24:
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Als Embry mich über Sams Schulter hinweg entdeckte fiel das strahlende Lächeln wie in Zeitlupe in sich zusammen. Mit zitternden Knien trat ich auf ihn zu. Unsere Blicke trafen sich.
"Embry?"
Der vertraute Fremde vor mir starrte mich an. Einige Sekunden lang wusste ich nicht woran ich war. In Sekundenbruchteilen huschten tausende Emotionen in ihm umher. Auch wenn seine Miene, sowie sein Körper regungslos waren erkannte ich diese in seinen schokoladebraunen, warmen Augen. Da er keinen Mucks von sich gab versuchte ich die Antworten von seinem Gesicht abzulesen, doch meine Aufmerksamkeit wurde ständig von den vertrauten Zügen auf das Unbekannte gelenkt. Inzwischen war Embry an die zwei Meter groß. Sein Kopf befand sich so weit über meinem, dass ich meinen in den Nacken legen musste, um nicht auf seine nackte Brust zu starren. Seine schwarzen Haare umrahmten nicht länger sein schönes Gesicht. Inzwischen waren sie raspelkurz. Wie von selbst glitten meine Finger zu seinem Gesicht. An der Stelle kurz hinter seinen Schläfen, dort wo sein Haaransatz lag, strich ich über das kurze, dunkle Haar. Es war ein sonderbares Gefühl, fremd. Von ihm strahlte eine Hitze aus, die ich selbst durch meine Kleidung hindurch noch spüren konnte. Meine Berührung schien ihn aus seiner Starre gerissen zu haben. Er brachte Abstand zwischen uns, wobei ein schmerzlicher Ausdruck auf seinem Gesicht erschien. Sein ganzer Körper verspannte sich.
"Embry... Was ist los? Was ist passiert?"
Die Verzweiflung war mir anzuhören. Ich wusste nicht weiter. Mit Vielem hatte ich gerechnet, aber damit, dass ich einen meiner besten Freunde nach zwei Wochen kaum noch erkennen würde wohl kaum. Ich kannte Embry, doch wie er jetzt mir gegenüber stand beschlich mich die Befürchtung, dass ich vielleicht nicht die Person kannte, die sich nun vor mir befand. Etwas hatte sich verändert. Ich konnte es spüren, doch vorallem sah ich es ihm an. Er wirkte beinah verängstigt, aber auch gequält. Seine Miene erweckte den Eindruck er würde unglaublich leiden. Dieser Anblick zerriss mir das Herz.
Mit einem großen Schritt schloss ich die Lücke wieder, die er zwischen uns gebracht hatte. Sein Kiefer spannte sich sichtlich an, ebenso die Muskeln in seinen Armen und in seiner Brust. Als er sich leicht zur Seite drehte, vermutlich um sich von mir abzuwenden, erhaschte ich einen Blick auf seinen rechten Arm. Ich fiel fast vom Glauben ab. Mir klappte die Kinnlade herunter. Auf seinem rechten Oberarm prankte ein riesengroßes, schwarzes Symbol. Es handelte sich um das Selbe wie auf der Haut der anderen drei Männer im Raum. Mit langsamen Schritten umkreiste ich ihn im Versuch mir seinen Arm genauer anzusehen, dabei glitt mein Blick immer wieder von der großflächigen Tättowierung zu seinem Gesicht, den kurzen Haaren, an die ich mich nicht gewöhnen konnte, und wieder zurück.
"Heilige Sch-! Du hast ein Tattoo???!!!", brachte ich schließlich ungläubig und wenig geistreich heraus.
Die Abbildung auf seinem Arm war nichteinmal besonders schön. In einem Kreis befand sich ein Wirrwarr an dicken, schwarzen Linien, die für mich zunächst kein zusammenhängendes Gesamtbild ergaben. Gerade meinte ich soetwas wie zwei Hundeköpfe zu erkennen, da entfernte er sich wieder von mir, wobei er sich scheinbar mit Absicht so drehte, dass ich sein Tattoo nicht länger begaffen konnte.
"Du bist sechtzehn! Das Teil hast du jetzt für den Rest deines Lebens!", erinnerte ich ihn, ehe ich mich zu Sam umdrehte und ihn anpampte. "Er ist erst sechtzehn, Sam! Wieso hast du das zugelassen? Schön, dass er scheinbar versucht dir nachzueifern und ihr urplötzlich die besten Freunde seit, aber ein Tattoo?! Du bist der Erwachsene! Du hättest es besser wissen sollen!"
