Jake kam schnaufend aus dem Wald gejoggt. War er die ganze Strecke gelaufen? Hätte ich das versucht wäre ich vermutlich auf dem Weg kollabiert. Ging Jacob regelmäßig joggen? Wann hatte er damit angefangen? Zuvor hatte er ganz sicher nicht so viel Kondition gehabt. Die Jungs trainierten wohl tatsächlich hinter meinem Rücken. Kaum, dass er bei uns angekommen war normalisierte sich seine Atmung bereits wieder.
"Du hast mit Embry gesprochen?", war das Erste was er sagte.
Eine Mischung aus Sorge und Neugierde spiegelte sich auf seinem Gesicht. Ich musste schlucken. Seine Haare waren in einem unordentlichen Zopf in seinem Nacken zusammengebunden. Ich erinnerte mich an dem Tag an dem ich seinetwegen am Strand geweint hatte und Embry gekommen war. Er hatte mich getröstet, oder mir viel mehr das Gefühl gegeben nicht allein zu sein. Dieser Tag war erst vor wenigen Wochen gewesen. Damals hatte ich gedacht, dass Embry Jake in gewisser Weise ähnlich sah. Jetzt war es wieder so, nur das dieses Mal Jake derjenige war, der Embry ähnlich sah.
"Wie hast du ihn überhaupt erwischt? Er war doch nie Zuhause.", harkte Quil nach.
"Ich war bei Sam.", ich verschränkte die Arme vor der Brust.
"Sam Uley?!", brachte Jake ungläubig heraus. Sein Tonfall wurde von Quils irritiertem Blick unterstrichen.
"Ja.", antwortete ich kurzangebunden.
"Woher weißt du überhaupt wo er wohnt?", fragte Letzterer.
Jetzt würde es unangenehm werden. Ich hatte keinem von ihnen von dem Vorfall am Strand erzählt. Nichteinmal Embry, Cassy, oder Bella wussten davon. Ich heftete den Blick auf meine verdreckten Schuhspitzen.
"Vor... Vor einiger Zeit hat er mir geholfen. Ehrlich gesagt hat er mich aus einer ziemlich misslichen Lage gerettet. Danach war ich kurz bei seiner Verlobten Emily und ihm Zuhause."
"Sam... hat dich gerettet, du warst bei ihm Zuhause und du hast uns nichts davon gesagt?", entrüstete sich Quil.
"Ich weiß... Ich-Ich hätte euch das nicht verschweigen sollen, aber... ich weiß wie ihr zu ihm steht."
Jake seufzte. Mit einer Hand fuhr er sich über sein Gesicht.
"Okay, vermutlich sind wir ihm gegenüber ein wenig feindselig eingestellt. Aber- Was ist passiert? Wovor hat er dich gerettet? Was- Dir geht es gut, oder?"
"Mir geht es gut.", versuchte ich ihn zu beruhigen. "Es ist schon eine ganze Weile her."
"Aber was ist damals passiert? Wann war das überhaupt?", beharrte er auf eine Antwort.
Hilfesuchend sah ich zu Quil, doch dieser schien nicht minder interessiert an der Geschichte hinter Sams und meinem Zusammentreffen zu sein. Ergeben lenkte ich ein. Sie waren meine Freunde. Ich konnte ihnen vertrauen. Mir war das alles lediglich peinlich.
"Nachdem ich mich mit Bella gestritten hatte,... ", ich sah Jake an. "nachdem du bei mir warst, bin ich zum Strand gefahren. Ich wollte einfach nur den Kopf freikriegen. Um die ganze Geschichte kurzzufassen: Ich bin schwimmen gegangen. Ich bin immer weiter rausgeschwommen, habe mich treiben lassen und ehe ich mich versah war ich zu weit vom Strand begetrieben. Ich kam nicht gegen die Strömung an. Meine Arme und Beine wurden taub. Sam, Paul und Jared waren am Strand. Sam war es der ins Wasser sprang und mich zurück an Land zog. Ohne ihn wäre ich vermutlich ertrunken. Dann hat er mich sogar noch mit zu sich genommen, damit ich mich dort aufwärmen konnte. Ich war nur dieses eine Mal dort, aber ich habe den Weg dorthin wiedergefunden."
"Heilige!", Quil raufte sich die kurzen Haare.
"Adi! Das hättest du uns DEFINITIV sagen sollen! Du-Du hättest sterben können! Du wärst fast gestorben!", erhob Jake leicht die Stimme.
Er wirkte besorgt, dabei kam es mir vor als sei dieser Tag bereits eine Ewigkeit her.
"Ja, hätte ich. Aber das war vor Monaten, vor einer Ewigkeit! Jetzt geht um Embry! Er war dort! Er war bei Sam. Vermutlich war er das immer, wenn wir ihn nicht finden konnten. Nachdem ihr angerufen und gesagt habt er würde jetzt mit Jared und Paul abhängen dachte ich bei Sam vorbeizusehen wäre einen Versuch wert und ich hatte Recht."
