22:
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Ich hatte versucht Embry zu erreichen, um mich zu erkundigen wie es ihm ging. An sein Handy war er nicht gegangen, weswegen ich es mit dem Festnetz versucht hatte. Tiffany war ans Telefon gegangen. Wie es aussah hatte Embry sich nicht nur eine Grippe eingefangen. Von wegen er müsste sich nur kurz hinlegen und wäre dann wieder top fit. Er hatte Pfeiffersches Drüsenfieber, was bedeutete, dass ich nicht zu ihm durfte. Bisher hatte ich dieses Virus selbst noch nie gehabt und war somit nicht immun. Auch wenn ich nicht vorhatte mir mit ihm ein Glas zu teilen, oder sonst wie mit seinem Speichel, über den das Virus größtenteils übertragen wurde, in Kontakt zu kommen sah ich ein, dass er Ruhe brauchte. Dennoch beschloss ich für ihn zur Apotheke zu fahren, mich dort zu informieren welche Medikamente ihm helfen könnten, danach in den Supermarkt nebenan zu gehen, ihm seine Barbequechips und diese Metholbonbons zu kaufen, die Mom mir immer gegeben hatte wenn ich krank gewesen war. Dabei war es egal gewesen was ich gehabt hatte. Ich würde den Einkauf seiner Mutter an der Haustür übergeben. Das dürfte doch okay sein, oder?
Gesagt getan.
Kurz nach zwölf Uhr stand ich bei Familie Call auf der Fußmatte. Die Temperaturen waren erneut gefallen. Mit klappernden Zähen wechselte ich von einem Bein aufs Andere nachdem ich geklingelt hatte. Den schwarz-gelben Schal, den ich liebevoll meinen Hummelschal nannte, hatte ich mir halb um mein Gesicht gewickelt, damit meine Nase mir nicht abfrohr. Meine Hände hatte ich in den tiefen Taschen meiner Winterjacke vergraben. Die beige Mütze mit dem regenbogenfarbenden Bommel bedeckte sogar meine Augenbrauen. Lediglich meine hasselnussbraunen Augen waren zu sehen. Alles in allem musste ich gestehen, dass meine Kleidungsstücke optisch nicht zusammenpassten. Ich hatte schlichtweg meine Lieblingssachen kombiniert. Ansonsten konnte ich von mir behaupten sehr modebewusst zu sein, doch gerade sah ich aus als hätte ich mich im Dunkeln angezogen. Komfort war mir viel zu wichtig geworden in den vergangenen Tagen. Ich hatte das Gleichgewicht zwischen bequem und geschmackvoll kombiniert verloren.
Da mir niemand die Tür öffnete stellte ich die Einkaufstüte vor die Haustür auf die Fußmatte und schrieb sowohl Embry, als auch vorsichtshalber seiner Mom, dass ich ihnen ein paar Kleinigkeiten vor die Tür gestellt hatte. Ich wünschte ihm zudem eine gute Besserung. War er mit seiner Mutter beim Arzt? Durfte er das mit einer ansteckenden Krankheit überhaupt? Andererseits... wo sollte er sonst hin sein?
Wo Bella heute war wusste ich nicht so genau, aber ich hatte den Pick up für einen Tag. Diesen Tag sollte ich nutzen. Was könnte ich tun? Quil musste für eine Prüfung lernen, Jake war vermutlich mit Bella unterwegs, abgesehen davon fühlte ich nicht wirklich das Bedürfnis mich jetzt schon mit ihm zu befassen. Verdrängung war nicht gesund, doch bis heute Abend könnte ich es schon noch herauszögern.