Mit verschrenkten Armen schüttelte ich den Kopf. In diesem Raum schien ich als Einzige entrüstet zu sein. Einer von Sams beiden Jüngern, wie Embry sie bis vor kurzem noch bezeichnet hatte, wagte es sogar leise zu kichern. Ich schenkte ihm einen Todesblick.
"Sam hat damit nichts zu tun gehabt.", verteidigte Embry ihn plötzlich. Es waren die erste Worte, die er an mich richtete.
Spöttisch zog ich eine Augenbraue hoch.
"Ach nein? Dann ist es nur ein Zufall, dass ihr alle mit dem gleichen Motiv auf dem Arm rumläuft und ausseht wie Doppelgänger?"
Embrys Mund öffnete sich, doch er brachte keinen Laut über die Lippen.
"Siehst du! Du kannst es nichteinmal bestreiten! Was sollen die kurzgeschorenen Haare, dieses-dieses Tattoo? Seit wann geht der Trend dazu im Winter ohne Shirt durch den Regen zu laufen? Was soll das alles?"
"Adi... Adriana", korrigierte er sonderbarer Weise meinen Namen, als sei er nicht mehr berechtigt meinen Spitznamen zu benutzen. Der Klang meines vollen Names aus seinem Mund ließ mich die Nase kraus ziehen. Es klang vollkommen falsch. Wir kannten uns seit unserer Kindheit. Ich war mir fast sicher, dass er mich seit unserer ersten Begegnung damals nicht mehr Adriana genannt hatte. Wann war das gewesen? Nachdem Jacob ihn in der Vorschule kennengelernt hatte? Früher? Ich wusste es nicht mehr. Wir waren noch sehr jung gewesen.
"Ich- Ich kann nicht mit dir darüber reden. Alles was ich sagen kann ist, dass ich freiwillig hier bin und es mir gut geht. Du solltest jetzt gehen. Es wäre besser gewesen du wärst gar nicht erst hierhergekommen."
Ich ließ meine Arme fallen.
"Hörst du dir eigentlich selbst zu? Du kannst nicht darüber reden, aber dir geht es gut und ich hätte nicht herkommen sollen? Sag mal hast du sie nicht mehr alle?! Wir haben uns Sorgen um dich gemacht! Du warst ZWEI WOCHEN lang wie vom Erdboden verschluckt. Ich habe dich jeden Tag angerufen und dir unzählige Nachrichten hinterlassen. Weißt du wie oft ich bei dir Zuhause vorbeigefahren bin, um nach dir zu sehen und du warst nie da?! Ich bin andauernd zu dir gefahren und du hast es nicht für nötig gehalten mir auch nur eine SMS, oder eine E-Mail zu schicken? Herr Gott! Selbst Rauchzeichen wären okay gewesen! Irgendein Zeichen, welches mir gezeigt hätte, dass du noch am Leben bist! War das zu viel verlangt? Was war los? Warst du zu beschäftigt halbnackt mit deinen neuen besten Freunden durch die Wälder zu laufen? Hmm?! War es das?"
Wieder kam keine Antwort. Embry wich meinem Blick aus, indem er seinen auf den Boden heftete. Er schluckte. Dieses defensive Verhalten schürte die Wut, die plötzlich in mir aufbrodelte. Vermutlich war sie die ganze Zeit über bereits in mir gewesen, ich hatte sie mit mir herumgeschleppt, doch sie war von der Sorge überdeckt worden. Nun wo ich Embry quicklebendig vor mir stehen sah überwog sie jedoch. Sie fühlte sich an wie Flammen in meinen Inneren. Ich wollte schreien, weinen, meine Nägel in etwas schlagen, auf etwas, oder jemanden eindreschen und das alles auf einmal, doch ich riss mich zusammen. Die Worte waren das einzige Ventil, durch welche ich sie heraus ließ. Sie waren alles was ich zuließ. Allerdings sammelten sich bereits Tränen des Zorns hinter meinen Augen was mich nur noch wütender machte. Ich wollte nicht weinen! Nicht jetzt, nicht hier und erst recht nicht vor Embry, wenn er sich benahm wie ein Arsch!
"Hättest du vielleicht die Freundlichkeit mir verdammt nochmal zu antworten?", zischte ich angepisst.
"Ich denke das reicht jetzt!", schaltete sich Sam ein. Er drängte sich zwischen Embry und mich, doch da Embry zwar schmaler, aber dennoch größer war als er konnte ich nach wie vor seinen hängenden Kopf sehen.