"Okay, dann... Was genau hat er gesagt?", ließ sich Quil auf den Themenwechsel hin zu den wirklich wichtigen Dingen ein.
Er konnte bereits ahnen wie es ausgegangen war.
Vor meinem Inneren Auge sah ich wieder Embrys Gesichtsausdruck.
"Er-... Er hat verängstigt gewirkt. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen wie er mich angesehen hat, als wäre ich ein Geist."
"Naja, so einen ähnlichen Blick hatte er auch schon in der Schule drauf.", bestätigte Jake.
Ich presste für einen Augenblick zusammen, bevor ich weitersprach.
"Zunächst hat er überhaupt nichts gesagt, doch dann... Ich habe versucht aus ihm herauszubekommen was passiert ist. Er meinte lediglich, dass er nicht mit mir darüber reden könne, es ihm jedoch gut ginge und dann noch, dass ich nicht hätte zu ihm kommen sollen. Daraufhin bin ich... naja, ein klein wenig aus meiner Haut gefahren. Ich wollte-ich wollte wissen wieso er sich nicht gemeldet hat. Er hat sich entschuldigt, mehrfach, aber er hat mich dennoch von sich weggestoßen. Embry hat deutlich gemacht, dass er mich nicht bei sich haben wollte. Ich zermattere mir das Hirn, aber dennoch weiß ich beim besten Willen nicht wieso! Hat er- Hat er euch irgendetwas gesagt?"
Beide verneinten. Wir unterhielten uns noch eine ganze Weile, versuchten zu verstehen was mit Embry los sein könnte, doch kamen auf keinen grünen Zweig. Wir hatten keine Ahnung.
~°~
Obwohl ich wusste wie unwahrscheinlich es war schrieb ich Embry am nächsten Tag weiterhin. Nach der Schule stand ich erneut bei Emily und Sam auf der Fußmatte. Emily bedachte mich mit einem mitleidigen Blick, als sie mir sagte, dass sie nicht hier seien. Ich könnte warten bis sie kämen, doch der Appell war deutlich. Ich sollte nicht auf sie warten. Embry wollte mich nicht sehen.
Am Mittwoch schrieb ich in der Schule an einem Brief. Ich ließ den Unterricht an mir vorbeiziehen, bekam die Worte der Lehrer nur als Hintergrundgeräusch mit. Es gab vieles was ich Embry sagen wollte, doch egal wie klein ich schrieb, wie viele Seiten meine Handschrift zierte gab es immernoch so vieles mehr zu sagen als ich schreiben konnte. Noch vor der Arbeit fuhr ich ins Reservat, um den Brief abzugeben. Ich war unschlüssig. Während der Fahrt kaute ich auf meiner Unterlippe herum. Wie würde mein Brief Embry auf alle Fälle erreichen? Wie würde ich ihn dazu bekommen ihn zu lesen? Für Letzeres gab es keine Garantie wie ich feststellen musste. Auch die Frage, ob ich eine Antwort erhalten würde blieb unbeantwortet.
Zunächst wollte ich ihn zu Sam bringen. Er würde ihn Embry mit Sicherheit geben, richtig? Doch ich entschied mich dagegen. Ich hatte sein Haus schon genug belagert. Darum fuhr ich zu den Calls nach Hause. Wie zu erwarten war keiner dort. Der Klang der Klingel verhallte im Inneren. Ich schob den Brief mit zitternden Fingern durch den Briefschlitz.
Auf dem Weg zu Newtons haderte ich mit meiner Entscheidung. War es die Richtige gewesen? Hatte ich mich falsch entschieden? Irgendwann musste Embry nach Hause kommen, oder? Wieso hatte seine Mutter mich eigentlich zuvor angelogen?
Grübelnd parkte ich mein Motorrad vor dem Laden. Überraschender Weise stand nicht Mrs. Newton hinter der Kasse wie es noch am Samstag auf dem Dienstplan gestanden hatte. Statt ihrer stützte ein braunhaariger, junger Mann seinen Kopf auf seinen Armen ab. Er wirkte gelangweilt.
"Derek? Was machst du hier?", erkundigte ich mich überrascht über seine Anwesenheit.
Er schreckte auf. Scheinbar hatte er mich trotz der Glocke am Eingang nicht reinkommen hören. Seine Haare sahen heute anders aus. Die Haarspitzen wellten sich dort wo seine Haare länger waren. Ansonsten wirkten sie verwuschelter und weniger gestylt als sonst. Er sah dennoch gut aus. Irgendwie mochte ich diesen wilderen Look.
"Adriana! Ähm, hi!", stammelte er.
Er war wirklich in Gedanken gewesen.
"Hi.", grüßte ich schmunzelnd zurück. "Wie kommt es, dass du heute arbeitest? Müsstest du nicht bei deinem Praktikum sein?"