Hier war es 12:23Uhr, somit war es aufgrund des Zeitunterschieds 15:23Uhr in Florida. Sollte ich versuchen Hamish, oder Devery anzurufen? Cassy war übers Wochenende bei ihrem Freund Andrew. Vielleicht hatte Lydia Zeit. Wir könnten shoppen gehen. Desto länger ich darüber nachdachte, desto besser gefiel mir die Idee. Wir könnten zusammen mir Lola nach Port Angeles fahren. Mit ein bisschen Glück würden auch Kathrine und Ruby mitkommen wollen. Die Uhr im Wagen verriet mir, dass es inzwischen 12:30Uhr war. Aus meinem Rucksack, den ich auf den Beifahrersitz geschmissen hatte, kramte ich mein Handy hervor.
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Nachdem ich noch kurz Zuhause gewesen war, um mir Geld zu holen und mich umzuziehen, damit ich nicht länger aussah wie eine modische Katastrophe zweiten Grades, hielt ich vor Lydia Goodarces Haus an. Ihre zum Pferdeschwanz hochgebundenen, blonden Haare schwangen im Takt ihrer Schritte von links nach rechts, während sie auf mein Auto zulief.
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Sie trug Jeans, einen kuschligen, weißen Pullover der zartrosa, beige gestreift war, einen beigen Schal und darüber eine gefütterte Winterjacke. Das Outfit rundete sie mit passenden Schuhen, Handschuhen, einer zartrosa Mütze, einer großen Tasche und Accesoires ab. Sie sah wie immer fantastisch aus. Insgeheim war ich froh mich umgezogen zu haben. Auch wenn ich um einiges simpler an die Sache gegangen war. Blaue Jeans, weißer Wollpullover mit Zopfmuster, Schal und Mütze in einem ähnlichen Blau wie meine dicke, wärmende Winterjacke. Dazu noch Winterstiefel, die eher anmuten lassen würden ich würde Skilaufen gehen, Handschuhe und eine schwarze Tasche in die ich hoffentlich meinen Einkauf reinkriegen würde. Zur Sicherheit befanden sich in meiner Tasche noch zwei, relativ schöne, Jutebeutel. Sicher war sicher.
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"Holen wir Lola ab?", fragte ich grinsend.
Bedauernd schüttelte sie den Kopf.
"Ihr Bruder ist vorbeigekommen. Sie sind mit ihren Eltern essen gegangen. Kathrine hat auch schon etwas mit Jason vor, aber Ruby kommt mit.", setzte sie mich ins Bilde.
"Alles klar. Dann hätte ich sie zuerst abholen sollen. Jetzt fahren wir nochmal zurück.", lachte ich leise.
Nachdem wir Ruby eingesammelt hatten ging es los. Wir kamen leider in einen Stau, da es auf dem Weg eine riesige Baustelle gab, doch das störte uns herzlich wenig. Ich nutzte die Zeit, um aus meiner Jacke herauszuschlüpften, da wir im Wagen die Heizung hochgedreht hatten. Wir sangen lauthals bei den Liedern die im Radio liefen mit, spielten verschiedene Autospiele, wie zum Beispiel 'Ich sehe was was du nicht siehst', wobei dieses Spiel schnell seinen Unterhaltungsfaktor verlor, da wir uns mit gerademal 30 km/h vorwärtsbewegen, wenn überhaupt, doch wir fanden schnell Alternativen. Nach einer Stunde und fünfunddreißig Minuten, ganze siebenundzwanzig Minuten länger, als wir bei gutem Verkehr gebraucht hätten, kamen wir in Port Angeles an. Die Suche nach einem Parkplatz in der Nähe der Einkaufsstraße an einem Samstag war die Hölle, doch nach einer weiteren Viertelstunde wurden wir fündig. Erstaunlich elegant glitt ich rückwärts beim ersten Versuch in die Parklücke. Ich war stolz auf mich.
Wir quatschten, lachten, probierten Pullover, Kleider, Röcke und Jacken an. In der Drogerie deckte ich mich mit Make up, Shampoo, Duschgel, Tampons, Gesichtscremen, Kosmetiktüchern, Kaugummis, sowie weiteren Hygiene- und Kosmetikartikeln ein. Ruby kaufte sich neue Haarfarbe. Ich bot an am Sonntag bei ihr vorbeizukommen, um ihr beim Haare färben zu helfen.
Am Ende unseres Nachmittags war ich um drei Pullover, eine Hose, eine Mütze, zwei Paar Handschuhe, dutzende Drogerieprodukte, zwei Romane, vier DVDs und eine Kuscheldecke reicher. Oh und Socken! Ich hatte mir Einhornsocken in der Kinderabteilung eines Ladens geholt. Mit einer Schuhgröße von 36/37 genoss ich gewisse Vorzüge. Wie man sehen konnte war ich sehr erwachsen.
Bei Ruby und Lydia lief es nicht anders. Von uns Dreien hatte Ruby vermutlich am meisten eingekauft. Jedenfalls war der Kofferraum voll. Gut gelaunt fuhren wir zurück nach Forks. Auf der Rückfahrt rief Hamish Lydia an. Sie stellte ihn auf Lautsprecher und ein sehr langes, sehr unterhaltsames Gespräch begann. Jedes Mal, wenn wir telefonierten bemerkte ich wie sehr ich ihn und Devery vermisste. Am Liebsten würde ich meine Freunde und Familie aus Florida zu mir holen. Andrew könnte mit Cassy mitkommen. Ich brannte darauf ihn endlich persönlich kennenzulernen. Bisher hatte ich nur manchmal mit ihm telefoniert, wenn ich Cassy angerufen hatte und er zufällig dabei war. Er schien nett zu sein. Zumindest war er witzig, freundlich und vorallem schien er Cassy aufrichtig zu lieben. Ich freute mich für die beiden.
Die Ablenkung hatte mir gut getan. Gelegentlich vergaß ich, dass ich auch ein Leben außerhalb des Reservats hatte. Leider holten mich meine sorgenvollen Gedanken wieder ein, sobald ich alleine im Auto saß. Ich versuchte sie nicht an mich heran zu lassen. Ich wollte meine Unbeschwertheit noch nicht aufgeben. Wenn ich nur stark genug daran festhielt würde ich mich vielleicht selbst davon überzeugen können, dass das heutige Abendessen wie immer werden würde.
Bei dem Versuch mich durch mit Tüten beladen durch die Haustür zu quetschen blieb ich hängen. Geräuschvoll, unter dem knisternden Lauten der Tüten, schaffte ich es zu mich befreien.
"Bella?", kam es von Dad aus der Küche.
"Nein, Dad! Ich bin's!", rief ich zurück.
Ich trug meine Einkaufstaschen zum ersten Treppenabsatz, stellte sie dort ab und ging zurück zur Gardrobe, um Jacke und Schuhe auszuziehen. Dad lugte aus der Küchr in den Flur hinaus.
"Ich dachte du wärst mit deinen Freundinnen weg."
"War ich auch.", bestätigte ich. "Wir sind ein wenig früher gefahren. Schließlich müssen wir heute Abend kochen und ich wollte noch Zeit haben Zutaten kaufen zu gehen falls wir nicht alles hier haben. Eigentlich war ich schon heute Vormittag im Laden, aber ich habe vergessen nachzusehen, ob wir noch etwas brauchen."
"Oh, keine Sorgen! Ich hätte dich anrufen sollen. Billy hat uns eingeladen. Wir essen heute bei ihnen."
Aus dem Wohnzimmer rief Billy mir urplötzlich einen Gruß zu. Erst jetzt bemerkte ich, dass der Fernseher noch lief. Sie mussten zusammen ein Spiel gesehen haben. Die Laute des Fernsehers waren in der Zeit seit der ich hier wohnte zu einen dauerhaften Hintergrundgeräusch geworden, welches ich gelernt hatte auszublenden.
"Oh, HI BILLY!", grüßte ich zurück. "ICH HABE DICH GAR NICHT GEHÖRT! DANKE FÜR DIE EINLADUNG!"
Er brüllte ein 'gern geschehen' zurück.
"Wir wollten auch gleich los. Ich suche gerade noch einige Zutaten zusammen, die wir brauchen. Billy macht uns seine berühmten Spaghetti."
Bei dem Wort Spaghetti knurrte mein Magen. Billys Spaghettirezept war das Beste auf diesem Planeten.
"Ich kann es kaum erwarten!", ließ ich Dad mit einem Grinsen wissen. "Übrigens... ", wechselte ich das Thema und verschwand kurz in im Flur. Nachdem ich in den Tüten herumgewühlt hatte kehrte ich zurück. Ich übergab Charlie die kleine Tube Handcreme. "Du hast in letzter Zeit öfter gesagt, dass deine Hände sich trocken anfühlen. Deswegen habe ich dir die mitgebracht. Ich hoffe sie hilft. Lydia meinte ihr Vater wäre von dieser Creme im Winter jedes Jahr aufs Neue begeistert."
Zögerlich nahm er sie entgegen. Er blinzelte ein paar Mal. Wir überraschten ihn zu selten mit Kleinigkeiten bemerkte ich. Mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen bedankte er sich.
"Gerne.", strahlte ich angesichts seiner, wenn auch zurückhaltend geäußerten, Freude.
Ich lief die Treppen hinauf in mein Zimmer, um meinen Einkauf auszuladen und einzusortieren.
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In Dads Wagen fuhr ich Dad und Billy hinterher. Im Radio trällerte fröhlich ein Song, der nicht zu dem Knoten passte, der in meinem Magen lag. Der große Hunger von zuvor war mir vergangen. Vielleicht hätte ich doch nicht mitfahren sollen. Ich hätte behaupten können noch Hausaufgaben zu haben. Dad hätte das sicherlich nicht hinterfragt. Seufzent hielt ich vor der kuschligen Holzhütte an. Mein Trost war, dass heute neben uns auch die Clearwaters, sowie die Atearas kommen würden. Ich könnte mich in der Menge verstecken. Jacob und Bella waren im Wohnzimmer, als wir das Haus betraten. Als ich ihn sah schnappte ich nach Luft. Wieso sah er auch noch gut aus? Freundich, hilfsbereit, intelligent, durch und durch liebenswert UND gutaussehend? Das war doch nicht fair.
Es kam mir vor als wäre er seit unserer letzten Begegnung einen guten halben Kopf größer geworden. Hatte er auch an Muskeln zugelegt? Gingen die Jungs zusammen ohne mein Wissen trainieren? Freudestrahlend, mit einem breiten Grinsen, welches seine perfekten, strahlend weißen Zähne entblößte und seine Augen, in der Farbe von Zartbitterschokolade, funkeln ließ, kam er mit offenen Armen auf mich zu. Ich liebte Zartbitterschokolade. Jake in die Augen zu sehen machte es mir schwer nicht zu weinen. Er zog mich in eine herzliche Umarmung. Ich konnte nicht anders, als meine Arme um seine Taile zu schlingen und meinen Kopf an seine Brust zu legen. Ich war schwach. Für einen Augenblick schloss ich die Augen. Tief sog ich diesen angenehmen, typischen Jacob-Duft ein. Wenn es nach mir gegangen wäre hätten wir bis in alle Ewigkeiten in diesem Moment verweilen können. Das wir uns voneinander lösten ging von ihm aus, doch ich reagierte folgsam.
"Mir kommt es vor als hätten wir ins seit Ewigkeiten nicht gesehen.", bemerkte er.
"Ja... "
Wieso nur?
'Tut mir leid. Ich habe dich in den vergangenen Tagen gemieden, da ich erkannt habe, dass ich in dich verliebt bin. Allerdings weiß ich, dass du nicht das Selbe für mich empfindest. Das war kaum zu übersehen, so wie du in letzter Zeit von meiner großen Schwester geschwärmt hast. Lange Geschichte kurz: Ich bin gerade dabei zu versuchen mich zu entlieben, deswegen ist es nicht hilfreich mit dir abzuhängen. Auch wenn ich krampfhaft versuche Gründe zu finden nicht in dich verliebt zu sein, abgesehen von der Tatsache, dass du auf Bella stehst, scheitere ich. Tut mir wirklich sehr leid. Ich bin immernoch verliebt in dich.'
"Mir auch. Danke für die Einladung zum Essen.", antwortete ich stattdessen.
Er strubelte mir lachend durchs Haar.
"Bist du kleiner geworden?", neckte er mich.
Mehr als ein müdes, schiefes Grinsen brachte ich nicht zu standen. Mein Herz brannte. Ich war für ihn offenbar wie eine Schwester. Vielleicht lag es nicht nur an Bella, dass er mich nicht wollte.
"Ich denke eher du bist gewachsen.", gab ich zu bedenken.
Während er schon den Mund öffenete, um etwas, vermutlich schlagfertiges, zu erwidern rief ihn Billy aus der Küche zu sich, um zu helfen.
Mit einem entschuldigeden Schulterzucken verschwand er in Richtung Küche.
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Bella und ich deckten den Tisch, doch merkten schnell, dass er Platz nicht ausreichte. Keine zehn Minuten später stand Quil gemeinsam mit seiner Mutter und seinem Großvater auf der Fußmatte. Die Clearwaters trudelten ebenfalls kurz darauf ein. Quil trug einen Tisch für uns jüngere nach draußen auf die Veranda. Seth, Leah und ich trugen nach und nach Stühle für jeden von uns hinaus. Zu sechst quetschten wir uns schließlich mit unseren vollbeladenen Tellern auf die schmale Veranda mit Überdachung. Am dunkeln Himmel zogen bereits wieder düstere Regenwolken auf. Die Terassentür stand offen, was warme Luft hinausströmen ließ. Warmes Licht, sowie schallendes Gelächter strömten aus dem Wohnzimmer zu uns hinaus. Ich saß zwischen Quil und Leah mit meinem inzwischen nur noch halbvollen Teller dampfender Spaghetti in eine kuschelige gemusterte Decke gehüllt und fühlte mich erstaunlich behaglich.
Ich konnte Jake kaum ansehen, wie er mit Bella und Seth lachte, doch tat es dennoch jedes Mal. Sie sahen so glücklich aus. Bella wirkte unbeschwert. So oft wie wenn sie mit Jake zusammen war hatte ich sie noch nie lachen gesehen, nichteinmal in Phoenix, oder zu der Zeit in der sie noch mit Edward zusammen war. Jacob war wie eine Sonne. Seine Anwesenheit wärmte einen innerlich und er schenkte jedem in seinem Umkreis sein Licht. Noch ein Grund, weswegen ich ihn liebte. Allerdings fing ich an zu denken, dass Bella das vielleicht auch tat. Vielleicht bemerkte sie es nichteinmal, da ihre Liebe für Jacob anders war als das was sie zuvor für Edward empfunden hatte. Jacob zu lieben musste anders sein. Wärmer. Sie war mit ihm viel mehr sie selbst. Immer wenn ich sie mit Edward gesehen hatte hatten sie... distanziert gewirkt. Ich hatte nie gesehen wie er sie küsste, oder eine andere zärtliche, liebevolle Geste von ihm. Alles was er getan hatte war ihre Hand zu halten und selbst dann hatte sie nicht so gestrahlt wie jetzt, wo sie einfach nur neben Jake saß. Ich wollte, dass sie glücklich war. Ich wünschte ihr eine große, epische Liebe. Ich wünschte ihr einen Menschen bei dem sie sich Zuhause fühlte. Wieder spürte ich die Tränen aufsteigen und schloss schnell die Augen. Ich liebte sie beide.
Rasselnd atmete ich aus. Es entging mir nicht, wie Leah mich von der Seite ansah. Unerwarteter Weise legte sie ihre Hand auf meine und schenkte mir ein mitfühlendes Lächeln. Scheinbar hatten meine ständigen Blicke mich verraten. Ich hinterfragte die tröstliche Geste nicht. Unverholen glitt meine Aufmerksamkeit zurück zu meiner großen Schwester, der Person, die mir bisher am nähsten gestanden hatte, mit der ich aufgewachsen war, der ich zwar nie meinen Lieblingspullover leihen, aber der ich ohne zu zögern eine Niere spenden würde und dann zu Jake, einem meiner besten Freunde, der Person, die mein Herz zum flattern brachte. Er war nicht mein Jake. Er war zu unserem Jake geworden. Er war mein Freund, aber er könnte ihre zweite, große Liebe sein. Ich wusste, dass ich es nicht übers Herz bringen würde mich von ihnen zu distanzieren. Mich zwischen sie zu drängen kam mir nicht einmal in den Sinn. Etwas derartig grausames könnte und würde ich niemandem jemals antun. Blieb nur noch Option Nummer drei. Ich würde mein Bestes geben müssen mich für sie zu freuen.
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Am nächsten Tag ging ich wie verabredet zu Ruby. Seit wir uns kannten war ich nur ein Mal bei ihr Zuhause gewesen. Das Einfamilienhaus in dem sie wohnte war schön. Die Außenfassade war blau-weiß gestrichen, weswegen es in der Nachbarschaft herausstrach wie ein bunter Hund. Ich liebte Rubys Zimmer auf dem Dachboden. Sie hatte es sehr gemütlich eingerichtet. Der Boden war mit einem flüschigen, weißen Teppich, den kreuz und quer schwarze Linen durchzogen, bedeckt. Ihr Schrank war das einzige, richtige Möbelstück in ihrem Zimmer. Ihre Matratze lag auf Holzpaletten und der Rest des Raumes war mit dutzenden Sitzkissen und Büchern bestückt. An der Schräge hingen zwei Tücher, die Sternenbilder und Sternzeichen abbildeten, sowie eine Lichterkette mit großen Lampen in der Form von Glühbirnen, die Abends alles in ein warmes, goldenes Licht tauchten. Selbst wäre ich nie auf die Idee gekommen mein Zimmer so einzurichten, doch es wirkte gemütlich. Das Zimmer passte zu ihr. Es war ihr Stil.
Inzwischen sah das weißgeflieste Badezimmer aus wie ein Tatort. Trotz all der Präventionsmaßnahmen war die rote Farbe an Orten gelandet an die sie nicht hingehörte. Wir saßen auf dem, mit Plastikfolie abgedeckten, grauen Teppich und tranken fröhlich unsere Caprisonnen, während wir warteten, dass das Haarfärbemittel einzog. Aus der Stereoanlage in Rubys Zimmer dudelte irgendeine orientalische Musik. Vermutlich gehörte dieser Soundtrack zu einer von ihren Meditations-CDs.
"Warst du schonmal in jemanden verliebt, der nicht das Selbe für dich empfunden hat?", fragte ich irgendwann, während ich auf meiner Unterlippe herumkaute, eine neue Angewohnheit, die ich angenommen hatte seit ich mein Lederarmband nicht mehr finden konnte.
"Sprechen wir hier von Jake?"
"Ist das so offensichtlich?", stöhnte ich. In dem Verbergen meiner Gefühle war ich ganz offensichtlich eine Niete.
"Das du auf ihn stehst? Definitiv. Das er nicht auf dich stehen soll war bisher nicht so eindeutig."
"Er ist verliebt in meine Schwester."
"Autsch."
"Kannst du laut sagen. Wir hatten gestern unser 'Black-Swan'-Familienessen. Es war das erste Mal, dass ich ihn gesehen habe seit ich mir eingestanden habe, dass ich ihn mehr mag, als ich einen Freund mögen sollte."
