14:
~°~
Als ich ins Wohnzimmer kam wurde Bella gerade von DoKtor Gerandy, einem grauhaarigen, älteren Mann, der schon hier gearbeitet hatte, als ich klein war, untersucht. Seine Frage, ob sie verletzt sei verneinte sie nach einer Weile. Wohlmöglich lag es an der Formulierung. Körperlich mochte sie unversehrt sein, doch emotional war sie ein Wrack. Irgendetwas musste passiert sein, um sie in diesen katatonischen Zustand zu versetzen. Er fragte sie was los gewesen sei. Ich spitzte die Ohren. Als keine Antwort kam löste er den Blick von seiner Armbanduhr, die er wohl als Hilfsmittel genutzt hatte, um ihren Puls zu ermitteln.
"Hast du dich im Wald verlaufen?", half er nach.
Bellas Augen huschten durch den Raum. Sie blieben an Jared, Paul und Sam hängen, die mit verschränkten Armen in der Ecke standen. Ihr Gesicht blieb ausdruckslos.
"Ja.", flüsterte sie. "Ich habe mich verlaufen."
~°~
"Sollen wir bleiben?", bot Quil mir an.
Inzwischen waren sie als Einzige noch da. Es war kurz nach zwei Uhr morgens. Ich hatte mit Mom telefoniert und ihr versichert, dass alles in Ordnung war. Selbst Devery und Hamish, die wohl von Hamishs Eltern von Bellas kurzzeitigem Verschwinden gehört hatten, hatten angerufen und sich nach ihrem Wohlergehen erkundigt. Alle Anderen waren nachdem Sam Bella gefunden hatten nach und nach nach Hause gegangen, doch Jake, Embry und Quil waren bei mir geblieben bis sie sich sicher waren, dass wir klar kämen. Ich war ihnen unendlich dankbar. Ohne sie hätte ich den heutigen Abend nicht durchgestanden. Jake hatte auf dem Sessel im Wohnzimmer gesessen und der schlafenden Bella immer wieder besorgte Blicke zugeworfen.
"Nein, schon gut. Fahrt nach Hause! Das war eine anstrengende Nacht. Ihr braucht Schlaf!"
"Du auch. Bist du sicher, dass ihr klar kommt?", erkundigte sich Jake zum bestimmt tausensten Mal.
Ich nickte seufzend.
"Wir schaffen das schon. Bella schläft jetzt. Nach all den Strapazen wird sie vermutlich nicht vor dem Morgengrauen aufwachen. Doktor Gerandy kommt morgen- naja, besser gesagt heute früh wieder, aber scheinbar geht es ihr soweit gut. Hier gibt es nichts mehr was ihr noch tun könntet.", meinte ich.
Mit zusammengepressten Lippen versuchte ich mich an einem matten Lächeln. Ich war müde. Totmüde. Die ganze Aufregung, das Surfen heute Nachmittag und der Marsch durch den Wald hatten mich geschafft. Erschöpft rieb ich mir die Augen.
"Wir machen uns nicht nur Sorgen um Bella, sondern auch um dich und Charlie.", Embry suchte meinen Blick. Der aufrichtige Ausdruck in seinen onyxfarbenden Augen entlockte mir ein ehrliches Lächeln.
"Danke Jungs!"
Ich zog sie alle in eine Umarmung. Da sie alle ein ganzes Stück größer waren als ich gestaltete sich diese Aktion als etwas ungelenkt. Meine Arme waren zu kurz, um um Embry und Jake herumzufassen und auch Quil zu umarmen, aber meine Freunde machten einfach eine Gruppenumarmung daraus und so ging es.
"Danke.", bedankte ich mich erneut. "Ohne euch hätte ich das heute nicht geschafft. Ihr seid die Besten!"
~°~
Ich stand im Türrahmen der Haustür und winkte ihnen zu bis die Rücklichter von Quils Wagen in der Dunkelheit verschwunden waren. Erst dann ließ ich langsam meinen Arm sinken. Mit einem Mal fühlte ich mich nun doch allein. Die Erschöpfung brach in einer erneuten, übermannenden Welle über mich herein. Mir war nach wie vor kalt. Nachdem ich erneut nach Bella gesehen hatte, sie mit einer weiteren Decke bis zum Kinn zugedeckt hatte, schlurfte ich die knarrenden Stufen hinauf ins Badezimmer. Aus meinem Zimmer suchte ich mir bequeme Kleidung ehe ich unter die Dusche stieg. Das heiße Wasser wärmte meinen Körper. Meine Muskeln entspannten sich. Zum ersten Mal seit Dads Anruf gelang es mir mich zu entspannen, kurz abzuschalten. Genießerisch reckte ich mein Gesicht dem heißen Wasser aus dem Duschkopf entgegen. Es floss mein Gesicht hinab, über meinem Hals, meinen Oberkörper, meine Beine hinunter und verschwand im Abfluss.