Ich starrte ihn über Sams Schulter hinweg an, ehe mein Blick zu seinem selbsternannten Beschützer glitt. Knirschend biss ich die Zähne zusammen.
"Sam", begann ich so ruhig wie ich im Moment dazu in der Lage war. "Das ist dein Haus und ich respektiere dich und deine Regeln, aber ich bin hergekommen um mit Embry zu sprechen. Ich werde nicht gehen ehe ich Antworten habe. Also entweder bist du so freundlich uns das hier klären zu lassen, oder ich schwöre ich zerre ihn mit mir nach draußen, wenn es sein muss."
Ein überraschter Ausdruck huschte über sein Gesicht. Natürlich, er hatte mich noch nie wütend erlebt. Ich wurde nicht oft zornig. Für gewöhnlich hatte ich mich gut im Griff, sodass ich kleine Unannehmlichkeiten runterschluckte und Konfrontationen aus dem Weg ging, doch das hier war zu wichtig. Embry war mir zu wichtig.
"Ist schon okay, Sam.", versicherte ihm Embry mit zitternder Stimme. Danach bewegten sich seine Lippen lautlos, als wollte er ihm noch etwas zuflüstern, doch ich verstand kein Wort. Ich versuchte von seinen Lippen zu lesen, doch der Satz den ich meinte herausgefunden zu haben ergab für mich keinen Sinn.
'Ich habe mich unter Kontrolle.'
Embry hatte sich immer unter Kontrolle. Er war kein aufbrausender Typ, weswegen er wohl auch jetzt noch ruhig erschien. Er legte Sam eine Hand auf die Schulter und trat vor. Mir war es egal, dass wir nicht alleine waren. Wenn er mir endlich erzählen würde was mit ihm los war war mir alles egal.
"Embry!", ich griff nach seinen Händen, unterdrückte die Wut, die in mir brodelte wie kochende Lava. "Bitte rede mit mir! Was es auch ist ich komme damit klar! Ich verspreche es!"
Er wusste genauso gut wie ich wie wichtig mir versprechen waren. Wenn ich ein Versprechen gab würde ich alles menschenmögliche tun, um es auch zu halten. In seinen Augen flackerte etwas auf, doch dann schüttelte er den Kopf.
Seine warmen Hände schienen meine kalten förmlich zu verglühen, doch dachte nicht daran loszulassen. Hatte er noch immer Fieber?
"Wir können über alles reden, dass weißt du, oder? Und-Und wenn du nicht mit mir sprechen willst, sondern lieber mit Quil, oder Jake..., dann-dann ist das auch in Ordnung. Nur bitte! Ich bitte dich, vertraue dich einem von uns an! Wir wussten nicht was mit dir war, wie es dir geht, wo du bist... Wir... Ich hatte Angst um dich."
Stille. Ungeduldig sah ich in seine Augen, drückte vorsichtig seine Hände, als sei dies genug Anreiz, um ihn zum reden zu bringen. Der Kloß in meiner Kehle wuchs an. Ich war wieder den Tränen nah.
"Es tut mir leid.", entschuldigte er sich schließlich mit brüchiger Stimme. Obwohl seine Stimme viel zu tief war klang er wie ein kleiner Junge. Genauso sah er mich auch an, wie ein verängstigter, geknebelter Hundewelpe.
"Schon... Schon gut. Erzähl mir einfach was-"
"Nein! Es tut mir leid, dass ihr euch Sorgen um mich gemacht habt. Es tut mir leid, dass ich mich nicht gemeldet habe. Es tut mir leid, dass du mir jeden Tag geschrieben und bei mir vorbeigefahren bist. Es tut mir leid, dass du umsonst hierhergefahren bist. Es tut mir leid."
Rasselnd atmete er ein, sah an die Decke und blinzelte hektisch.
"Was? Nein! Ich werde nicht einfach gehen! Du bist- Embry du bist mein bester Freund. Du warst immer für mich da. Jetzt ist es an mir für dich da zu sein. Ich sehe doch, dass es dir nicht gut geht. Du siehst aus als hättest du einen Geist gesehen und du hast immernoch Fieber. Lass mich dich nach Hause bringen! Wir holen die anderen Jungs dazu und dann sehen wir weiter, okay?", schlug ich vor.
Ich klang erbärmlich. Genauso fühlte ich mich auch, denn seine Mimik sagte mehr als tausend Worte es gekonnt hätten. Er würde nicht mit mir mitkommen.
"Tut mir leid!", flüsterte er ein letztes Mal und ließ meine Hände los.
~°~
Was sagt ihr dazu? Wie wird es weitergehen?
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