"Und, wie war das für dich?", erkundigte sich, wobei sich ihre Augenbrauen zusammenzogen.
"Nicht so seltsam wie ich dachte.", gestand ich. Ich legte den Kopf zur Seite. "Noch einige Andere waren da. Das hat geholfen. Eigentlich war es ein ganz netter Abend."
"Aber?", harkte sie nach.
"Ich habe erkannt, dass das mit uns nichts werden kann.", gab ich seufzent und schweren Herzens zu.
"WAS??? WARUM??? Ihr wärt so ein süßes Paar!"
Der Griff um ihre Caprisonne verstärkte sich aprubt, sodass etwas Saft aus dem Strohhalm spritzte. Es war nicht wirklich ein Wasserfall an Flüssigkeit, aber immerhin rettete die Plastikplane den Boden vor dem Saft. Eigentlich machte es keinen Unterschied. Wir würden sowieso ordentlich schrubben müssen, um den Raum wieder farbenfrei zu bekommen.
"Hast du den Teil überhört in dem ich dir sagte, dass er auf meine Schwester steht?", erinnerte ich sie mit hochgezogener Augenbraue.
"Wie kannst du dir da sicher sein?"
"Ich bin nicht blöd, Ruby! Ich habe Augen im Kopf! Abgesehen davon höre ich wie er von ihr spricht."
"Das tut mir wirklich leid für dich, Süße. Wenn es dich tröstet ich finde dich fantastisch."
"Danke, Ruby.", lächelte ich schwach.
Der Wecker, den wir gestellt hatten, klingelte. Es war Zeit die Farbe auszuspülen. Schwerfällig rappelten wir uns vom Boden auf. Beziehungsweise ich rappelte mich auf. Ruby krabbelte auf allen Vieren zur Badewanne. Ihre kurzen Haare waren im vergangenen Jahr gewachsen, sodass sie ihr jetzt fast bis zur Schulter hingen. Ich fand es erstaunlich wie viel von der roten Farbe ausgewaschen wurde und ihre Haare dennoch die Farbe von reifen Tomaten hatten. Mit einem Handtuchturban auf dem Kopf begab sie sich in ihr Zimmer. Ich folgte ihr.
"Wie steht es jetzt, um dein Praktikum bei dieser Designfirma?", wechselte ich das Thema.
Verrückte, ausgefallende Mode zu designen war Rubys große Leidenschaft. Sie war auch eine sehr talentierte Künstlerin. Im November letzten Jahres hatte sie sich für diesen Sommer für ein Praktikum in Seattle beworben. Ich war immer der Meinung, dass sie, wenn sie keine Designerin werden würde entweder eine Kunstgalerie eröffnen, oder Yogalehrerin werden würde. Sie würde definitiv eines ihrer Hobbys zum Beruf machen. Ruby war ehrgeizig und verstand es sich durchzusetzen.
"Sie haben eine Mail geschickt, dass meine Bewerbung eingegangen ist. Die Entscheidung erfahre ich wohl Ende Februar."
Plötzlich fiel ihr prüfender Blick auf mich.
"Was?"
"Deine Tönung könnten wir auch mal auffrischen.", bemerkte sie. "Wann warst du das letzte Mal beim Friseur?"
"Vor dem Schulball.", erwiederte ich wahrheitsgemäß.
"Ich habe noch ein paar Farben da. Eine kleine Typveränderung könnte dir gut tun. Es markiert den Neuanfang in deiner Beziehung zu Jake. Wenn du möchtest..."
So kam es, dass ich mit erneut dunkelbraun getönten Haaren und einigen rot gefärbten Strähnen am späten Sonntagabend nach Hause kam.
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Eure Meinung zu ihr und Jake? Zu Bella und Jake? Oder vielleicht auch zu ihrer Freundschaft zu Ruby und Lydia? Was haltet ihr von ihrem neuen Look? Soll sie ihn beibehalten?
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