Jetzt wo die Kälte endlich verdrägt wurde schlüpfte ich in den kuscheligen, grünen Pullover, die Schlafanzughose und flüschige Socken. Ich föhnte meine Haare und putzte meine Zähne. Bettfertig tapste ich zurück ins Untergeschoss. Aus der Küche hörte ich Dads Stimme. Er schien zu telefonieren. Gerade wollte ich zu ihm, als ich aus dem Augenwinkel sah, wie sich etwas im Wohnzimmer regte. Bella hatte sich bewegt, die Decke über ihren Kopf gezogen.
Leise trottete ich zu ihr. Neben ihrem Schlafplatz auf der Couch kniete ich mich auf den Teppich.
"Hey... Du bist ja wach.", flüsterte ich.
Dads Gemurmel drang als einziges Hintergrundgeräusch zu uns durch. Die Wörter Reservat und Feuer ließen mich aufhorchen. Brannte es im Reservat? Waren meine Freunde okay? Auch Bella lauschte. Wir Zwei kamen zu einer stummen Übereinkunft, dass wir zunächst hören wollten worum es bei diesem Telefonat ging. Dad wählte eine weitere Nummer. Ich hörte das Tastengeräusch.
"Hallo, Billy, hier Charlie - tut mir leid, dass ich so früh anrufe... nein, es geht ihr gut. Sie schläft... Danke, aber deshalb rufe ich nicht an. Grad hat mich Mrs Stanley angerufen, sie sagt, dass sie aus ihrem Zimmer im ersten Stock Feuer über den Klippen gesehen hat, aber ich hab ihr nicht so richtig... Was!" Plötzlich klang er gereizt, vielleicht sogar verärgert. "Und warum machen die das? Hm-hm. Ach, wirklich?" Das klang sarkastisch. "Na, bei mir brauchst du dich nicht zu entschuldigen. Ja, ja. Stellt einfach sicher, dass sich das Feuer nicht ausbreitet... Ich weiß, ich weiß, es wundert mich, dass sie es bei diesem Wetter überhaupt geschafft haben, die anzuzünden."
Erleichtert stieß ich die Luft aus. Das klang nach einem Lagerfeuer.
Nach einer Weile fügte Dad widerstrebend hinzu: "Danke, dass du Sam und die anderen Jungs hochgeschickt hast. Du hattest recht - sie kennen den Wald wirklich besser als wir. Sam hat sie gefunden, dafür hast du was gut bei mir... Ja, bis später.", er legte auf.
Bella und ich wechselten einen Blick. Dann kam Charlie wütend ins Wohnzimmer geschlurft.
Weswegen war er wütend? Wegen ein paar Jugendlichen, die ein Lagerfeuer gemacht hatten? Doch nicht etwa auf Sam. Er hatte Bella gefunden. Er hatte uns geholfen und er hatte sich gerade bei Billy für seine Hilfe bedankt.
"Was ist los?", fragte Bella mit kratziger Stimme.
Ich zuckte zusammen. Ehrlich gesagt hatte ich nicht erwartet sie sprechen zu hören. Dad wohl auch nicht. Er eilte so schnell er konnte zu uns. Mit einer Hand strich er ihr über ihre braunen Haare.
"Tut mir leid, dass ich dich geweckt hab, Schatz."
"Brennt es irgendwo?", erkundigte ich mich vorsichtshalber, obwohl ich mir bereits vorstellen kann was los war.
"Es ist nichts.", versicherte er uns. "Da haben nur ein paar Leute auf den Klippen Feuer gemacht."
"Feuer?", kam es von Bella. Doch obwohl es eine Frage war klang sie nicht im Mindesten interessiert. Sie klang monoton. Emotionslos.
Dad schien das auch aufzufallen. Er runzelte die Stirn.
"Ein paar jugendliche Rowdys aus dem Reservat.", erklärte er.
Also genauso wie ich vermutet hatte.
"Warum?", fragte meine Schwester tonlos.
Warum? Brauchten Teenagerjungs immer einen Grund für alles? Vermutlich fanden sie es einfach cool sich wie wilde Kerle aufzuführen. Allerdings verwarf ich diesen Gedanken, als ich bemerkte, dass er nicht antworten wollte. Er schaute zu Boden. Bitterkeit klang in seiner Stimme mit als er antwortete. "Sie feiern die Neuigkeit."
Ich wusste sofort wovon er sprach. Vorhin hatte ich ihn und den Arzt darüber reden gehört. Doktor Cullen hatte eine neue Stelle angenommen. Sie waren weggezogen. Sie alle. Edward hatte sie vermutlich deswegen verlassen. Ich hätte nur nicht gedacht, dass sie eine Trennung dermaßen fertig machen würde. Das man trauerte war verständlich, war menschlich, doch so?
Bella verstand es auch.
"Weil die Cullens weg sind. In La Push können sie die Cullens nicht leiden - daran hatte ich nicht mehr gedacht."