"Ja-, nein. Heute habe ich frei."
"Und da stüzt du dich gleich in weitere Arbeit anstatt deinen freien Tag zu genießen?"
"Ich-...", er verstummte kurz. Mit einer Hand fuhr er sich durch seine haselmussbraunen Haare. "Sieht ganz danach aus."
Ich begab mich in den Personalraum, um dort meinen Helm und meine persönlichen Sachen abzulegen. Derek folgte mir.
"Geht es dir wieder besser?", fragte er mit seinen Händen in den Hosentaschen, während er langsam mit seinen Füßen vor und zurück wippte.
"Hmm?", kam verwirrt von mir.
"Du hast dich am Montag krank gemeldet. Geht es dir wieder besser?"
Mir ging ein Licht auf. Die Krankmeldung hatte ich ganz vergessen.
"Oh! Ja! Ja, mir- mir geht es wieder gut. Alles in Ordnung. Danke der Nachfrage."
Derek schnaufte leise lachend. Sein Blick wanderte zu Boden und wieder hinauf.
"Du warst gar nicht krank, oder?"
"Wie- Wie kommst du darauf?"
"Du bist eine schreckliche Lügnerin.", er schmunzelte. "Das gehört zu den Dingen die ich an dir mag."
Ich wusste nicht was ich sagen sollte. Meine Augen wurden groß wie Untertassen. Ich drehte meinen Kopf zur Seite, um den Blick seiner grün-braunen Augen zu meiden.
"Warst du bei deinem Freund? Dem der krank gewesen ist?"
Seufzend ließ ich die Schultern hängen. Schließlich nickte ich.
Derek setzte sich auf die schmale Bank in dem kleinen Raum.
"Was ist passiert? Deiner Reaktion nach ist es nicht besonders gut gelaufen nehme ich an."
Sein Interesse wirkte aufrichtig. Nach kurzem Zögern entschied ich, dass es okay für mich war ihn in meine momentante missliche Lage einzuweihen. Ich setzte mich zu ihm und legte den Kopf in den Nacken. Meine Aufmerksamkeit galt der Decke.
"Wir hatten Streit. Naja, eigentlich kann man das nichteinmal als Streit bezeichnen. Ein Streit würde bedeuten, dass er auch etwas dazu beigetragen und nicht passiv rumgestanden hätte. Er hat kaum etwas gesagt."
"Wieso warst du wütend auf ihn?", seine Stimme war ruhig, nicht verurteilend.
"Scheinbar... Scheibar war er nicht krank... Er war wieder in der Schule. Dort hing er auf einmal mit diesen- diesen Typen ab und hat unsere gemeinsamen Freunde ignoriert. Ich war bei... ihrem Anführer. Sein Name ist Sam. Seine Verlobte hat mir geöffnet. Und nach einiger Zeit kam Embry schließlich rein. Oh, ähm... Embry ist der Name meines Freundes den ich gesucht habe. Ihm ging es gut. Er kam lachend mit seinen neuen Freunden reingerannt. Er sah so unglaublich verändert aus. Plötzlich hat er kurze Haare und ein Tattoo. Er hat nicht mit mir geredet, wirkte distanziert. Embry ist mein bester Freund und ich habe ihn kaum wiedererkannt, da sind bei mir die Sicherungen durchgebrannt. Ich habe wirklich versucht mit ihm zu reden, aber... er hat sich nur entschuldigt und mich weggeschickt. Er sagte es täte ihm leid, dass wir uns Sorgen um ihn gemacht hätten und dass ich nicht hätte zu ihm kommen sollen. Er ist gegangen und dann... bin ich es auch. Er- Er war immer für mich da. Das hätte ich auch tun sollen! Es war an mir für ihn da zu sein. Ich hätte ihm hinterherlaufen sollen. Ich weiß nicht warum ich es nicht getan habe. Er sah aus, als hätte er einen Geist gesehen. Er wirkte emotional verletzt, verängstigt. Gestern habe ich versucht nochmal auf ihn zuzugehen, aber er... er will mich nicht sehen."
"Für mich klingt es als hättest du alles getan was du konntest. Was auch immer ihn zur Zeit beschäftigt ich denke er weiß, dass er mit dir reden kann, wenn er bereit dazu ist. Vielleicht braucht er nur ein wenig Zeit um für sich die Dinge zu klären."
"Aber... was ist passiert? Was kann ihm in diesen zwei Wochen zugestoßen sein das ihn dermaßen verändert hat?"
"Ich weiß es nicht, aber du wirst es herausfinden. Du bist schlau und wenn du ihm so wichtig bist wie er dir wird er sich melden."
Ich schluckte.
"Und wenn nicht."
Spielerisch stieß er mich sachte mit dem Ellbogen an.
"Das steht gar nicht zur Debatte."
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