Ich wusste nicht was die Quileute gegen die Cullens gehabt hatte, doch das es so war wusste ich. Für einen Moment kam mir der Augenblick zurück ins Gedächtnis in dem ich Edward eiskalte Hand geschüttelt hatte. Ich musste daran denken was ich gedacht hatte. Die kalten Wesen. Haut so kalt wie Eis. Vielleicht hing alles mit der Legende der Quileute zusammen, mit den kalten Wesen, die sie als Wölfe bekämpft hatten. Konnte man wirklich aufgrund eines Aberglauben andere Menschen ablehnen? Ich war froh, dass die Menschen aus dem Reservat mit denen ich meine Zeit verbrachte diese Legenden als genau das sahen, als Legenden.
"Es ist lächerlich.", meinte auch Charlie, als hätte er meine Gedanken gelesen.
Eine Weile saßem wir schweigend da. Inzwischen ging bereits die Sonne auf, irgendwo hinter den Regenwolken. Das Licht war schummrig. Ich hatte bisher kein Auge zugetan.
"Bella?", Dad schaute unbehaglich zu Boden. "Er hat dich im Wald alleingelassen?"
Diese Frage beschäftigte mich auch schon seit einer ganzen Weile.
Statt auf seine Frage zu antworten stellte sie eine Gegenfrage.
"Woher wusstest du, wo du mich findest?"
Verwirrt sah ich zu Dad, der nicht minder verdutzt dreinblickte.
"Von deinem Zettel.", er zog ihn aus der hinteren Hosentasche seiner Jeans.
Ich hatte ihn selbst gesehen und wusste was draufstand.
'Bin mit Edward spazieren, auf dem Waldweg. Komme bald wieder, B.'
Bella starrte auf den Zettel als sähe sie ihn zum ersten Mal. Ich wurde misstrauisch.
"Als du nicht wiederkamst, hab ich bei den Cullens angerufen, aber da ist niemand ans Telefon gegangen. Dann hab ich im Krankenhaus angerufen und Doktor Gerandy hat mir erzählt, dass Carlisle weg ist."
Bella zuckte nicht einmal mit der Wimper. Sie stand vollkommen neben sich, als befände sie sich in tiefen Gewässern und würde unsere Stimmen nur dumpf zu sich durchdringen hören.
"Wo sind sie hin?", murmelte sie.
"Hat Edward dir das nicht erzählt?", fragte ich einfühlsam.
Sie schüttelte den Kopf und schauderte. Ich sah den Schmerz in meinen Augen. Dad erzählte ihr was wir über Carlisles neue Stelle wussten.
"Ich möchte wissen, ob Edward dich mitten im Wald alleingelassen hat.", wiederholte Charlie eindringlich.
Auch wenn ihr Gesichtsausdruck gleich blieb hatte ich das Gefühl ich könnte durch ihre braunen Augen ihre Qualen spüren und es zerriss mir das Herz. Dieser Arsch. Ich würde ihm die Hölle heiß machen.
"Es war meine Schuld.", sprach sie leise. "Er ist gegangen, als wir auf dem Weg waren, ganz nah am Haus... aber ich wollte ihm hinterhergehen."
Dad wollte etwas sagen, setzte zu einer Antwort an, doch Bella hielt sich die Ohren zu.
"Ich kann darüber nicht sprechen, Dad. Ich möchte in mein Zimmer."
Ehe er noch etwas sagen konnte rappelte sie sich vom Sofa auf. Sie taumelte zur Treppe. Eilig sprang ich auf um sie zu stützen. Ich hatte Angst sie könnte die Stufen hinunterfallen in ihrem Zustand. Sie ließ es zu, zumindest bis wir oben waren. Dann rannte sie in ihr Zimmer. Die Tür schmiss die hinter sich zu. Ich stand ein wenig bedröppelt im Flur und wusste nicht was ich tun sollte. Unsicher nährte ich mich ihrer Zimmertür und drückte die Klinke hinunter. Es waren keine zwei Minuten vergangen seit sie das Zimmer betreten hatte. Nun lag sie auf dem Boden, neben ihr das Fotoalbum von Dad.
"Bella?!", panisch stürzte ich auf sie zu. Zunächst dachte ich sie sei zusammengebrochen, doch sie atmete gleichmäßig und war wach.
"Bella?", fragte ich erneut mit zittriger Stimme. Sie antwortete mir nicht. Sie schien nicht mehr wirklich anwesend zu sein, reagierte nicht. Ich bekam Angst.
"DAD! DAD!", kreischte ich angsterfüllt.
Sofort kam er angerannt.
"Was ist passiert?!", fragte er keuchend.
"Ich- Ich weiß nicht! Keine Ahnung! Sie ist in ihr Zimmer gelaufen und dann habe ich sie hier so gefunden. Ich weiß nicht was passiert ist. Ich schwöre es! Ich habe sie kaum zwei Minuten allein gelassen!"
"Schon gut! Ich rufe den Arzt!"
Neben ihr lag das aufgeschlagene Fotoalbum. Auf der aufgeschlagenen Seite fehlten Bilder. Der einzige Hinweis darauf, dass sie jemals in den Ecken gesteckt hatten waren die Beschriftungen am unteren Rand.
Edward Cullen in Charlies Küche, 13. Sept.
Darüber klaffte eine weiße Leere.
~°~
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro